Farah Days Tagebuch, 34

Mittwoch, 22. Juli 2015

Splitterblume

Anfangs war sie nur ein Punkt. Ich war am Morgen fahrig gewesen, verzagt, das Airbook glitt mir aus der Hand, schlug gegen die scharfe Kante des Holztischchens im Schlafzimmer, blieb mit punktiertem Monitor auf dem Parkett liegen, aufgeklappt, unbeteiligt. Was schert es ein Laptop, wenn es fällt?
Seitdem ist aUS DER KLEINEN VERLETZUNG i m Glas etwas gewachsen. Und irgendwie wusste ich, dass es bei den paar zerstörten Kristallchen im Screen nicht bleiben würde,

Touch my screen
Touch my scream

wusste es mit dem Instinkt, der mich so firm an die Hand nimmt, seitdem ich ihn brauche:
Aus kleinen Verletzungen werden größere uund wenn etwas Spitzes auf etwas Gläsernes prallt, gibt es Löcher. Hat Dich das niemand gelehrt, als du klein warst, ma petite?
(Du sprichst das und immer wie uund aus)

Anfangs ein Loch, kaum größer als ein Stecknadelkopf, doch jetzt, Monate später, hat sich die Macke der Makel ausgebreitet. Farbe angenommen hat er auch, ist jetzt streifig violett.
(Das Wort wollte ich schon immer mal schreiben, am liebsten gleich nochmal:
violett.)
Die Blume/der Makel wird bald den gesamten Monitor bedecken, doch bis dahin schreib’ ich weiter. Ignorieren kann ich ihn nicht. Er erinnert mich *
ach was, z e u g t davon, wie mir zumute war damals.
(Von etwas zeugen: Was für ein Ausdruck. Schaurig.)

– Wo ich bin? In Paris, wo sonst sollte ich sein um diese Zeit? Betrinke mich gerade, beherzt und frei/willig.
Ist mir schonmal aufgefallen, was für ein Paradox der FREIE WILLE darstellt? Wie sollte etwas frei sein, das vom Willen gesteuert wird?
Frei ist nur das Unbewusste.

Instinkt.
Intuition.
Reflex.
Traum.
Trance.

Alles andere ist Vorstellung, und was die aufzäumt, weiß ich verdammt gut:
erfundene Wesen, die sich aus den Würmchen erheben, als die wir in die Welt gehen.
Wir sind die Konstruierten. WIR konstruieren uns. Wir MACHEN uns,
(nichts davon freiwillig, die Not diktiert’s uns, oder etwa nicht?)
heben uns aus den Strudeln unserer Kindheiten, bauen, was fehlt, ersetzen, was verlorenging, erfinden, wie wir uns haben sein wollen.
Ich spreche von den Begünstigten. Andere, die nichts erfinden können, oder wollen, wachsen im Schlick auseinander, bis sie den MainStream erreichen. Da sind sie sicher.

Wir nicht.

(Merk’ Dir das, Löwin:
8057!
Für später. Wenn alle Stricke reißen gerissen sind, öffne mein Schließfach, da findest Du den Bauplan für Dein neues Ich. Eins ohne mich.)
((Verdammt, ich würde einen FINGER für eine Zigarette hergeben gerade.))

Wie geil, besoffen zu sein.
Kein Wunder, dass ich davon lasse, wenn ich im Dienst bin und da ich fast immer im Dienst bin, trink’ ich nicht oft. Nur wenn Zeit da ist und Geborgensein, Schutz, wie meine Freundin es gestern nannte. Deine Seele muss heilen, sagte sie.

Ich trau’ weder Dir noch mir mehr. Das macht dann schon zwei, die zurück auf Würmchen müssten.
(Es-tu d’accord?)
(Schreib weiter, weiter!)
Schreiben, während Menschen singen, das ist wie einer Wolkenherde beitreten, die über den Himmel zieht:

sich einfach dazugesellen, das eigene Hirn abgrasen

Verdammtsein, aber nicht allein.
Seit langer Zeit versuche ich, mich den Niuks anzuschließen, doch die kommen nie hier vorbei.

Bin so ges p e r r t wie Du und ebenso befangen. Weil die Splitterblume sich ausbreitet und wir in ihr codiert sind in unsere –
Doch das auszusprechen wäre infam.
Infam waren wir nie.

Was, wenn…
Was, wenn was uns prägt nur ein Hauch dessen wäre, was uns ausmacht?

Anziehung/
Abstoßung

Viel mehr wird eh nicht praktiziert.

