ist der Strand.
Madame TT’s Lektüreplatz Nr. 7, rive gauche.
Wünsche allen von Ihnen die keinen Urlaub haben und an ihren Schreibtischen schmoren einen wunderbaren Tag!
Herzlich,
TT
Man beachte –
Nein, vergessen Sie’s. Auf das Offensichtliche soll man nicht hinweisen : )
Hier noch ein kleines Zitat aus meiner derzeitigen Lektüre:
“Ich glaube, ich werde verrückt. Wenn ich nicht noch verrückter werde, stecke ich fest.” (Barry Stevens)
Im letzten Winter hatte ich mir vorgenommen, mehr dem Irrationalen zu frönen. Den Gehalt meiner Ideen und Erfahrungen nicht immer sofort daraufhin zu überprüfen, ob sie verwertbar sind, ob ich sie beispielsweise in meinen Seminaren verwenden kann, ob sie Bestand haben. Irrational wäre auch, mehr Exzentrik zuzulassen: nicht mehr so darauf zu schauen, ob sich bestimmte Verhaltensweisen und Ideen mit dem vereinbaren lassen, was andere als angenehm empfinden.
“Alle Wahrnehmung ist immer Kollage” schrieb Schneck vorgestern unter den Lektüre-Liveticker Text. Es wäre schön, diese Kollage (sie Stückwerk zu nennen, wäre bereits wieder wertend) vor sich selbst bestehen zu lassen, nicht ständig stringent sein zu wollen, es wäre großartig, den Inneren Wolpertinger auch im Außen häufiger sichtbar werden zu lassen. Sehr vernünftig, gerade im Arbeitsleben, wäre das nicht: Meiner Erfahrung nach lieben die Leute es, wenn man einen Stil hat. Ausgeprägt ist. Klingt aber schwer nach Stanze, finden Sie nicht?
“Ich gedenke, in den nächsten Jahren zunehmend exzentrischer zu werden” kündigte ich einem meiner langjährigen Auftraggeber vor ein paar Wochen an. Er grinste nur, schien nicht weiter beunruhigt. (Eben fällt mir das Wort “großspurig” ein. Meine Ankündigung war großspurig, und, what the hell, was ist eigentlich gegen große Spuren einzuwenden, hm?)
Sie sehen also, es geht weiter. Die Vernunft, Verbündete und Sklaventreiberin in einem, ich kann ihr unmöglich weiterhin den Regiestuhl an meiner Seite zugestehen, selbst wenn ihr Name für alle sichtbar in Großbuchstaben auf der Rückenlehne prangt. Ich stelle mir gerade vor, dass es ein Klappstuhl ist, wie an Filmsets üblich. Hui! Wenn ich ihn nicht brauche, klappe ich ihn einfach zusammen. (Und ahne schon, dass er klemmt, und wie)
Gerade fange ich an, mich diebisch auf die nächsten Jahre zu freuen. Auf das Kauzigwerden. Vielleicht zeichne ich mir Schmuckfalten ins Gesicht.
(Für den Rücken muss ich mir noch was überlegen…)
Wie alle Kinder in Frankreich hab’ auch ich die Galette des Rois, den Kuchen der Könige, geliebt.
Immer am 6. Januar gab es in allen Bäckereien diese wahnsinnig süßen, runden Kuchen mit Marzipanfüllung, in die jeweils eine “Fève”, eine “Dicke Bohne” eingebacken war. Wobei “Bohne” die Sache nicht ganz trifft, denn die Fèves waren Porzellan-Figürchen, kleine Männchen und Weiblein, Madonnen, Babys, Königinnen und Könige, Phantasiefiguren oder Personnage aus Comics oder Fernsehserien und vieles mehr. Man konnte sich locker die Zähne an ihnen ausbeißen, wenn man nicht vorsichtig war. (Unnötig zu erwähnen, dass die Fèves inzwischen aus Plastik sind, oder?)
Die Galette kam zudem mit einer Krone aus goldfarbener Pappe: wer nämlich die fève in seinem Stück fand, war König oder Königin für einen Tag und durfte r e g i e r e n!
