Der Apfelbiss. Sonntag, 15. Mai 2011

die recherche für einen gedankengang führte mich weit in pro ana welten heute morgen stop danach fühlt sich selbst der biss in einen apfel wie sünde an stop bei eva war der wenigstens noch mit erkenntnisgewinn verknüpft stop stop stop stop stopstop stop stop stop stop

19:20
Irgendwo in K**** sitzt eine Frau in einem Haus mit einem Klapprechner auf dem Schoß und arbeitet sich langsam durch ein Skript. Die Fenster stehen Tag und Nacht offen, damit die Geräusche und die Düfte sie mit der Außenwelt verbinden. Manchmal, wenn ihr der Kopf raucht, tritt sie auf den Balkon mit dem wunderbar verzierten Geländer und lässt ihr Haar herunter. Aber bisher ist noch niemand daran hochgeklettert.

Schwindelklippen. Donnerstag, 12. Mai 2011

Da ist sie ja wieder! Eben auf meine Terrasse gerauscht, die prächtigste Taube in ganz K****. Sie trägt einen goldenen, mit farbigen Steinen besetzten Ring an ihrem linken Füßchen, die Federn sind leicht gelockt. In L.’s Welt wäre sie eine Brieftaube, Liebling ihres Besitzers, Überbringerin geheimnisvoller Nachrichten – in meiner … nun ja. Sie ist plump und bestimmt nicht die Schnellste; als Flugbotin völlig ungeeignet, ein Ziertier. Sieht aus, als würde ihr Besitzer sie mit Zuckerkram füttern. Ich hoffe nur, niemand greift sie sich, weil er denkt, das Gold und die Steine seien echt.
Ich mag ja „was wäre wenn“ – Orte, an denen die Vernunft außer Kraft gesetzt wird, ich mag alles, das weg von der Ratio ins Gebüsch führt, in die schummrig grüne Blätterhöhle. Oder auf die Schwindelklippen. Ans Limit.
Gurr.
Ich muss gehen: eine Verabredung mit Ebba, meiner zornigen Hauptfigur. Auch sie denkt, sie sei zu schwer, und es sind nicht die leiblichen Pfunde, die sie ausbremsen – auch wenn sie eine erkleckliche Anzahl davon mit sich herumschleppt. Ich habe Ebba mit allem ausgestattet, was ich weiß und kann, doch was macht sie? Sitzt an meinem liebsten, schillerndsten „was wäre wenn“-Ort fest und beharrt darauf, das sei die Realität. Dabei könnte sie mit einem einzigen Hieb…
Nein. Ich bin es, die dort alles verändern kann: Wenn mir Emilie und Rufus, die ganz andere Pläne mit ihr haben, nicht zuvorkommen.
Sie sehen, ich habe zu tun.

15:53
Sind das Z i m b e l n da draußen? Dreißig Seiten durchgearbeitet. Mal denke ich, jippie, das ist genau die pralle Geschichte, die ich erzählen will, legt die Ohren an, Leute. Drei Seiten später werden mir die Segel plötzlich schlaff, totale Flaute, dann sitze ich vor dem Manuskript und denke: in die Tonne damit. Warum tu ich mir das an? Weil es längst seinen Verlag hat. Vor allem aber, weil ich diese Figuren erfunden habe. Sie gehören zu mir, ich kann sie jetzt nicht hängen lassen.
Doch, kann ich.
Pause?
Pause.
GONG!!!
(Muss man denn hier alles selbst machen)

21:39, TTired…

Rise and shine. Mittwoch, 11. Mai 2011

Zweihundertfünfzig Seiten Manuskript sind zu überarbeiten und viel Zeit ist nicht: die Option auf einen zweiten Monat hier lässt sich, wie ich gestern erfuhr, nicht umsetzen. Will sagen, ich hab’ dreieinhalb Wochen. Stehe unter Strom. Ein neuer Neurodermitis-Schub krabbelt mir über die Arme und wächst langsam zum Hals hoch. Solang er mir nicht den Schlaf raubt, lass ich ihn laufen… das Innen braucht einen Weg nach draußen, bei mir nimmt es den über die Haut und die Kunst, am liebsten im Doppelpack; ich kenn’ das seit Ewigkeiten. Durchlässig sein is’ nix für Amateure. Egal. Erstmal an die Hanteln. Dann an den Text. Überarbeitungen verlangen nach Disziplin, die drei neuen Kapitel aber, die ich noch einfügen will, müssen im Gallopp geschrieben werden, ohne Sattel.
Bis später, geschätzte Leser:innen.