Jemanden zu seinem Glück singen zwingen
Hab’ ich Dich zu Deinem gezwungen, indem ich auf Dir beharrte?
Sichneuerfinden, immer wieder, mag sein, dass nichts davon wahr ist, aber alles gültig.
Meine Gültige.
GülTIGER.

Ich setze Güte dagegen. Und bezahle mit meinem Leben, so wie die anderen. (Mit was auch sonst.)
Wir sind reziprok, ob wir wollen oder nicht. Wechselwirksam, im WECHSEL WIRKSAM. Ich jedenfalls geb’ mich mit weniger als Allem nicht zufrieden, hab’ mich entfaltet.
Zieh’ Deinen Strich, meinetwegen, sag’ bis hierher und nicht weiter, kneif die Schenkel zusammen wie eine Jungfrau, doch was immer Du tust, mach’ es so, dass ich’s sehen kann, sei Dir himmelnochmal sicher, Du Hackstück, ich dulde weder Unschuld noch Reue. Heb’ Dich!
Sonst wandre ich in den erstbesten Exit, ganz ohne Strategie.

Es sind Flüchtlinge draußen; es gilt, das Herz für sie weit zu machen. Ich fang’ mit Dir an, geb’ Dir Güte und Raum im Namen jener, die dazukommen: die verlorener sind als wir.
Es nur auszusprechen:
Raum
Den tatsächlich einmal zu spüren.

Farah Days Tagebuch, 33

Dienstag, 23. Juni 2015

Alle Argumente sind gleich gut. Mit diesem Satz schlief ich ein gestern Nacht. Doch was passiert, wenn alle Kräfte, die in einem wirken, genau gleich stark sind? Über längere Zeit?
Genau in der Mitte des imaginären Magnetfelds herrscht – Regungslosigkeit.

So viele angefangene Texte wie in den vergangenen Wochen hatte ich lange nicht mehr.

Jedenfalls sind die Flugträume wieder da – mein innerer Teenager schickt mir Botschaften. Dazu passt der Traum, den ich heute Nacht hatte: Ich rannte unter einem Band durch. Wir befanden uns in einer Art Universität; alle um mich herum waren jünger als ich. Wir hatten alle bereits die unsäglichen Aufnahmeprüfungen bestanden, nun mussten wir nur noch unter dem Band durch – es trennte die zum Weitermachen entschlossenen von jenen, die für den nächsten Schritt (worin dieser bestehen würde wusste keiner von uns) nicht bereit waren. Ich war es. Das war das Bild, mit dem ich erwachte: wie ich mich, rennend, bücke und zu der Gruppe derer laufe, die bereits auf der anderen Seite sind.
Menschen, die einen inneren Teenager haben, brauchen keine Argumente.

Leider muss ich immer aufwachen und die erwachsene Frau ist in letzter Zeit nicht so furios wie die die andere. Sie baut auf ihre Vernunft. Sie denkt viel zu viel, anstatt einfach zu machen; sie braucht immer Gründe, g u t e Gründe. Argumente. Sie lagert ihre schöpferische Irrationalität aus, delegiert sie an die Jugendlichen, mit denen sie arbeitet. Pflanzt ihre wilden Keime in fremde Gehirnzellen, aber auch in die Vertrauten, die allernächsten Menschen: Hauptsache, in ihrem eigenen Gehirn herrscht Stabilität.
Doch die vermeintliche Stabilität macht mich still. Wahnsinnig still. So still wollte ich nie werden, wollte immer phänomenal sein. (Wie lang ich d a s Wort nicht mehr geschrieben habe!)

Also ist es mal wieder soweit. Warum muss ich diesen Kampf eigentlich immer wieder führen, warum fühlt sich das Friedlichwerden immer noch so falsch an, dass ich’s nicht feiern kann? Das Sicheinfinden in die Umstände, die eben so sind, wie sie sind?
Schlicht, weil zu wenig Bewegung in ihnen ist. Und kaum versieht man sich’s, ist man im Magnetfeld und die Stasis regiert. Manche nennen sie Vernunft. Ich nicht. Vernunft war schon immer meine leichteste Übung.
Und weil die leichtesten Übungen immer am wenigsten wiegen, weil niemand so wirklich den tanzenden Stern vergessen kann, weil das Innere immer größer ist als das Äußere und rauswill: deswegen.
Jetzt hab’ ich schon wieder einen guten Grund gefunden. Aber den krieg’ ich auch noch klein. Ich setz’ ihn unter Drogen, walk ihn durch bis er ganz silbrig und geschmeidig ist und dann schmeiss’ ich ihn raus und geh’ durch ihn hindurch.

