Französisch, alte Schule.
Archiv für den Monat: Juli 2013
Himmeltrommel
Als ich gestern meine Runden zog, hörte ich etwas klingen, so weich, so rettungslos lieblich, als machte jemand mit Bommeln aus Angorawolle Musik. Ich war in der dritten Runde, stieg eben mit heißer Haut den Hügel hoch, ich war mir eines jeden meiner Schritte gewahr, wie die Zehen in den geräumigen Schuhen sich spreizten, hephep riefen, ihrer Wuseligkeit im Schuh, rechter Fußballen, linker, schön abrollen dann, den Zug spüren vom Miteinander der Muskeln, die den Fuß tragen, hinauf, über die Wade, nach vorne kippen ein wenig jetzt,
komm’ schon,
in den Berg neigen, die Kraft spüren bis hoch in den Glutaeus Maximus, diesen mächtigen Muskel, der die Arschbacken formt, rechts, links, Rücken (Atmen nicht vergessen), das Päckchen der Bauchmuskeln nach innenchchchch ziehen, der Wirbelsäule entgegen, ich war auf dem Weg zum
Turbulenzen
zulassen
Gipfel,
als da die Bommeln in der Luft hingen auf halber Höhe, und da saß einer.
Von so etwas nehme ich Notiz.
Wenn etwas anders ist.
Ein Instrument wie seines hatte ich nie gesehen, sah aus wie ein umgekehrter Topf, wie der Bräter, nur in rund, in dem bei mir zuhaus’ immer die Gans gebacken wird, zu Weihnachten; ich warf einen kurzen Blick darauf, einen zweiten auf des Mannes leises, konzentriertes Gesicht, seine Gestalt, wie er dort unter dem Baum saß, seine Hände, seinen Rhythmus und
rannte weiter
hoch zum Pavillon, denn es war etwas in der Art, wie er die Bommeln auf dem Bräter tanzen ließ, das ich nicht unterbrechen wollte mit unangemessener Neugier, nicht, wenn eine achtsam wäre, nicht, wenn
da ein Kind kommt an der Hand seiner Mutter. Die haben nicht
Schnitt.
Ich mache kehrt, nun, da der Zauber ohne mein Zutun gebrochen ist, der Fremde dem Kind bereits die Bommeln in die Finger gelegt hat, auf dass es seine Kunststückchen mache, die Mutter, lächelnd, nahbei, ich seh’ das alles von oben, springe in siebenundfünfzig Schritten nach unten, stell’ mich dazu, betrachte den Mann, mache mich schmal, warte, bis der Junge endlich die Patschehändchen hochnimmt.
Verzeihung, aber, hat Ihr Instrument einen Namen, frage ich.
Diese hier, sagt der Mann, heißt Skydrum. Ich habe sie erfunden. Er hebt sie hoch, damit ich ihren Bauch sehen kann.
Erkennen Sie es?
Ich nicke. Ich weiß nicht, warum ich nicke.
Das Kind hebt wieder an.
Ich sehe, dass ungefähr neun Schlitze oben in der Skydrum sind, diagonal, manche nur ein paar Zentimeter lang, andere
Jetzt bin ich mir bewusst, dass …
Vielleicht irritieren mich Kinder deswegen so oft. Weil sie sich nicht vornehmen müssen, im Moment zu sein.
(Was „muss“ ich tun? Was „muss ich tun“?
Nichts.
Nur gewahr sein.)
Es gibt nichts, das ich tun könnte außer Laufen, alles andere ist verbaut, ich hab’ keinen Fuß im Jetzt, ich bin verlegen. Ich laufe.
Heute morgen, gleiche Stelle, der Mann war nicht da. Er hat eine Website, ich hab’ sie ganz einfach gefunden, er heißt Jean-Francois und baut Instrumente, auf denen er mit Lichtstrahlen spielt. Im Ernst.
Ich wollte zurückgehen und sagen: Das erste, was ich dachte, war, dass
(Vorhang)
Er hätte genickt. Und mir, vielleicht, noch einmal den Bauch der Skydrum gezeigt.
(Du schälst einen Apfel. Jetzt stell’ Dir vor, der Apfel schält Dich.
Lass das Bild wieder los.
Nimm wahr, was anders ist.)
Draußen geht die Post ab. Übermorgen ist der 14. Juli, die feiern sich schon mal ein.
