Korrespondenz, ganz alte Schule

Der Chopin im Freien gestern wäre sicher toll gewesen …. stattdessen, auf dem Fußweg dorthin, blieb Madame TT auf einem Stadtteilflohmarkt hängen, der war so angenehm schludrig, üppig, vor allem aber billig, dass sie den Chopin ganz vergass. Und sich stattdessen ein Buch kaufte, wie es heute nicht mehr gebraucht wird… eines, das in Zeiten handschriftlicher Korrespondenz aber wichtig war: Es diente dazu, die eigenen Briefe zu kopieren, bevor man sie abschickte.
Toll, oder? 500 Seiten nummeriertes, hauchdünnes Pauspapier, man legte den fertigen Brief unter eine dieser Seiten, schrieb ihn ab und trug den Namen des Adressaten samt Datum in das Adressregister im hinteren Teil des Buches ein. Ich konnte einfach nicht widerstehen: Vielleicht mache ich Frottagen in dieses Buch, oder einfach Skizzen… das Papier ist so dünn, dass man mit diesem Durchschein-Effekt sicher großartig herumexperimentieren kann. Falls man den Respekt vor dem Buch verliert – gar nicht so einfach, denn ich bezweifle, dass es noch viele un-beschriebene dieser Art gibt… wir schreiben ja lieber Mails und lassen uns gründlich ausspionieren…

Und die Handschuhe? Na hören Sie, weiße Lederhandschuhe braucht Frau doch geradezu ständig!

So. Erstmal den Plan für die Juli-Text der Stiftungswebsite machen, damit ich den Kopf frei habe : )

Schönen Tag allerseits!

Message public

Mesdames, Messieurs,

patientez-vous s.v.p., Madame TT à décidé d’aller au Jardin du Louxembourg pour savourer un concert de Chopin en plein air. Ne vous faites pas de mauvais sang, elle retournera ce soir.

Pour le compte de Mme TT,
veuillez agréer l’expression de mes sentiments distingués,

La Concierge

Der Filibuster

geht auf die römische Tradition der Ermüdungsrede zurück, las ich gerade nach. Bezeichnend für den Filibuster, mit dem eine texanische Demokratin gestern ein neues restriktives Abtreibungsgesetz verhinderte, ist neben seiner beeindruckenden Dauer von 12 (!) Stunden die Tatsache, dass sich die rosafarbenen Sneaker, welche die Lady währenddessen trug, bereits in den folgenden vierundzwanzig Stunden als neues Symbol für weibliche Selbstbestimmung etabliert haben. Berichtet Spiegel online. Die rosa Revolution per Kaufklick auf ein Paar japanische Turnschuhe, sozusagen.

Bei diesem eigenartigen Informationsschnipsel, geschätzte Leser:innen, muss ich’s leider belassen – ich fand gestern keine Konzentration, um den längst fälligen Stiftungstext zu schreiben, da muss ich jetzt erst einmal ran.

Bleiben Sie stark! Morgen gibt’s Sonne, versprochen! Wenn nicht, dürfen Sie mich mit rosa Turnschuhen bewerfen!

Unverdrossen auf High Heels,
Ihre
Madame TT

Heute mit Diderot

… der das Geheimnis der Frau seinerzeit offenbar auch nicht in Gänze enträtselt hat.
Aber halb so wild – wir haben ja (wahrscheinlich) noch ein paar Jahrtausende Zeit ; )

Schönen Tag, Ihnen! Es regnet in Paris. Sitze am Zeichentisch.

Zuckerzeit

Bonjour.