16:07
Sie werden das kennen: wie man erst einmal in Trance verfällt, weil Herz und Hirn noch nicht synchron gehen nach einer Ankunft? Ich wandere umher. Verlasse das Haus, grüße einige Kaufleute, die vor ihren Läden auf der Straße sitzen; man kennt mich mittlerweile. Besorge etwas Essen. Nichts, das mich beim Denken beschwert, ein paar Gurken, Tomaten, einige Gewürze. Warte. Es ist ein angenehmes Warten, kein passives, ich mache Inventur, überprüfe die Gegenstände, die mir in den nächsten Wochen wichtig sein werden (ist die Schüssel noch da, mein Lieblingsmesser, mein Hauskleid), rücke meine Zeichnungen gerade, eine hängt in der Küche, eine im rechten Bad. Manche der Zettel, die ich beim Stöbern im Inneren der Schränke entdecke, sind noch von mir, kleine Botschaften an jene, die nach mir kommen. Bis auf ein einziges Mal war ich immer alleine hier in K****. Ein Ort zum Freisein, oder Durchdrehen, oder beides. Ich muss ständig an L. denken. Hege den Verdacht, sie könnte völlig ausgetickt sein, seitdem ich ihr zuletzt meine Aufmerksamkeit schenkte. Ob ich den Mumm haben werde, in ihre Richtung zu sehen? Das andere Manuskript hat Vorrang, damit im Sommer das Lektorat beginnen kann.
Ist eigentlich schon Sommer? Muss mich erst einmal wieder an die Hitze gewöhnen. Doch das Haus, in den unteren Etagen, ist kühl. Die gedämpften Laute, die durch die Öffnungen dringen, erinnern mich an meine Kindheit, an Schwimmbäder, das Summen im Kopf.
Mir schwant, dass ich dieses Mal, ohne mir dessen gewahr zu sein, mein Mädchen im Gepäck hatte, als ich abreiste; heute Morgen war es schon mal da. Vielleicht hat L. sie eingeladen, mitzukommen? Sie hat definitiv mehr Verbindung zu ihm als ich. Dazu passt übrigens fast geisterhaft gut ein Satz, den ich vorhin bei Melusine in Punk Pygmalion las: “Was mit Emmi geschehen war, erlebte ich als eine radikale Öffnung, ein unbedingtes Sich-Einlassen auf die Wünsche eines Fremden und zugleich als einen Verschluss, als kapsele sie sich selbst ein, als könne sie nicht mehr aus sich heraus. Er hatte sie ganz offenbar „sexuell erweckt“, wie man so sagt, und doch war sie gerade durch die Art, wie es geschehen war, zum Mädchen geworden, nicht zur Frau.”
Ah, Leser:innen, ich bin verwirrt. Ich weiß noch nicht, wer von uns den Vorhang aufziehen wird: wir sind viele.

Pssst. Dienstag, 10. Mai 2011

Der Code hat sich geändert, mit dem man auf’s Anwesen kommt; erst während der Reise bekam ich den neuen per sms. Ein paar fremde Gegenstände auf Tischen und Stühlen. Wer wohl hier war? Ein Zettel mit einer handschriftlichen Nachricht, ohne Unterschrift, das Haus ist, bis auf mich, leer. Stimmen von draußen, ich selbst habe noch keine.
Verdammt, K****, ich hungerte nach Dir! Deine Nacht kommt durch die offenen Fenster wie ein warmer Butterzopf.

Kurz vor K****. Montag, 9. Mai 2011

Lassen wir es langsam anlaufen. Wir haben Zeit.