Dort unten
Jiiieep
Heute mit Selbstporträt
Man beachte –
Nein, vergessen Sie’s. Auf das Offensichtliche soll man nicht hinweisen : )
Hier noch ein kleines Zitat aus meiner derzeitigen Lektüre:
“Ich glaube, ich werde verrückt. Wenn ich nicht noch verrückter werde, stecke ich fest.” (Barry Stevens)
Im letzten Winter hatte ich mir vorgenommen, mehr dem Irrationalen zu frönen. Den Gehalt meiner Ideen und Erfahrungen nicht immer sofort daraufhin zu überprüfen, ob sie verwertbar sind, ob ich sie beispielsweise in meinen Seminaren verwenden kann, ob sie Bestand haben. Irrational wäre auch, mehr Exzentrik zuzulassen: nicht mehr so darauf zu schauen, ob sich bestimmte Verhaltensweisen und Ideen mit dem vereinbaren lassen, was andere als angenehm empfinden.
“Alle Wahrnehmung ist immer Kollage” schrieb Schneck vorgestern unter den Lektüre-Liveticker Text. Es wäre schön, diese Kollage (sie Stückwerk zu nennen, wäre bereits wieder wertend) vor sich selbst bestehen zu lassen, nicht ständig stringent sein zu wollen, es wäre großartig, den Inneren Wolpertinger auch im Außen häufiger sichtbar werden zu lassen. Sehr vernünftig, gerade im Arbeitsleben, wäre das nicht: Meiner Erfahrung nach lieben die Leute es, wenn man einen Stil hat. Ausgeprägt ist. Klingt aber schwer nach Stanze, finden Sie nicht?
“Ich gedenke, in den nächsten Jahren zunehmend exzentrischer zu werden” kündigte ich einem meiner langjährigen Auftraggeber vor ein paar Wochen an. Er grinste nur, schien nicht weiter beunruhigt. (Eben fällt mir das Wort “großspurig” ein. Meine Ankündigung war großspurig, und, what the hell, was ist eigentlich gegen große Spuren einzuwenden, hm?)
Sie sehen also, es geht weiter. Die Vernunft, Verbündete und Sklaventreiberin in einem, ich kann ihr unmöglich weiterhin den Regiestuhl an meiner Seite zugestehen, selbst wenn ihr Name für alle sichtbar in Großbuchstaben auf der Rückenlehne prangt. Ich stelle mir gerade vor, dass es ein Klappstuhl ist, wie an Filmsets üblich. Hui! Wenn ich ihn nicht brauche, klappe ich ihn einfach zusammen. (Und ahne schon, dass er klemmt, und wie)
Gerade fange ich an, mich diebisch auf die nächsten Jahre zu freuen. Auf das Kauzigwerden. Vielleicht zeichne ich mir Schmuckfalten ins Gesicht.
(Für den Rücken muss ich mir noch was überlegen…)
Mehr als zehn neue Erlaubnisse, numéro 2
Was ich heute auch tun werde.
Bin mit einem Schmerz aufgewacht an genau der Stelle unten im Rückgrad, an die bereits zweimal von Chirurgen Hand angelegt wurde. Wissen Sie, was mein erster Gedanke war? Ob es da irgendwo draußen (oder in mir selbst, was wahrscheinlicher ist) eine geheimnisvolle Instanz gibt, die sich einschaltet, wenn es mir zu gut geht, wenn ich zu freischwebend bin, zu übermütig, zu unbefangen, und mich auf den Teppich zurück holt. Es gibt kaum etwas wirksameres als Schmerz, um das zu gewährleisten, Angst zu machen. Die Idee einer Schwachstelle ins Gehirn zu bohren. Ah, das Körpergedächtnis.
Atmen, Phyllis.
Ich hab’ kurz überlegt, ob ich überhaupt davon sprechen soll, doch auslassen will ich’s auch nicht. Als könnten Sie, Leser:innen, keine Einbrüche aushalten! Unfug. Dies ist ein Tagebuch. Wir kämpfen gehen alle mit Beschädigungen um; sie wirken sich aus, beschleunigen oder behindern unsere Prozesse, alle Prozesse. Diese Stelle in meinem Rückgrad: Seitdem es sie gibt, hat mein Krafttraining nichts mehr mit Eitelkeit zu tun.
Manchmal konzentriere ich mich auf sie. Die Stelle. Sage ihr, schau, ich bau’ dir von vorne und von hinten schöne Muskeln als Wächter, damit du nicht alles alleine tragen musst. Das Unheimliche ist, der Schmerz kommt nie, wenn ich mich anstrenge, sondern in Phasen, wenn der Körper locker lässt: nachts, wenn die Wächter schlafen.
So. Ich gehe eine Stunde Laufen. Nicht rennen, nur einfach Laufen und Atmen. Es ist so warm draußen, so dicht, die Luft ist wie Eingeweide.
