Swuschig. Samstag, 5. März 2011.

Sie hatte schlappe hundert Gäste eingeladen…
Hilfst Du kochen?
Klar.
Der Club hat eine Küche, in der sich’s cliquenkochen lässt, taten wir auch, sie buk noch ihre berühmten Schwänchen, ich sag’ nur: Sahnesteif, irgendwann nach Mitternacht gab’s Kirschwasser zur Belohnung; TT wie ein Fisch im Wasser, ich trink’ sonst eher wenig, das Ganze erinnerte mich mächtig an früher, als ich meine Penunze noch hinter der Bar verdiente: Reden, Trinken, Wischen und das ewige Geräusch der Hochdruckspülmaschine, das man noch hört, wenn man längst im Bett liegt. Kehraus um vier, da war die Küchencrewkirschwasserflasche leer.
Pardauz ins Tagsi und Pett.
System auf standby heute.

Jane. Donnerstag, 3. März 2011.

Umringelt von Motiven. Die sind unsere Heilsbringer: wissen, woher Verhalten rührt. Sag mir, warum Du das getan hast. Nicht getan hast. Ohne dieses Warum sind wir aufgeschmissen. Nur Kinder, manchmal Jugendliche, sagen: „Weiß ich nicht. Keine Ahnung warum.“ Dann scharren wir, bis wir es doch freigelegt haben. Wir sind angewiesen (welch heikles Wort) auf die Benennung von Gründen, nur über die lässt sich Kontext herstellen, und über Kontext, Verstehen. Ohne unsere Motive offenzulegen bleiben wir isoliert.
Gründe finden heißt auch immer: auf Kontinuität zugreifen. Auf das, was andere bereits getan, gesetzt haben, deren Motive heranziehen, um die eigenen zu benennen. Und es gibt eine Reihenfolge: reflektierte Erwachsene haben Gründe, dann handeln sie. Wird man gefragt, warum man etwas so und nicht anders getan hat, sollte man die Antwort auf der Zunge haben, sonst gerät man schnell an den Rand.
Sie fragen sich bestimmt, was schreibt die heute für Zeug – nun, ich taste mich eben an etwas heran.
Eben bestellte ich „Jane sexes it up“, auf Empfehlung von Melusine.
Doch kaum hatte ich’s getan, befiel mich leichtes Unwohlsein, huh, dachte ich, Feminismus, was, wenn dir das Ding noch mehr Antennen wachsen lässt, als du eh schon hast. Antennen sind zweischneidige Dinger. Sensibilisierung. Meine Haut ist jetzt schon überfordert von mir. Je mehr ich spüre, desto mehr Gründe hat sie, auszurasten. Allergisch. Meine eingefleischteste Reaktion auf Reize ist die Allergie. Manchmal bin ich sogar gegen neues Wissen allergisch…
Ich las auch über Polyamorie in Die Dschungel heute Morgen, beziehungsweise, dem Link dort folgend, auf Wikipedia. Und, einem Blinken in meinem Gedächtnisspeicher nachgehend, sah ich kurz nach, ob Genesis P. Orridge noch lebt, weil mir der Begriff „Transgender“ durch den Kopf schoss. Lauter Reviere. Otto Muehl … ich kenne einen sinnlichen Mann, der da aufwuchs. Simone de Beauvoir kam auch schon zu Besuch heute Morgen. Und June. Die von Henry Miller, aber auch die andere June, die gerade versucht, ihr Überfordertsein in Worte zu fassen.
Ich weiß nicht, wie diese Namen zusammenhängen, muss es auch nicht wissen. Ich möchte meine Antworten nicht auf der Zunge haben. Es gibt da dieses Zwiespältige, das mich immer befällt, wenn ich merke, wie viel schon gedacht und formuliert ist. Wie erdrückend die Verpflichtung werden könnte, zu wissen, in wessen Revieren man sich bewegt, während man handelt. Dieses Nach-Bilden: wie ungemein erleichternd, herauszufinden, dass man nicht alleine ist. Und wie groß dennoch manchmal mein Verlangen, zu sagen: Ich mache das einfach so. Punkt. Keine Begründung.

21:41
feminystisch. sexystisch. phylosophisch. yberfordert. dyskutabel. mysengesteuert. myskiert.
(sich in Worte hineindrängen.)
Phy myde.

Beautiful offline. Dienstag, 1. März 2011.

