Farah Days Tagebuch, 44

Donnerstag, 29. September 2016

Angsfrei

Der Karneval der Ängste ist vor ein paar Tagen weitergezogen. Nach gut vierundvierzig Jahren wurde es auch Zeit, ich brauche den Platz. Tagsüber kann man sich ja arrangieren, doch ab Mitternacht beginnt die Schicht der Hardliner…
Die arbeiten durch bis zum Morgengrauen.

Als mein Karneval damals anrückte, war ich noch ein Kind, zu unbedarft, die Tarnung zu durchschauen. Ängste kommen ja mit Glitter im Haar und in feine Wörter gekleidet. Die sind gewieft! Immer schon gewesen.
Hätte ich ahnen können, dass sie alle Schaubuden waren? Firlefanz? Die gehören zu mir, dachte ich. Schützen mich vor Schlimmerem.
Meine Wagenburg.
Jahr um Jahr, während ich älter wurde, hab’ ich mich von ihnen breitschlagen lassen, bis genug Gelände für alle da war.
Sie ließen mich in dem Glauben, die Managerin zu sein.
(((Ha!)))

Als die erste Bude damals auf den Platz rollte, war ich wie geblendet: Auf ihren beiden Längsseiten prangte in güldenen, gesperrten Lettern das Wort
V o r s i c h t
Im Laufe der Jahre ist das Gold natürlich ein bisschen abgeblättert. Ebenso das von der R ü c k s i c h t: Die rollte direkt hintendran mit der zweiten Bude ein. Und die dritte, klar, stellte die N a c h s i c h t zur Schau.

Während diese drei ewig auf meinem Gelände zusammenstanden, haben die übrigen immer mal wieder ihre Stellplätze gewechselt. An sie hab’ ich mich deshalb nie so gewöhnt wie an die ersten: Die waren das Siegertrio. Jede mit eigenem Treppchen zum Einsteigen.
Ich hab’ das erst so spät kapiert! Dass die Wagenburg scheiße war, die Versammlung meiner Tugenden nichts als ein Arrangement hübsch beschrifteter Angstbuden.

Woher ich neulich die Kraft nahm, ihnen die Pacht zu kündigen?
Keine Ahnung
Wahrscheinlich hab’ ich schlichtweg die Schnauze voll davon, gelobt werden zu wollen.
Wird spannend, jetzt herauszufinden, wer mich auch ohne mein Siegertrio noch toll findet.
Die weite, geräumte Fläche fühlt sich jedenfalls komisch an, so angsfrei. Muss mich erstmal dran gewöhnen; plötzlich ist es ziemlich leer in mir.

Sogar das t ist weg.
Hat sich wohl in einer der Buden versteckt bei der Abfahrt.

Farah Days Tagebuch, 43

Samstag, 16. Juli 2016

Hey Jude

Überall Namen.
Einige, die man liebt, ein paar, die man hasst, dazu die Riesenzahl derer, die man minütlich via News(flash) eingebleut bekommt, weil sie ein großes Rädchen gedreht,
geputscht,
gemordet oder gesiegt haben und wir das dringlich zur Kenntnis nehmen sollen müssen. Nur selten merk’ ich mir freiwillig welche der dritten Kategorie, doch die endlosen loops lassen einem ja kaum eine Wahl.
Schade nur, dass vor lauter Alarmnamen täglich so viele andere vorbeidriften, die genannt werden sollten.

Hey Jude,
don’t make it bad

Vielleicht fange ich an, alle Judes zu rufen, deren Namen zu selten gehört werden. Sie sind leicht zu erkennen; man muss ihnen nur bei Sonne ins Gesicht gucken. Dann sieht man in ihren Mundwinkeln die Spitzen der Häkchen, an denen das Lächeln aufgehängt ist.