Farah Days Tagebuch, 32

Samstag, 20. Juni 2015

Meine Wahrnehmung ist eine überfüllte Registrierkasse. Jedes Mal, wenn ihre Schublade aufspringt, quillt mir der ganze Schlamassel entgegen.
Ich seh’ nur kurz hin und schiebe das verdammte Ding wieder zu: Ich kann nicht mehr alles nehmen, nur weil es wahr ist.
Schon gar nicht in bar.

Farah Days Tagebuch, 31

Freitag, 29.Mai 2015

mein leben als stapel
ich bin so groß. doch so gut ich mich auch schichte, die hohlräume werden nicht kleiner.

: wie gewandt der fremde mit den kids umging, da konnten wir uns alle ein blatt rausnehmen. die kriegten sich kaum noch ein!
einer kleinen, pickeligen, die sich weigerte, lieh er seinen kopf wie eine vorratskammer:
s o macht man das.
hat ihre abwehr notiert, als ob sie ein text wäre und ihre abwehr wurde ein text und sie schrie: “das dürfen sie nicht aufschreiben, was ich schreie” und er ließ sich gar nicht beirren, notierte auch das, gab ihr das blatt und sie zappelte und las und sagte schließlich:
„okay.“

– geht’s denn je um etwas anderes? sich sein blatt zu eigen machen. darum drehen wir uns. jenen, die’s nicht können, leihen wir unsere köpfe als zwischenlager.
wir sind jäger und stapler.

mein leben als stapel begann vor langer zeit, da war ich noch nicht hoch; seitdem wachse ich. ich seh’ viele von meiner art. nur wenige von uns sind stabil.
ich selbst hab’ gewellte blätter, auch demolierte; auf kante kriegt man mich nicht mehr.

die hölle, das sind die anderen: die noch dazwischenzukriegen. aus liebe oder solidarität. andere gründe lasse ich nicht gelten.
stapelleute, die alles auf kante haben, weisen die Gewellten natürlich zurück. könnte was durcheinanderkommen, ihr wollt nicht neu gemischt werden, stimmt’s? ein anständiger stapel tut sowas nicht.

ihr müsst aber.
sonst lebt ihr im rechteck.
ich sag’ euch das nicht gern.

also, weiter. an meiner verständlichkeit muss ich noch arbeiten, weiß ich. ich hab mich nass gemacht, meine schriften vermengen sich, gefühle pappen aufeinander als gehörten sie zusammen. das ist euch doch nicht fremd?

ich mag mein leben als stapel nicht mehr, will in die fläche.
fläche
(komm’ doch mit. breite dich aus.)

nur noch ein einziges, riesiges blatt.

Farah Days Tagebuch, 30

21. März 2015

Fragen an einen potentiellen Geliebten

Wie hast du es bis hierhin geschafft? Was ist dein bester Trick? Worauf verlässt du dich, wenn alle Systeme versagen?
Könntest du einen schwierige-Fragen-Text schreiben? In welches Tier hättest du dich verwandelt, wenn du Kafka gewesen wärest? Wie lange kannst du dich wirklich am Stück konzentrieren? Wie hoch ist die Miete für den Lagerraum, in dem du deine unlösbaren Probleme aufbewahrst?

Wie oft hat es dich schon weitergebracht, der Realität ins Auge zu blicken? Wärst du gern häufiger unsagbar geil? Gibt es einen Alptraum aus deiner Kindheit, an den du dich immer noch erinnerst?
Hast du ein Talent, für das du noch nie Anerkennung bekommen hast, geschweige denn Entlohnung? Wie viele Häute besitzt du?
Wie viele Überlebensrituale praktizierst du? Wie viele davon hast du selbst erfunden? Wer kann dir das Wasser reichen? Wer reicht dir Wasser? Wie oft hat dich in der vergangenen Woche der Gedanke, hinterher aufräumen zu müssen, an einem Vorhaben gehindert?

Wer bügelt deine Versäumnisse aus? Vermutest du oft, dass andere etwas besser hinbekommen als du? Riechst du heimlich an deinen Achselhöhlen?
Schöne Bescherung: Klingt das in deinen Ohren eher nach Weihnachten oder danach, dass du etwas ausgefressen hast? Wie belohnst du deine Verbündeten? Kannst du dich einem Menschen hingeben, für den du nicht die erste Wahl bist?
Könntest du eine Stalkerin lieben? Glaubst du, dass Wichsen zur Psychohygiene gehört? Wie viele Menschen leben in deiner Wohlfühlzone? Stehen dir Parallelwelten zur Verfügung?
Hast du eine Exit-Strategie? Was löst das Wort „Beschwörung“ in dir aus?

