Ich soll, ich will. Montag, 7. Januar, nein, Februar 2011.

… hieß die erste Schreib-Aufgabe, die ich meinen zehn neuen Mädchen heute Morgen stellte. Schrecklich, dass man jetzt immer an die unsägliche Klum mit ihrer Modelshow denken muss, wenn jemand “meine Mädchen” sagt, oder? Aber ich küsse sie wenigstens nicht. (Und würde dabei, falls es mich doch überkäme, auch nicht diese gräßlichen Laute produzieren, mhoa, mhoa)
Wie auch immer, bin im workshopmodus. Ich soll/Ich will – Listen, für den warm-up, immer schön abwechselnd. Was die Anderen von einem erwarten, was man stattdessen lieber tun würde.
Sie wollten alle immer nur shoppen und mit Freunden abhängen.
Hm. Ich warf ein paar Vorschläge auf den Tisch, danach ging’s besser. Man muss eben erstmal was wollen wollen. Gar nicht so einfach, gell?
Die Trainerin ist müde jetzt. Wird aber später vielleicht heimlich mal ihre eigene ich soll/ich will – Liste erstellen…

Remix. Mittwoch, 2. Februar 2011

Methoden. Radikal, auch gegen den eigenen Geschmack. Optimieren. Psychosexuell. Konkurrenzlosigkeit. Eigenheitsproduzent. Naiv. Systematisierbar. Die neuen Becketts. Reinheit und Geschmack. Gegen die Zeit. Die Bestie. Vermeidung von Adaptionen. Die Aufnahmefähigkeit der Zeitgenossen. Ungemein versöhnlich. Ohnmächte und Abhängigkeiten. Primat der bildenden Künste. Jenseits der Realität.

Wie schön, dass meine Methode – jetzt aus dieser willkürlichen Zusammenstellung Ihrer, liebe Leser:innen, Kommentare, jede, sagen wir siebte Silbe zu nehmen und diese Fragmente in unterschiedlichen Varianten so lange zusammenzufügen, bis wie von Zauberhand eine überraschend gültige Aussage auf dem Papier steht – nicht funktioniert… sonst wären wir alle nur noch am Buchstabenzählen.

Dennoch: sollten Sie das Gefühl haben, mit Ihrem Dreirad von Talent, Bildung und Lebenserfahrung immer wieder auf dem Goethe- statt auf dem Spielplatz zu landen, wäre irgendeine Methode von Zufallsgenerierung sicher hilfreich.
Wie ich darauf komme?
Ich denke immer noch über dieses Selbstoptimierungsding nach. Das Gespräch zu Black Swan. Kann sein, für mich, es geht nicht darum, sich gegen diese Sehnsucht nach Perfektion (und die damit verbundene Selbstdisziplin) zu sperren, sondern ihr ein verlässlich wiederkehrendes Element des Unwägbaren hinzuzufügen. Dafür Methoden zu finden.

Ich mag Perfektion, aber ich mag keinen Fleiß. Einer meiner ersten publizierten Texte hieß: „Wie kann man produzieren, ohne zu arbeiten?“

Der schwarze Schwan. Montag, 31. Januar 2011.

