Wirr, aber entschlossen. Sonntag, 1. Mai 2011

Geschätzte Leserschaft, es muss etwas geschehen, entweder dieses Fräulein hier muss früher aufsteh’n, oder weniger nachdenken beim Schreiben, oder alle fünfe gerade sein lassen und einfach weniger Gedankliches zur Veröffentlichung bringen wollen (als ob davon die Welt unterginge, nicht wahr), wie auch immer, schon ruft die Familie mich aufs Land, die Schwester, die Cousine, der kanadische Hausfreund, nicht zu vergessen die Frau Mama, sie rufen zwar freundlich, aber durchaus hörbar, ich hätte ihnen einen Sonntag zugesagt mit Spargeln und Strickjäckchen, wenn’s auf der Terrasse kühl wird, je nun, da stellt frau sich nicht taub, da packt sie ihr Körbchen, verlässt die Wohnung und versucht sich zu erinnern, wo die Karre geparkt ist, anstatt den Text über Hausfrauen, Leitern und gordische Knoten weiterzuschreiben, den sie heute Morgen begonnen hat, immerhin schon um acht, da wäre eigentlich Zeit gewesen, wenn sie nicht so lahmarschig … aber es wird ein guter Text und sie nimmt das Laptop einfach mit zum Landbürgertum, man wird ihr ein Stündchen die Gnade nachlassender Aufmerksamkeit schenken von Seiten der Familie, da ist sie ganz sicher. Na na, jetzt hören Sie mal auf zu sabbeln, Fräulein, und springen Sie rein in den ersten Mai, immerhin gibt’s davon nur einen pro Jahr, da muss man doch zulangen.
Heftig, aber herzlich grüßend,

Ihr TT!

21:31
Zurück. Natürlich ließ die Aufmerksamkeit nicht so merklich nach, das ich mein Laptop zücken und mich irgendwie in Ruhe hätte niederlassen können, um zu schreiben, weitere Freunde trafen ein, kaum, dass sie von nachmittäglichen Pflaumenkuchenorgien mittels Telefon informiert worden waren, Sahne wurde geschlagen, Stühle und Liegen je nach Sonnenstand von hier nach dort geschleppt, einzelne Gruppen zogen sich in die Gartenbibliothek zurück, bis einer fand, es sei genug, er wolle jetzt seinen Updike lesen dort drin und die anderen sollten, bitteschön, woanders plaudern, die Mutter geriet zwischendurch ein wenig hektisch ob mehrerer unangekündigter Gäste und musste beruhigt werden, der Spargel reichte dann doch für alle, auch der Kuchen, kurz, die Landpartie war ein voller Erfolg und Miss TT muss jetzt dringend ein Wannenbad nehmen, zwecks innerer Einkehr.

Stoff. Donnerstag, 28. April 2011

Bonjour, allerseits. Bürotag heute, Stiftungstexte. Bin guter Dinge, wie immer, wenn ich aus dem Atelier komme. Jemand mailte, ein Artikel über drei Weblogs und die Köpfe dahinter, einer davon der meinige, sei im Dresdner Kulturmagazin Kunststoff erschienen – mal gespannt, ob die an ein Belegexemplar denken. Der Fotograf, den sie schickten, war jedenfalls erstklassig, deswegen >>> hier mal ausnahmsweise ein Profifoto von Miss TT ; )
Grrr. Würde lieber weiterzeichnen.

16:38
Hab’ das Foto vorübergehend offline genommen. Will der Höflichkeit halber erstmal beim Magazin nachfragen, ob ich es verwenden darf; schließlich haben die dafür bezahlt. Bin aber sicher, das wird ok sein – sobald ich eine Reaktion habe, stell’ ich’s wieder ein.
Meine Güte, ist das ruhig heute hier.