Während L. auf der Straße dem Mann entgegen geht, der ihr Geliebter werden soll, verfolgt Paul in einem anderen Stadtteil seine Geschäfte, bei deren Erwähnung nur die allermutigsten – oder die gänzlich naiven – nicht erblassen. Ebba ist soeben hinter einer Häuserwand verschwunden und hinterläßt, so wünscht sie es, kaum Stoff für Erinnerungen. Dr. Tense öffnet in diesem Augenblick den Mund, um einen weiteren Beweis geistiger Erschütterung auf seine feige lauschende Gemeinde abzuladen. Alles ist so wie immer. Nein: Alles ist immer anders. Alles ist neutral. Alles ist gleichzeitig.
Treiben wir sie zusammen? Nein. Sie sind in der Nähe; das muß genügen. Die Stadt ist ein Moloch; wir richten das Brennglas auf unsere Figuren in diesem einen, glitzernden Moment, wir lassen sie unberührt. Es bleibt unserer Willkür überlassen, sie zu füttern oder verrecken zu lassen. Welche Sorte Zeit wählen wir? Dosieren wir nach hinten oder nach vorne? Auch diese Entscheidung mag zunichte gemacht werden durch eine unerwartete Wendung. Welche Sprache gefällt uns heute? Die Stadt ist groß und der Vorrat an Möglichkeiten unerschöpflich. Unsere Aufmerksamkeit flackert an diesem Ort auf, jetzt an jenem, unsere Konzentration ist gänzlich unzuverlässig; eventuell schwindet sie in Sekundenschnelle, um den Schauplatz wieder ins Dunkel sinken zu lassen. Wir planen, die Macht nach Gutdünken an uns zu reißen. Wir belieben anzunehmen, daß dies zu recht und in Einklang mit einfach allem geschieht. Wir bedenken unser Vorgehen nicht länger als nötig, um für einen kurzen Moment einen Blick werfen zu können.
Wir spielen ein pralles Spiel.
Wir verfolgen uns mit großem Interesse.

Landflucht de luxe. Donnerstag, 5. Mai 2011

So langsam beginnen die Nerven zu flattern, vier Tage noch, der Koffer füllt sich mit Garderobe für K****, das Laptop mit zu bearbeitenden Dateien, gestern flatterte noch eine Option auf Verlängerung ins Haus … den Juni, hieß es, könne ich ebenfalls noch bleiben, wenn ich wolle. Hm. Das wäre dann aber eine richtige, wirkliche, ernstzunehmende Arbeitsphase im Exil, Zweitkoffer und Heimweh inklusive. Hab mir kurze Bedenkzeit erbeten. Dieser Tage ergreift mich schon manchmal ein schlechtes Gewissen, weil sich alles so wunderbar fügt gerade, während gleichzeitig Menschen durch alle möglichen Höllen gehen. Doch was für eine Gabe wäre das, würde ich mich freiwillig dazulegen, stellen, setzen? Ich brauche Zeiten wie die kommende, während derer ich mich kaum mit anderen synchronisieren muss, ich hab’ mein Leben und Arbeiten so eingerichtet, dass ich genau solche Dinge tun kann. (Das Abreißen von den liebsten Menschen fällt mir allerdings kurz vorher immer so schwer, dass ich fast nicht fahre. Fast.)
„Du hast ein Hochleistungsgemüt“ behauptete gestern jemand, der das eigentlich gar nicht sollte einschätzen können. Ich unterschreib’ trotzdem. Auch mein Denkapparat ist nicht ohne, zumindest phasenweise. Der will allerdings immer mal wieder grasen und Abends den Hafersack umgehängt kriegen, sonst wird er flach. Ich hasse das, wenn er flach wird, denn danach kommt gleich das Schrumpeln, und wenn’s erstmal soweit gekommen ist, brauche ich ewig, um das Ding wieder auf Vordermann zu bringen, tschuldigung, Vorderfrau.
(Ein Monat oder zwei????)

