TTag, 17. August 2010. Wem gehört die Nacht?

Den Gejagten. Denen mit den Stimmen im Kopf. Den Verduzzis. Die mit sich selbst sprechen und sich Namen geben. Die trunken versuchen, die Sprachmauer einzurennen, die sonst niemand sieht, und von Schwalben delirieren.
Was soll ich dazu sagen?
Tainted Talents ist kein Schreibseminar. Wäre es eines, die bewährte Sache mit dem automatischen Schreiben wär’ sicher Bestandteil eines Aufwärmprozesses: tritt in Dialog mit Dir selbst, gib Dir Namen, lass Dich unterschiedlichste Sprachen ausprobieren. Zapf Dich an, breite Dich aus. Mach’ das eine halbe Stunde lang. Dann halt inne. Und versuch’ herauszufinden, ob sich ein Thema herausdestillieren lässt aus dem, was Du aufs Papier gebracht hast.
Dann, wäre dies ein Seminar, würde man weiterarbeiten. Das ist der Punkt. Aus der Entgrenzung würde – so man auf ein “Ergebnis” aus ist – irgendwann ein Brennen abgeleitet werden, etwas, worauf man sprachlich und inhaltlich hinaus will. Das automatische Schreiben ist eine Kreativtechnik, die wie ein warm-up vor dem Joggen dazu dient, die Muskeln im Kopf zu lockern, um in Folge dessen irgendwann zu einem “richtigen” Text zu gelangen.
Hier ist das anders. Hier könnte ich feststellen: Tagsüber sprechen hier die Moderaten und nach Mitternacht die Ver- und Ent- rückten. Ich müsste das nicht werten. Oder beschneiden.

Liebe Leser:innen, guten Morgen!

Und verzeihen Sie, vielleicht interessieren Sie solche sehr weblogspezifischen Überlegungen nicht. Mich aber schon. Ich interessiere mich für Leute, die suchen und tasten, die sich um sich selbst drehen, sich abstützend wie diese kleinen Viecher, die Wasserläufer auf den Seen. Die nicht untergehen, weil sie die Wasseroberfläche nur eindellen, aber nicht verletzen. Wie wäre es, wenn man auf der Sprache laufen könnte, ohne einzusinken? Schweben statt inhaltlich schrauben? Können in diesem Modus Sätze entstehen, die auch noch Gültigkeit haben, wenn sich der Wasserläufer schlafen legt?

Aber genug. Muss erstmal in die Gänge kommen…

Rinpotsche hat die Sache mit dem Suchen und Tasten übrigens auf den Punkt gebracht.
(Oder eher auf den Knoten : )

20:58
Wer hat noch Pulver zum Verschießen???

TTag, 16. August 2010. An Regentagen groß denken!

“Allow uncontemplated regions
Of time to project themselves
Into your sleeping consciousness,
Inducing terror, or mental liberation.
Much as death-confrontation
Paralyses some with despair
Makes others poison
Themselves with emptiness
But releases in a fortunate few
A quality of enlightenment
A sense of the limited time we have
here on earth to live magnificently
To be as great and happy as we can
To explore our potential to the fullest
And to lose our fear of death
Having gained a greater love
And reverence for life
And its incommensurable golden brevity.

So it is with this moment.
A gigantic death
And an enormous birth.
This mighty moment.
In timelessness.”

Ben Okri
Ausschnitt aus: “Mental Fight” – An Anti-Spell for the 21st Century
Erschienen bei Phoenix Poetry, 1999

20:11
Okay, ich geb’ auf. Eigentlich gibt’s Kerzen bei mir nur im Herbst, aber heute mach’ ich ne Ausnahme.

TTag, 15. August 2010.

So, da isses wieder, das Bild.
Guten Morgen! Ich hab’ in den letzten Tagen viel gesprochen über Bilder. Eine neue Idee kam gestern von einer Freundin, die sagte, mach’ doch auch einen Film draus, damit man sieht, wie man dieses Ding quetschen muss, damit die Bläschen rauskommen. Es ist nämlich tatsächlich ein Kinderspielzeug; Semioticghosts hat es mir kürzlich geschenkt. Sie erzählte, dass sie es in ihrer Arbeit mit Autisten einsetzen, die würden das Ding lieben. Hat mich amüsiert.

Merkwürdig übrigens, wie viel Abstand ich selbst bekommen habe zu diesem Foto. Eine einzige Angstfrequenz hat es mir verleidet, und alle positiven Stimmen konnten das nicht wieder rückgängig machen. Darüber werde ich noch weiter nachdenken. Warum das so ist.

15:26
Ich zeichne mir eben mal kurz ein sonniges Gestade. Es ist zwar wahrscheinlich, dass in dem Dauerregen, der gerade runterkommt, ein paar Tröpfchen Meer enthalten sind – doch das reicht als Sommerfeeling nicht aus. Ganz und gar nicht.

TTag, 12. August 2010. Angstfrequenzen.

