Die Sprache der Anderen, 53

“Phyllis, Sie brauchen einen, der Sie kämmt, Sie brauchen außerdem einen Stiftdienst und einen Fusselrollendienst.”
W.M., Seminarteilnehmer, 18 Jahre, Oktober 2013

Nachdem er einige Male beobachtet hatte, wie ich mich während des Seminars bürstete, übernahm W. die Verantwortung: Immer, wenn er den Eindruck hatte, seine Seminarleiterin sei wieder etwas zerzaust, zeigte er auf die Bürste, die stets neben meinem Laptop liegt. Nachdem dies zum ersten Mal geschehen war, ernannte ich ihn zu meinem Assistenten; zu diesem Behufe habe ich immer ein Extra-Ansteckschildchen “ASSISTENZ” dabei, sein Status war somit offiziell bestätigt. Im Laufe des Seminars erweiterte W. seinen Aufgabenbereich, kümmerte sich um Eddings und Flipcharts und behielt meine Gesamterscheinung mit großer Kompetenz im Auge. Um auch mein Ego zu bürsten, versicherte er mir mehrmals, große Angst vor mir zu haben.
Wenn dieser junge Mann die Bedürfnisse arbeitender Frauen weiterhin so genau beobachtet, wird er noch viel erleben.

Bad boy

Letzter Tag: Heute machen wir ein so genanntes “Zine”. Wir tippen alle Texte, drucken sie aus und kollagieren sie mit Fotos und Schriftzügen, Einzelzitaten und Spontankritzeleien auf jeweils einer A3-Seite pro Teilnehmer:in. Die Kollagen werden dann kopiert, zusammengelegt und zu einer Zeitschrift geheftet. Bin mal gespannt, welche ihrer Texte die jungen Leute zur Veröffentlichung verwenden – gestern schrieb ein junger Mann eine lange Story, die war so geheim, dass noch nicht mal ich sie lesen durfte, geschweige denn die Gruppe. Ziemlich anrührend, wie er auch unter den Anfeuerungen der Gruppe seinen Text unter dem Tisch festhielt und die Hacken in den Boden rammte, um seiner Weigerung Standfestigkeit zu geben.
Natürlich musste er nicht vorlesen. Mir war klar, seine Story handelte von irgendwelchen früheren kleinkriminellen Aktivitäten. Sie war lang. Er hatte zuvor noch nie etwas freiwillig geschrieben und nu’ hielt er die Blätter fest, als stünde er kurz davor, mit ihrer Preisgabe alles zu verlieren, was er seitdem erreicht hat. Mannmann, die rühren mich doch immer wieder, die Burschen.

So. Los geht’s!
Nächste Woche ist lehrfreie Zeit. Jeij! : )
Schönen Tag, allerseits!

16:09 Uhr
FERTIG!

Flapflap

Ich verrate Ihnen etwas: Das “Vorher” – Foto von gestern war gestellt, und auch die Trainerin ist wohlauf.
Sie hat drei Codewörter eingeführt: “Grumpy” für mürrisch, “Flapflap” für kindisch das innere Küken und “Pffffft” für “die Luft ist raus”… : )

Schönen Tag, allerseits!
Herzlich,
THE OWL

Ready, ff

Heute beginnt die Saison: Ab jetzt, bis tief in den Dezember, werden die Workshops und Seminare wieder einen wesentlichen Teil meiner Zeit beanspruchen. Momentan fehlen mir die Worte, um zu beschreiben, wie sich das anfühlt. Aber immerhin, die Eule weiß es!

19:43 Uhr
Wir haben beschlossen, auf die erste Seite unserer Publikation ein Vorher-Nachher-Foto zu setzen.
Hier schon mal das “Vorher”-Bild… : )

Streichlust

“Mach’ eine Kopie von einer deiner Seiten” sage ich zu ihr, nachdem sie ihre Geschichte vorgelesen hat.
“Nimm’ dir einen Edding und streiche so viel aus, dass nur einige Worte pro Zeile stehen bleiben.
Sieh’ deine Seite als Bild an… jedes Wort, das stehen bleibt, nimmt in alle Richtungen Verbindung auf mit den anderen Worten.
Wenn du fertig bist, schau’ dir dein Format an. Wie die übrig gebliebenen Worte jetzt auf dich wirken, welche neue Energie von ihnen ausgeht.”
Sie sieht mich an: “Kann ich raus und auf der Bank arbeiten?”
“Klar. Und lies dir die Worte laut vor. Und langsam.”


“… Und?” frage ich später. “Erzähl’ mal.”
“Es… ist unheimlicher jetzt”, sagt sie. “Mehr wie ein Gedicht. Man kann sich den Rest dazu denken…”
“Du könntest das Stehengebliebene jetzt noch einmal abtippen und als Gerüst für ein Gedicht nehmen, wenn du magst…”
“Es reimt sich aber nicht”
“Gedichte müssen sich nicht unbedingt reimen.”
Sie überlegt. “Eigentlich mag ich es so, wie es ist. Das Blatt sieht so krank aus…”
“Und krank ist gut?”
“Irgendwie schon…”
“Es ist deine Entscheidung. Kommst du wieder rein jetzt und liest es uns vor?”
“Ok.”

Muss los. Neue Gruppe heute. Wieder versuchen, durchzudringen, Barrikaden zu überlisten, Freude an sprachlichen Überraschungen zu wecken.