Sitzen zwei Fischer am Ufer des Mainstream und betrachten die Wasseroberfläche. Sagt der eine zum anderen:
„Bereit?“
„Auf drei“, sagt der zweite. „Aber gut zielen diesmal, sonst wird’s wieder schief.“
Sie werfen gleichzeitig die Angeln aus, bis Zug auf den Leinen ist: Ein Namenloser hat angebissen. Als die beiden ihn rauskurbeln, grinst er bereits.
„Saubere Arbeit!“
Die beiden klatschen sich ab. Sie schneiden dem Jude rechts und links die Schnüre direkt an den Mundwinkeln ab, fixieren das andere Ende der Haken innen in seinen Wangen und stellen ihn zum Trocknen hin. Dann schicken sie ihn weiter zur Herde der anderen, die sie mit der Zeit rausgefischt haben.

Take a sad song
and make it better

Farah Days Tagebuch, 42

Samstag, 9. Juli 2016

Tagesverdacht

Jon Kabat-Zinn Vortrag (thanx to Speed) auf dem Laptop gehört. Mindfulness revisited:
Eine bestimmte Form der Aufmerksamkeit.
absichtsvoll
sich auf den gegenwärtigen Moment beziehend
nicht wertend
(Das Bewusstsein auf Weitwinkel einstellen)

Wer über sich hinaus wächst, darf seine Ich-Illusion behalten.

Ich versiege vor deinen Augen. Darüber ließe sich fast vergessen, wie viel länger du schon leckst als ich: auf deinem langen Lauf nach Utopia. Der Krug ist noch nicht zerbrochen, aber sein Riss spricht Bände.

Mein Tagesverdacht:
Nichts hält länger durch als das Kind in uns.
Wenn die Ich-Konstruktion mit den Jahren Risse bekommt, muss man sich am Kind vollsaufen, bevor man austrocknet.
Passiert oft auf der Mittelstrecke, so zwischen fünfzig und sechzig. Und klingt schöner, als es ist.

(Eben bricht die Sonne durch! Endlich!)

Hurtig reisst der Rosenstrauch
seine pinken Blüten auf.

Farah Days Tagebuch, 41

Donnerstag, 30. Juni 2016

„Killekille…“
LeBlanc neckt meine Rose mit den Fingerspitzen.
Ich seh’ nur ihren ellenlangen, fingerdicken Stiel, unten scharf angeschnitten. Auf den würden glatt zweidrei Köpfe passen: einfach beherzt durch die Ohren durchschieben.
Bin latent zornig. Überhaupt sehr latent seit zweidrei Jahren: Mein Zorn Meine Brisanz treibt unter der Oberfläche, kein Wunder, dass der Kopf so rauscht und fiept, sobald die Alltagsgeräusche verstummen. Die von mir konsultierten Ärzte rieten zur Ablenkung, also habe ich Watte ausgesät: Riesige Baumwollfelder. Die sind durchaus effektiv. Inzwischen fungieren allerdings so große Areale als Lärmschutz, dass sich manchmal mein ganzes Denken wattiert anfühlt, auch tagsüber.

„Bei uns in China sagt man, ein einziger Tropfen Milch genüge, um ein ganzes Glas Wasser einzufärben.“
Immer wieder denke ich an Liyus Satz vom vergangenen Sommer zurück.
(„Willst du nicht so ein Tropfen sein?“)

Stattdessen verstecke ich mich in den Baumwollfeldern.
Kann ich inzwischen einfach zu gut.
Der Morgen regnet vor sich hin. Wie oft haben andere schon in Worte gefasst, wie es sich anfühlt, aus dem Trockenen ins Nasse hinauszusehen, der Klang der Tropfen, durchnässtes Licht, dieses heimliche Vollsaugen mit Melancholie? (Und die ganzen nassen Vögel. Wie schmal die dann sind.)
Bin nicht nur latent, sondern auch voller Ideen, die auseinanderstieben wie ein Schwarm aufgescheuchter Spatzen. Sei laut und nimm Einfluss, tschilpen sie, und nimm gefälligst die Watte aus den Ohren!
Der Morgen ist wach und geil und voller Krisen.
Vielleicht gibt er mir was davon ab.

Farah Days Tagebuch, 40

Mittwoch, 4. Mai 2016

Hey Zucker, wo

bist Du?
Die heißen Messages kommen längst nicht mehr von Dir.