Schreibwerkstatt mit inzwischen “meinen” afghanischen Jünglingen. So eine Bande! Die flirten mit mir. Die sind gleichzeitig ultratraurig und rotzfrech und auf diese rührende Weise teilerwachsen, dass ich immer versucht bin, aus uns allen einen Gewürzkuchen zu backen. Lasse ich mir natürlich nicht anmerken. Wenn jemand an mir Flirten üben will, bitteschön, da bin ich doch die Letzte, die auf ihren Mutterinstinkten besteht. (Nee, keine Sorge, geschätzte Leser:innen, die verirren sich nicht hierher, das sind reine Facebook User)
Na, jedenfalls den ganzen Tag offline gewesen. Und jetzt sehr erschöpft. Und Guttenberg, ts, ts. Der junge Mann und das Mehr. Mein Mitgefühl hält sich in Grenzen; wahrscheinlich kenne ich zuviele junge Männer, die um ganz andere Dinge ringen als um – tja, um was? Egal. Bin erschöpft. Les jeux sont faites für heute, ich hab’ meinen Einsatz gemacht, ich geh’ in die Wanne, mein Kopf fühlt sich an, als hätte jemand einen Zeppelin drin aufgeblasen.
Schönen Abend allerseits!
*plitsch*

Die Flicht… Montag, 28. Februar 2011.

… rufd. Grrr. Und nix, was ich schnell ma apschreiben könnte.
Bis später, geschätzte Leser:innen.

19:37
Nu endlich im Atelier. Der kleine Heizofen fönt vor sich hin. Der Inder um die Ecke hat plötzlich die Salzgürkchen, die ich seit Jahren nirgendwo mehr bekommen habe, gleich mal fünf Gläser gekauft, also Bauch voller Gurken jetzt und sonst eher wenig Essen hier vorrätig. Alle Stifte gespitzt. Tullamore Dew fast leer. Kette ausgezogen, stört. Von der Wand blinken mich Zeichnungen an, vor allem Entwürfe, ich sitz’ ein wenig bekloppt, so ist das immer, wenn man anfängt. Musik oder keine Musik? Feldman oder Barock? Oder was vom Fass? Mal Fenster öffnen, oh, der schreiende Obstverkäufer hat Feierabend; der flüstert abends nur noch. Ich sollte wohl bald mal irgendwie beginnen. Ach was, ich muss gar nichts. Doch ich habe zwei Titel für neue Zeichnungen (Sie wissen ja, bei mir kommen immer die Titel zuerst) und genug Papier, um ungefähr achzigmal von vorne anfangen zu können.
Ratatataz. Ach, was solls, ich hau’ mich mal zur Seite weg…

Einige gültige Sachen. Donnerstag, 24. Februar 2011.

Schneeregen. Dann zeichnen wir eben drinnen. Eh besser – mir fiel eben ein, ich besitze gar keines dieser einbeinigen Faltstühlchen mit Lederdreieck mehr, auf denen man so angenehm juckeln kann. Blöd auch, wenn Papier nass wird, Aquarell ist nicht mein Ding.
Bin wintermüde. Einen Finger (linke Hand) würd’ ich hergeben für ein leistungsfähigeres Gehirn, meins fühlt sich an wie ein Kartoffelbowist. Sagen Sie nichts jetzt (!) Noch nicht mal ein Schafgedicht fiel mir ein heute Morgen, es hätte ein politisches werden sollen, wahrscheinlich lag’s daran.
Würde gerne am Samstag zu Schnecks “das letz niest” – Lesungsempfehlung gehen, Tübingen aber zu weit, dafür heute Abend, ja Melusine, zu BenHuRum. Im Netz indes sind wir alle gleich weit entfernt, und kein Parkplatzproblem. Neun Uhr neunundvierzig. Der Tag ruft, doch seine Stimme ist verwässert; ich könnt’ ihn glatt überhören. Tusker schläft den Schlaf des Gerechten, der weiß noch nicht, wie nass wir heute werden.
Ich will hier weg. Kenia? Lamu? „Du kannst da jederzeit wieder hin“ sagt mein englischer Ex am Telefon, „fünfzehn Künstler waren inzwischen dort, die Bibliothek ist eingerichtet, die Computer funktionieren, Internet auch manchmal. Alles blüht gerade.“ Verlockender Gedanke. Meine Geschichte, erzählt er, wird demnächst Teil einer Publikation der Galerie („If you don’t mind?“ „Don’t be silly, I’m so pleased“).
Die Übersetzung meiner Lamu-Erzählung ins Englische war der letzte Auftrag, den mein Vater vor seinem Tod annahm; ich hüte diese handschriftlichen Seiten wie einen Schatz. Eigentlich wollte der alte Mann nur noch Hannes Wader hören. Drei Monate hat er gebraucht; in früheren Zeiten wären es drei Tage gewesen. Ich wünschte ihm so, dass er noch einmal etwas macht, worauf er stolz wäre; dieses Stolzsein war ihm, wie vieles andere, eigentlich längst entglitten. Lebenslang werde ich bedauern, ihn nicht genug gelobt zu haben, als er mir die Seiten in die Hand drückte: dankbar, aber ganz selbstverständlich nahm ich sie entgegen. Als sei er noch der Profi von früher. Ich hab’ ihn wahnsinnig geliebt. Dass er das wusste, macht diesen Patzer erträglich. Fast. Ich habe seine Hände. Männerhände. Kräftig, hoch liegende Adern, Finger und Handrücken gleich lang, nicht elegant. Seinen Siegelring mit dem dunkelgrünen Stein und den roten Punkten trägt sie tagundnacht, den anderen ihre Schwester semioticghosts, drüben in England. Wie heißt dieser Stein noch gleich. Cellini würde das wissen.
Es schneit sich ein.

