Schreibzimmer, weltkulturell ; )

Mein neuer Projektraum im Weltkulturen Museum. Ich liebe Eckzimmer! Als dieses Foto entstand, waren wir mit der Einrichtung noch nicht sehr weit gekommen – inzwischen gibt es einen Haufen Bilder und Texte an den Wänden, ein Sofa, verschiedene Lampen und einen Teewagen : )
Heute Abend geht’s los. Bin schon sehr gespannt… bis Ende April werden wir dort hausen und schreiben. Sobald wir Fahrt aufgenommen haben, gibt’s belebtere Bilder!

Rascheleis

Ich bin Homechiller sagte gestern eine junge Frau in meinem Workshop. Ein Begriff, der mir sofort gefiel, insbesondere, als er mit einem Lächeln vorgetragen wurde. Es war leider kein echtes: Im Laufe des Vormittags bemerkte ich, dass unser Tisch in zwei Lager gespalten war. Die weniger chilligen Teilnehmerinnen saßen alle links, die Coolen alle rechts.
Es dauert nicht lange, um zu spüren, welche Individuen in einer Gruppe von den Coolen abgedrängt werden: Sie tragen die Pein im Gesicht. Es ist, als müssten sie ständig durch Rascheleis schwimmen. Mit diesem unheimlichen Wort erwachte ich heute Morgen. Früh übt sich, was ein Ausgrenzer werden will. Oder eine Ausgrenzerin: auch Frauen können das ganz hervorragend.

Ich muss los.

Sorry, dass ich noch nicht auf Ihre Kommentare der letzten Tage reagiert habe – ich hole das nach!

17:54
So. Heute lief alles ganz anders. Was damit begann, dass ich mich ins schwarze Kostüm schmiss morgens, anstelle der Jeans von gestern. Ich hatte so einen Verdacht. Manche Gruppen von Jugendlichen schätzen die selbstverständlich angebotene Augenhöhe mit der Dozentin, andere möchten dafür was tun: Es soll einen Unterschied geben. Eine Distanz, gegen die sie sich abgrenzen können. Sollen die sich doch lieber an mir abarbeiten, als an denen von der linken Tischseite, dachte ich.
Erschien also kostümiert und ein bißchen ernst.
Guter Start.
Ich verlor kein Wort mehr zu den gestrigen Spannungen, das hatte ich gestern schon. Warum die Außenseiter etikettieren? Stattdessen fragte ich die Gruppe, was das Schreiben für sie bewirken könnte. Was sich denn in ihrem Leben verändern würde: wenn sie sich schriftlich besser ausdrücken könnten. Ich erzählte auch was von mir, aber nicht viel, hörte mehr zu. Von vielen kam erstmal nichts. Dann häufelten wir die ersten Statements auf den Tisch. Manche lachte ich ein bißchen aus. Im Ernst? fragte ich. Und d a s genügt Dir? Sprach jede Teilnehmerin mit Namen an. Fragte, was wäre, wenn Ihr so gut schreiben könntet wie Ihr ausseht?
Dafür gab’s die ersten Lacher.
Ich sagte, heute werde ich euch fordern, das gestern war Kinderkram.
Ich sagte, ich werde nachher mit jeder von Euch ihren Text einzeln durchgehen. Ich setz’ mich da drüben hin, und was wir besprechen, geht sonst niemanden etwas an.
Ich sagte, jeder kann, niemand muss.
Die haben heute richtig gut gearbeitet. Irgendwie haben sie bemerkt, dass meine Ansagen keine Tricks waren, sondern ein Angebot für ein Workout. Training ist cool.

Eine Nigerianerin von der linken Tischseite hatte einen tollen Text geschrieben, las ihn aber so vor, als hätte ihr jemand die Blutbahnen eingefroren.
Versteh’ ich nicht, sagte eine von der rechten hinterher.
Seid ihr einverstanden, dass ich das nochmal vortrage, fragte ich.
Alle bis auf eine sagten: ja.
Ich las das Ding, als wäre es ein Rap-Text; die jungen Frauen hingen mir an den Lippen. Wow, sagten sie hinterher zur Nigerianerin, klasse Text. Die war ganz knülle vor Stolz. Respekt, sagte ich. Du wirkst aber nicht wie eine Deutsche, sagte die Nigerianerin später.
Die anderen spitzten die Ohren: Echt? Du bist Deutsche? Nee. Echt. Hätten wir nie gedacht.
Bei der Tunesierin, die nie den Mund aufmachte, stellte sich heraus, die spricht fließend Englisch und langweilt sich einfach. In der Pause rauchten wir eine.
The girls in your class think you’re a bit slow, right? fragte ich. Just because you refuse to learn German.
Yes. Sie lächelte.
Aren’t you bothered? fragte ich. They underestimate you. You cope with that?
I couldn’t care less, erwiderte sie.
Ich ließ das so stehen. Eh klar, was daran nicht stimmte – wusste sie selbst.
How about some training? fragte ich. Just to keep your brain busy. Use me -I’m a trainer. I’ll speak english with you from now on. But try to do a bit of german writing, ‘kay?
‘kay.