Im Haus nimmt eben jemand ein Bad. Rohre gluckern. Draußen die Kogge, dazu Elstern und ein ganzer Wurf jüngst belichteter Meisen. Blaue. Hängen kopfüber am Bällchen.
Kleine Wahrnehmungen sind Tranquilizer.
Weißt Du ja.
Und dazu der Gemüsesbrei morgens! Macht aber friedliche Schleimhäute & gequirlte Scheiße. Was für ein Kuscheln Kuschen seit Wochen und Monaten! Nur Decken und Kissen.

Du polsterst dir das Fallen aus, schimpft Farah, doch wie lang, glaubst du, dauert wohl so ein Absturz? Du bist längst unten. Nur dein Hoovercraftgehirn hält dich drei Zentimeter überm Boden.

(—- „Hoovercraft“? Echt jetzt?!?
Aber sie sagt, wie’s ist.)

Und wenn ich Phantome besuchen will, geh’ ich in die Bibliothek, long live the Schutzumschlag. Ich werd’ eine von diesen Schienenleitern brauchen, um an Dich ranzukommen.
Rate mal, wie oft das passieren wird.
(…)
Aber vielleicht schicke ich eine Vertretung.
Don’t kill the messenger.

Alles hat seine Zeit, doch nur manches hat unsere.
Wir können keine Böden mehr, geschweige denn doppelte, lassen nichts mehr anbrennen — also lassen wir’s gut sein.
Lassen wir’s gut sein.

In Liebe, Dein
Karamell

(((„Farah, wie hab’ ich dich vermisst!“)))
(((„Ich bin doch da. Immer.“)))

Farah Days Tagebuch, 39

Samstag, 2. April 2016

Band, Lind, Tatzel:

Die Wahl der Würmer.
(Wie viele Unterarten es wohl gibt? Keine Ahnung. Alles, was allzu leicht gegoogelt werden kann, langweilt mich.)
Ich mag Würmer, auch glitschige. Mäandernde sowieso.
Menschen, die sich (aus welchen Gründen auch immer) in welche transformen, widern mich allerdings an. Bin gliedmaßenfixiert, schon immer. Mit Betonung auf dem Plural; am Rumpf muss einfach was schlenkern. Zupacken. Sich aufrichten.
Einem Wurm zu sagen er sei einer, da fühlt der sich nicht beleidigt.
So what?!? wird er nur fragen. Mit so einer fieseligen Stimme.
(Wollte das nur mal kurz loswerden.)

Eigentlich will ich übers Vermissen schreiben. Jemand muss eh anfangen, also kann ich’s auch gleich selbst tun. Im Anfangen bin ich gut, Kontinuität ist nicht so meine Stärke.
Grundsätzlich hab’ ich derzeit vergessen, was meine Stärken sind, nur diese eine ist mir noch bewusst, ich kann aus dem Stand loslegen. Brauch’ dazu auch keinen Pfeil. Keine Markierung. Ich fang’ einfach irgendwo an.
Auch beim Schreiben. Ich meine, ein Gedanke oder ein Satz beginnt ja auch willkürlich da oben: Niemand im Gehirn sagt ihm, wo dafür der richtige Platz ist.

Meins wurde kürzlich gescannt. Mein Gehirn, ich hab’ jetzt Aufnahmen davon. Scheint alles in Ordnung zu sein.
Also hat dieses andauernde Brummen in meinem Kopf keine körperliche Ursache, sagte ich zur Ärztin.
Die zog die rechte Braue hoch. Wer soll’s denn sonst machen, wenn nicht Ihr Körper?!
Oh, sagte ich. Natürlich, wie dumm von mir.
(Man muss dazusagen, die Ärztin ist alte Schule und fackelt nicht rum. Seitdem sie weiß, dass ich Künstlerin bin, lässt sie sich freien Lauf.)