Bist du troy? Pickst du Rosinen? Welches Verkehrszeichen würdest du gerne in der Straße aufstellen, in der du lebst? Hast du ein unsichtbares Muttermal und welche Form hat es? Welche Auswirkungen hat deine Genügsamkeit? Welche Auswirkungen hat dein Größenwahn?
Wie raffiniert ist das Vokabular, mit dem du deine Ängste verschleierst? Zuckst du zusammen, wenn eine Frau „ficken“ sagt? Magst du Hefe?
Sollten dir mehr Menschen huldigen? Was inspiriert dich zu aufregenderen Ideen: Information oder Desinformation? Wärst du glücklicher, wenn du tatsächlich der Mensch wärst, den die anderen in dir sehen? Wie fändest du es, wenn ein Abguss deines Körpers als Modell für eine Schaufensterpuppe verwendet würde? Genießt du es, wenn dich andere kopieren?
Bist du endgültig?

Farah Days Tagebuch, 29

Montag, 9. Februar 2015

Berühre die Erde und beginne neu stand auf dem schmalen Papierstreifen.
Ob die anderen die gleiche Aufforderung erhalten hatten? Der Raum, bis auf mich, hatte sich bereits geleert. Ich ballte die Faust um den Zettel, erhob mich, stand vor ihr, ein wenig größer als sie. Und besser in Form.
“Denken Sie nicht einmal daran”, sagte Jouba lächelnd, “ich praktiziere nicht mehr auf diese Weise.”
Sie nahm meine rechte Hand in ihre beiden, umschloss sie.
“Wenn Sie das können, kämpfe ich mit Ihnen. Falls Sie dann noch möchten.”
“Wenn ich was kann?”
Sie trat einen Schritt zurück: “Öffnen Sie sie.”
Einen Moment lang blickten wir gemeinsam auf den zusammengeknäulten Papierstreifen auf meiner Handfläche.
“Lassen Sie ihn los”, sagte sie, “und erschrecken Sie nicht, bitte.”
Ich tat wie geheißen. Das Papierchen glitt mir wie ein Stein aus den Fingern. Mit einem Knall schlug es auf dem Parkett auf.
“Können Sie einen Satz schreiben, der so fallen kann? Dann dürfen Sie zurückkommen.”
“Ich glaub’ schon.”
“Wir werden sehen. Und jetzt hinaus mit Ihnen.”

Ich habe Jouba und die anderen nie wiedergesehen. Mit leeren Händen? Ich hätte mich geschämt.

Farah Days Tagebuch, 27

Donnerstag, 4. November 2014

„Es gibt schöne Passagen. Doch Du solltest direkter sein, offensiver, dem Leser die Haut, die innere und äußere, zum Vibrieren bringen. Du kannst das. Aber Du willst es nicht.“

Der Brief stammt von meinem ältesten Mentor, dem ersten, der Zeichnungen von mir kaufte. Ich studierte noch, er war bereits jemand, an dessen Lippen man hing. Seine Radikalität zog mich an, nicht aber, dass er Nukleus war: Außerhalb seines Wirkungsbereichs gedieh fast nichts. Nach meinem Studium, deshalb, nahm ich meinen eigenen Weg.
Wir sprachen nicht mehr. Vor einigen Tagen aber schickte ich ihm einige Texte und gestern kam der Brief zurück, aus dem diese Sätze stammen. Sie kommen zum richtigen Zeitpunkt: Ich stehe vor Entscheidungen; ich beginne Korrespondenzen.
Streife durch mein Territorium, sichte, erwäge Verknüpfungen und Lösungen (Lausche eben dem Wort Lösung nach: wie das sich lösen, freiwillig oder nicht, in ihm schwingt), stelle Abhängigkeiten ebenso in Frage wie Unabhängigkeiten: die Fülle wahrnehmend, deren Kern ich bin.

Es gibt andere Stimmen, die sich dazugesellen. Als ob Krisen dich auflüden – und ich meine Krise im Sinne von Chaos, das in eine Struktur eindringt, in seiner Unmittelbarkeit pure Energie –
als ob du also diese Kräfte freisetztest, unter Druck, die sich übertrügen auf andere,

essbar würdest. Der unwiderstehliche Geschmack des Unmittelbaren. Freunde melden sich, meine jungen Leute spüren es, aber auch Fremde: vor einigen Tagen die Modedesignerin, eine erfahrene Künstlerin. Sie liebe Tainted Talents, sie wolle mich anziehen. Kleider, Hüte, ein Fotoshooting. Ein Link zu ihrer Website. Die Kollektionen, die ich dort sah, sind so eigen, das verwendete Material so überraschend, dass ich sofort zurückschrieb. Morgen treffen wir uns zur ersten Anprobe. Gelingt der Prozess, wird er hier sichtbar werden.

