TTag, Mittwoch, 15. Dezember 2010. La vie en rose.

Man könnte auch schweigen. Zumindest so lange, bis man wichtigeres als den Ärger über redundante nächtliche Kommentarketten zu vermelden hat. Meine Haut spinnt auch seit ein paar Tagen wieder, hochallergisch, die Tönung meines Gesichts geht weit über eine gesunde Rosafärbung hinaus, ich seh’ aus wie ein gekochter Hummer… egal, bin eh unsichtbar zur Zeit. Erinnere mich, wie ein Hautarzt einmal zu mir sagte, als Neurodermitikerin reagieren Sie auf positiven wie negativen Stress gleichermaßen mit Schüben, gewöhnen Sie sich lieber dran. Ich hab ihn natürlich sofort gewechselt, den Arzt, aber nicht wegen der Aussage – die stimmt – sondern weil er meinte, mir Resignation dazu liefern zu müssen. Die lass’ ich nicht zu.
Sitze im Atelier, hab eine Internetradiofrequenz gefunden, auf der nur Barock läuft, damit bin ich groß geworden, in meinem Elternhaus gab’s Vivaldi, Händel und Bach zum Frühstück, das hat mich als Kind beruhigt und tut es noch.
Flöööt
Verehrte Leser:innen, der Stift ruft : )
Bis später.

13:48
Läuft besser heute mit dem Zeichnen. Muss an der Krähe liegen, die seit einer Stunde auf dem Baugerüst vor meinem Atelierfenster sitzt. Hm. Die kuckt so, als wüsste sie was.

TTag, Dienstag, 14. Dezember 2010. Transformation:

Na sonichts…
Na sowas!

(Ateliertag. Weitermachen.)

20:26
Manchmal ist das Atelier wie ein Straflager: man kloppt Steine, zerkleinert sie, schichtet sie artig auf einen Haufen, kloppt weiter, schichtet weiter, schleppt sich den Rücken krumm, kloppt, schichtet, und am Ende des Tages: ein Haufen Steine. Keine Magie. Kein einziger, verfluchter magischer Strich. “Mach dich nicht verrückt”, sagt Tusker am Telefon, “skribbel einfach weiter, das kommt schon wieder, du darfst dich nicht zu sehr unter Druck setzen.”
Ich setz’ mich doch gar nicht unter Druck, ich doch nicht, ich hab nur Blasen von der Spitzhacke.
Grrr.
Erstmal ‘n Steak braten.

00:06
Und ein Trankopfer an meine Muse (meinen Muser???) kann auch nicht schaden.

Nachtrag, 15. Dezember
Da ich keine Zeit habe (haben will), den Wust an unverständlichen Kommentare zu löschen, der sich unter diesem Beitrag während der Nacht versammelt hat, hab’ ich eben die Kommentarfunktion ausgeschaltet. Jene, die dabei unverdient mit im Off gelandet sind, werden’s mir nachsehen, hoff’ ich!

TTag, Sonntag, 12. Dezember 2010. Die Gongs. Wie man sich ins beste Licht stellt, II

Fast lästiger als Jammerer sind diese Figuren, die immer in einer Wolke aus Goldstaub wandeln. Ich spreche nicht von Angebern – die kann man schnell angrinsen oder abhaken oder im Liegen auf sie herabsehen – ich spreche von richtig aufregenden Leuten, die einfach nicht mehr aufhören können, toll zu sein. Als Gegenreaktion auf die ganzen Unbilden, denen sie sich ausgesetzt fühlen, haben sie sich zu lebenden Schallkörpern entwickelt.
Ich nenne sie Gongs. Mich machen die fuschig. Sie sind immer in den irrsten Projekten, treffen die geheimsten Leute, schieben die wichtigsten Sachen an und haben immer genau die Begriffe auf Lager, die man selbst verwenden würde, wenn man (damn it!) etwas schlagfertiger wäre. Das Schlimmste ist, man fühlt sich wie der letzte Provinzler, wenn man die Brisanz dessen, was sie einem servieren, nicht wahrhaben will. Noch irritierender ist, ich versteh’ so verdammt gut, wo das herkommt mit dem Dauergeläut. Wenn Dich kein Anderer mit Gold anstreicht, musst Du’s eben selbst tun. Funktioniert auch, ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen. (Du musst mit Deinen Pfunden wuchern, hat schon mein Vater immer behauptet. Hat geklappt, Papa! Wenn’s auch manchmal die leiblichen sind)
Die Gongs jedenfalls stecken ständig Reviere ab. Die vergolden sie dann, und wehe, man will da nicht mit rein, dann hat man die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Die Zäpfchen der Zeit. Dafür halte ich meinen Arsch nicht hin, geschätzte Leser:innen! (Darf man “Arsch” eigentlich noch legal hinschreiben?)
Sorry, allerseits, bin gereizt. Ab morgen geht’s ins Atelier, eigene Zäpfchen machen.