Kampfschrei ohne Kampf. Mittwoch, 23. Februar 2011

Acryl auf Leinwand, 1,40 x 2,00 m, P. Kiehl 1994

Sie sehen, ich war auch als Studentin schon sehr de-eskalierend unterwegs ; )
Die Arbeit ist Teil einer ganzen Serie von Bildern, die um den Begriff ‘Transformation’ kreisen. (Seit dieses Themenfeld von Perfektionismus/Selbstoptimierung mit “Black Swan” wieder neues Futter bekam, interessierte mich, wann es sich zum ersten Mal in meiner eigenen künstlerischen Arbeit gezeigt hat.)

18:07
Tiere zeichnen. Ich meine, echte. Bewegliche. Ich zeichne eh ständig Tiere. Nähme man die Tiere raus, mein zeichnerisches Werk würde um die Hälfte schrumpfen. Tiere animieren mich; besetzen meine Themen, Tiere zeichne ich, seitdem ich zeichne. Also schon ewig.
Mannomann, hab’ ich Kopfschmerzen.
Morgen gehe ich mit Tusker in den Zoo, zwecks faunischer Zeichenstudien. Ein Wettbewerb. Adlerauge, sei wachsam, der Mann hat einen magischen Strich. Bloß nicht hinsehen. Konzentrier’ Dich auf’s eigene Papier, Phyllis. Nimm’ den Edding mit. Frische Eddings gekauft. Und Fineliner. Bleistifte, klar, sind aber reichlich vorhanden. Kein Radiergummi, Radieren gilt nicht. Die Regeln: eins, es wird nicht radiert, zwei, nicht länger als fünfzehn Minuten pro Tier. Ah. Zoo. Ein zwiespältiger Ort.
Ewig nicht mehr gemacht: Studien. Bin gespannt, rasend sogar, mir kribbelt’s jetzt schon in den Fingerspitzen.
Heute doppelte Lohnarbeit, damit ich morgen freie Bahn habe. Sitze und brüte über projektbezogenen Fragen, mehrere schriftliche Interviews für die Stiftung sind zu führen. Halbe Strecke – wird ein langer Abend. Aber morgen, morgen…
“Weitermachen”, faucht die Schnippschnappstimme in meinem Kopf, “sonst kannst Du das knicken.”
Aye, aye.

Salam. Dienstag, 22. Februar 2011

Wir sehen uns viel zu selten, obwohl uns nur ein paar Kilometer Luftlinie trennen; sie, die sich seit Jahren in ihr Schreiben vergräbt, wenn sie nicht gerade Vorträge hält oder ausstellt (sie ist zudem auch bildende Künstlerin, keineswegs eine unbekannte), ich, die ich zunehmend eigenbrötlerischer werde im Privaten. Mag ein Ausgleich sein zu den Seminarbühnen bei mir.
Doch während wir nebeneinander an meinem Schreibtisch an ihrem Manuskript arbeiten wird mir klar, wie sehr sie mir gefehlt hat, meine orientalische Freundin. In den Jahren, da wir zusammen Kunst studierten, mit Freunden zusammen ein Ausstellungshaus führten und über ihren politischen Texten brüteten, waren unsere Begegnungen so selbstverständlich, nie wären wir darauf gekommen, dass sich das ändern könnte. Wir waren ein Doppelpack. Ich möchte über Freundschaft schreiben.
Muss aber erst einmal meine Unterlagen zusammensuchen und dann raus; eine Gruppe junger Männer und Frauen wartet auf mich, erst seit zwei Jahren in Deutschland, größtenteils aus Afghanistan und Sri Lanka stammend. Biographisches Schreiben. Kein leichtfüßiges Unterfangen, die haben Dinge erlebt, für die eine frisch gelernte Sprache ein höchst unzulängliches Gefäß ist. Und trotzdem: sie wollen es.
Bis später, geschätzte Leser:innen.

18:40
Gesetzt den Fall, ich würde bis zum Frühlingsanfang in Hibernation gehen wollen, an wen müsste ich mich da wenden?

20:39
zzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzz………..

22:26
Ach, übrigens, die Kommentarfunktion ist wieder flott für alle.