Wollten Sie als Schülerin mit dem Klassenprimus ins Bett, als Schüler das fleißigste Mädchen küssen?
Oder lieber den schwarzen Schwan?
Doch zum Anfang.
Zunächst.
Ist da die junge Balletttänzerin von androgyner Statur mit feinem Gesichtchen, in das sich die Spuren der leidenschaftlichen Schinderei noch nicht eingegraben haben. Im Bann der Mutter, in deren Miene sich alles zeigt, was der Tochter bevorstünde, versagte sie in ihrem Ehrgeiz.
Dazu, wen wundert’s, gibt es die Konkurrentin, Das Andere Mädchen. Nicht so edel, nicht so gewissenhaft, dafür mit der Prise Leichtfertigkeit, die ihre Bewegungen mit einem Sex ausstattet, von dem die andere, weiße, nur träumen kann.
Nein, träumen muss: denn der Choreograph, Mr. Cassel höchstselbst, verlangt, die Solistin seiner Wahl müsse den weißen und den schwarzen, verführerischen, Schwan in gleicher Perfektion verkörpern.
Er wählt die Edle. Wider besseres Wissen – ihre Erweckung stellt die größere Herausforderung dar. Er hat eine Ahnung, was aus ihr werden könnte: sie biss ihn in die Zunge, als er sie zu küssen versuchte. Ein einziger Hinweis, dass sie die Wut, die sich in grausam autoaggressiven Akten äußert, nach außen kehren könnte.
Schon einen Tag später allerdings ist es, als habe dieser Biss nie stattgefunden. Sie tanzt, doch sie tanzt ohne Fleisch. Würdest Du sie ficken wollen, fragt Kassel ihren Tanzpartner nach einer Probe, nein, würdest Du nicht. Und zu ihr: suchte ich nur einen weißen Schwan, Du wärest perfekt.
Es ist der schwarze, den sie in sich suchen muss, die Verwegenheit, doch Verführung ist nicht in ihr. Sie entschuldigt sich. Sie bestraft sich. Sie weiß nicht, was Kunst ist.
Der Regisseur weiß es.
Der Choreograph weiß es.
Die Andere Frau weiß es nicht, doch darauf kommt’s nicht an, denn sie hat es einfach.
Also.
Wie hoch ist der Preis, den die Weiße zahlen muss, um aus ihrem Können Kunst zu machen? Und mit wem macht man den deal? Mit dem Teufel?
Der Film behauptet, es müsse der höchste Preis bezahlt werden; die Ballerina, im Wahn, sticht ihrer Konkurrentin eine Glasscherbe in den Bauch, wir ahnen allerdings, die Leiche ist halluziniert, die Scherbe steckt in ihrem eigenen.
Das ist der Moment, in dem der Film aus Angst, sein eigenes Kunst-Prädikat zu verlieren, die Möglichkeit eines glücklichen Endes ausschlägt.
In der Realität muss niemand sterben, um Kunst zu schaffen – und, davon abgesehen, mit einer tödlichen Bauchverletzung kann man eh nicht tanzen. Ich habe sie gespürt, die Perfektion, haucht die Ballerina im Moment ihres Todes. Das ließ mich unzufrieden zurück: Perfektion ist das, wonach der weiße Schwan giert. Der schwarze sollte im Augenblick seines Triumphs ein eigenes Vokabular finden. Und auch nicht sterben! Sondern weitermachen, jetzt, da die Schwelle überschritten ist.

Der Film ist absolut heftig und sehenswert. Du bist nicht sie, murmelte Tusker, meine Hand nehmend, schon nach zehn Minuten – so versank ich in dieser Frau. In der es sich weiß Gott höllisch anfühlte.
Diese unbändige Sehnsucht, alles „richtig“ zu machen, sie ist das Gegenteil von Kunst. Und dennoch: wie gut ich sie kenne.

Nachtrag: keine Kritiken lesen, solang der eigene Text noch nicht steht, soviel Mut zur eigenen Wahrnehmung muss sein. Jetzt aber werd’ ich’s tun.

Deep storage. Samstag, 29. Januar 2011.

Wartungsarbeiten innerhalb unterschiedlicher innerer Archive erfordern meine Aufmerksamkeit, und nur die oben unverdossen weiter tanzenden Schafe lassen mich hoffen, heute noch einmal daraus aufzutauchen…
Mit Frischluft (falls Sie etwas in der Art vorschlagen wollten) hab’ ich’s bereits versucht, ohne nennenswerten Effekt. Also weiter. Diese Prozesse sollten sich eigentlich nachts im Traum abspielen, doch manchmal prolongieren sie sich ins Tageslicht; Sie kennen das bestimmt.

Ah … heiß hier unten.