So weit erstmal. Ich erzähle Ihnen das übrigens nicht, um mich wichtig zu machen, sondern weil es nicht soo viele Schnittstellen gibt zwischen dem Alltag dieser Schülerinnen und anderen Lebenswelten – und ich eine davon bin. (And I’m rather passionate about it ; )

Showtime. Freitag, 7. Oktober 2011

Geschätzte Gäste dieses Weblogs,

ich werde dieses Wochenende wieder im Seminarraum verbringen. Zusammen mit zehn jungen Leuten, deren Befindlichkeit mir sehr am Herzen liegen wird. Trage bereits mein Bühnenoutfit: ein grünes, hochgeschlossenes Kleid mit Taillengürtel, grüne Strumpfhosen, und – damit’s nicht
z u sehr nach weiblichem Robin Hood aussieht – rote Pumps. Das exakt gleiche Rot, möchte ich betonen, wie meine Computertasche. An der hängt ein schwarzer Fuchsschwanz. (Neiiin, kein echter) Das Haar ist hochgesteckt, die Brauen gezupft, die Nägel lackiert. (Hautfarben, selbstverständlich)
Sie sehen, ich sorge vor. Der erste Eindruck, Sie wissen schon. Die jungen Leute gucken genau hin.

Vom ersten Eindruck haben wir uns hier auf TT längst entfernt; man kennt sich. Manche zumindest. Denken wir zumindest. Schön wär’s trotzdem, wenn das genaue Hinsehen nicht verloren ginge. “Kehr’ erstmal vor deiner eigenen Tür” höre ich meine Großmutter sagen. Werd’ ich! Versuchen. Ich kann nicht im Seminarraum Respekt und Achtsamkeit propagieren und hier dann mit der Faust auf den Tisch. Oder doch? Ich trete lieber über Türschwellen, als vor ihnen zu kehren, fällt mir eben auf. Geht >>> Shaima auch so, übrigens.
Freue mich schon auf die kommenden Ateliertage – nächste Woche wird Zeit sein.

Ich wünsch’ Ihnen ein gutes Wochenende. Und achten Sie auf Ihre Befindlichkeit! ; )

Herzlich,
Miss TT

Kehrbesen, wütend

[…] “Würde es mir je einer glauben, wenn ich euch heute erzähle, dass ich von der fünften Klasse aus bis zur zehnten nie wirklich eine ehrliche und vertrauenswürdige Person kennenlernen durfte? All diese Schüler, mit denen ich diese fünf Jahre verbringen musste, wussten nie so richtig, die eigene Persönlichkeit und die eigenen Lebensvorstellungen zu schätzen. Viele Gruppen haben sich gebildet, und immer wieder wurde der eine oder andere manipuliert, ob es um Klamotten ging oder um Meinungen, jeder hat sich von einer bestimmten Gruppe beeinflussen lassen.
Doch ich habe mich getraut mich gegen diese große Gruppe zu stellen, ich habe mich eigenständig von den andern isolieren lassen, ich bin meinen eigenen Weg gegangen, habe mich immer wieder getraut meine eigene Meinung zu äußern, und nicht diese Meinung, die immer die Mehrheit hören wollte, auch ich habe mich auf meine eigene Vorstellung von Mode konzentriert und bin nicht wie die andern rumgelaufen, und wirklich nur ich hatte das Lebensziel meinen Abschluss mit unter 1.5 zu schaffen.
Diese gesamte Situation war eine große Herausforderung für mich, und ich wusste, dass wenn ich meinen eigenen Weg gehe und mich dieser Menschengruppe nicht anpasse, so werde ich die nächsten Jahre von den andern weiterhin ausgeschlossen werden.” […]

… Ein kleiner Ausschnitt eines langen Textes, in dem F. am Wochenende mit einem ziemlich wütenden Kehrbesen in ihrer schulischen Vergangenheit aufräumte. Leicht fiel ihr das nicht: Es brauchte einen magischen Schlüssel, bis sie in Schwung kam. Ihr war nicht klar, dass eine ihr eigenes Thema finden und ihre eigene Sprache verwenden darf, wenn’s ums Schreiben geht. Zumindest beim kreativen, und bei mir sowieso.
Als ich den Text dann endlich zu lesen bekam, war das Seminar fast vorbei; die Zeit reichte nicht mehr, ihn noch vor der Gruppe vorzulesen. Die hätten ganz schön gestaunt. Denn F. kann Schreiben eigentlich gar nicht leiden, sie spielt lieber … doch das zu erzählen wäre indiskret.
Wie auch immer, ich war sehr stolz auf sie (auf die Anderen auch, falls einer von euch mitliest!!! : ) und finde es nur fair, wenn F.’s Text jetzt hier ein Plätzchen bekommt, zumindest ein Teil davon.

Und nun lese ich die Geschichte von I. Er hat an diesem Wochenende, unter anderem, eine Ode an die Weiblichkeit geschrieben.
“Vielleicht habe ich mich damit ein bißchen übernommen” sagte er gestern lächelnd.
“Zieh’s mir auf den USB-Stick, dann lese und kommentiere ich’s per Email am Montag” versprach ich.

Und das tu ich jetzt. Oden werden ja nicht mehr so oft verfasst. Und die Weiblichkeit, sie sollte besungen werden! Unbedingt!

Sie sehen, ich hab’ zu tun ; )

17:58
… und eben fand ich bei Aléa Torik noch >>> diese Zeilen zum Thema Schreiben und musste lachen. Recht hat sie.
Ach, und da wir schon dabei sind: Haben Sie MelusineB’s >>> Beitrag zum literarischen Schreiben im Web 2.0 gelesen?

(Musik: Fatoumata Diawara – thanx to Lobster)