Eben ist die Kogge gelandet. So hat LeBlanc ihn getauft. Meinen Tauberich. Weil er so schwer ist.
Die Kogge ist ein prächtiger Vogel und kein bisschen fett.
LeBlanc sieht das anders.
Er denkt, er sei eine Meise, spottet er.
Wie kommst du denn darauf?
Na, weil er sich immer auf die dünnsten Ästchen deiner Birke niederlassen will, die, auf denen die Meisen sitzen. Natürlich halten die Ästchen sein Gewicht nicht aus, aber er versucht es immer wieder.
Er glaubt, er sei schlank und grazil, sage ich, ein hübsches Ding, das überall landen kann. Er versucht es immer wieder, weil er gar nicht weiß, dass es ein Versuch ist! Für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit.
Tja, sagt LeBlanc.

Ich frage mich, womit man die bessere Landung erzielt: mit dem Bewusstsein, dass man etwas riskiert, oder mit dem, dass eh klar ist, dass man gut landen wird.

(Vertrauen.
Ich vermisse Vertrauen.
In mich.
Anderen vertraue ich grundsätzlich und lande prima damit.)

Gestern, zum ersten Mal seit Monaten, lief ich wieder durch meinen Park, mehr oder weniger mühelos. Erstaunlich leichtfüßige acht Kilometer, eigentlich, in Anbetracht dessen, was ich vermisse. Morgen werden es schon wieder zehn sein.
Kraft ist reichlich vorhanden. Dreimal in der Woche stemme ich mich gegen die Eisen, mein genialer Coach bellt mich zu Höchstleistungen.
Für die dünnen Ästchen bin ich dennoch zu schwer.
Ich bin so verdammt hungrig.
Wenn der edle Lebenshunger nicht gestillt werden kann, schalten die Synapsen bei mir auf primitiv: Essen hilft, viel essen hilft mehr.
(Komisch, dass man Bissen wiederholen muss, ist doch immer der gleiche Geschmack(?!) Wie oft muss dieses Aha-Signal im Hirn ankommen, bis etwas sagt, man könne jetzt aufhören zu essen? Bei mir passiert erst einmal gar nichts, nachdem ich das Gericht erkannt und gewürdigt habe,
dafür brauch’ ich eh nur einen Bissen.
Esse dann weiter, bis ich satt bin. Immer noch kein Signal. Also weiter, bis nichts mehr auf dem Teller ist. Signal manchmal immer noch keines, also neuer Teller. Erst, wenn etwas einsetzt, das ich Betäubung nennen würde, leg’ ich die Gabel weg.
Ich sag’ ja – Einfachmodus.
Muss wieder aufhören mit dem Taubessen. Zu psycho. Nur richtige Tauben kommen damit zurecht.)

Also, mein Gehirn ist in Ordnung, ich hab’s offiziell auf CD.
Kostenfreies Patienten-Exemplar, für Kopien wird eine Gebühr erhoben.
Steht drauf.
Kein Leck, kein Tumor, kein gar nichts. Ein prima Gehirn. Kann sein, es braucht einfach ein paar Tropfen imaginäres Öl, damit das Brummen aufhört.
Vielleicht aber auch etwas ganz anderes.

Farah Days Tagebuch, 38

18.10.2015

Fremdkörper

Und endlich Stille und die Wohnung ganz samtig für mich ohne zu überlegen, wie sich hier vielleicht doch ein Flüchtiger hineineinladen ließe dem ein Dach über dem Kopf fehlt, eine Frau vielleicht die endlich dringend den Lärm der anderen hinter sich lassen müsste nur gibt’s hier bei mir keinen Rückzug nicht einmal Türen nur fürs Klo alles ist offen und wir würden keine Ruhe finden weder sie noch ich die ich das Alleinsein so sehr brauche dass ich losweine wenn’s zu lange nicht passiert

Ein Weggefährte, dem ich kürzlich sagte ich bin privilegiert lachte leise auf,
– D u privilegiert? fragte er, ließ den Blick durch mein Arbeitszimmer schweifen als säh’ er’s zum ersten Mal.

