Das Jucken des Exhibitionismus

Dieses Journal ist jetzt ein knappes Jahr online: Seitdem hab ich mich zum ersten Mal damit beschäftigt, was sich in der Sphäre der Blogger so entwickelt im Netz. Welche Kategorien es gibt. Aus welchen Motiven heraus die Leute schreiben. Ein erstaunlicher Haufen von Leuten ist da zugange.
Meine früher geäußerte, zutiefst hochnäsige Einschätzung, das meiste online publizierte Blogzeug sei Schrott, nehme ich hiermit angemessen beschämt zurück: Es sind einfach zu viele Autoren da draußen. Man kann nicht einfach behaupten, die meisten von ihnen hätten nichts drauf. Das ist, als würde man sagen, die Qualität des Angebots auf dem klassischen Buchmarkt sei insgesamt mies – mag stimmen oder nicht, die Aussage als solche ist überflüssig, völlig uninspiriert und beweist nur, dass man es nicht geschafft hat, passgenaue Suchkriterien zu entwickeln.

Interessant übrigens die blogspezifischen Diskussionen, die inzwischen on- und offline an der Tagesordung sind: Da fühlen sich insbesondere Journalisten gerne dazu berufen, Blogger als Spezies zu diffamieren. Als im „wahren“ Publikationskontext gescheiterte. Redundante. Unqualifizierte. Selbstdarsteller. Bärg. Besonders letzteres wird als Merkmal eines persönlichen Defizits an fachlicher Durchsetzungskompetenz angesehen.
Das ist natürlich pure Missgunst. Es ist so unverschämt, so inflationär einfach heutzutage, Autor zu sein! Die eigenen Ideen online rauszuhauen. Tausende von Lesern zu haben, einfach so, in relativ kurzer Zeit. Da müssen natürlich all jene kotzen, die Jahre gebraucht haben, um einen Verlag oder eine Zeitung zu finden, die ihre Texte publiziert.
Zum anderen vermute ich mal, ist es die Vermischung der Ebenen, die Abwehrreaktionen gegen die diese Art der Publikationsform provoziert. Blogger neigen dazu, ein bestimmtes Tabu zu ignorieren: Es gehört sich einfach nicht im Leben eines „Profis“, fachliches mit privatem zu vermischen. Wer über die Farbe seiner Höschen genauso gerne schreibt wie über ein, meinetwegen gesellschaftlich etwas relevanteres Thema, macht sich fachlich unglaubwürdig. Schon gar, wenn’s im gleichen Text geschieht… und erst recht, wenn man nach der Lektüre ahnt, dass es die Einbettung in private, magnetisierende Kontexte ist, die (vermeintlich) relevantere Inhalte geschmeidig macht.
Wer Lust hat, dazu noch eine andere, wunderbar bissige Stimme zu lesen, möge sich hier bei Frau Diener und ihrem Beitrag The poesiealbum strikes back einfinden. (Runterscrollen bis ans untere Ende jener Seite)

Meine Neugier gilt definitiv den Selbstdarstellern. Ich mag privaten Stoff. Ich mag auch Leute, die sich immer wieder neu erfinden, den Aneignungsswillen, den ich dahinter spüre. Leute, die Parallelwelten entwickeln und anderen großzügig die Schlüssel nachmachen. Das Jucken des Exhibitionismus. Aus dieser offenbarenden Haltung heraus dann doch wieder Geheimnis zu erzeugen, Assoziationsräume zu schaffen: Da beginnt es, spannend zu werden. Immer wieder denke ich darüber nach, wie das gelingen kann.

Es regnet. Die Meisen auf der Birke draußen sind pitschnass. Ich hab ihnen ein Bällchen an einen Ast gehängt.
Guten Morgen, ihr Leser.

Winterhimmel

“Die Flugweisen der befreiten Tiere waren ebenso charakteristisch wie ihre Silhouette. Ein dunkler Fleck huschte ziellos durch den Himmel, taumelte einer Straßenlaterne entgegen, unwiderstehlich angezogen von ihrem Licht: Eine Auenmotte. Dort stieg ein schwarzer Schatten in majestätischer Einfachheit den Sternen entgegen: Ein Raubvogel. Hier öffnete sich scheinbar eine vom Wind getragene Blüte, zog sich ruckartig zusammen und schoß auf einem Fürzchen tintig verfärbter Luft davon: Einer der kleinen Windpolypen.”

aus: China Mieville “Die Falter”

Anscheinend einer der neuen Sterne am Science-Fiction Himmel. Ich kanns noch nicht recht beurteilen: Hab gelitten beim Lesen, ob der schlechten Übersetzung. Böser Bastei Lübbe Verlag. Das nächste lese ich im Original.
Doch die Vorstellung, wie sich ein Windpolyp auf einem Fürzchen tintig verfärbter Luft davonmacht, ist irgendwie lustig, oder? Ich wünschte, einer segelte hier an meinem Fenster vorbei.
Guten Morgen.