Haben Sie einen schönen Tag.
Phyllis
Miss TT’s Lektüre-Liveticker: Gedankenfetzen
Heute mit:
Barry Stevens „Don’t push the river – Gestalttherapie an ihren Wurzeln“, Peter Hammer Verlag
Originalausgabe: „Don’t push the river“, Real People Press, Moab/Utah, 1970
START
Ihr Platz ist leer. Also setze ich mich mit meiner Lektüre an genau den Tisch, an dem die alte Dame gestern saß. Ich hatte den Blick nicht von ihr abwenden können, so gegenwärtig war ihr Gesicht, ihr Antlitz, wenn sie ab und an von ihrem Buch aufsah.
Als sie ging, bemerkte ich, dass sie ein schlimmes Bein hatte, das linke, sie musste es zur Seite schwingen, um nach dem Überqueren der Straße über den Bordstein zu kommen.
Ich kann mich an Frauen einfach nicht sattsehen.
Meine Kunst, meine Auffassung von Kunst, setzt auf Flüchtigkeit. Sie will nicht standhalten. Müssen.
Ich verhalte mich künstlerisch entgegen dem gewohnte Ablauf von
Wahrnehmung erzeugt Arbeit / Arbeit verdient sich Resonanz
Ich versuche mit dem, was ich frei schaffe, v o r der Fleissarbeit zu bleiben, im Feld der Wahrnehmung. Nichtmanifest. Dass ich dennoch Resonanz bekomme, spannt eine versöhnliche Brücke über das Feld der vermeintlich nicht-getanen Arbeit.
Ich bin so wahnsinnig gern mit mir allein.
Was mir immer mehr auffällt: Dass ich mir von Frauen verfasste Sachbücher leichter und lieber zu eigen mache, ihre Stimmen in mein inneres Parlament einlade, ich (be)greife sie intuitiver, während ich bei Autoren dazu neige, mir ziemlich kaltblütig einzelne Happen herauszuziehen; ihre Schlussfolgerungen gehen mir bei weitem nicht so n a h.
Häufiger den Verknüpfungen nachspüren. Wie durch die Beschäftigung mit etwas, das zu Anfang noch unspezifisch war, durch die Aneinanderreihung von Assoziations-Schnipseln etwas sehr Spezifisches zustande kommt: Nach dem Ursprung meiner Schlussfolgerungen Ausschau halten: Die erste Kugel in der Kette.
Schnipp –
Was war zuerst da: Die Sau oder die Perle?
Wie meine französische Freundin mir am Telefon erklärte, was „petits riens“ sind: wie ich dachte, genau so will ich gewahr sein: in der Fülle kleinster (Selbst)beobachtungen. Ohne Schuldgefühl. Ohne dieses Nagen, zu sehr auf mich selbst zentriert zu sein. Nur, sage ich, wer mit seiner Innenwahrnehmung spielt, gewinnt die Menschlichkeit, auch im Außen, mit Anderen, achtsam sein zu können.
Die Zeit, in der man willentlich n i c h t s tut: Das ist der Strohhalm im Nadelhaufen.
Mein erstes petit rien:
Ein grandioses Buch lesen, x-Stellen unterstreichen, mit Ausrufezeichen versehen, dann aber genau die Stelle, die man sich eigentlich hätte merken wollen, und müssen, nicht unterstrichen zu haben und auch partout nicht wiederzufinden
Der erste Schritt besteht darin, die Dinge zu bemerken. Das Gewahrsein dessen, was im Innen vorgeht. Was ist es? Wichtig: Nicht warten, bis die Umstände „stimmen“. Stattdessen die Mittel nutzen, die zur Hand sind, um es auszudrücken.
FRAGMENTE überleben lassen!
Wie entgeistert meine Mutter war, als ich ihr erzählte, dass ich immer lieber eine Gazelle gewesen wäre als ein Vollweib. Scheiß auf das Vollweib.
Übung. Fünf einzelne Begriffe unterschiedlich in Reihenfolge bringen: einmal als Logikkette, einmal nach dem, wie das unmittelbare Gefühl sie am liebsten angeordnet sähe
– Warum das Betreiben eines Weblogs so viel Freude macht? Weil es, im besten Fall, in der Interaktion nämlich, ein Vermischen bewirkt. Inspiration für beide Seiten. Bleibt es beim zwanghaften Vorführen der Einzelpersönlichkeit, des Ich-Ideals, bewirkt es bei Mitlesenden und Kommentierenden nichts als Reflexe von Sympathie oder Antipathie. Solche Spaltungen unterbinden das, was ein lebendiges Weblog ausmachen könnte.
