Kausalkettenkürzen

Es fällt zunehmend schwerer, die Idee der Gleichzeitigkeit zu schützen, sprich sich gewahr zu sein dass kein Ding alleine steht, keine Erkenntnis sich von anderen isolieren lässt,
dass niemand automatisch ins Unrecht fällt nur weil ein anderer grad’ Recht hat,
dass noch während einer glühend argumentiert so manch Schweigender bereits kühl entscheidet, dass Menschen wegen einer Idee unter die Räder kommen, während andere mit der fast der gleichen Idee Furore machen, alles gleichzeitig –
– als wüssten wir das nicht.
Doch Wissen und Spüren sind zwei komplett verschiedene Modi.
Kürzt die Kausalketten! Nicht alles was Ihr wisst muss ins Kettenhemd der Logik eingeflochten werden.
Die meisten Dinge geschehen nicht weil, sondern während.

Mit weil ist mein Blick immer nach hinten, auf die vermeintliche Ursache dessen gerichtet, was ich wahrnehme,
mit derweil verlasse ich die Kausalketten und spring’ in die Gleichzeitigkeit.
Platsch

Derweil geht mir mein alter Dichterfreund P. nicht aus dem Sinn, durch dessen rissige Zimmerdecke seit einiger Zeit ein Sturzbach niedergeht. Zu Anfang hatte sich P. davor sehr erschrocken, jedoch nichts unternommen. Inzwischen hat er sich daran gewöhnt, vor allem, weil sich der Rohrbruch auf recht traumhafte Weise in die Ohm, den Fluss seiner Kindheit verwandelt hat. Sie stürzt von des Dichters Decke, landet sanft auf dem Fußboden neben dem Perserteppich und fließt, lieblich plätschelnd, über die Türschwelle ins Zimmer seiner Frau. Was die Ohm dort drüben verrichtet hat P. nie herausgefunden, ihn interessiert nur das eigene Stück Fluss, das entgegen alle Wahrscheinlichkeit durch sein Arbeitszimmer fließt und ihm Bedeutung verleiht. Dichter, wir ahnen es, sind brutal in ihrer Gier nach Transzendenz.

Eben fällt mir C.G. Jung ein:
Wer nach außen schaut, träumt. Wer nach innen schaut, erwacht.
Während H.N., dessen Arbeitszimmer meines Wissens nicht von Flüssen besucht wird, kürzlich folgendes sagte:
Zuhause ist, wo man nicht andauernd alles erklären muss.
Die trockensten aller Bemerkungen stammen allerdings wöchentlich von Sabina, der Frau, die dankenswerterweise bei mir putzt.
Leben fragt nix, sagt Sabina oft, und:
Oben ist es auch schön.
Womit sie das Himmelreich meint, in das schon viel zu viele jener Menschen eingegangen sind, die sie in ihrem Leben geliebt hat.

Alles ist immer anders
Alles ist immer gleichzeitig
Alles ist immer neutral

Diese drei schrieb ich als Studentin in eines meiner vielen Hefte; sie klingen immer noch gleichzeitig.

Ebenso wie die neue Welt, der ANH >>> nebenan in Die Dschungel mit seinem eigenen Fleisch eine Bühne bereitet.
Auftritt der Tumorin Liligeia. Stark invasiv, lebensgefährlich, furchteinflößend, doch aus Sicht des Herrn der Dschungel auch hoch erregbar für Courage und Poesie. Weshalb ANH (ohne Frage und auch keineswegs nebenbei mein Lieblingsschriftsteller) in seinem von Liligeias Energie gestressten Körper die Kraft findet, präziser: aufwendet, auch dieser neuen Lebensform Herr zu werden, sie also in der Umarmung seiner Formulierungen in die Innigkeit des Überlebenwollens hinüberzuziehen. Und weil doch jedes Wesen so lang’ und strotzend wie möglich überleben will, überlegt ANH zu Recht, sollte eigentlich auch Liligeia am Vergehen dieses gemeinsamen Körpers kein Interesse haben.
Seh’ ich genauso. Zum Gefäß zu werden, wie es Energieformen nun mal mit einem tun, ist nicht verkehrt. Richtiger aber ist es, die Stirn zu bieten, denn von dort kommt die Imagination:
(…) „Weil es dies ist, was wir Menschen wirklich können, was kein, wahrscheinlich, Tier kann, was möglicherweise nicht einmal Göttinnen und Götter könnten, wenn es sie denn gäbe, und erst recht kein GOtt. Schöpfung durch Kunst, Erschaffung durch Kunst – dies ist das Menschliche an sich (und wahrscheinlich eben nicht die Liebe, deren Empfindung wir mit Göttern wie mit Tieren teilen, und mit, wenn’s denn stimmt, dem EInen GOtt auch).“ (…)

Da widerspräche ich gerne, doch dazu ein anderes Mal.

4 Gedanken zu „Kausalkettenkürzen

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