Rise and shine. Mittwoch, 11. Mai 2011

Zweihundertfünfzig Seiten Manuskript sind zu überarbeiten und viel Zeit ist nicht: die Option auf einen zweiten Monat hier lässt sich, wie ich gestern erfuhr, nicht umsetzen. Will sagen, ich hab’ dreieinhalb Wochen. Stehe unter Strom. Ein neuer Neurodermitis-Schub krabbelt mir über die Arme und wächst langsam zum Hals hoch. Solang er mir nicht den Schlaf raubt, lass ich ihn laufen… das Innen braucht einen Weg nach draußen, bei mir nimmt es den über die Haut und die Kunst, am liebsten im Doppelpack; ich kenn’ das seit Ewigkeiten. Durchlässig sein is’ nix für Amateure. Egal. Erstmal an die Hanteln. Dann an den Text. Überarbeitungen verlangen nach Disziplin, die drei neuen Kapitel aber, die ich noch einfügen will, müssen im Gallopp geschrieben werden, ohne Sattel.
Bis später, geschätzte Leser:innen.

16:07
Sie werden das kennen: wie man erst einmal in Trance verfällt, weil Herz und Hirn noch nicht synchron gehen nach einer Ankunft? Ich wandere umher. Verlasse das Haus, grüße einige Kaufleute, die vor ihren Läden auf der Straße sitzen; man kennt mich mittlerweile. Besorge etwas Essen. Nichts, das mich beim Denken beschwert, ein paar Gurken, Tomaten, einige Gewürze. Warte. Es ist ein angenehmes Warten, kein passives, ich mache Inventur, überprüfe die Gegenstände, die mir in den nächsten Wochen wichtig sein werden (ist die Schüssel noch da, mein Lieblingsmesser, mein Hauskleid), rücke meine Zeichnungen gerade, eine hängt in der Küche, eine im rechten Bad. Manche der Zettel, die ich beim Stöbern im Inneren der Schränke entdecke, sind noch von mir, kleine Botschaften an jene, die nach mir kommen. Bis auf ein einziges Mal war ich immer alleine hier in K****. Ein Ort zum Freisein, oder Durchdrehen, oder beides. Ich muss ständig an L. denken. Hege den Verdacht, sie könnte völlig ausgetickt sein, seitdem ich ihr zuletzt meine Aufmerksamkeit schenkte. Ob ich den Mumm haben werde, in ihre Richtung zu sehen? Das andere Manuskript hat Vorrang, damit im Sommer das Lektorat beginnen kann.
Ist eigentlich schon Sommer? Muss mich erst einmal wieder an die Hitze gewöhnen. Doch das Haus, in den unteren Etagen, ist kühl. Die gedämpften Laute, die durch die Öffnungen dringen, erinnern mich an meine Kindheit, an Schwimmbäder, das Summen im Kopf.
Mir schwant, dass ich dieses Mal, ohne mir dessen gewahr zu sein, mein Mädchen im Gepäck hatte, als ich abreiste; heute Morgen war es schon mal da. Vielleicht hat L. sie eingeladen, mitzukommen? Sie hat definitiv mehr Verbindung zu ihm als ich. Dazu passt übrigens fast geisterhaft gut ein Satz, den ich vorhin bei Melusine in Punk Pygmalion las: “Was mit Emmi geschehen war, erlebte ich als eine radikale Öffnung, ein unbedingtes Sich-Einlassen auf die Wünsche eines Fremden und zugleich als einen Verschluss, als kapsele sie sich selbst ein, als könne sie nicht mehr aus sich heraus. Er hatte sie ganz offenbar „sexuell erweckt“, wie man so sagt, und doch war sie gerade durch die Art, wie es geschehen war, zum Mädchen geworden, nicht zur Frau.”
Ah, Leser:innen, ich bin verwirrt. Ich weiß noch nicht, wer von uns den Vorhang aufziehen wird: wir sind viele.

2 Gedanken zu „Rise and shine. Mittwoch, 11. Mai 2011

  1. Dann man tau! Ich tat Selbiges Anfang des Jahres, denn mein Roman, der einige Zeit gelegen hatte, wollte und mußte noch einmal vollständig durchgeackert werden, bevor er zur Verlegerin meines Vertrauens verschifft werden sollte. Und es handelt sich bei so etwas ja nicht etwa um ein einseitiges Bearbeiten, vielmehr findet ein Ineinandergreifen zweier Entitäten statt, die miteinander ringen, wohlwollend zumeist, auch wenn ein dauerhaftes Wohlfühlen mitnichten zu erwarten ist. Mir jedenfalls schlug die Balgerei mit meinem Text offensichtlich auf den Rücken, doch da muß man durch. Hilft ja nix.

    • @Norbert W. Schlinkert Als Folge stetigen Muskulierens ist mein Rücken hochelastisch und scheut vor keiner Balgerei zurück. Momentan ist’s eher das Hirn, das bockt. Na, dem werd’ ich!

      Heftig am (man) Tau ziehend,

      Phyllis

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