TTag, 28. Juli 2010. Loads of

Schreibe eben, angeregt hiervon, über Orgasmen.
Bin gespannt, ob’s was wird. Dauert aber noch.

16:33
Solang’ der Text nicht mehr aussagt als die Zeichnung, kommt er hier nicht rein. Neeiiiin.

19:22
Inzwischen hab’ ich (streng themenbezogen) ein Gespräch mit einer Freundin geführt. Sie sprach von ihrem Abscheu künstlich aufgeputschten Muskeln gegenüber, und dass ein Mann, der ihr Interesse wecken wolle, stark genug sein müsse, um ein Schaf zu tragen. Also ein echtes. Nicht ein im Fitnesstudio imaginiertes.
Ich bin verwirrt. Meine Recherche gestaltet sich komplex; auch einen Selbstversuch musste ich noch unternehmen heute Nachmittag, das alles hielt mich über Gebühr vom Schreiben ab. Auf ein Neues. Morgen.
Ich bin zum Essen eingeladen. Und werde, ob ich will oder nicht, nach Männern Ausschau halten, die aussehen, als hätten sie schon mal das ein- oder andere Schaf auf dem Arm gehabt. (Warum gerade Schafe, um Himmels Willen?)

TTag, 27. Juli 2010. Untreu.

hieß das so genannte “Erotikdrama” von Adrian Lyne, das ich mir gestern, erschöpft von der Rückreise, antat. Leider. Richard Gere beweist, dass er schauspielern kann, Diane Lane sieht aus wie eine reale Frau und Olivier Martinez hatte ne gute Synchronstimme. Das wars aber dann schon.
Nach dieser Keule jedenfalls hatte ich Kalk zwischen den Beinen. Oh Gott, welche Strafen jene erwarten, die gegenläufig zur vereinbarten Moral schippern. Man sollte mal ein paar Generationen lang Untreue in Beziehungen zum gesellschaftlich akzeptierten Status Quo deklarieren und sehen, ob da nicht insgesamt vieles besser liefe.
Und solche Filme von Eric Rohmer machen lassen.

18:51
Bleiben Sie troy. Sich selbst.

TTag, 24. Juli 2010. Ich stimme für:

Frei- und kleine Geister. (Von großen Geistern, insbesondere, als damit immer die Herren bezeichnet werden, hab’ ich schnell genug)
Für Tieranalogien. Ernsthafte Gespräche und Balztänze, Frösche, Schnecken und Antilopen. Nächtliche Wutattacken. Unterschiede. Gleichzeitigkeit. Interessante Sprache bei alldem.

Kaffee.
Morgen fliege ich nach Hause.

TTag, 24. Juli 2010. Von Zeppelinen. (Irgendwie)