Ja sage ich ich hab’ ein Zuhause und Zeit und Haut und nichts davon ist irgendwie bedroht und ich hatte immer welche um mich die wir trauen dir alles zu sagten bist klug und begabt und schön noch dazu und alle die JAHRE konnte ich in mir ausbilden, was mir entsprach meine Fähigkeiten und Feinheiten.
Manche haben nur ein paar Minuten dieser Tage bis ein Fremder ihnen sagt, was ihnen offen steht und was für immer verschlossen bleiben muss sowas ist mir noch nie passiert ich hatte so viele dieser Minuten und wenn ich’s verbockt habe machte an einem anderen Tag zu einer anderen Gelegenheit jemand einen neuen Zeitsack für mich auf.

Was brauchen wir, um über unsere Privilegien hinaus zu wachsen?
Ich immer nur Zeit und Stille vielleicht ein Flugzeug das über mich fliegt und da nicht drinsitzen zu müssen ich war schon immer am liebsten am Rand der Ereignisse. Reden ist nicht so mein Ding nicht um seiner selbst willen. Wenn ich rede will ich immer etwas aber das Nichtwollenmüssen ist der schönere Zustand weil da passieren Dinge die ich nicht geplant habe.
Heute Morgen wachte ich auf und dachte mein nächster Text wird vom freien Nichtwillen handeln er wird auch von der Gleichzeitigkeit handeln und wie man das aushält dass zwar außen scheinbar alles aufeinander folgt dass wir in Abfolgen leben und denken dass aber innendrin alles gleichzeitig ist. Die Seele kennt keine Kausalketten. Kennt weder Abschied noch Ankunft kennt kein Abwägen kein Archiv keine gordischen Knoten.
Die Seele ist die einzige Idee, die man nicht lernen kann. Sie bleibt immer Idee, wird nie Wissen, erfordert keine Handlung.

Farah weiß das anfangs noch nicht sie sucht nach einer inneren Logik. Sie macht das sehr gut sie hat Leute die ihr sagen wie gut sie es macht nur stellt sich heraus dass es gar nicht darum geht etwas gut zu machen sondern darum dass keine Handlung je abgeschlossen ist nicht wirklich. Im Inneren wächst alles weiter und nur weil wir nicht mehr hinsehen hinspüren weil wir längst etwas neues handeln wächst es dennoch die GANZE ZEIT WEITER und verschränkt sich mit allem anderen es gibt keine abgeschlossenen Handlungen weil es keinen Stillstand gibt das wird Farah irgendwann bewusst. Alles was sie irgendwann gefühlt und getan hat fühlt und tut sie noch immer.

Ich möchte dass sie alles auslebt was in ihr ist Gleichzeitigkeit UND Widersprüche. Sie ist viel radikaler als ich ich bin so oft blockiert von gleich starken Impulsen dass ich Amok gegen mich selbst laufen könnte vor Wut.
Farah brennt auch wie Hölle nur wissen das alle um sie herum von mir weiß fast niemand wie wütend ich bin ich spür’s ja kaum selbst nur wenn ich alleine bin richtig samtig alleine. Ich bin eine Beschützerin Beschützerinnen haben sich im Griff. Farah nicht sie lässt den Griff los
FARAH LÄSST DEN GRIFF LOS.
So. Das hätten wir schon mal.

Was mich wirklich fertig macht ist dieses Verstelltsein das immer auch ein Körperliches ist ich komm einfach nicht näher ran an meine Ideen an meine Kraft. Für eine Frau die weiß dass alles gleichzeitig ist ist das verdammt schwer zu ertragen vor allem, wenn sie die einzige ist die es merkt oder fast die einzige weil von außen meistens alles glänzt.
Weil ich ein Schlüssel bin und Schlüssel werden eingesetzt man selbst schließt andere auf man wird benutzt um andere aufzuschließen. Niemand fragt den Schlüssel ob der auch selbst ein Schlüsselloch hat und vielleicht unbedingt geöffnet werden will wäre ja eine abstruse Vorstellung und ABSTRUSE VORSTELLUNGEN werden von der Crowd nicht supported in diesem Land in dieser Zeit.
Tatsache ist, manche Schlüssel haben ein Schlüsselloch.