Der Kuchen wurde in ebenso viele Teile geteilt, wie Leute um den Tisch versammelt waren. In manchen Familien (zu denen meine nicht zählte, muss ich gestehen) schnitt man, der Tradition folgend, ein zusätzliches Stück für “die Armen” von der Galette… das dann für die nächste Person, die zu Besuch kam, reserviert gewesen wäre. Doch was, wenn ausgerechnet in diesem Stück die Fève versteckt war? Das konnten wir Kinder keinesfalls dulden.
Das jüngste, also vermeintlich unschuldigste von uns (das war fast immer ich) musste nach dem Schneiden des Kuchens unter den Tisch krabbeln und ausrufen, wer als Nächstes ein Stück bekommen sollte, bis alle verteilt waren. (Wie ich da unten saß und dachte, wenn ich die Fève nicht kriege, sterbe ich bestimmt)
So. Kleiner Exkurs in die Vergangenheit beendet. Da ich die Fève nicht oft in meinem Stück fand, durfte ich leider selten regieren. Ein Manko, das ich inzwischen nachgeholt habe ; )
Die alte Dame hatte ursprünglich mal einen Blumenladen, in den aber ob ihrer Sammel-Leidenschaft schon lange keine Blumen mehr hineinpassen; auch sie selbst kann sich nur mit Mühe durch die einzig verbleibende Gasse in ihn hineinzwängen, wenn sie sich für ihr Mittagsschläfchen zurückziehen will. Da der Laden seiner Bestimmung nicht mehr gerecht werden kann, hat Madame zwei Topfpflanzen auf dem Trottoir stehen, die niemand sich zu kaufen traut, und einen Kübel mit Frischblumen – den aber nur, wenn sie gute Laune hat, was nicht oft vorkommt.
Hinzu kommen zwei Klappstühle (die Dame ist zu alt, um schwer zu schleppen) und ein Tischchen für ihre Limonade und die Zigaretten. Auf den zweiten Klappstuhl darf man sich setzen und ihr Gesellschaft leisten, wenn man sehr privilegiert ist. (Ein Vorrecht, das ich noch nicht das Glück hatte, gewährt zu bekommen, aber ich bleib’ dran; ich liebe Herausforderungen ; )
Der Himmel über Paris heute schwer verhangen, selbst die Stimmen der Krähen klingen nässlich.
Der Chopin im Freien gestern wäre sicher toll gewesen …. stattdessen, auf dem Fußweg dorthin, blieb Madame TT auf einem Stadtteilflohmarkt hängen, der war so angenehm schludrig, üppig, vor allem aber billig, dass sie den Chopin ganz vergass. Und sich stattdessen ein Buch kaufte, wie es heute nicht mehr gebraucht wird… eines, das in Zeiten handschriftlicher Korrespondenz aber wichtig war: Es diente dazu, die eigenen Briefe zu kopieren, bevor man sie abschickte.
Toll, oder? 500 Seiten nummeriertes, hauchdünnes Pauspapier, man legte den fertigen Brief unter eine dieser Seiten, schrieb ihn ab und trug den Namen des Adressaten samt Datum in das Adressregister im hinteren Teil des Buches ein. Ich konnte einfach nicht widerstehen: Vielleicht mache ich Frottagen in dieses Buch, oder einfach Skizzen… das Papier ist so dünn, dass man mit diesem Durchschein-Effekt sicher großartig herumexperimentieren kann. Falls man den Respekt vor dem Buch verliert – gar nicht so einfach, denn ich bezweifle, dass es noch viele un-beschriebene dieser Art gibt… wir schreiben ja lieber Mails und lassen uns gründlich ausspionieren…
Und die Handschuhe? Na hören Sie, weiße Lederhandschuhe braucht Frau doch geradezu ständig!
So. Erstmal den Plan für die Juli-Text der Stiftungswebsite machen, damit ich den Kopf frei habe : )
Schönen Tag allerseits!
Mesdames, Messieurs,
patientez-vous s.v.p., Madame TT à décidé d’aller au Jardin du Louxembourg pour savourer un concert de Chopin en plein air. Ne vous faites pas de mauvais sang, elle retournera ce soir.
Pour le compte de Mme TT,
veuillez agréer l’expression de mes sentiments distingués,