“Wenn ein Igel Musik hört, fängt er an zu tanzen.”
Könnten Würden Sie nach Ihrem ersten Jahr Jahr in Eritrea schon einen Text auf Tigrinya oder Arabisch schreiben, in dem ein so poetischer Satz vorkommt?
“Schreibe in die obere Hand eine Botschaft an Deine Freunde. Und in die zweite eine Botschaft an die Welt”, sagte ich zu Hawa und den Jungs.
Hier ist, was Tesfaldet, Hawa, Ablel, Ismail, Abdinasir, Abdisamed, Harun und die anderen gestern auf der Wand hinterlassen haben, als sie gingen.
Ich bin immer für dich da im guten Moment.
Helft denen, die kein zuhause haben und zu essen.
Meine Freunde. Ihr seid meine Leute! Ich vergesse euch niemals, weil ihr seid mein ganzes Leben an meiner Seite geblieben.
Ich bin auf die Welt gekommen, obwohl ich ganicht wusste wie sie sieht aus und ich habe einfach gelernt was man braucht.
Ich vermisse meine Freunde sehr. Dieses Leben ohne euch ist verdammt scheisse für mich.
Ich lebe auf dieser Erde, obwohl andere Menschen verhungern müssen. Wann gibt es Weltfrieden?
Mein Schatz, keine Sorge. Solange ich für dich da bin, kämpfen wir beide bis zum Ende.
Liebe Welt, du hast uns gezeigt, dass krieg und Armut schlecht für die Menschen sind, also zeig uns jetzt, dass es auch anders geht.
Ich bin mit euch immer glücklich. Ich vermisse euch.
Man kann nicht so viele Jahre leben in der Welt. Nutzt die Zeit, die euch bleibt.
Ich will immer bei euch sein, ich vermisse euch sehr. Ich kann nicht ohne euch leben.
Ich will Weltfrieden.
Meine Freunde. Ich habe euch beim Fussballspielen kennen gelernt. Und ich will weiter mit euch spielen.
Die Welt sehr schön. Ich will dass die Welt deswegen kein Krieg und alle es wertschätzen.
Hassan, ich vermisse dich. Weil wir immer so viel Spaß zusammen hatten.
Ich wünsche allen Menschen, dass sie Fußball spielen können und dürfen.
Meine Freunde! Ihr seid die besten. Noch besser als die in den guten Filmen.
Hallo Welt! Du bist so schön. Ich finde es schade, dass die Menschen deine Schönheit nicht wertschätzen.
Sie haben keinen Schimmer, wo Schmitten liegt? Das wussten meine Jungs ganz sicher auch nicht, als sie vor etwas über einem Jahr aus Somalia aufbrachen. Jetzt aber wissen sie’s, dort leben sie nämlich inzwischen.
Dass sie jetzt, nebst einem Mädchen, bei mir im Freestyle-Schreibzimmer des Weltkulturen Museums sitzen, ist verrückt in allen Bedeutungen der Okabel.
(“Okabel”klingt irgendwie weltläufiger als “Vokabel”, oder?)
(( Und “weltläufig”, je länger ich darüber nachsinne, klingt definitiv ein bisschen pikant.))
Mittwoch, 7. Oktober 2015
Noch bis zum Ende der Woche Sprech- und Schreibtraining. Und bereits jetzt die Überlegung, wer das mit ihnen weitermachen wird, wenn mein Part beendet ist. Wird jemand?
Zum Workshop für die Autorinnen und Autoren der so genannten “Bibiothek der Generationen”, den ich zweimal jährlich im Auftrag des Historischen Museums abhalte, hat sich mit der Zeit eine kleine feste Gruppe zusammengefunden. Wenn Sie genau hinsehen, erkennen Sie Herrn XY, wie er von draußen erst einmal vorsichtig das Arbeitsumfeld sondiert.
Die Kursleiterin ist noch angeschlagen, hat aber beschlossen, diesem Zustand nicht weiter Rechnung zu tragen. Aus leisem trotz (Ich schreib’ den extra klein, er schwankt nämlich gerade) hab’ ich beschlossen, heute mein neues Trainingsprogramm zu beginnen. Der Athlet, gestähltester unter meinen Vertrauten, hat sich bereit erklärt, meinen von Arbeit und Herztaumel der vergangenen Monate geschwächten Körper wieder in Form zu bringen.