(Was hat TT doch für kluge Leser:innen! Gestern, an meinem ersten Tag im französischen Domizil, wähnten Sie mich unterwegs, niemand rechnete mit geistreichen Einträgen meinerseits, deswegen tauchten Sie, bis auf einige wenige, gar nicht erst hier auf…)

Vor einigen Tagen, noch in Frankfurt, führte ich ein Telefon-Interview mit einer afghanischen Stipendiatin. (Wie viele von Ihnen inzwischen wissen, betreue ich die Website einer Frankfurter Stiftung, sehr eigenverantwortlich auch, sodass ich meistens selbst die Themen für die Texte zusammenstelle, die ich wöchentlich für unsere Fokusseite schreibe)
Die junge Frau jedenfalls lebt, wie ich, in Frankfurt und macht im Rahmen ihres Stipendiums eine Ausbildung, um später den Beruf ihrer Wahl ausüben zu können – ihren, offenbar, Traumberuf. Um dort auch jeweils einigermaßen sicher zu landen, ist an das Stipendium ein Mentoring-Programm geknüpft; ich hatte ein paar Fragen vorbereitet, die ich ihr dazu stellen wollte. Wie oft bei den Teilnehmerinnen dieses Programms wandte sich das Gespräch bald harten Zeiten und folgenschweren Entschlüssen zu.
„Ich habe meiner Mentorin auch meine privaten Sachen anvertraut – es war nicht immer Zuckerzeit in meinem Leben…“ sagte die junge Frau.
Ich blieb, obwohl mein Temperament und auch ihres anderes wollte, bei meinem Themenkomplex: Allzu Privates gehört nicht auf eine Stiftungs-Website. Als wir mit meinen Fragen durch waren, kam sie zu ihrem dringendsten Anliegen: … Ob ich ihr einen Tipp geben könne?
Gerne, sagte ich.
„Wie kann ich meiner Mentorin danken?“ fragte sie. „Ich habe schon überall nachgefragt, wie ich ihr meine Dankbarkeit zeigen könnte, weiß es aber immer noch nicht.“
„So, wie ich Ihr Temperament jetzt am Telefon kennen gelernt habe, bin ich sicher, dass Sie ihr schon ganz oft gezeigt haben, wie wichtig sie Ihnen ist…“ bemerkte ich.
„Oh ja, sie sagt mir auch immer, einmal Dankesagen reicht, und einmal Entschuldigen auch… doch das ist in unserer Kultur so anders…“
Wir sprachen eine ganze Weile über die Sache, kamen aber nicht wirklich weiter; die junge Frau konnte meinen Einschätzungen nichts abgewinnen, spürte ich – sie wogen einfach nicht schwer genug, um das starke Gefühl, das sie umtrieb, ausbalancieren zu können. Wie lethargisch ich mir manchmal vorkomme im Gespräch mit Orientalinnen, wie ökonomisch mein Umgang mit Emotionen!
Ts.

(Moment, muss eben den Camembert aus der Sonne stellen)