15:32
Schön übrigens, dass Sie dabei sind, neue erste Sätze beizusteuern – ich sammle erst einmal, bevor ich sie dann einzeln der Rubrik zuordne.

20:34
(Schönen Abend allerseits! Bin dann auch mal weg.)

Sondermüll. Freitag, 28. Januar 2011.

Ich versuche, der Müllabfuhr, die draußen lärmt, schnell ein mit nächtlichen Kommentaren gefülltes Säckchen anzudrehen, Sondermüll nehmen wir aber nicht, protestieren die Männer, da müssen Sie sich schon selbst. Tja. Stelle also die gestrige Zeichnung erstmal offline, hab’ keine Zeit, jetzt darunter aufzuräumen; erstmal Ortsbegehung in der Bücherei, in deren Räumen ein neuer Auftraggeber mich dieses Jahr Workshops abhalten lassen will, dann Training. Es ist lausekalt, ich nehm’ dennoch das Rad, mein Gehirn kann einen Sauerstoffschock vertragen heute Morgen. Acht Uhr zwei. Wir sehen uns später, geschätzte Leser:innen.

15:17
Man kann ja immer behaupten, im offline kolossal beschäftigt zu sein und deswegen (mit Beteuerungen des Bedauerns, selbstverständlich) nicht bloggen zu können.
Tatsache ist aber, wenn ich Lust habe, hier zu schreiben, kann mich fast kein Termin dieses Planeten davon abhalten.
Nur hab’ ich grad keine.
Eingefleischte Exhibitionistinnen sind sich ja nicht zu schade, auch solche Nicht-Meldungen zu posten.
*grinst*

23:33
Seitdem ich heute Nachmittag auf die Idee kam, meine innere Sparringpartnerin unter einem Berg aus drei Schafffellen, mehreren Brokatkissen und zwei schweren schottischen Decken zu begraben, hat sie sich nicht mehr gerührt. Himmlisch, diese Ruhe…

Ateliertag. Donnerstag, 27. Januar 2011.

Heute zeichne ich einen

Eine mir noch nicht persönlich bekannte Sammlerin mit Herz und Sachverstand wird die Zeichnung am 27. August dieses Jahres gegen Mittag erwerben, rahmen lassen, und sich (während sie, den Kopf etwas geneigt, überlegt, ob sie sie direkt in die Nähe von Aubrey Beardsley, oder doch lieber an die gegenüberliegende Wand hängen soll) zu ihrem Kauf gratulieren. Sie wird, dessen bin ich gewiss, zu einer kleinen Soirée einladen, um die Meinung ihrer Freunde dazu einzuholen. Ich werde selbstverständlich auch dort sein, um ihre Petersburger Hängung zu bewundern und der Entscheidung, falls nötig, einen kleinen Stups in die mir angemessen scheinende Richtung zu geben.

Sie sehen, geschätzte Leser:innen, ich muss los, zum Plaudern ist heute tagsüber nicht viel Zeit, vielleicht auch Abends nicht, sonst wird das alles nicht passieren.

19:01(im Atelier)
Grrrr. Wissen Sie, woran ich merke, dass ich definitiv zuviel am Computer sitze? Eben, einen misslungenen Strich korrigieren wollend, hab’ ich mit Daumen und Zeigefinger versucht, auf der Zeichnung “Apfel Z” zu drücken.
Mac-User wissen, was ich meine.
Zurück zum Blatt, Phyllis, verdammt nochmal

Entspannen Sie sich. Aber nicht zu sehr. Mittwoch, 26. Januar 2011.

(…) “Hier finde ich es entspannt, auf den beiden anderen blogs ist es mir irgendwie zu ambitioniert und anscheinend von “Denkgebäudeanskizzierungen” da schon besetzt” (…)

Aussagen wie diese, die gestern im Zusammenhang mit der Bilderdiskussion auftauchte, machen mich nachdenklich. Zum einen, ja, auch ich bin gern entspannt. Zum anderen las ich gestern leicht irritiert den Überlegungen hinterher, die andernorts zum Thema weiter gingen, während von Intensität (geschweige denn Relevanz) auf TT fast nichts mehr zu spüren war.

