Die Sprache der Anderen, 30

(…) “Vom Garagentüftler zu Milliardär – ist das nicht die alte Formel des american way of life “Vom Tellerwäscher zum Millionär”. In ihrer Konsequenz läuft diese Idee darauf hin, dass die weniger Erfolgreichen, die in ihrem Leben Gescheiterten, selbst schuld sind an ihrem Unglück. Sie haben einfach nicht auf ihre innere Stimme gehört, den Kalligraphieunterricht geschwänzt, waren nicht begeistert und fleißig genug. Wir wissen, dass es anders ist, viele Leute sitzen im fremdverschuldeten Unglück, um ihre Ersparnisse betrogen, um ihren Arbeitsplatz, um die Teilhabe an unserer Gesellschaft. Sie sitzen mit leeren Händen in der Garage, und sie ist leer. Eventuell könnten sie dort Blumenbinden für die Rosenverkäufermafia, aber das wird ihnen nur dornige Finger bringen. Aber selbst, wenn sie aus Nichts etwas Geniales machen, es wird ihnen keiner abkaufen. Unsere Gesellschaft hat was Schichtung betrifft, ihre Durchlässigkeit verloren. Man mauert nach unten wie oben. Die unteren Schichten wollen nicht ihre besten Leute an die höhere Schicht verlieren, die von oben wollen keine Konkurrenz.” (…)

Trithemius in einem >>> Kommentar zu einem Beitrag über Steve Jobs, bei >>> Eugene Faust, 07.10.2011

Die Sprache der Anderen, 29

[…]
“Das ist ein untrügliches Kennzeichen von Bildung: dass einer Wissen nicht als blosse
Ansammlung von Information, als vergnüglichen Zeitvertreib oder gesellschaftliches
Dekor betrachtet, sondern als etwas, das innere Veränderung und Erweiterung bedeu-
ten kann, die handlungswirksam wird. Das gilt nicht nur, wenn es um moralisch be-
deutsame Dinge geht. Der Gebildete wird auch durch Poesie ein anderer. Das unter-
scheidet ihn vom Bildungsbürger und Bildungsspiesser.
Der Leser von Sachbüchern hat einen Chor von Stimmen im Kopf, wenn er nach dem
richtigen Urteil in einer Sache sucht. Er ist nicht mehr allein. Und es geschieht etwas
mit ihm, wenn er Voltaire, Freud, Bultmann oder Darwin liest. Er sieht die Welt danach
anders, kann anders, differenzierter darüber reden und mehr Zusammenhänge erken-
nen.
Der Leser von Literatur lernt noch etwas anderes: wie man über das Denken, Wollen
und Fühlen von Menschen sprechen kann. Er lernt die Sprache der Seele. Er lernt,
dass man derselben Sache gegenüber anders empfinden kann, als er es gewohnt ist.
Andere Liebe, anderer Hass. Er lernt neue Wörter und neue Metaphern für seelisches
Geschehen. Er kann, weil sein Wortschatz, sein begriffliches Repertoire, grösser ge-
worden ist, nun nuancierter über sein Erleben reden, und das wiederum ermöglicht
ihm, differenzierter zu empfinden.
Jetzt haben wir eine weitere Definition von Bildung: Der Gebildete ist einer, der besser
und interessanter über die Welt und sich selbst zu reden versteht als diejenigen, die
immer nur die Wortfetzen und Gedankensplitter wiederholen, die ihnen vor langer Zeit
einmal zugestossen sind. Seine Fähigkeit, sich besser zu artikulieren, erlaubt ihm, sein
Selbstverständnis immer weiter zu vertiefen und fortzuspinnen, wissend, dass das nie
aufhört, weil es kein Ankommen bei einer Essenz des Selbst gibt.” […]

Auszug aus: “Wie wäre es, gebildet zu sein?”
Festrede Prof. Dr. Peter Bieri, PH Bern, 2005

Die Sprache der Anderen, 27

„Bei uns kommen die Mädchen vor der Hochzeit in den Fatroom. Je reicher die Familie, desto länger bleiben sie drin. Manchmal drei Jahre. Niemand darf sich ihnen nähern außer den Frauen, die sie mästen. Das Fett wird täglich in Form massiert. Es ist eine Ehrensache.“
„Wohin soll es denn?“
Sie stellt sich in Positur, streicht grinsend über ihre Schenkel, die Körpermitte, den Hintern. „Auch sehr wichtig“ sagt sie und hebt die Oberarme, „dieser Teil hier. Wenn die Mädchen rauskommen sind die so fett wie nur irgend möglich. Es ist gut und fest und genau an den richtigen Stellen.“
„Du bist aber schlank“
„Meine Mutter wollte das damals nicht.“

[Weltkulturenmuseum Frankfurt, Privatgespräch, 21.6.2011]