Ich kam dann doch noch auf einen Gedanken.
„Hören Sie“, sagte ich. „Ich weiß nur wenig über Sie und über den Charakter Ihrer Mentorin, deswegen erzähle ich Ihnen jetzt, wie es mit der Dankbarkeit in meinem eigenen Leben ist. Es ist nämlich so, dass ich mit der Zeit auf etwas gekommen bin…“
„Ja?“
„Ja. Ich hab’ viel Unterstützung und Aufmerksamkeit bekommen, von Anfang an. Dass auch bei mir nicht immer Zuckerzeit war, lag nicht daran, dass mich meine Familie, meine Freunde und Lehrer nicht unterstützt hätten – ich hab’ mich immer geliebt gefühlt von denen, die mir wichtig waren.“
Schweigen am anderen Ende der Leitung. Ich ahne, dass es bei ihr nicht so war.
„… und auch ich hab’ lange gedacht, dass sich Gefühle zwischen zwei Menschen abspielen. Dass ich dem Menschen, der mir gute Gefühle schenkt, aus Dankbarkeit ein ebenso großes Geschenk machen möchte. Weil das natürlich wäre, und fair. Aber dann, als ich älter wurde und mehr erlebt und beobachtet hatte…“
Immer noch Schweigen.
„… kam ich irgendwann darauf, dass es nicht so läuft. Gefühle sind Energie, keine Zahlen. Und es ist eben nicht natürlich, dass sich alles ausgleicht, oder ausgeglichen werden muss.“
„Sondern?…“
„Die gute Energie, die man von einem bestimmten Menschen bekommt, muss man nicht immer genauso, oder sogar stärker, an den gleichen Menschen zurückspiegeln. Diese Frau zum Beispiel, Ihre Mentorin: die kann mit so viel Dankbarkeit vielleicht gar nicht umgehen – vielleicht reicht es ihr sogar, wie gut Sie sich entwickeln, wie motiviert Sie sind. Und wenn das gute Gefühl und die Dankbarkeit mit Ihnen durchgeht, schenken Sie es einfach jemand anderem: Geben Sie Ihrerseits weiter, was Sie an Überfluss haben.“
Wieder Schweigen. Ich denke ein bisschen nach.
„Mir kommt es so vor, als wäre es in der Liebe nicht anders: Manchmal wird man geliebt und kann’s nicht erwidern, manchmal liebt man jemanden und der kann’s nicht ebenso fühlen“ sage ich dann. „Es hat mir immer geholfen, mir vorzustellen, dass die Gefühle zwischen zwei Menschen keine eingezäunte Koppel sind: Manchmal liebt man einen Menschen vergeblich, obwohl man es eigentlich ‚verdient’ hätte, bekommt aber von einem anderen Menschen Liebe, für die man gar nichts Besonderes getan hat…“
„Das ist nicht fair…“
„Nein, ist es nicht. Ich will einfach nur sagen, dass es das Geben ist, worauf es ankommt. Was glücklich macht. Und dass man Gefühle nicht immer von der gleichen Person zurückbekommt, auf die man sie gerichtet hat, und dass das zwar vielleicht ‚unfair’, aber natürlich ist. Gefühle sind keine Handlungsanweisung für den Menschen, der sie empfängt.“
„Das stimmt.“
„Und in Ihrem Fall, mit Ihrer Mentorin, könnten Sie sich ein bisschen befreien. Sie sollten sehen, dass diese Dame genau das macht, was sie will, freiwillig, und dass allein, dass Sie ihre Unterstützung annehmen und umsetzen können, schon Belohnung genug für sie ist. Besser als jede Beteuerung.“
„Okay…“
„Und wenn Sie diesem Gefühl Ausdruck verleihen wollen, das Sie haben, wenn diese Stimme in Ihrer Brust sagt, Sie sollten unbedingt noch mehr beweisen, wie dankbar Sie sind, dann tun Sie einem anderen Menschen etwas Gutes und erzählen Sie ihr meinetwegen davon. Das wird sie freuen.“
„Ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen“ sagte die junge Frau.

Jedenfalls ging mir dieses Gespräch seitdem nicht aus dem Kopf.

Good hates Best

…las ich gestern auf der Brust eines jungen, na, jüngeren Mannes, der mir in der Stadt entgegenkam. Gutes hasst Bestes. (Mein Gehirn hatte ja zuerst “God hates best” gelesen, doch ein Shirt mit diesem Aufdruck hätte der junge Mann sicher nicht gekauft. Gott hasst am besten?! No way! Obwohl’s der bessere Satz wäre)
Warum mir diese Aussage noch im Kopf herumspukt seitdem? Weil sie das Wettbewerbsdenken so auf den Punkt bringt. Das Beweisenmüssendenken. Die Missgunst jener, an denen die vermeintlich Besten vorbeigezogen sind. Ich würde ja gerne behaupten, die so genannten Besten noch nie gehasst zu haben, doch das stimmt nicht: Überfliegerdenken macht mich oft genug aggressiv. Von Männern noch mehr als von Frauen: Auch ich hab’ den Kleingeist abonniert, manchmal. (Wär kein schlechter Name für eine Zeitschrift: KLEINGEIST. Oder?)
Tatsache ist, Profilneurosen kommen bei mir für gewöhnlich nicht gut an. Es gibt natürlich Ausnahmen, wie immer. Es gibt auch Leute, die ihre Profilneurose so geschickt dekorieren, dass Grössenwahn daraus wird. Den finde ich interessanter. Sogar Hochstapelie (ich lass das mal so stehen, klingt besser als das Original) finde ich interessanter. Was ich nicht goutiere, sind konservativ verpackte Minderwertigkeitskomplexe. Wahrscheinlich schlicht deshalb, weil mir die Methoden oft sehr augenfällig erscheinen. (So wie meine eigenen, ächz)
Hm.
Worauf will ich hinaus? Das Übertrumpfenwollen ist mir fremd. Nicht jedoch der Impulsschmerz, der einen manchmal überkommt, wenn einem anderen etwas leichter zu gelingen scheint. Organischer. Oder einfach, weil sie alles geben, und man selbst nur neunzig Prozent. Stellen Sie sich einfach vor, ein Arbeitskollege in Ihrem Büro liefe jeden Tag mit einem T-Shirt herum, auf dem “Ich gebe alles!!!” steht. Dem will man doch in die Fresse hauen, selbst wenn man selbst heimlich auch alles gibt.
Ah, ich krieg’s noch nicht richtig in Worte gefasst, was ich sagen will. Erstma’ laufen gehen, die Synapsen schütteln.