Wie geht es dir heute Morgen, Farah?
Ich hab grad’ gut gekackt, alles gut soweit.

Sie ist manchmal derb. Meiner Erfahrung nach sprechen ja nur Männer gern über ihre Verdauung aber sie macht das eben auch seilt ihre Stange ab jeden Morgen und erwähnt das auch sie ist Künstlerin ich hab’ ihr alles übereignet meine ganze Diskontinuität die ganzen Zweifel und Schmerzkram das ganze scheiß Höllenkonzert in meinem Kopf den Raben die Selbstvernichtung SIE muss es jetzt richten. Farah nur damit das klar ist hasst das Wort „kreativ“ noch nie hat sie’s in den Mund genommen gut für sie scheiß auf kreativ ich bin mit bravseinbringterfolg aufgewachsen das krieg ich nie mehr richtig aus’m System aber Farah lässt das Ursachewirkungsding völlig kalt sie braucht keine präzisen Wörter sondern einfach nur Wörter.
Meine sind eher Pinguine immer schön im Frack Schnabel nach vorne gemeinsam sind wir stärker. So d i e Nummer. Die wollen immer ganz viel und ich kann’s dann nicht einlösen.
Farah kann’s aber.

Farah Days Tagebuch, 37

Dienstag, 22. September 2015

Trommelhaut

Und heute zweimal das Klopfen des Regens,
auf die Fassade meines Hauses,
#toktok
auf die
Wölbungen meiner Wörter,
gebäumt wie krispe, bräunliche Pferdchen, die sich den Zügeln entreißen in der Hoffnung auf – was?
Sie wittern den Herbst; mag sein, sie wehren sich. Niemand weiß ja, wie lang sie fallen,
ich meine, wie viel Zeit vergeht bis runter zum Rinnstein,
wenn’s regnet:
Meine kleinen Soldaten, seid Ihr endlich
im
Fluss (?)

– Bist nicht weniger begabt als ich.
– Ich schweig’ aber länger. Als säße auf jedem Satz eine Krähe, die ihn festhielte. Das Schlimmste wäre, sie nicht wiederzuerkennen –
– Die Krähen?
– Die Sätze!

Und eben erst wird mir klar, mich liebst du nicht einzeln, mich liebst du als
Spezies!
Ich war nie bedroht, stimmt’s? Nur unsere Wörter sterben aus.
Manche siechen ja lange, doch dann
sind sie down.

Jedes lässt noch einmal sein Leben Revue passieren und vielleicht fällt ihm ein weiteres zu, bevor es Grund erreicht, wer weiß das schon? Wir sind ja nicht mehr dabei.
Später im Park trete ich auf ein paar und merk’ jedenfalls nichts.
Tags darauf, endlich, male ich.
D a s ist Zeugung, Alter!!!
Es wird leicht, dich zu füllen, bist ja ergebener als ich jetzt, nur minus Triumph. Doch welche Frau wollte den Hohepriester ohne den Hengst? Da bisse man mal zu und zöge von hinnen.
#hit&run

(„More romance, please!“)
(„Okay -“)

Stunde um Stunde lauschte sie den Tropfen, die um ihr Haus tanzten. Als endlich der Morgen anbrach, griff sie nach ihrem Tuch und ging zum Fenster, das die Nacht über offen gestanden hatte. Sie ließ den Blick über die Dächer schweifen.
Auch du und ich sind nur Trommelhaut, dachte sie. Für den Regen, mon coeur. Und die Wörter. Doch wenn wir nicht gespannt bleiben, können sie nicht auf uns spielen.

Farah Days Tagebuch, 36

Samstag, 29. August 2015

Wael

– Enlève tes lunettes de soleil.
– Lieber nicht, sage ich.