Ich war den größten Teil meines bisherigen Lebens krank, ich hatte Neurodermitis, ich war ein wandelnder Alarmzustand. Immer waren Teile von mir wund, bluteten und juckten zum wahnsinnig werden, Tag und Nacht, Woche um Woche, Jahr um Jahr. Ich schreibe das, weil ich gestern Abend mit meiner Schwester darüber sprach, was uns so geprägt hat bisher, wie wir die geworden sind, die wir sind. Ich hab’ mal eine Geschichte darüber geschrieben, wie es ist, eine fast permanent schreiende Haut zu haben: die bringt das Ding so auf den Punkt, dass ich dem auch seitdem nichts hinzuzufügen habe. Vielleicht stelle ich sie mal hier ein.
Womit wir gleich da wären, wo ich hin will: warum Selbstdarstellung? Und wo hört die auf, und der böse und peinliche Exhibitionismus beginnt? Ich könnte mich rausreden und einfach sagen, alle künstlerisch arbeitenden Menschen bauen sich Bühnen, und weblogs sind wohlfeil.
(Ich darf übrigens berichten, dass sich die geringelte Katze eben wieder zu mir gesellt hat. Sie sitzt neben mir und kaut Gras, etwas vorwurfsvoll, wie mir scheint, denn sie hätte gerne meinen Stuhl, um sich darauf zu putzen. Tja, wenn Du es schaffst, mich runter zu schubsen, kannst Du ihn haben)
Also, Bühnen.
Für mich ist keine aufregender und inspirierender als diese hier momentan. Seitdem ich dieses weblog führe, fange ich an, sichtbar zu werden; es fühlt sich an, als würde ich langsam, langsam meinen Zeppelin aufblasen.
Ich hab’ Kunst studiert und schon damals viel geschrieben. Ein anderes Studium wäre mir, glaub’ ich, mit dieser Haut gar nicht möglich gewesen; es musste eines sein, das der Persönlichkeitsentwicklung nicht nur Raum gibt, sondern sie geradezu als Bedingung einfordert. Ich hab’ Ausstellungen gemacht. Und Lesungen. Und Lesungen in meinen Ausstellungen. Aber ich hatte immer einen Horror davor, wie der nächste Tag aussehen würde. Ob ich Kleidung an mir ertragen würde. Ob mich nicht jedes Haar, das mir ins entzündete Gesicht fiele, wahnsinnig machen würde. Ich habe diesen verdammten Behälter gehasst, in dem mein Geist untergebracht ist. Tut mir leid, das ist starker Tobak. Trotzdem nur ein Fitzelchen dessen, was dazu zu sagen wäre.
Genug. Die Katze fängt jetzt Fliegen. Und das alles ist lang vorbei.
Doch der Punkt ist, der Körper erinnert sich, Zellen haben ein saugutes Gedächtnis. Er birgt. Ebenso wie die Psyche. Ich hab’ keine Ahnung, wie Leute, denen die schöpferische Ebene fehlt, mit solchen Dauerbelastungen umgehen. Die reduzieren einen aufs Überleben. Ich fühle mich gerade ziemlich unbeholfen in meinem Ausdruck. Doch es ist mir wichtig, lassen Sie mich also noch ein wenig tasten, ja?
Ich schreibe über diese Dinge (oder beginne, davon zu schreiben), weil ich mit Tainted Talents eine Form gefunden habe, in der das geht. Sie, die Sie regelmäßig hier vorbei kommen, kennen mich inzwischen ein wenig; Sie kennen meine Themen, meine Zeichnungen, ja sogar meinen Körper. Sie kennen mich als Showmasterin und wissen, wie ich mit Gästen umgehe. Sie machen sich so langsam ein Bild von mir. Manche kommen wieder, anderen ist das ganze Ding sicher zu sehr auf mich fokussiert, die bleiben dann weg.
Worauf ich hinaus will: auch ich mache mir so langsam ein Bild von mir. Was glauben sie, warum mir Schnecken so gut gefallen? Ich bin spät dran – aber ich weiß auch warum. Lange Jahre war mir alles in mir drin zu belastet, um es nach außen zu tragen. Ich hatte die große Befürchtung, andere mit mir zu überfordern. Das hat sich mit dem regelmäßigen Schreiben, vor allem aber mit dem Lehren des Schreibens sehr verändert: ich stellte fest, dass ich jungen Leuten ein wunderbares Vorbild bin. Und je offener ich mich dabei zeige, desto mehr bringe ich sie zum Leuchten. Und – das verblüfft mich immer wieder – die Jungen sind nie überfordert mit mir, egal, welche Hämmer ich ihnen vorsetze. Im Gegenteil. Liegt aber auch daran, dass ich inzwischen mein Lachen in die Welt schicke, als sei das nie anders gewesen. War’s im Grunde auch nicht. Ich hab’ immer gelacht; ich wollte nie jemanden mit meinem Scheiß belasten.
Das Ding hier ist zu keinem vernünftigen Ende zu bringen, merk’ ich schon. Egal, dann bleibt’s eben ein Anfang.
Ich schreib’ für alle Schnecken, männliche und weibliche.
Und für diejenigen, die – wie ich – so oft zu hören kriegen, wie stark und toll sie doch wären. Und die dann vielleicht denken, mag schon sein, doch das Luftschiff muss trotzdem von Hand aufgeblasen werden, also sitz’ Du nicht da und bewundere mich, sondern fang’ an zu pusten.
In meinen Workshops wird gelacht und geweint und niemand geniert sich, jedenfalls nicht lange. Und dann schreiben wir.

00:09
Cider, sag’ ich nur. Ein fieses Stöffchen.