Heute Mittag steige ich in den Zug. Bis dahin können Sie mir alle noch auf’s Auge drücken, dass Sie die Besten sind! ; )

Vorabreisetag

Miss TT bangt um ihre Privatvegetation – der Eingeschworene hat viele hervorragende Eigenschaften, ein grüner Daumen jedoch gehört nicht dazu. Sie erwägt, beim Nachbarn anzuklopfen, der praktisch nichts hat außer Pflichtgefühl, entscheidet sich aber dagegen. Trauen und vertrauen, schrieb Iris kürzlich hier in einem Kommentar – nun soll das, bitteschön, in den nächsten Wochen auch für die liebstens gehegten Balkonpflanzen gelten.
Des weiteren: Koffer sind gepackt, einer für Sportliches, einer für La Parisienne en tour.
Geschenk für die Concierge? Verpackt.
Mitbringsel für Madame Drey an der Cité Internationale des Arts? Verpackt.
Miss TT: Bestens verpackt, morgen, in Sneakers, ollen Jeans und T-Shirt. Darüber allerdings die glamouröse cremefarbene Bikerjacke, deren Leder so weich ist, dass es, lange ab vom Tier, immer noch zu leben scheint. Superschick laufen nur die Reichen durch Paris, alle anderen bevorzugen einen Mix aus Hippie/Folklore/Grunge – Style mit passenden Insider-Accessoires. (Von den Tourist:innen wollen wir mal lieber nicht reden)
Jaja, Mode ist sehr profan. Aber Miss TT tritt morgen das Einzige an, was in ihrem Leben so halbwegs mit dem vergleichbar ist, was andere Urlaub nennen. “So halbwegs”, weil sie in diesen vier Wochen meistens konzentrierter arbeitet, künstlerisch, als in den übrigen elf Monaten des Jahres, und wenn sie das in ihren schönsten Klamotten tut, geht das niemanden etwas an.
Hehe.

(Vielleicht das Basilikum doch noch schnell in einen der Balkonkästen auspflanzen…? Im Topf auf der Küchenfensterbank hat es keine Chance -)

Eh bien. Jetzt muss sie nur noch eine externe Festplatte mit allem vollstopfen, was in nächster Zeit an Lohnarbeit zu verrichten oder vorzubereiten ist – Ende Juli geht die Seminarsaison wieder los. Und die Stiftungs Denk- und Textarbeit, sowieso, wird auch von Paris aus erledigt, sonst ist kein Geld da, wenn sie an den heimischen Schreibtisch zurückkehrt. Und Musik! Und die ganzen angefangenen Texte!

Sie wird auch von Frankreich aus täglich von sich hören lassen, geschätzte Leser:innen! Wenn sie nicht kann, wird die Concierge stellvertretend hier einspringen; das hat sie letztes Jahr um diese Zeit auch einige Male getan. Mit so großer Verve übrigens, dass eine Weile lang nicht klar war, ob sie überhaupt das Heft wieder aus der Hand geben würde…

Mit einem Lächeln.
TT