Gestern während des ersten Tages meiner Schreibwerkstatt fand ein Mädchen, ich provoziere sie. Sie war beim warm-up teilnahmslos geblieben, ich hatte sie daraufhin ein wenig aufs Korn genommen, durchaus humorvoll, wie mir schien. Die Kleine reagierte dann auf nichts mehr, hängte die Haare übers Gesicht, nahm Schildkrötenstellung ein, nur die Beine zuckten, als wolle sie jeden Moment aufspringen und fliehen. So eine grollende Sechzehnjährige kann eine ganze Gruppe aus der Fasson bringen.
Hm.
In der Pause sprach ich mit den Kolleginnen, ließ mir von der begleitenden Pädagogin kurz skizzieren, mit wem ich’s zu tun hatte, was das Problem war.
“Die muckt” hieß es über mich, sagte die Pädagogin.
Interessant. Das Wort ist mir in diesem Zusammenhang noch nicht untergekommen.
Also was, die Kleine einzeln herausnehmen oder das Ding in der Gruppe ansprechen? Besser nicht einzeln. Besser, mich selbst exponieren, nicht das Mädchen. Also los.
– Hört mal, bevor wir weitermachen, sagte ich, es gibt da ein paar Unzufriedene in der Gruppe, die finden, ich hätte sie provoziert. Ich nenne keine Namen.
Sie sahen sich an, nicht mich. Man hatte geredet, in der Pause: Lassen wir die auflaufen.
– Haalo, wiederholte ich. Schaut mich mal ahan.
Widerwillig richteten sich die Augenpaare auf mich.
– Ich bin etwas frech manchmal, sagte ich. Ist so meine Art. Hat mit provozieren nichts zu tun; ich bin einfach unbefangen, denk’ mir da nichts böses dabei. Sagt mal, was los ist.
– Wir sind von unseren Lehrern nicht gewöhnt, dass sie frech sind, sagte ein Mädchen. Nur auf der Straße ist man so zu uns, wir hassen das.
– Verstehe, sagte ich. Aber ich bin keine Lehrerin, sondern Künstlerin, hab’ ich euch doch erzählt. Ich rede so, wie mir der Schnabel gewachsen ist, ich pass’ da nicht so auf. Wenn ich jemandem damit auf die Füße getreten bin, möchte ich mich hiermit entschuldigen, das war nicht so gemeint. Ihr sollt Spaß dabei haben, hier zu sein.
– Ich hab’ davon überhaupt nichts mitgekriegt, sagte ein anderes Mädchen.
– Ihr könnt euch jederzeit bei mir beschweren, wenn irgendwas schief läuft, sagte ich. Einverstanden? Dann bringen wir das in Ordnung. Tut mir leid, das Ganze, kommt nicht mehr vor. Will noch jemand was dazu sagen?
– Nö.
– Weitermachen?
– Ja.
Später kam das Mädchen zur Einzelbesprechung ihres Texts; ihre Beine zuckten nicht mehr. Wir sprachen lange, sie hatte sich ins Zeug gelegt, vor allem aber, sie hatte mir verziehen. Ich sah in ihr glattes, hübsches Gesicht: wie prekär es sein kann, sechzehn zu sein. Ich hatte das nach den vielen Seminaren mit Stipendiaten, die ich in letzter Zeit gehalten habe, kurz vergessen – es ist so leicht, mit Begabten zu arbeiten, unter “seinesgleichen” zu sein.
Die Kurse mit den schwierigen Schülerinnen laufen über die Stadt, nicht über eine Stiftung; ich verdiene da weit weniger. Dafür hab’ ich als Trainerin übers Jahr einen guten Querschnitt an Jugendlichen von träge bis hochbegabt; so will ich’s haben.
Heute war es übrigens genau dieses Mädchen, die gar nicht genug kriegen konnte. Und die das brennendste Gedicht schrieb.