Argh.
In dreißig Minuten geht’s an die Hanteln.
Mein Schreibkurs beginnt um halb sechs.
Wie sich ersteres auf zweiteres auswirken wird, wage ich momentan kaum, mir vorzustellen ; )
Madame sprach gestern im getäfelten Raum des Weltkulturen Museum vor einer stattlichen Anzahl von Gästen über die Arbeit der vergangenen Monate. Zu welchem Anlass, hatte ich ja gestern schon erzählt. Und da mir der gestrige Tag immer noch nachgeht mit allen seinen Nervositäten und Höhepunkten und Erleichterungen (((nicht zu vergessen unverhohlen vorgetragenen Triumphgesten))) dachte ich, Sie möchten vielleicht auch ein bisschen daran teilhaben. Deswegen hier meine Rede:
Was für ein Vorhaben!
Dreiundzwanzig Frauen mit insgesamt siebzehn verschiedenen Muttersprachen haben sich seit September vergangenen Jahres einmal monatlich im Dachgeschoss des Weltkulturen Museum zusammengefunden, um sich dem Abenteuer des Schreibens in deutscher Sprache hinzugeben.
– Was daran abenteuerlich ist, fragen Sie?
Nun, zunächst einmal ist ja schon das >>> SABA-Stipendium selbst ein Abenteuer für die Frauen.
Denn wer wagt das schon, was sie gewagt haben? Wer von uns traut sich, die gut eingespielten Strukturen in Frage zu stellen, die unser Leben ausmachen, um nach Weisheit zu suchen, genau so, wie es der legendären Königin von Saba nachgesagt wird?
Das Älterwerden, beispielsweise, gibt uns eine Struktur vor.
Die Kinder, Eheverhältnisse, Freundeskreise, die sozialen Bündnisse.
Gut kochen zu können gibt Struktur.
Ein bestimmtes Äußeres zu haben.
Das Nervenkostüm, ob stark oder schwach, gibt Struktur.
Auch ein gerüttelt Maß, wie es meine Großmutter genannt hätte, also über ein gerüttelt Maß an Vernunft zu verfügen, gibt Struktur.
Ist das denn nicht genug für ein stabiles und gutes Leben? Warum weitersuchen nach neuen Herausforderungen?
Womit wir schon ein bisschen beim Thema wären… denn haben Sie sich nicht eben gefragt, woher sie stammt, diese Redewendung? Ein „gerüttelt Maß“?
Gerüttelt bezeichnet eine ansehnliche Menge von etwas. Es ist ein altes Händler-Wort.
Stellen Sie vor, sie haben ein Kilo Kaffee gekauft, doch der Behälter in ihrer Küche, in dem sie ihren Kaffee aufbewahren, ist ein bisschen zu klein. Sie müssen also das Gefäß vorsichtig etwas rütteln, damit sie ihre Kaffeedose zukriegen. Vielleicht schlagen sie sie auch ein paar Mal vorsichtig auf dem Küchentisch auf, dann setzt sich das Pulver besser. Und schließlich klappen sie den Deckel zu mit dem guten Gefühl, wieder eine bis an den Rand gefüllte Dose Kaffee im Schrank stehen zu haben.
Irgendwann hat dann jemand angefangen, das gerüttelt Maß auch für andere Zusammenhänge zu verwenden. Wenn man ausdrücken wollte, dass wirklich viel von etwas verwendet wurde.
Man kann jemandem ein gerüttelt Maß an Fragen an den Kopf werfen, ebenso, wie man versuchen kann, sich ein gerüttelt Maß an Bildung anzueignen. Oder an Wortschatz.
Inzwischen wird die Redewendung nur noch selten verwendet, aber zum Ausgleich sind unzählige andere entstanden. Viele von ihnen auch durch die Vermischung der Kulturen.
– Warum ich Ihnen das erzähle?
Ganz einfach, um den Unterschied zu zeigen.