Was, zum Henker, ist gegen Ambition einzuwenden? Gegen Denkgebäude? Wenn die verhindern, dass interessante Themen in der Verbalschaumparty verenden, ist mir das allemal lieber als Entspannung.
Woran mir allerdings liegt, ist eine gewisse Durchlässigkeit.

Früher, während des Studiums, hatte ich ein riesiges Atelier mit anderen zusammen. Da war man, außer sehr früh morgens, eigentlich nie allein. Ein paar von uns malten, die anderen hingen auf den ausgeleierten Sofas rum, tranken Unmengen Kaffee (jaja, nicht immer nur Kaffee) und gaben ihre Meinungen ab, falls man sie denn hören wollte. Gelegentlich auch, wenn man sie partout nicht hören wollte. (Meinungen werden überschätzt)
Klar, klingt genau so, wie man sich’s vorstellt bei Kunststudenten, aber so war das eben. Es wurde endlos geredet, aber auch unmäßig viel gearbeitet. Und da wir alle voneinander wussten, womit wir uns gerade abquälten (soll keiner behaupten, Malen sei entspannend), wusste man auch immer, von welchem Punkt aus ein bestimmtes Argument, eine bestimmte Meinung, losgeschossen wurde: man gestand sich gegenseitig – wenn schon nichts anderes – eine gewisse Maßgeblichkeit zu. Wer arbeitet, darf auch ausreden.

Tja, so war das.
Sie ahnen, worauf ich hinaus will.

Hier auf TT spüre ich immer wieder, ich komme mit jenen Kommentator:innen am besten zurecht, die eine eigene Präsenz im Netz haben, völlig unabhängig davon, ob sie sich dort mit ihrem Privatleben zeigen, mit Kunst, Literatur, was auch immer; ich lasse mich gerne in andere Welten locken. Anonyme dagegen bleiben Phantome. Das wäre – um das Bild der Studentin zu bemühen, again – so, als wenn damals durch die offenstehende Ateliertür ein Windhauch gegangen wäre. Ein paar Minuten später wäre dann auf einem freien Stück Wand aus dem Nichts ein Satz aufgetaucht.
Wir hätten uns gefreut über diesen wundersamen Akt. Den Satz gelesen. Meinetwegen auch diskutiert und in eine neue Arbeit eingebaut, vorausgesetzt, er hätte etwas magisches gehabt. Wenn allerdings ständig neue, redundante, Sätze unsere Wände langsam so vereinnahmt hätten, dass kein Platz für unsere Bilder mehr gewesen wäre, wir hätten angefangen, uns zu ärgern. Und den Kram übermalt.

Verzeihen Sie mir die Schlichtheit meiner Nachtigall… mir liegt daran, dass mich die Phantome verstehen, deren Zeug ich immer wieder löschen muss. Was mir nicht immer fix gelingt, weil ich parallel zu diesem Weblog auch noch ein, zwei andere Kleinigkeiten in Arbeit habe.

Sie, geschätzte Leser:innen, sind übrigens nicht gemeint – ich habe nichts gegen Pseudonyme. Nur gegen Beliebigkeit.

To whom it may concern: Sie sind, so leid mir das tut (und das meine ich ernst) nicht maßgeblich für mich. Ich muss auch keine Wand übermalen, um Sie loszuwerden. Die Löscherei ist ein bißchen lästig manchmal, aber was solls. Nein, was mich als Künstlerin wirklich betrübt, ist, wie freiwillig Sie darauf verzichten, sich Gewicht zu verschaffen.
Sie kennen das Ding mit dem Satz, der Berge versetzen kann, oder? Sie aber kriegen nicht mal einen Maulwurfshaufen aus der Achse gerückt.
Try harder, kann ich da nur sagen.

Und vergessen Sie die Entspannung. Die kommt danach, for god’s sake.