Honored members of the brave new world

Meine Schwester & ihre Freundin.
Doktorinnen der Psychologie. Auf dem Weg zum Schwanenteich, an dem schon unzählige frisch gebackene Doktoren vor ihnen würdig abgelichtet wurden.
Hach.

Übrigens: die Schwäne werden seit je her gehütet auf dem Campus der University of Essex, sie sind fett und gesund.
Und ihre Jungen heißen nicht swanits oder sowas, sondern “cygnets”.
Und eine Gänseherde heißt: A “gaggle of geese”
Ein Schwarm Raben heißt: An “unkindness of ravens”
Und ein Krähenschwarm? A “murder of crows”
Alles klar?
Das sind collective nouns. Wollen Sie wissen, wie spinnert die Briten sind? Hier noch ein paar mehr collective nouns in Sachen Vogelkunde.

So.
Lassen Sie uns mit diesen hervorragenden Begriffen baldmöglichst Eindruck schinden, auch jene von uns ohne Doktorhüte.

TTag, 22. Juli 2010. That’s what it’s all about.

Der Lord Chancellor trug Rotgold, sein Zepter wurde ihm gereicht. Eben fliegt eine Lachmöve übers Dach. Zurück im Backsteinhaus. Von Ferne konstantes Gebrumm, die Pendler gen London. Die schwarzen Hüte und Roben gestern, wie direkt aus einem Rembrandt, mit roten Schnüren und Troddeln, die rechts neben dem Gesicht hängen. Kunstvoller Faltenwurf ziert die Rücken der frisch gebackenen Doktoren.
Semioticghost, heute in zivil (knallrote Leggins, schwarzes T-shirt mit Kirschen drauf, Akademikerbrille) hört Bob Dylan und bearbeitet die Fotos der Zeremonie, ich fliehe nach draußen auf meinen Platz vor dem Schuppen, Dylan macht mich traurig.
Ich hatte, Himmel sei Dank, einen Fächer mitgenommen. Wieviele waren im Auditorium? Tausend? Ich kann Menschenmengen so schlecht schätzen. Aus aller Herren und Damen Länder die stolzen Eltern. In der Reihe vor mir ein afrikanisches Paar, hoch aufgetürmt der Kopfschmuck. Inder. Asiaten aller Art. Esten und Letten und
(oh, die Sonne!
Krass, wenn die hier auf der Insel mal aus den Wolken tritt, schnurren die Nachtgewittertropfen auf den Blättern im Nu zusammen und – pffft – verzischen mit Geräusch)
Man dürfe so laut applaudieren, wie man wolle, verkündete die Zeremonienmeisterin zu Beginn. (Welch kultivierte Stimme!) Nur dabei bitte nicht aufstehen. Aufstehen aber wohl, wenn die hochgeehrten Gelehrten aller Fakultäten, der Lord Chancellor an ihrer Spitze, die Halle beträten. Jetzt also. Das Zepter geht voraus, die Lady, die es dem Lord auf seinen Tisch niederlegt, trägt weiße Handschuhe. Klar. Es gibt unterschiedliche Hüte mit verschieden rechts und links abgelegten Troddeln, jede Version einen anderen akademischen Rang signalisierend; auch die Roben geben diverse Hinweise. Versteh’ ich alles nicht. Mir ist entsetzlich feierlich zumut.
Der Lord hält die erste Rede. Er habe diese Woche auch andere Abgänger und Doktoren geehrt, sagt er, doch jene, die er heute verabschiede, bei denen sei er sicher, dass die verlotterte, geschundene Gesellschaft sie besonders dringend brauche. Meine Damen und Herren Psychologen und Analytiker, Soziologen und Philosophen. Ohne Sie wird das alles noch weiter den Bach runtergehen. Sie haben eine gewaltige Aufgabe vor sich.
Er sagt das alles in gesetzten Worten. Zu seiner Zeit habe es noch Solidarität gegeben. Heuzutage bewege man sich in feindlicher Umgebung. An die Arbeit, also. Und Zähne zusammengebissen. Und voller Freude sein dabei.
Na ja, so ähnlich.
Die Feierlichkeit nimmt ihren Lauf, die Leiterinnen und Leiter der Fakultäten heben einzelne Individuen und Projekte heraus, preisen ihr jeweiliges Fachgebiet. Nennen Namen. Die Namen verwandeln sich in Körper, treten nach vorne, berobt, schwitzend und wie irre grinsend, der Chancellor ergreift die Hand eines jeden, wechselt ein paar Worte. Abgang. Nächster.
Ich fächle mich. Gott, sind das viele.
Am Schluss (ich spare mir das Zwischenstück) nochmals der Lord. Sein letzter Satz. Wenn ich mir eine Bitte erlauben dürfte, sagt er. Sie richtet sich an Sie, verehrte Abgänger und Doktoren. Wenn bitte mal alle von Ihnen die Hand heben würden, die als erste in ihrer Familie einen akademischen Abschluss erwerben!
Ich sehe nach hinten, wo die Berobten alle sitzen: weit, weit mehr als die Hälfte hat die Hand gehoben.
Verdammt, denke, ich, genau so soll es sein.
Der Lord Chansellor blickt ins Auditorium. “And that’s what it’s all about” sagt er.
Der Satz, ich schwör’s Ihnen, ging mir durch und durch.