Biete einen gemalten Mund, Mähne, ein paar High-Heels dazu – je höher, desto besser, erfahrungsgemäß. Dazu das Kleid. Trage ein bestimmtes und nur die eine Sonnenbrille, auch bei Regen. An Tagen wie heute hilft dir nur Ikonisieren. Es geht um das Schaukeln, die Wiege in deinem Schritt:
Klackklack
Du musst dich ein paar Meter einschwingen, bevor du dir den Köder auch selbst glaubst, aber bist du mal drin in der Suggestion deines Geschlechts, brauchst du die Ratten nur noch aus der Stadt zu führen.
Ach, scheiß drauf:
Zieh’ die Sonnenbrille vom Gesicht und sieh’ dir den Mann an. Wie oft blinzelt ein Mensch in einer Minute?
Bleib ruhig.
Dein Doc nennt dich Bella wenn du gehst, wie ein Abschiedsgeschenk. Vielleicht ist er erleichtert, dass du die Praxis verlässt; ich glaube, du machst ihn nervös. Während du ihm gegenüber sitzt, greift er sich andauernd in sein weißes, üppiges Haar.
Alle geben dir Namen. Die drei wichtigsten haben dir den gleichen gegeben, als ob der wirklich zu dir gehörte. Tut er aber nicht. Du nennst dich anders, wenn du alleine bist.

– Tu as des yieux orientaux, konstatiert Wael zufrieden.
– Ce n’est pas la premiere fois qu’on me le dit, erwidere ich.

Deine Stimme, im Gegensatz zu den Dingern, die dich bisweilen aus dem Spiegel anblicken, lässt dich nie im Stich.
Er hat gepflegte Hände, Wael. Eine davon legt er dir auf den Unterarm. Spürst du das?

– Es gibt tausend junge, geneigte Frauen in Paris für einen Mann wie Sie. Was wollen Sie von mir? Ich hab’ einen komplizierten Tag.
– Ich erkenne Qualität, wenn ich sie sehe.
– Gratuliere, sage ich.
Er nickt.
– Darf ich – ?
– Selbstverständlich.

Zieh’ jetzt die Sonnenbrille wieder auf.
Der Mann hat Vergnügen an seinen Zähnen: alles andere als diskret, sein Gebiss. Er zeigt es dir.
Vorhin hat er dir Kuchen bringen lassen, vielmehr das Mädchen mit dem Silbertablett geschickt. Sie läuft alle paar Minuten hochhackig durch die Assemblage der Tische, seinen Wünschen immer einen Schritt voraus. (Er macht das hier nicht zum ersten Mal. Klar.)

– Danke. Keinen Zucker.
– Nehmen Sie Erdbeeren stattdessen, rät Wael. – Und setzen Sie sich neben mich.
Das Kuchenmädchen schiebt deine über dem Schälchen schwebende Hand weg.
– Ich bringe sie ihnen, sagt sie.

Formfehler: Greif’ nicht nach etwas, das auf einem Tablett angeboten wird, merk’ dir das.

– Was möchtest du dazu trinken? fragt er, nachdem das Kuchenmädchen die frisch frisierten Erdbeeren vor mir abgestellt hat.
– Einen Chardonnais.
– Und du? fragt er nach rechts.
Die Fremde lacht: – Champagner, bitte.

Erst jetzt bemerkst du, dass eine weitere Kandidatin an den Tisch gekommen ist. Das ist sehr gut. Das Spielfeld ist eröffnet.
Wael lehnt sich zurück.

Farah Days Tagebuch, 35

Montag, 3. August 2015

LeBlanc und ich waren in Paris vor einem alten, mehrstöckigen Haus mit Garten. Der war verwildert. Das Haus vom Anfang letzten Jahrhunderts, solide gebaut, doch auf charmante Weise heruntergekommen. Die braune Farbe auf den Fensterläden blätterte seit Jahrzehnten, wie es schien, die Fassade hatte schon so viele Regengüsse und Stürme überstanden, dass nicht mehr zu erkennen war, welchen Anstrich sie ursprünglich gehabt hatte. Ich fragte mich kurz, ob ich Lust hätte, den Besitzern des Hauses meine Hilfe anzubieten; wahrscheinlich hatte es ein paar Instandsetzungsmaßnahmen nötig. Ich entschied mich aber dagegen.
Im Garten hielten sich mehrere Menschen auf, alle jünger als wir. Ein buntes Völkchen, alle freundlich und irgendwie beschäftigt. Ein Pärchen ging gerade, als ich von rechts aufs Grundstück kam, durch das schief in den Angeln hängende Gartenpförtchen raus auf die Straße. Eines dieser Jungpaare: schlaksig, das Mädchen bildhübsch, das Haar fast weißblond gefärbt und struppigkurz, bladerunnermäßig.