Wenn man nämlich eine Sprache lernt, mit Leidenschaft lernt, wird man zu einem Gefäß, das immer mitwächst. Egal, wie viele Wörter man schon in sich aufbewahrt, man ist nie zu klein für die neuen.
Was mich daran erinnert, wie meine Freundin Parastou vor vielen, vielen Jahren aus Teheran nach Deutschland kam, um an der Kunsthochschule Malerei zu studieren, an der auch ich studierte.
Als ich sie kennen lernte, sprach sie noch sehr gebrochen Deutsch, doch je enger unsere Freundschaft wurde, desto umfangreicher wurde ihr Wortschatz und desto mehr Freude bekam sie an der deutschen Sprache.
Immer, wenn wir, ihre Freunde, ein Wort oder eine Redewendung fanden, die wir besonders mochten, schrieben wir sie in Parastous Küche an die Wörterwand. Als Geschenk.
Die mit den Jahren immer umfangreichere Wörtersammlung war für uns alle ein Schatz, nicht nur für meine Freundin: da schrieb auch immer wieder mal jemand einen Begriff oder eine Redewendung dazu, die man selbst schon lange nicht mehr benutzt, oder sogar vorher noch nicht gekannt hatte.
So lernten wir miteinander.
Eine der SABA-Stipendiatinnen sagte kürzlich, ein guter Lehrer müsse auch ein guter Freund sein können. Man kann es auch umgekehrt formulieren: Gute Freunde sollten auch gute Lehrer sein wollen.
Wir alle lernen voneinander, nein, besser, wir alle sind mittendrin im Lernen.
Es gibt kein abgeschlossenes Lernen.
Leute, die glauben, sie wüssten schon alles, sind keine interessanten Gesprächspartner, finden sie nicht? Viel spannender sind die ewig Neugierigen. Die Hungrigen. Die Wissensdurstigen. Also alle diejenigen, die bereit sind, sich zu bewegen, etwas in Gang zu setzen, meinetwegen auch zu kämpfen, wenn es nötig ist, um ihrer Lebenslust und ihrem Wissensdurst Platz zu verschaffen.
Das ist etwas, das die SABA-Frauen wissen. Was auch ihre Familien und Freunde wissen, die sie auf dem neuen Weg unterstützen, den sie eingeschlagen haben.
…Einen Weg einschlagen: Das klingt doch so, als lägen da einige Hindernisse quer drüber, stimmt’s? Um einen Weg einzuschlagen, braucht man manchmal eine Axt oder zumindest eine Machete, um ihn freizubekommen, nicht wahr?
Was Hindernisse sind, wissen wir alle. Davon haben wir alle schon ein gerüttelt Maß erlebt.
Aber – Achtung, neue Redewendung! – klein beigeben wollen wir doch nicht. Und die SABA-Frauen erst recht nicht.
… „Klein beigeben“ stammt übrigens aus dem Kartenspiel. Ein Spieler gibt klein bei, wenn er hohen Karten des Gegenspielers nichts entgegenzusetzen hat und nur kleine, also wertlose Karten ins Spiel geben kann.
Will heißen: Man gibt auf. Klein beigeben heißt resignieren.
Und das ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was wir die vergangenen Monate miteinander getan haben.
Wir haben einen Weg eingeschlagen, zusammen, einfach mit Lust und Sympathie und Neugier auf das, was in unserer Reichweite liegt. Denn Wörter haben den ungeheuren Vorteil, dass sie einfach um uns herumschwirren. Sie kosten nichts! Man muss sie nur einfangen und zum Schreiben verwenden. Je mehr man davon in sich aufbewahrt, desto leichter wird das mit dem Schreiben.
Ein Wortschatz, im Gegensatz zu anderen Schätzen, wird nicht weniger, wenn man ihn verschenkt. Ist das nicht großartig?
Deswegen haben wir das Einfangen von Wörtern geübt. Wir haben mit der Sprache gespielt. Uns ist mit der Zeit auch klar geworden, welche Schätze wir in unseren Erinnerungen mit uns tragen! Wie wir sie mit dem Schreiben ans Licht bringen und mit anderen teilen können und wie stark das macht.