Gestern,

auf’s charmanteste herausgeputzt, Röckchen, Jäckchen, gezupft und gefönt, stakte Frau Kiehl auf ihren neuesten High Heels vorsichtig drei Stockwerke hoch und fiel in die Wohnung des Herrn E.: Dem neuen Jahr und köstlicher Atzung entgegen.
Die Herren E., T. und D. hatten die Zubereitung des Mahles unter sich aufgeteilt, Salate gab es, Lasagne und Tiramisu. Uh uh. Von allem sehr viel. Man nahm reichlich. Plauderte. Frau S. und ich wagten das ein- oder andere Tänzchen. Mitternacht großes Geschrei, Umarmungen, Erleichterung. Und wie ich mich’s versehe, ist es zwei Uhr Morgens und mein vom Espresso gänzlich unbeeindruckter Körper signalisiert, keiner anderen Party mehr beiwohnen zu wollen. Die Tapferen unter uns, allen voran Herr T., stürzten sich durchs enge Treppenhaus nach unten in weitere Vergnügungen. Ich indes –
Na ja.
Schön war’s.
Von Eurer Seite irgendwas exotisches zu berichten??

Für alle,

die es dieses Jahr mit der Verhältnismässigkeit trotz guter Vorsätze nicht so hingekriegt haben:
Nicht grämen.
Ihr seid nicht allein.

Willkommen bei Tainted Talents: Riese Bao & Zwerg He

Auch Dogge Gibson & Chihuahua Boo Boo will ich euch nicht
vorenthalten:

Gassi geht He mit Dogge Gibson, Bao mit Chihuahua Boo Boo.
Oder doch lieber Bao mit Gibson und He mit Boo Boo?
Bin ganz verwirrt.
Wird Zeit für ein neues Jahr.
Ich erhebe mein Glas.
Auf alle Riesen und Zwerge dieser Welt!
Und auf euch, ihr Leser! Lasst uns öfter mal die Maßstäbe wechseln!
Und bleibt mir erhalten!

Lasst euch von Sylvester nicht verdrießen. Wird schon werden.

Phyllis

Das also war

Weihnachten. Das erste ohne meinen Vater. Am achten Mai dieses Jahres fiel er vom Rad, schlug auf und starb. Ich habe mir seitdem immer wieder vorgestellt, ob er wohl im Fallen schon gewusst hat, dass er ihm gerade widerfuhr: Der Tod. Könnte sein. Vielleicht dachte er, da kommt es nun, das Sterben. Vielleicht hieß er es sogar willkommen, da es nun mal sein musste. Dingen, von denen er glaubte, dass sie sein mussten, fügte er sich.
Ich kann das sehen, als Tochter: Sein Neigen in die Dinge, die eben sein müssen; er hat das gelernt.
Er erzählte mir mal die Geschichte, wie er als Halbwüchsiger in einem Streit mit seinem Vater zur Pistole griff und einen Schuss abfeuerte. Er zielte nicht auf seinen Vater: Seine Kugel traf einen Elefanten aus Elfenbein, der auf dem Regal hinter dem Kopf seines Vaters stand, zersplitterte dessen rechtes Ohr und blieb in der Wand stecken.
Später, nach dem Tod meines Großvaters, nahm mein Vater den weißen Elefanten zu sich und stellte ihn auf sein eigenes Regal.
Gestern nahm ich ihn in die Hand. Das Elfenbein ist dunkel geworden. Der Elefant ist kaum acht Zentimeter groß, eine von diesen Figuren, die man früher sammelte, als Elfenbein noch nicht geschützt war. So ein Ding mit einem kaputten Ohr. Wäre mein Vater nicht irgendwann mal damit herausgerückt, welche Geschichte es hat, wäre es für alle anderen einfach ein Krimskrams geblieben.