Mein Kern kontraktiert. Zusammengezogen bringt er mir nachts beeindruckende Panikattacken, geweitet macht er mich essbar, lüstern und größenwahnsinnig. Allein bin ich damit nicht: In meinem innersten Zirkel gibt es derzeit welche, deren Krisen Kreise in meine ziehen.

Gewahr werden.

“Sag’ Deinen Namen.”
Die Übertragungen von Wahr-heit schaffen eine Strömung untereinander, gegen die sich Sattsein anfühlt wie eine Kugel Kaugummi, die man aus dem Automaten zieht: Seit Jahren hängt er in einem Provinzbahnhof, ohne nachgefüllt werden zu müssen.
Verschwörungen.
Schwüre.
Schwären.

Farah Days Tagebuch, 25

Samstag, 4. Oktober 2014

Neue Session.

Tür fällt summend ins Schloss. Ich nicke ihm zu, lege mich. Niemand setzt sich hinter mich. Schweigen.
„Ihre Tür summt wieder“ sage ich.
„Die Tür summt wieder“ bestätigt Niemand. „Wie geht es Ihnen.“ (Er fragt immer mit Punkt)
Ich starre an die Decke. Für den obendrüber ist sie der Boden, auf dem er läuft. Bestimmt hat er dicke Teppiche; ich höre nie Schritte. Oder er trägt Filz. Aber seine Klienten doch nicht? Vielleicht ziehen sie die Schuhe aus, wenn sie eintreten.
„Kennen Sie den Kollegen, der über Ihnen praktiziert?“ frage ich.
„Ja“ sagt er. „Wie geht es Ihnen heute?“
„Woher soll ich das wissen?“ frage ich. „Es gibt kein Heute für mich. Nur Häute. Häute aus Zeit. Millionen. Ich weiß nicht, was Heute ist.“
„Möchten Sie Ihre Schuhe ausziehen?“
„Ja.“
Ich richte mich auf, spüre, wie die Bauchmuskeln unter den Speckrollen sich härten und beugen, der Arsch platt und breit wird, die Sitzknochen. All das Fleisch an mir. Ich ziehe meine Schuhe aus. Wahrscheinlich zieht oben gerade auch einer seine Schuhe aus und legt sich.
In meinem rechten Strumpf ist ein kleines Loch.

Ob es etwas änderte, gäbe ich Dir einen Namen? Ob Du dann Grenzen kenntest?

Warum hasst Du mich so.
Erdrückst Du mich.

Wo bist Du, wenn ich leicht bin? Unterwegs?
Aber nein. Du lässt mich nicht vom Haken. Du stampfst mich ein, bis nur Matsch bleibt, klatschst mich an die Wand wie eine Brut frisch geborener Hamster, die niemand braucht und niemand will, Du kratzt mich ab und bäckst mich in Deinen heißen, spillerigen Händen, für einen Tag. Nur immer für einen Tag. Wer hätte mich je vor Dir bewahrt?
Nie
jemand.
Jamend.
Majden.
Nemjad.
Aus einem Wort findet man nie wieder heraus, so sehr man sich auch drinnen verdreht.
Aus Dir finde ich nie wieder heraus. Sagst Du. Ich glaube Dir. Wie oft bin ich geronnen. Wollte verderbt sein. Verdorben. Damit Du mich nicht mehr verwenden kannst. Doch Du kannst mich immer gebrauchen. Bist immer zufrieden mit mir.

So ist das.

„Wie fühlt sich das an in Ihnen.“ fragt Niemand. „Diese Gewalt in Ihnen.“
„Mich gibt es gar nicht“ erwidere ich. „Nur Jemand: seine Wände, seine Hände und manchmal den Singsang.“
„Er singt dabei?“
„Manchmal. Er fühlt sich wohl.“

Ich rinne von der Wand wie ungewollte Brut.
Ich bin gar nicht da.
Jemand macht mich, Jemand klatscht mich und Niemand weiß es. Er kann aber nichts tun.

Ein sachtes Geräusch.
„Ich brauche kein Taschentuch“ sage ich.
„Was brauchen Sie.“ fragt die Stimme in meinem Rücken.
„Ich brauche Jemand“, antworte ich.