Sie werden sehen, liebe Gäste, wie unterschiedlich die Texte sind, die wir ihnen heute zeigen und vorlesen. Manche stehen ganz frei, manche sind zu Geschichten geworden, manche sind zärtlich, andere frech und ein paar sind so leise, dass sie wirken, als würden sie einem ins Ohr geflüstert.
Ich bin sehr stolz, ein Teil von alldem gewesen zu sein.
Es war mir eine Ehre, Euch manchmal einen Stubs in die ein- oder andere Richtung geben zu dürfen, anregen zu dürfen, animieren zu dürfen. Ihr seid mir ans Herz gewachsen, Ihr SABA-Frauen. Ich bin stolz auf Euch.
Ihr habt mir ein gerüttelt Maß an Erfahrungen geschenkt. Und wenn mir irgendwann mal der Mut fehlen sollte, mich auf ein Abenteuer einzulassen, werde ich an Euch denken und mit welcher Courage Ihr den Weg in ein neues Lernen eingeschlagen habt.
Ganz ohne Axt.
Ich danke euch.
Und hier >>> noch ein bisschen Presse.
Guten Morgen!
Madame wird sich demnächst ins Weltkulturen Museum begeben, um mit “ihren” Stipendiatinnen das Vorlesen der Texte am Rednerinnenpult einzuüben, die sie in den vergangenen neun Monaten geschrieben haben.
Sie wissen schon: das vermaledeite Mikrophon! Ist man zu dicht dran knackts, ist man zu weit weg, werden die hinteren Publikumsreihen unruhig.
Deswegen rappeln wir uns alle, also Madame, das Stiftungsteam und vierundzwanzig Frauen mit insgesamt achtzehn verschiedenen Muttersprachen, an diesem sonnigen Sonntag schon so zeitig aus den Betten.
Wegen der Mikro-Sache. Und zum Einstimmen. Damit wir unsere Gäste, die ab 14:00 Uhr einlaufen, festen Blickes empfangen können.
Sollten Sie in der Stadt sein, schauen Sie doch vorbei! Wir lesen und feiern im Weltkulturen Labor des Weltkulturen Museum, Schaumainkai 37.
Es gibt viel zu sehen, zu lesen und zu hören, und im Park hinterm Museum steht ein Zelt fürs Kulinarische.
Da lassen wir uns nicht lumpen, gell.
Wie wir auf den Ausstellungstitel kamen? Immer, wenn der Text einer Teilnehmerin uns während der Vorleserunden besonders beeindruckte, kürte ich ihn mit einem Eulen-Sticker.
Nach einer Weile rief dann immer schon jemand “Eule kommt!” in den Applaus hinein, bevor ich überhaupt etwas sagen konnte. So wurde Eule kommt zum Code-Wort für einen überzeugenden Text.
Auf jeden Fall ist Madame ein bisschen aufgeregt; wir erwarten zweihundert Besucher. Am besten, ich übe meine eigene Rede schnell noch einmal, bevor ich aufbreche…
Schönen Tag, allerseits! Und vielleicht bis später.
Herzlich:
TT
lassen die Keksdose der Trainerin nicht aus den Augen und formulieren ihre Bedürfnisse oft sehr präzise mittels in die Höhe gereckter Zettel:
(((Sie ahnen es, geschätzte Leser:innen: Madame muss langsam mal wieder r a u s.
Aber im Juli und August geht’s ins Refugium. Schneckendasein, Zeichnen, Fabulieren.
Und bis dahin wirft sie sich von einem Workshop in den nächsten. Und genießt es.
Meistens. )))
EGAL:
Schneide 50 Wörter aus der Zeitung aus, die dir völlig egal sind. Sie müssen nicht zusammenpassen.
Dann nimm dir ein Blatt und ordne die Wörter so auf dem Papier, dass Sätze daraus werden, die auch völlig egal sind. Klebe die Wörter dann fest.
Versuche, den egalsten Text zu schreiben, den du kannst!
Sie sehen, geschätzte Leser:innen, Madame ist heute auf alles gefasst. *Lacht*
Schönen Tag, allerseits, und bis später!
TT