Nur vorab schnell: liebe Melusine, in den nächtlichen Kommentaren unter meinem gestrigen Eintrag fällt Ihr Name. Nun will ich das Kiffgepladder nicht löschen, ohne Ihnen alternativ anzubieten, dem Rabauken verbal eins auf die Schnauze zu geben.
Ich lasse das noch mal ein, zwei Stunden stehen, während ich meinen Tageseintrag schreibe – vielleicht schauen Sie ja heute Morgen hier vorbei .. ; )

11:26
So. Hat sich geklärt inzwischen.
Nun nochmal zu „Einmal geübt, schon gekonnt“. Hans1962 stellte in seinem Kommentar gestern eine Frage: „Als Sie, liebe Phyllis, das Bild einstellten mit eben jenem Untertitel, verhielt sich Ihr inneres “Alarmsystem” ruhig, nicht wahr? Als Sie alarmierte Rückmeldung bekamen, insbesondere von jener Freundin, ging da wirklich IHR Alarm los? Oder war es nicht vielmehr eine Resonanz infolge der Ihnen übermittelten “Angstfrequenzen”?“

Stimmt, es war Resonanz. Angst ist unheimlich ansteckend. Interessanterweise gibt es auch auf Hans’ Weblog aktuell eine Fragestellung zur Angst, wenn auch in ganz anderem Zusammenhang.
Die einfache Antwort ist natürlich, wenn Freunde „Pass auf!“ schreien, zuckt man zusammen. Völlig in Ordnung, dann inne zu halten und nachzudenken. Hab’ ich getan. Und zusätzliche Meinungen einzuholen. Hab’ ich ebenfalls getan – Ihre Reaktionen gestern, liebe Leser:innen…
Die andere Antwort ist länger.
Ich hab’ hier schon mal versucht, ein paar Dinge zu Serie zu sagen, will’s aber aktualisieren. Das eine ist meine künstlerische Ebene: ich arbeite mit nahe liegenden, schnell verfügbaren Materialien. Zeichnungen. Fotos. Text. Meinem Körper. Mit diesen Mitteln geh’ ich an Themen ran, die mich umtreiben. Wenn ich mich selbst „benutze“ für Fotos, bin das einerseits ich, andererseits ist dieser Körper dann natürlich auch inszeniert und damit stellvertretend für bestimmte Fragen weiblicher Selbstwahrnehmung, die über meine Person hinausgehen. MelusineB hat das in ihrem gestrigen Kommentar sehr gut beschrieben. Klar geht’s in meiner künstlerischen Arbeit viel um Sexualität, aber nicht nur um meine; die Serie ist eine Einladung. Eine Zuspitzung. (Um das Wort Provokation zu vermeiden, das ich nicht sonderlich mag)
Für mich ist das Ganze stimmig. Bin gespannt, was weiter passieren wird in der geübt, gekonnt-Kategorie. Absichern kann man das nicht. Wenn man die Arbeiten groß abzieht und in eine Ausstellung hängt – ja, das wäre der vermeintlich professionellere Umgang mit einer künstlerischen Produktion, die man von privater Verletzlichkeit klar abgrenzen will. Aber mich interessiert das Netz! Dieses schnelle Veröffentlichen. Die Unwägbarkeit. Die Interaktionen mit Ihnen allen. Ich will nicht in den white cube: ich will hier sein.

TTag, 11. August 2010. Fragil.

Ich hab’ wirklich nicht die leiseste Ahnung, wohin die Tage fliegen – war’s nicht eben noch Juli? War ich nicht eben noch in K****?
Ich hab’ vorhin drüben bei den Gleisbauarbeiten einen Persönlichkeitstest gemacht. Raten Sie mal, mit welchem der vier Grundtypen ich die größte Übereinstimmung habe? Der Melancholie. Und kaum ist der Test gemacht, spüre ich, wie der große Rabe auf meinen Schultern seine Schwingen ausbreitet.
Probieren Sie es mal aus: kaum haben Sie die Testergebnisse, wird es auch schon … fast … wahr. So wirken Bezeichnungen, wenn man durchlässig für so etwas ist.
Vor längerer Zeit sagte ich mal zu einem englischen Geliebten: “You are very fragile.”
Nun muss dazu gesagt werden, der Mann hat Statur und Auftreten und ist alles andere als fragil, im Gegenteil: er ist autoritär, hat eine Menge Einfluss und Kleidergröße, keine Ahnung, auf jeden Fall heftig. Doch das Wort hat ihn fasziniert; er trug es tagelang mit sich herum. “I’m very fragile”, sagte er immer wieder. Nicht als Botschaft, sondern dem Klang nachlauschend. Es war ein Wort für ihn, als würde er in einen unsichtbaren Kaschmirpulli schlüpfen.

16:35
Hab’s runtergenommen. Das neue Foto aus der “Einmal geübt” – Serie. Sie können sich sicher denken warum. Bilder aus diesem Themenfeld sind riskant im Web, und ich balanciere da eh immer haarscharf an einer Grenze. Überlege sogar, ob ich die Serie nicht ganz runternehmen soll. Sie war als humorvolle erotische Provokation angelegt. Frech. Auch mal krass. Aber spielerisch in der Frage der Selbstwahrnehmung. Nun weiß man aber nie, wohin so eine Serie sich entwickelt; ich will mir da auch keine Beschränkungen auferlegen. Ob Tainted Talents dann aber weiterhin der Rahmen für deren Veröffentlichung ist? Werde nochmal gesondert darüber schreiben.

Würde mich auch interessieren, was Sie dazu denken.

TTag, 10. August 2010. (Jetzt passt’s.)

Die neue Produktserie “beautiful rage”. Überlege, ein Amokset zusammenzustellen.

12:45
Amoklauf verschoben. Zuviel Arbeit. Beschäftige mich für ein zu schreibendes Feature über eine Tänzerin mit dem Begriff der Kontaktimprovisation.
Eigentlich ein schöner Gegenentwurf zum leidigen power-networking: improvisierte Körperkontakte …
Why don’t we do it on the road?