17:13
Ich will ja nicht meckern, aber ein kleines verbales piep ab und an, Leser:innen, das kostet Sie doch nur ein paar taktile Einheiten auf der Tastatur. Im Ernst. Sie schweigen mir ja die Hucke voll. Muss ich erst über Obamas Katze schreiben, damit hier mal eine(r) einen Mucks macht?

00:16
Sie sehen mich entzückt: mein Aufruf blieb nicht ungehört! Den größten Teil des nun mächtig angewachsenen Kommentarschwanzes macht allerdings ein Gespräch zwischen Cruiser/Lobster und Kienspan aus. Letzterem gilt heute mein besonderer Dank, denn er hat den wahrhaft ritterlichen Versuch unternommen, durch die Hartschale seines Gegenübers dringen zu wollen. Für mich und TT. Und für uns alle, die wir zumHenkernochmalohneScheißDrogenundKiffsprechundMonologgeseiere hier lesen und denken und schreiben. Ich h a s s e Drogengelaber, und dieser Hass wird nur noch übertroffen von jenem auf n o c h m e h r Drogengelaber. Ich ernenne Kienspan hiermit mit sofortiger Wirkung und vollen Bezügen zum Ehrenritter von TT.

Die Last, die Last. Mittwoch, 4. Mai 2011

Mal keine Nachrichten gelesen, deswegen guter Dinge. Stattdessen Konzept ausdenken und verfassen für eine beauftragte Workshopreihe in einem städtischen Museum, Karre zum TÜV fahren, Friseur, Hanteln, abends Rendezvous in einer nahegelegenen Eisdiele oder Grillen (spontan entscheiden), verdammt, das Künstlerleben ist hart und entbehrungsreich.
Naja hilft nix, muss man eben durch.

Situation Room. Dienstag, 3. Mai 2011

Überlegungen zu der Rubrik “Freistil-Enklaven” hatte ich schon länger. Der auslösende Moment allerdings kam heute, als ich mich wie jeden Morgen durch die Nachrichtenseiten wühlte. Ich las vom Situation Room. Das ist die high-end Version jener Orte, an denen man das Sein an der Tür abgibt und sich ein Verhalten überstreift, bevor man den Raum betritt, dachte ich. Sonst kommt man gar nicht erst rein. Nun ist klar, geschätzte Leser:innen, dass Verhalten als Folge des Seins anzusehen ist, doch wir alle wissen, da sind Unterschiede in der Gewichtung … es gibt definitiv Situationen, in denen man mehr ist, als sich verhält, und andere, in denen man sich eher verhält als ist. Hängt von den Menschen ab. Und den Orten.
Was wäre die Umkehrung eines Situation Room, wo sind die Orte, an denen Sein mehr Gewicht hat als Verhalten? Öffentliche Räume scheiden sofort aus. Kirchen? Nimmermehr. Gärten? Natur? Vielleicht. Privaträume … hm … wenn sonst niemand drin ist, ja.
Alleinsein ist eh das Stichwort. Falls Sie wie ich zu jenen gehören, die davon nie genug bekommen können, wissen sie, was ich meine.
Ich meine: Freistil. Räume ohne Hierarchie. Entmilitarisierte Zonen. Dort, wo man Verhalten abstreift und erstmal i s t: Private Arbeitsräume und Ateliers. Freistil-Enklaven wird Räume zeigen, in denen Leute schöpferisch leben und arbeiten. Unsere eigenen Situation Rooms, wenn Sie so wollen – allerdings mit umgekehrter Gewichtung.
Warum?
Na, vor allem, um unser aller visuellen Neugier zu frönen, wie sich Eigen-willigkeit in Räumen manifestiert. Unterschiede und Gemeinsamkeiten, Chaos oder Pedanterie? Aber auch einfach, um Schaffenskraft sichtbar zu machen: Wir, wir sind nämlich auch Nachrichten. Und zwar gute. Was zu beweisen wäre.

Falls Sie Lust haben, dabei zu sein, schicken Sie mir ein Foto, die mailadresse steht im Impressum. Bin mal gespannt. Falls keine Einsendungen kommen, ist’s auch nicht weiter schlimm – TT kann’s auch alleine richten ; )