Neuer Claim: Erratisches Lernen. Das Anti-Seminar.
“‘Weil’ ist in der Gestalttherapie ein Schimpfwort. Als ich damit experimentierte, bemerkte ich, wie das ‘Weil’ mich mehr und mehr von mir selbst und meinem Tun (egal wie gut oder schlecht) entfernt, während ich ohne dieses ‘Weil’ schlicht und einfach sage, dass ich etwas getan habe. Und dann kehrt meine Kraft zu mir zurück. (In unserer Gesellschaft hören wir den Satz:’Warum hast du das getan?’ schon sehr früh, und meistens handelt es sich dabei nicht um eine Bitte um Information, sondern um einen Vorwurf.)
Ohne ‘Weil’ werde ich mehr zur Indianerin, ich lebe mit Tatsachen – ohne Lob oder Tadel, jenem Auf- und Ab unseres Lebens, das dazu führt, das wir unseren Mittelpunkt und damit unser Gleichgewicht verlieren.”
(Barry Stevens, 1969)
Einmal geübt, schon gekonnt XXXIX (Sommeredition)
Frühstück mit Serge und Odette
Farah Days Tagebuch, 13
Samstag, 6. Juli 2013
Ich könnte mir jeden Tag etwas Neues erlauben. Es könnte auch sein, dass ich alles ziehen lasse, von dem ich dachte, es gehörte unabdingbar zu meinem Ich, mir stattdessen andere Dinge angedeihen lasse. Schwer, natürlich. Es darf jetzt auch mal soweit kommen, dass es mir scheißegal ist, ob mir etwas zusteht oder nicht, wenn ich es einfach will, wenn es einfach auftaucht. Dieser Wille. Der geheimnisvolle. Immer hadere ich damit herum, dass es die Augen der Anderen sind, die ihn errichten. Wie es mich manchmal provoziert, wenn sie einen so starken haben, dass er ihre Gesichtszüge verzerrt: als müsse immer, bei aller Anstrengung, allem Wollen, die Kack-Fassade gewahrt bleiben. Bullshit. Wer ist schon souverän, wenn wirklich etwas auf dem Spiel steht. Niemand. Also. Siehst Du Farah. Wenn mir etwas wichtig ist, soll es mich verzerren dürfen, mein Gesicht, meinen Trott. Es ist nicht schlimm, verhaltensauffällig zu sein, jedenfalls nicht so schlimm, wie sich die Vorstellung davon anfühlt.
Aus dem Maul der toten Ziege steigen eines Nachts die little people und spinnen eine Puppe aus Luft.
Haruki Murakami hat auch keine Angst vor seiner Vorstellungskraft. Und der, wette ich, ist in Japan noch viel mehr auf Anpassen gedrillt worden, als kleiner Junge, als ich mir vorstellen kann.
Das Wort angelegentlich häufiger verwenden.
Das Wort unschlüssig wieder in den Wortschatz aufnehmen.
Dem Fluss mehr Bedeutung beimessen, Sachen nur auf Vorrat tun, wenn’s nicht anders geht, ansonsten lieber regelmäßig.
Sinnstiftung, Dschinn-Stiftung, Dschinnftung: wenn Worte sich kneten lassen, lässt sich auch Wirklichkeit formen.
Die Sache mit den Vorbildern: es könnte auch so sein, dass man sich klammheimlich damit begnügt, dass andere die tollen Dinge machen, klugen Ideen ausschwärmen lassen, dringenden Entschlüsse fassen. Als ob die Vorbilder zu Stellvertretern würden, die eigenes Handeln überflüssig machen.
Zwischen ich will alles haben und ich kann auf alles verzichten liegt die große, weite Landschaft der Sozialverträglichkeit, die Bundesgartenschau der Mäßigung. Der erste Preis für die schönste Hecke wird millionenfach vergeben.
Hecken schützen, Heckenschützen, Hägen Schudts. Fast schon Eiscreme. Worte lassen sich kneten, man muss nur auf Vorbilder verzichten, dann ist es ganz leicht.
Einen Sommer lang. Mich anrühren lassen. Mir vorstellen, ich meine wirklich, dass alles Vorgestellte nur ein Paravent vor dem Brodeln des Ungeformten ist und selbst wenn man ihn wegnähme und versuchte, in das Brodeln einzudringen, klappte schon der nächste hoch. Wer noch denkt, verpasst das Unmittelbare. Hören wir auf zu denken.