Und dann müssen wir alle wieder aufstehen, die Bühne leert sich in genau bemessener Choreograpie und das Ding ist gelaufen. Unnötig zu sagen, dass danach ein erhebliches an Alkohol floss.

21:19
Wollen Sie sehen, wie ein englischer Doktorhut aussieht?

TTag, 22. Juli 2010. Von den besetzten Orten

Good mornin!
Melde mich spaeter, sitze am falschen Rechner. Der hier ist von meiner Schwester und die Tastatur hoechst gewoehnungsbeduerftig. Nicht nur wegen der fehlenden Umlaute.

see ya : )

Phyllis

12:53

Ich bin, wie ich immer wieder feststelle, ein Mensch mit Macken. Eine davon äußert sich so, dass es mir reichlich schwer fällt, mich an Orte zu begeben, die andere mit ihrem Leben, ihren Routinen und ihren Gegenständen für sich und ihre Bedürfnisse bereits definiert haben. Ich mag neutrale Orte. Hotels. Leere Wohnungen. Verlassene Fabriketagen. Womit ich sagen will, das Zuhause einer anderen Person bedeutet für mich immer erstmal Stress. Kennen Sie das? Je voller so ein Zuhause mit Sachen ist, desto schwerer fällt mir das Ganze.
Nun neigen ausgerechnet jene Menschen, die mir besonders nah sind, dazu, ihre Räume in geradezu orgiastischer Manier mit Sachen voll zu stopfen. Im Ernst.
Sie sagen dann, es ist so klein bei mir, hätte ich mehr Platz – doch das ist Unfug. Hätten sie mehr Quadratmeter, sie hätten auch mehr Zeug.
Nun denken Sie nicht, bei mir zuhause wäre es karg: keineswegs. Nur anders. Ich dünne aus. Meine Liebsten tun das ganz augenscheinlich nicht. Ist doch kein Problem, werden Sie denken, was macht die sich rum, jedem Tierchen sein Höhlchen.
Klar. Doch ich fange an zu hecheln, mein Sinnesapparat ist überfordert. Das Kissen hat die falsche Farbe, der Stuhl quietscht, die Bücherregale scheinen mir alle entgegen zu kippen: das ganze Wohnrevier ist unvertraut und bedrängend und voll.
„Ruhig, Phyllis“ sagte ich mir heute morgen, „Du darfst nicht jeder Deiner Macken aufsitzen, nur weil sie so einen breiten Rücken hat. Reiß Dich am Riemen; es ist alles in Ordnung. Du bist hier gut aufgehoben.“
„Nein“ knurrte ich.
„Was muss ich ändern?“ fragte ich zurück. (Ich weiß, wenn ich mich ignoriere, wird es schlimmer)
„Du brauchst einen Platz für Dich“ sagte ich. “Gibt es irgendwo da, wo Du bist, einen Raum, den Du für Dich besetzen kannst, um zu arbeiten?“
„Eher nicht…“
„Kannst Du denken so?“
„Nein.“
„Kannst Du was tun, um in Deinen Körper reinzukommen?“
„Nee. Hab’ Gymnastik gemacht, aber nichts dabei gespürt.“
„Das ist schlecht. Wenn Denken und Spüren gleichzeitig ausfallen, wirst Du Probleme kriegen. Du musst Dir was überlegen. Du bist Künstlerin. Auf jetzt!“