TTag, Samstag, 11. Dezember 2010. Wie man sich ins beste Licht stellt, Teil I

Die Sache mit dem mehr Sein als Schein haben wir ganz gut verinnerlicht inzwischen, nicht wahr? Im Kreis meiner Freunde befindet sich kein einziger Jammerer mehr. Nicht, dass keine Gründe da wären: wir leben allesamt relativ prekär, wirtschaftlich betrachtet. Ich meine, nicht so, dass es bei uns jeden Tag nur Ja-Toast und Schmelzkäse gäbe, doch es gibt die Phasen der Vakuumverpackungen, und die sind nicht so super – Wachspapiere sind besser.
Egal. Mit Krankheiten und Verletzungen dengeln wir auch rum, manche von uns sogar heftig. Einige verticken gelegentlich ihren Hausstand bei ebay, und zwar nicht, weil sie ihren Kram satt haben, sondern weil sie nicht satt sind. Na ja. Wir haben die frischesten Gesichter und die zärtlichsten Gesten.
Wir bilden wunderbare Paare. Im Ernst. Und wenn wir am Stock gehen müssen, wollen wir mal mindestens so gut dabei aussehen wie Charlie Chaplin. Wir mögen unsere Galeristen, auch wenn die nichts verkaufen, obwohl sie mit ihren Kunden so brav Champagner getrunken haben und Ski gefahren sind, und unsere Katzen stehen gut im Fleisch.

TTag, Dienstag, 7. Dezember 2010. Culti Clashi.

Gestern während des ersten Tages meiner Schreibwerkstatt fand ein Mädchen, ich provoziere sie. Sie war beim warm-up teilnahmslos geblieben, ich hatte sie daraufhin ein wenig aufs Korn genommen, durchaus humorvoll, wie mir schien. Die Kleine reagierte dann auf nichts mehr, hängte die Haare übers Gesicht, nahm Schildkrötenstellung ein, nur die Beine zuckten, als wolle sie jeden Moment aufspringen und fliehen. So eine grollende Sechzehnjährige kann eine ganze Gruppe aus der Fasson bringen.
Hm.
In der Pause sprach ich mit den Kolleginnen, ließ mir von der begleitenden Pädagogin kurz skizzieren, mit wem ich’s zu tun hatte, was das Problem war.
“Die muckt” hieß es über mich, sagte die Pädagogin.
Interessant. Das Wort ist mir in diesem Zusammenhang noch nicht untergekommen.
Also was, die Kleine einzeln herausnehmen oder das Ding in der Gruppe ansprechen? Besser nicht einzeln. Besser, mich selbst exponieren, nicht das Mädchen. Also los.
– Hört mal, bevor wir weitermachen, sagte ich, es gibt da ein paar Unzufriedene in der Gruppe, die finden, ich hätte sie provoziert. Ich nenne keine Namen.
Sie sahen sich an, nicht mich. Man hatte geredet, in der Pause: Lassen wir die auflaufen.
– Haalo, wiederholte ich. Schaut mich mal ahan.
Widerwillig richteten sich die Augenpaare auf mich.
– Ich bin etwas frech manchmal, sagte ich. Ist so meine Art. Hat mit provozieren nichts zu tun; ich bin einfach unbefangen, denk’ mir da nichts böses dabei. Sagt mal, was los ist.
– Wir sind von unseren Lehrern nicht gewöhnt, dass sie frech sind, sagte ein Mädchen. Nur auf der Straße ist man so zu uns, wir hassen das.
– Verstehe, sagte ich. Aber ich bin keine Lehrerin, sondern Künstlerin, hab’ ich euch doch erzählt. Ich rede so, wie mir der Schnabel gewachsen ist, ich pass’ da nicht so auf. Wenn ich jemandem damit auf die Füße getreten bin, möchte ich mich hiermit entschuldigen, das war nicht so gemeint. Ihr sollt Spaß dabei haben, hier zu sein.
– Ich hab’ davon überhaupt nichts mitgekriegt, sagte ein anderes Mädchen.
– Ihr könnt euch jederzeit bei mir beschweren, wenn irgendwas schief läuft, sagte ich. Einverstanden? Dann bringen wir das in Ordnung. Tut mir leid, das Ganze, kommt nicht mehr vor. Will noch jemand was dazu sagen?
– Nö.
– Weitermachen?
– Ja.
Später kam das Mädchen zur Einzelbesprechung ihres Texts; ihre Beine zuckten nicht mehr. Wir sprachen lange, sie hatte sich ins Zeug gelegt, vor allem aber, sie hatte mir verziehen. Ich sah in ihr glattes, hübsches Gesicht: wie prekär es sein kann, sechzehn zu sein. Ich hatte das nach den vielen Seminaren mit Stipendiaten, die ich in letzter Zeit gehalten habe, kurz vergessen – es ist so leicht, mit Begabten zu arbeiten, unter “seinesgleichen” zu sein.
Die Kurse mit den schwierigen Schülerinnen laufen über die Stadt, nicht über eine Stiftung; ich verdiene da weit weniger. Dafür hab’ ich als Trainerin übers Jahr einen guten Querschnitt an Jugendlichen von träge bis hochbegabt; so will ich’s haben.

Heute war es übrigens genau dieses Mädchen, die gar nicht genug kriegen konnte. Und die das brennendste Gedicht schrieb.

TTag, Samstag, 4. Dezember 2010. Verkunstschnaufpause.

*Doing*

18:25
War übrigens im Kolumba in Köln heute. Peter Zumthor hat’s gebaut, ein Materialfetischist. Fahren Sie da mal hin. Das ist ein Gebäude, das alles heiligt, was darin hängt, da hängt ein winziger alter Jesus allein an einer gigantischen Wand, und gegenüber was gegenwartskunstartiges und dann vielleicht noch eine kleine Zeichnung rechts hinten, und ansonsten Leere und Licht, bis zum nächsten Raum, der auch Leere und Licht ist, bis auf eine Keramikmaske mit geschlossenen Augen auf einem steinernen Bett, und dann in den nächsten, und alles, der Boden, die Decke, die riesigen Fenster, die Schattenfugen, alles, sogar die Handläufe an den irrwitzigen Treppenaufgängen, alles wie ein Gebet. Verschlug mir glatt den Atem. Irre, das Ding.