The milk experiment

Semioticghosts erzählte gestern, während ihrer Doktorantenzeit habe da ein großer Kühlschrank gestanden in der Fakultätsküche, oder wie auch immer sie das nennen, die Engländer drüben auf ihrer zugigen Insel, jedenfalls, in diesem Kühlschrank befanden sich, was niemanden überraschen wird, neben zahlreichen Lebensmitteln auch die Milchtüten für den Tee.
Nun gab es solche, die immer Milch mitbrachten und andere, die es nie taten. (Auch das wird hierzulande ganz ähnlich gehandhabt)
Meine Schwester war der Sache irgendwann überdrüssig. Sie nahm einen Edding (Eddings sind beliebt in der Familie) und schrieb “Milk experiment” auf ihre Milchtüte. Doch damit nicht genug; sie fügte der Milch auch jedes Mal ein paar Stäubchen blaue Lebensmittelfarbe hinzu und schüttelte das Ganze gut durch.
Nun sind Psychologinnen ja intelligente Leute, zumindest, solange sie noch nicht von Clienten verdorben sind. Aber seitdem die Milch ein Experiment und blau war, ging keine der Doktorantinnen mehr an Semioticghosts Tüte. Never ever. Alle wussten, es war ein Trick. Andererseits, erzählt meine Schwester, waren Experimente aller Art durchaus Usus unter den Jungpsychologen, also, ganz sicher sein konnte man sich nicht, ob die blaue Milch nicht vielleicht doch –

Schönen Tag, allerseits! Und machen Sie mal wieder ein Experiment!

Lachend, Ihre
Madame TT

Ohne Trikot

„Du schreibst fast nie über Anstrengung. Abgründe. Du zeigst die ungeheure Selbstüberwindung nicht, die manche Dinge dich kosten.“
„Stimmt.“
„…Über deine Depression ebenfalls nichts. Da schickst du Farah Day vor.“
„Meistens schweige ich dann eher“ sage ich.
„Du kannst ja auch mit anderen Beiträgen, Kleinigkeiten, ein paar Linien, ja sogar mit dem Eingeständnis einer Nicht-Leistung viel unmittelbarer Sympathie bekommen von den Leuten. Sie mögen, was anstrengungslos wirkt.“
„Geht mir genauso, oft zumindest -“
„Für große Leistungen braucht es aber Mühlsteine. Viel Kraft. Zähigkeit. Man muss Langzeit-Verzweiflung aushalten können. Nur spüren will das Publikum davon nichts, nach Außen hin soll alles wirken wie…“
„Hingepudert.“
„Meinetwegen. Ist ja auch egal.“
Natürlich ist nichts egal und nichts leicht, das wissen wir beide, und Sie wissen es auch.

Vor ein paar Tagen sah ich eine Dokumentation über die letztjährige Leichtathletik-Weltmeisterschaft der Senioren. Meine Eindrücke der drei Teilnehmer, die im ersten Teil des Films porträtiert wurden, lassen mich seitdem nicht mehr los. Ein älterer Herr, der in der Kategorie der Fünfundachtzigjährigen antreten würde, wurde in seinem Wohnzimmer gezeigt. Ein schmaler Mann, Brille, lichtes Haar. Schöne Wohnung, viele Bücher, gediegen. Er flirtete mit der Kamera, sagte, „So, jetzt versuche ich erst einmal, ohne Stock ins Nebenzimmer zu kommen.“
Stand, wankte, richtete sich auf, Schultern nach hinten, dann taperte er los. Ich hielt die Luft an. Er schaffte es ohne Zwischenfall in den Nebenraum, hielt sich dort aber offensichtlich erleichtert an einer Stuhlkante fest.
Später sah ich ihn in Schweden (oder Norwegen, ich erinnere mich nicht genau) am Startpunkt der 400 Meter Sprintbahn, wie er – auf sein Trikot waren die Startnummer und eine große 85 aufgedruckt – loslief nach dem Schuss. Er rannte so schnell, dass ich Angst hatte, sein Herz würde ihm stehenbleiben, kam als zweiter ins Ziel. Mit ihm waren vier Senioren angetreten.
Es gab auch eine alte Dame, Kugelstoßerin. Sie wurde von einer Kanadierin besiegt, das hatte sie bereits vorhergesehen. „Die ist wirklich stark“, sagte sie, „die Kanadierin. Ich glaube, die packe ich nicht.“ So war es dann auch. Die Kanadierin sah aus wie der Inbegriff aller Großmütter, ondulierte Löckchen und ein Astrid Lindgren-Gesicht.

Ich bin über lange Strecken unschlüssig, beobachte. Mich, die Anderen, oft aus sicherer Entfernung. Die Unschlüssigkeit puffert mich ab. Nachdenken im Leerlauf, Gang einlegen, pointiert sein, dann wieder Leerlauf. Schwer zu sagen, ob es eine Zielgerade gibt. Ob es besonders weise oder besonders zaghaft ist, ohne Trikot zu laufen.

Between the lines

Guten Morgen! Eben, TT öffnend, hab’ ich mich vor meinen eigenen Beiträgen erschrocken; das “wortkarg” hat mich geradezu angebellt!
Hm.
Hab’ aber heute Lust, zu schreiben – muss nur erst einmal Laufen gehen, das Hirn belüften. Wir lesen uns dann später ; )

Wild, aber entschlossen,
Ihre
Mme TT

17:27
Ich glaube, solche Text-Ankündigungen gewöhne ich mir ab sofort ab. Keine Lust, mich auch am Wochenende unter Lieferdruck zu setzen. Die Welt schuldet mir nichts, aber umgekehrt ist das ebenso : )