Ich gehe in den Garten. Es ist eine Anhöhe, nicht groß, aber mit Sträuchern, einem Rosenbusch und Rasen. Ein ausgetrockneter kleiner Teich. Ganz oben ein winziger grüner Schuppen. Da lege ich mich ins Gras.
Ui. Hier ist es besser.
„Semighost?“ rufe ich.
„Ja?“
„Habt Ihr eigentlich Stühle für hier draußen?“
„Im Schuppen müssten welche sein, aber die stehen da schon zwanzig Jahre unbenutzt…“
„Gibt’s einen Schlüssel für das Vorhängeschloss?“
„Klar.“
Sie steht am Herd und will eben Eier in die Pfanne schlagen. Sieht mich an und überlegt es sich anders. Stellt die Eier beiseite. Greift sich einen Schlüssel vom Haken und einen Besen, geht zum Schuppen und zieht zwei Gartenstühle aus dem hintersten Winkel. Der Besen ist für die Spinnweben; von denen gibt es reichlich.
„Und was ist das da?“ frage ich aus sicherer Entfernung. (Hab’ ne Spinnenphobie.)
„Eine Arbeitsbank“
„Die könnte ich doch als Tisch…?“
„Aber ja.“
Und auch die wird herausgegriffen, von Spinnen befreit und beherzt aus ihrer zwanzigjährigen Ruhe aufgeklappt.
Da sitze ich nun auf diesem Stuhl, dessen Bespannung ihn als mindestens dreißigjährig ausweist, hab’ die Beine auf der Werkbank, Laptop auf dem Schoß, den versponnenen Schuppen in meinem Rücken, und plötzlich ist die Welt wieder in Ordnung. Es ist schön hier. Ich sehe den Hügel runter auf die Hinterfassade des kleinen Hauses mit der geöffneten Terassentür, und plötzlich ist nicht mehr alles zuviel, sondern genau richtig. Eine Kätzin kommt vorbei, mustert mich kurz und geht weiter. Tauben sind auch da. Die dicke Sorte, die mit den weißen Halsfedern und dem richtigen Gurren. Die scheinen mir überall hin nachzufolgen, zuhause leben zwei auf der Birke vor meinem Fenster, in K**** fand ich welche vor, als ich meine Räume bezog, und hier nun auch wieder. Unsere Mutter, die ein wenig zur Esoterik neigt, würde sicher behaupten, das sei meine verstorbene Großmutter. Die hat auch tatsächlich mehrfach verkündet, ihr Geist würde nach ihrem Ableben aus den Stimmen der Vögel zu uns sprechen.
Tja. Warum eigentlich nicht? Sie konnte die Rufe von Eulen und Tauben jedenfalls so nachmachen, dass die Angesprochenen immer näher kamen.
Ich werd’ mich mal anziehen für die kommenden Feierlichkeiten.
Hab’ ich schon erwähnt, dass semighost mich so gut versteht wie kaum ein anderer Mensch? Sie nennt mich verschroben. Womit sie nicht unrecht hat. Aber sie spürt mich oft lächelnd da auf, wo ich noch gar keine Worte habe.

TTag, 21. Juli 2010. Up in the air.

Heute setz’ ich mich in den Flieger und besuche semiothicghosts. Sie hat nämlich ihren zweiten Doktorhut erworben, der wird ihr morgen feierlich aufgesetzt; da will ich dabei sein. (Was trägt man zu solch einem Anlass? Schwarz? Dunkelblau? Blümchen? Nein, keine Blümchen. Aiaiai, ich hab’ nichts anzuziehn!!)
Es wird bangers & mash geben zur Begrüßung. Hab’ ich mir gewünscht. Ich liebe bangers & mash, allein des Namens wegen.
Wir werden auch Whiskey trinken, Glenlivet, nehm’ ich an. Es gibt ein äußerst bequemes Sofa bei semighost. Extrem viele Bücher. Filme. Und natürlich sie selbst. Wir werden eine ganze Menge besprechen, nehme ich an. Und friedlich vor uns hin schweigen, das können wir auch gut. Ich werde ihr dabei zusehen, wie sie die Geburtstagsgeschenke auspackt, die ich mitgebracht habe. Und Zwiebeln schneiden in ihrer vollgestopften Küche. Es wird regnen, so viel steht fest. Egal. Deine zugige Insel, sage ich immer, wie hältst Du das aus. Dann lacht sie.
Jetzt zeichne ich dem, der hier bleiben wird, noch eine Botschaft. Schnappe mir Koffer und mein unerlässliches Reisekissen und
— ab.
Der nächste Eintrag dann von der Insel aus. Der zugigen : )