Obwohl er mehrere Sprachen sprach und als Übersetzer arbeitete, war mein Vater nicht gewillt, Erlebnisse aufzuschreiben, geschweige denn, welche zu erfinden: Das einzige, das er je zu Papier brachte, war diese Geschichte mit dem weißen Elefanten. Zwei Seiten. Ich glaube, er war schon in seinen Siebzigern. (Wie immer ist kein Datum beigefügt, er hat nie irgendwas datiert, seine Fotos schon gar nicht, alles in Papiertüten, namenlos, zeitlos, es ist zum Haare raufen, erzählt hat er auch nicht viel, bestimmt haben wir auch nicht genug gefragt, wir tappen im Dunkeln, wer all diese Leute sind auf all diesen Fotos)
Warum hat er gerade diese eine Geschichte festgehalten von den vielen, die womöglich in ihm waren? Vielleicht, weil sie eine der Auflehnung ist. In seinem späteren Leben hat er keinen Schuss mehr abgefeuert: Statt sich zu wehren, nahm er seine Kugeln in den Mund und biss darauf, bis sie flach waren wie Plomben.

Vielleicht fragt ihr euch, warum ich euch das schreibe. Warum sollte man das tun, Familiengeschichten erzählen? Schon gar in einem Onlinejournal, auf das jeder Zugriff hat, der meinen Namen kennt?
Ich sag’s euch: Um der Sentimentalitätspolizei eins auszuwischen. Ihr kennt sie bestimmt. Schon während ich schreibe, schleicht sie mit eingeschaltetem Blaulicht dicht hinter mir, jeden Moment wird sie mich anhalten. Dann steigt der aus, dessen Gesicht immer im Dunkeln bleibt, tritt an mich heran und sagt: „So geht das nicht. Sie können hier nicht einfach so drauflos. Das ist Kitsch, was sie hier machen. Eine Zumutung ist das. Denken sie wirklich, jemand interessiert sich für ihre privaten Geschichten? Sie kommen jetzt über Nacht in Einzelhaft, bis sie sich wieder unter Kontrolle haben. Steigen sie aus. Sofort.“
Oft genug lasse ich mich dann abführen.
Ich glaube, meinem Vater ging das auch so.
Wenn man das oft genug mitgemacht hat, kriegt man vor lauter Angst vor Peinlichkeit gar nichts mehr aufgeschrieben.
Das merkwürdige ist, dieser Polizeiwagen existiert gar nicht. Noch merkwürdiger ist, dass man ihn immer wieder neu erfindet, wenn er zu verblassen droht. Ich jedenfalls tue das: Ich erfinde ihn immer wieder neu.
Tja.
Der einzige Trick, dieses Muster zu überlisten, das jeden schöpferischen Impuls zunichte macht, bevor er überhaupt Form gewinnen kann, heißt Ausblenden. Man kann nicht aus sich heraustreten: Doch man kann, während man schreibt, oder zeichnet, oder einfach nur spricht, die vorwegurteilenden Stimmen mal ins Dunkel absinken lassen. So wie jetzt. (Obwohl ich sie an den Rändern wispern höre)
Nach vorne, nach vorne, sage ich mir. Nicht immer alles x-mal überprüfen. Nicht immer versuchen, die Manifestationen der eigenen Gedanken unangreifbar zu machen; das werden sie eh nie sein. Dieser Anspruch auf Großartigkeit, auf souveräne Form, ich könnte kotzen, wie viele meiner Ideen und Impulse ihm schon zum Opfer gefallen sind.
Mein Vater hat sich oft abführen lassen. Vielleicht gelingt es mir mit der Zeit, das anders zu machen. Würde ihn bestimmt freuen.

an alle

Anonymen, die mich neuerdings mit gehässigen Kommentaren beglücken: Ich lösche euch. Nicht, weil ihr gehässig seid. Ein wenig Pfeffer von außen tut diesem Blog vielleicht ganz gut. (Da kommt wenigstens der träge Winterkreislauf in Wallung 😉
Nein, ich lösche Euch, weil Ihr die Antwortfunktion auf eure Kommentare ausschaltet und mir mögliche Reaktionen auf euren Schmäh missgönnt. Sorry, aber passives Hinnehmen ist meine Sache nicht: Ein bißchen Spaß will ich an eurer Giftspritzerei schon auch haben…

Mit den besten Grüßen,

Phyllis.
Die Verfasserin dieses Blogs.
(Die findet, dass zu einem ordentlichen Angriff auch gehört, sich nicht hinter irgendeinem Pseudonym zu verstecken)