Ich sah ihnen nach. Ließ den Blick über die übrigen jungen Leute schweifen, die sich auf dem Grundstück aufhielten, ohne uns besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Für mich fühlte es sich vielleicht gerade deswegen an, als gehörte ich sowieso dazu.
Aus diesem Grundgefühl heraus folgte ich auch ohne nachzudenken einer jungen Frau, die als nächste den Garten verließ. Ich ging neben ihr, sprach sie aber nicht an. Wir liefen eine Weile durch die Banlieue, bis sie abbog und durch die offenstehende Tür eines Hauses trat. Ich hinterher. Wir stiegen über eine knarrende, abgetretene Holztreppe hinauf in den zweiten Stock.
In der Wohnung, die wir betraten, ohne dass uns jemand geöffnet hätte, lebte ein Geschöpf Anfang zwanzig, der ebenso Mädchen wie Junge hätte sein können.
Ich erinnere mich nicht, was er/sie zu der jungen Frau sagte; die beiden schienen sich zu kennen. Seltsam, dass ich sofort wusste, ich alleine wäre dieser Person niemals begegnet, so zurückgezogen schien sie zu leben.
Ich fand das junge Wesen wahnsinnig schön – eine Art Momo-Figur. Sie war zurückhaltend, ohne im geringsten ängstlich zu wirken und unterhielt sich leise mit der jungen Frau, die mich hergeführt hatte. Worüber, weiß ich nicht mehr. Weiß nur noch, wie fasziniert ich war, dass jemand sexuell so diffus sein konnte und dabei so anziehend. Oder gerade deswegen.

Jedenfalls dachte ich, die möchte ich unbedingt fotografieren. Das Momo-Geschöpf willigte ein, stellte sich ohne zu zögern auf eine bestimmte Stelle im Wohnzimmer.
Und hier wird der Traum sehr speziell: Ich erinnere mich deutlich an mein andächtiges Gefühl, während ich durch den Sucher sah. Wie sich das Bild des Wohnzimmers durch die Linse vor mir auftat mit dem Geschöpf in der Mitte, rechts und links gefasst von den Flügeltüren, die ins nächste Zimmer führten. Das Bildmotiv samt menschlicher Figur war perfekt symmetrisch, sogar der Teppich, auf dem er/sie stand und mich anblickte. Ein Rorschach-Moment. Die Tapete an den Wänden sepiafarben, das Licht im Raum wie Honig, niemand sagte etwas, der Zwitter stand nur da, sah mich an, meine Begleiterin war ins Nebenzimmer gegangen. Ich fühlte mich durch und durch friedlich.
Ich drückte ab.

Warum mich dieser Traum beschäftigt? Der Symmetrie wegen. Hab’ oft über sie nachgedacht in Bezug auf Beziehungen und Gefühle: wie selten sie stattfindet. Dass wahrscheinlich ein Moment der Symmetrie auch einer des Glücks ist. Wenn man sich ein paar Minuten, Sekunden vielleicht nur, einbilden kann, mit dem Außen, dem Anderen, deckungsgleich zu sein. Wie ruhig man da wird. Als wäre man angekommen.
Dann eine Geste, ein Blick, ein Wort und man wird hinauskatapultiert, ist wieder bei sich und der Differenz. Allein.

In der Traumszene kam diese Differenz nicht vor. Es schien, als wäre ich selbst das Haus, der Garten, die Personen, ja sogar das Bild, das ich in der Wohnung durch den Sucher sah. Einen Augenblick lang spürte ich eine Schönheit und Ruhe, die ich mir nicht beobachtend aneignen musste, weil sie mir bereits eigen war.