00:21

“Semighost?”
“Ja?”
“Was ist das für ein See? Warum ist der ausgetrocknet?”
“Das ist kein See. Das ist eine Flussmündung, und es ist gerade Ebbe. Wir sind auf einer Insel…”

Dann hat sie mich ausgelacht.

TTag, 20. Juli 2010. Wofür?

Für das Werk? Die Nachwelt? Den Glauben? Oder die Kinder? Wofür geben wir uns hin?

auf die
zeit

wartende
uhren

schreibt parallalie drüben in den Dschungeln. Wie mich dieses Bild sofort anzog wie ein blinkender Köder. Ein See im Urwald.
Also: wofür geben wir uns hin? Für die nächste Sekunde? Dafür, das Unmessbare zum Ticken, zum Vergehen zu bringen? Wie viele Uhren würde es brauchen, um alle Zeiten zu messen, in denen wir gleichzeitig leben?
Die Idee von Abfolge ist eine Konstruktion, um nicht durchzudrehen, um diese handhabbaren Einheiten zu gewährleisten, innerhalb derer wir denken und fühlen und handeln können. Alte Menschen verlieren das oft wieder. Meine Großmutter wurde zum jungen Mädchen im hohen Alter, die Gegenwart war ihr ganz fremd. Mein Vater, vor seinem Tod, fand in den Liedern von Hannes Wader mehr von seinem Ich als die Ereigniskette seines Lebens ihm vermitteln konnte: ein paar gesungene Zeilen schienen ihm realer als seine eigene Realität.
Es kann sein, dass wir alles verlieren, irgendwann.
Dass wir selbst die Uhren sind, die auf die Zeit warten.
Es kann sein, dass es keinen Sinn gibt, dass die Köder aufhören zu blinken, dass wir vergessen. Ist der Sinn noch da, wenn die Handlung verloren gegangen ist?
Über einem mir unbekannten Schreibtisch hängt ein Zettel, auf dem steht: “Practice random acts of kindness.”
Zufall und Güte. Da haben wir mal zwei hübsch altmodische Worte, hm? Wenn sie zwei bessere wissen, liebe Leser:innen, um das Ticken verstummen zu lassen, nur her damit!

follow me

16:34
Und wie man vielleicht die Hacken in den Boden stemmt und sagt: ich nicht.

19:32
Und es dann doch tut.

00.35
Das war ein toller Tag hier auf TT. Toll, dass Sie da waren und so vieles an Gedanken hier gelassen haben. Merci.

TTag, 19. Juli 2010. Vom Zwitter.

Ich will arbeiten so sehr wie inne halten, in meinem Lachen liegt Schluchzen, ich denke, ohne zu denken, oh, wäre ich doch gelehrt, oh, wäre ich es nicht. Will Spuren hinterlassen, doch unsichtbar bleiben. Viel essen will ich und gleichzeitig hungern, wie ein Fädchen dünn sein.
Ich will liefern. Und jede Lieferung verweigern. Ich will Stolz und Demut, will Zerfließen und Form, alles behalten und verschenken in einem; ich will genau sein und Genauigkeit im gleichen Atemzug verspotten, will den Becher leeren und wünsche doch, er bliebe voll. Ich will troy sein und verrucht, verlässlich und dennoch unberechenbar, bescheiden und triumphierend zugleich.
Gerade will ich sein. Und dabei taumeln.
Was geschieht, wenn alles gleichzeitig ist?

19:13
Weltrekordhalterin im Langsamerledigen. Die Schnecken in meiner Umgebung lachen sich halbtot, wenn sie mich zuckeln sehen.