Flitteraugen. Donnerstag, 21. April 2011

“Ich möchte mich verorten” sage ich. “Alle diese Jahre, und ich habe kein Haus.”
Sie sieht mich an. Komisch, da kenne ich sie so lange und merke eben erst, wie schön sie ist; offenbar hab’ ich ihr noch nie wirklich ins Gesicht gesehen. Fast türkis dieser Blick. Sind das goldene Einsprengsel da in ihrer Pupille? Ich fass’ es nicht: Die Frau hat Flitteraugen. Und einen so ruhigen Mund. Wie in einen Kahn möchte man sich reinlegen in den, auf den Rücken, und in die Sonne gucken. Dies aber ist ein Arbeitsgespräch.
“Die Leute sollen wissen, wo sie mich finden können” sage ich. “Ich seh’ mir das jetzt lange genug an, wie sie kommen und schreiben und wieder gehen, und danach kreuzen sich unsere Wege nie wieder. Fast schon zynisch, wie ich etwas in ihnen zum Keimen bringe und angieße und dann nie wieder Gelegenheit habe, daran anzuknüpfen.”
“Was schwebt dir vor?”
“Na, ein Haus. Regelmäßig geöffnet. Kontinuierlich Kurse, Biographiewerkstätten, Schreibanregungen, Veranstaltungen. Dazu eine Webpage, besser noch ein Weblog, auf dem die Akteure ihre Texte und Bilder veröffentlichen können. Mit mir als Bezugsperson.”
“Du kannst mit jungen Leuten umgehen…”
“Ich bin nah dran. Mein pubertäres Selbst ist von meinem jetzigen nur einen Schrittweit entfernt, ich komm’ da sofort hin, wenn ich will. Ich weiß ganz genau, wie es sich anfühlt, siebzehn zu sein. Viele dieser alten Gefühle drängen sich auch heute noch in mein Handeln, wenn ich nicht aufpasse.”
Sie geht darüber hinweg.
“Willst du nur mit ausländischstämmigen Jugendlichen arbeiten?” fragt sie.
“Die anderen nehme ich auch.”
“Und mit Alten?”
“Ich stell’ mir sogar vor, dass wir die Kurse mischen, gar nicht auf Kategorien festlegen, keine Etiketten, nichts mit Migranten oder Frauen oder Senioren, einfach gemischte Gruppen.”
(…)
“Wie willst du werben? Wird das dann nicht zu breit vom Angebot her?”
“Gib mir Kontinuität und einen Ort, den ich besetzen kann. Den Rest kannst Du mir überlassen. Ich trage das mit meiner Person. Die Kurse und die Kommunikation nach außen.”
“Ich habe eine Idee, wie wir’s machen können” sagt sie. “Wenn du etwas Zeit hast. Könnte noch ein- zwei Jahre dauern, bis wir’s fix haben. Das Ding ist noch im Bau.”
“Wer wird darüber entscheiden?”
“Ich.”
“Gut.”
“Wir machen das” sagt sie.
“Es ist nicht eilig. Aber ich will langsam friedlich werden, verstehst du?”
“Ja” erwidert sie.

Kurzmitteilung. Montag, 18. April 2011.

Sie brechen durch die Fassade, um mir einen Balkon an die Wohnung zu hängen. Wohnung im Ausnahmezustand, Geräuschpegel ebenfalls. Roter Backsteinstaub überall. Die Umstände sind zum Schreiben ungeeignet; ich verzieh’ mich ins Freie. Ein Hund wäre gut. Bin mürrisch. Sauviel zu tun. Mein Geduldspuffer ist gerade ziemlich abgeschabt.

18:35
Sò. Gehantelt ist. Vorsichtig die Wohnung wieder betreten: noch Handwerker drin? Nö. Also zwei der fünf bis morgen Abend zu schreibenden Texte geschrieben, ein wirklich erstklassiges Projekt für 2012 mit einer starken Frau eingefädelt (die auch die Fäden in der Hand hält, um das durchziehen zu können), ersten Text mit Lob und Minimalkorrekturen zurück erhalten, korrigiert, erneut versandt, mit Frau Mama telefoniert, zweiter Text ohne Korrekturen abgenickt, mit einem lieben Freund geskyped, mails beantwortet, sodann die Balkontür inspiziert (hat noch keinen Griff, weil draußen noch kein Balkon vorhanden), Schreibtisch aufgeräumt, gekocht (Tofu und grüne Bohnen, wer bringt mir (sabber) ein Steak vorbei??), Buchhaltung erstes Quartal sortiert, Material für nächsten Text bereitgelegt. Weiter geht’s. Viel angenehmer als morgendlichen to-do-Listen hinterher zu hetzen ist ja, stattdessen abends kurz zu notieren, was man geschafft hat.
Keine Angst, geschätzte Leser:innen! Ich werd’ mir das nicht zur Gewohnheit machen hier auf TT.
Manchmal ist’s nur einfach so, dass alles Hehre, das zu tun man imstande wäre, in diesem W u s t von extrem sinnvollen Erledigungen einfach zu Schlick wird. Dafür kann man sich dann prima hassen.
Oder weiterbuddeln ; )

x-rated. Samstag, 16. April 2011

(Dauert noch… ; )

19:09
(“… Dann aber morgen!”)
Manchmal frag’ ich mich ernsthaft, wie das gehen soll, erleben und erschreiben gleichermaßen intensiv hinzukriegen, als Nichtworkaholic. Denn ich brauche auch Müßiggang, so zwischen Tat und Schrift. Früher nannte man das “ruhen”, eine gesellschaftlich anerkannte Tätigkeit, vor allem für die Dame.
Nun, diese Dame hier zieht sich jetzt erstmal wieder in den Salon zurück und lächelt ein bißchen vor sich hin. Ganz ohne Finger und Tastaturen. Der Leib will ruhen? Soll er.