Die Sprache der Anderen, 26

„Ich finde es gut, wenn du dich unsicher zeigst.“
„Wirklich? Du weißt, wohin das führt.“
„Nee, wohin denn?“
„Wenn ich zuviel frage, wirst du mich irgendwann nicht mehr für voll nehmen.“
„So ein Quatsch! Wie kommst du darauf, dass Fragen was mit Unsicherheit zu tun hat? Du zeigst, dass du neugierig bist, statt einfach einen Standpunkt zu markieren. Nur einen Punkt… wie ein Diskuswerfer ohne Diskus, der zufrieden damit ist, sich immer nur im Kreis zu drehen…“
„Aber du weißt, wo du mich findest. Ich muss klar für dich sein. Sonst begehrst du mich nicht.“
„Was soll das denn jetzt? Als ob es darum ginge!“
„Oh doch. Auch. Du und deine Harmoniesucht. Und wie du das Verirren in Kauf nimmst. Wie du, was du kannst und weißt immer wieder relativierst, fast zwanghaft. Stell’ dir einfach vor, ich würde das genauso machen. Würdest du dann noch mit mir ficken wollen mich dann noch begehren?“
„Das ist unfair! So wie du es darstellst, will wohl niemand so sein!“
„Lenk’ nicht ab! Würdest du?“

Die Sprache der Anderen, 25

“talent sei ein hunger, der zu stillen sei, manchmal reicht’s für delikatessen, aber das stillen besorge oft ein aldi, weil dem hunger doch immer etwas entgegenzuhalten sei, so daß man immer in dieselbe kerbe seine schneidezähne hiebe, bis irgendwann der baum umfällt: talent sei ein biber, dachte ich. er beschädigt die wälder und die wasserläufe.”

Parallalie, in einem Kommentar vom 20. Dezember 2010

Die Sprache der Anderen, 23

“Ich wurde nur dafür geliebt, dass ich die Bedürfnisse der anderen erfüllte. Ich komme aus einer Familie, in der Wut nicht erlaubt und Übergriffigkeit normal war. Die Grenzen der Anderen waren wichtiger als meine eigenen und wurden besser verteidigt, als ich meine verteidigen konnte.”

Aus einer privaten email-Korrespondenz vom 21. April 2011

Die Sprache der Anderen, 22

Von virtuellen Häusern. Und Menschen.

“Räume bauen, in die das Licht nicht mit Eimern getragen werden muß. Mit Fenstern zum Hinein- und Hinausschauen, mit Türen, die man in beide Richtungen benutzen kann. In diesen Räumen wird kommuniziert, manche geben etwas zum besten, andere schweigen lieber, doch das wechselt natürlich, je nach Thema. So könnte man das Wesen eines Blogs ohne Inanspruchnahme von Theorie umschreiben, denke ich. So weit so gut. Dennoch stehen mindestens zwei wichtige Fragen im Raum: wollen diejenigen, die sich im Raum befinden, unter sich bleiben, eine mehr oder weniger homogene Interessensgruppe bilden, oder wollen sie Interessierten den Zugang von außen gewähren? Gemeinhin gilt sicher letzteres, doch dann taucht die Frage auf nach den Regeln, an die sich alle zu halten haben. So weit, so schlicht. (…) Ein Blog kann sicher ein Wir-Gefühl erzeugen, doch dann sollte dieses Wir auch aus einzelnen Ichs bestehen. Denke ich.”

Norbert W. Schlinkert in einem Kommentar vom 26. Januar 2011

“Durch die Virtualität der Beteiligten erlischt nicht die Verpflichtung, sie als ganze, dreidimensionale Wesen zu erkennen. (…)
Ich hatte eher jenes Erkennen im Sinn, welches man als “sich bewußt machen als …” interpretieren kann. So dass man sich der Vielschichtigkeit und Komplexität des (virtuellen) Gegenübers bewusst wird, ohne dazu dessen persönliche Besonderheiten kennen zu müssen.
Vielleicht am ehesten zu vergleichen mit dem Erkennen z.B. eines Hauses. Man weiß, auch ohne das Haus betreten zu haben und seine Besonderheiten zu kennen, dass es ein Haus ist, vermutlich Zimmer und Türen besitzt, eine Heizung, vielleicht einen Keller etc. … Sie wissen was ich meine.”

Schreiben wie Atmen in einem Kommentar vom 11. Februar 2011

Die Sprache der Anderen, 21

[…]
“You know, we’re very different, you and me,” Katz said. “I don’t do vision. I don’t do belief. And I’m impatient with the kiddies. You remember that about me, right?”
   “I remember that you’re often wrong about yourself. I think you believe in a lot more than you give yourself credit for. You’ve got a whole cult following because of your integrity.”
“Integrity’s a neutral value. Hyenas have integrity, too. They’re pure hyena.”
[…]

Katz und Walter im Gespräch.
aus: Jonathan Franzen, “Freedom”, Farrar, Straus & Giroux, 2010

(Das Buch packt mich. Werde, hoffentlich, mehr darüber schreiben, wenn ich durch bin)