Besonders Ihnen, Madame, habe ich viel zu verdanken.
Merci, Simone.
Merci, Monsieur Sartre.
Archiv der Kategorie: Aktuell: TTagesjournal
Großtastentastatur
Frommer Wunsch
Manchmal wünsch’ ich mir nichts als ein
unbeschriebenes Buch zu sein –
Bis später, geschätzte Leser:innen. Die Concierge hat schlechte Laune, deswegen muss ich heute selbst ran.
Ich schreibe mir gerade heimlich einen Flirt. Wenn ich fertig bin, werde ich ihn sorgfältig hinter meinem linken Ohr verstecken. Vielleicht begegne ich draußen jemandem, der ihn findet.
Messieux Dames,
Mme TT est ausgeflogen. Sie ’at Beauftragung gegeben, sie solange ’ier zu vertreten – et ça me fait plaisir, puisque je n’ai rien d’autre à faire toute la journée…
(Ne me croyez pas!)
Aber sie bekommt natürlisch, was sie will. Comme toujours.
Cordialement,
La Concierge
Fallen.
(…) “Man muß die – Tiefe – im räumlichen Sinne des Traums in Rechnung stellen. Im allgemeinen behält man nur, was von seinen oberflächlichsten Schichten stammt. Was ich besonders an ihm in Betracht ziehen möchte, ist das, was beim Erwachen untergeht, alles, was nicht Übriggebliebenes ist vom vorhergehenden Tag, dunkles Laub, blödes Gezweig. Auch in der ,Wirklichkeit’ ziehe ich es vor, zu fallen.” (…)
André Breton : Manifest des Surrealismus (1924)
Haben Sie einen guten Tag, geschätzte Leser:innen!
Ich stürze dann mal ab.
La dernière semaine
“The task of the right eye is to peer into the telescope, while the left eye peers into the microscope.”
Leonora Carrington
Meine letzte Woche in Paris bricht an. Ich werde auf die Jagd gehen, mich an Bildern (und Baguettes) überfressen, als gäb’s kein Morgen. Tele- und Mikroskop sind einsatzbereit. Vielleicht wird mich die Concierge hier auf TT in dieser Zeit vertreten, falls ich zu beschäftigt bin ; )
Lächelnd, Ihre
Mme TT
Montaigne und Diderot
Warum tatschen alle so verrückt nach Montaignes Fuß, während ….
… sich auf Monsieur Diderot seinen anscheinend höchstens mal ‘ne Taube setzt?
Gute Gelegenheit, mal ein wenig die Schriften der beiden Herren zu studieren…
… was ich, nach meinem ausgiebig fußläufigen Tag, nun heut’ Abend mit großem Vergnügen tun werde. Um der Sache etwas Pfiff zu geben, werd’ ich dabei die neuen frivolen Strümpfe tragen, die sich mir heute im Le Bon Marché irgendwie aufgedrängt haben ; )
Geradezu kriminell sentimentale
Es braucht, las ich irgendwo, vier Wochen, bis eine neue, täglich vollzogene Handlung im Gehirn als Gewohnheit abgespeichert wird. Ob das Nichtvollziehen einer Handlung die gleiche Zeit braucht? Wie auch immer – es passt mir, diese Information für wahr zu halten. Denn genau so viel Zeit habe ich: jedes Jahr einmal, in Paris. Ich bin hier ganz für mich. Es ist keine touristische Unternehmung, nicht so, wie andere ihren Alltag hinter sich lassen; ich habe hier eine Selbstverständlichkeit, die ebenso von Routinen geprägt ist wie zuhause. Sie fühlen sich allerdings anders an. Und immer, noch in Frankfurt, nehme ich mir etwas vor für diese Zeit.
Im letzten Jahr musste ich „Fettberg“ überarbeiten – da wurden aus dem einen geplanten Monat zwei. Ich sah damals nicht viel außer „meinem“ Quartier, weil mich die Arbeit so in Beschlag hielt. Die richtigen Pariser:innen verlassen „ihr“ Quartier sowieso selten, nur die Touristen haben Hummeln im Hintern. Versteh’ ich auch. Aber ich bin hier schon von Kind auf immer wieder gewesen, bin zweisprachig aufgewachsen, die ersten Parties als Teenager hab’ ich in Paris gefeiert und natürlich auch meinen ersten Kuss hier … versucht (…?) So muss man es wohl sagen, denn ich wusste damals noch nichts vom Küssen und behielt die Zähne fest zusammen! Ich erinnere mich noch, wie der Junge hieß, der versuchte, sie auseinanderzukriegen. Die Anderen nannten ihn „l’arbre“, den „Baum“. Vielleicht, weil er gerne grün trug? Weiß ich nicht mehr. Aber an >>> „La boum“ erinnere ich mich! Ich war genau im richtigen Alter, als dieser Film anlief. Und wir drehten alle durch.
Es gab eine Party nach der anderen. Meine Cousine und mein Cousin, etwas älter als ich, nahmen mich auf ihren „Mobilettes“ dorthin mit; auf diesen knatternden Mopeds schlängelten wir uns komplett halsbrecherisch durch die Autoreihen. Erstaunlich, dass ich meine Arme und Beine noch habe.
Auf den Feten, die oft in der Banlieue, in den Außenbezirken der Stadt stattfanden, gab es die berühmten „Slow“-Runden. Wurde man von einem Jungen zu einer solchen aufgefordert, wusste man, dass man knutschen würde. Außerhalb dieser Runden tanzten alle getrennt, aber alle geierten auf die Slows. Die Jungs (es waren immer Jungs), die die Platten auflegten, hatten uns sozusagen in der Hand – sie bestimmten, wann wieder eine Runde lief. Es gab diesen einen Hit aus dem Film … „Dreams are my reality“ von … Moment, ich schau’ schnell nach … Richard Anderson. Kaum zu glauben, dass mir das eben wieder einfällt! Dieser Song wurde rauf- und runtergespielt in Paris, und gewiss auch überall in Frankreich. Moment … muss schnell mal googeln …
Höre ihn gerade zum ersten Mal wieder. Mon dieu. Was für ein gnadenloser Kitsch. Aber ich schwöre Ihnen, damals hielt ich das für das schönste Lied der Welt. Ich war zwölf. Wollen Sie ihn hören? Hier >>> ist er : )
Krass, oder?
In Deutschland war alles anders. Auf den Feten. Zumindest auf jenen, zu denen ich eingeladen war. Da gab’s ganz andere Musik, keine offiziellen Slows und die Teens mussten in Eigeninitiative zusehen, wie sie an ihre Küsse kamen – was bei d e r Musik, die da lief, verdammt unwahrscheinlich wurde. In Paris war es viel einfacher! Als Mädchen sah man sich den Jungen an, der einen aufforderte, stand daraufhin auf oder blieb sitzen, alles andere war klar. Wer aufstand, war fällig.
Chouette war das! Von solchen Ausdrücken hatte wir viele. Teensprache. Chouette hieß „grandios“, und wir benutzten es dauernd, weil so vieles grandios war. Ebenso wie „moche“. Moche heißt „mies“. Mit chouette und moche kam man prima durch als Teen in Frankreich. Schade, dass ich nicht weiß, was die heutigen Jugendlichen verwenden. Von „meinen“ in Frankfurt weiß ich’s – auch wenn sich diese Ausdrücke natürlich so schnell verändern, dass man kaum mitkommt als Erwachsene. Ich hatte >>> hier mal ein paar notiert, aber die sind längst überholt. Ich hab’ ein Büchlein, in das trage ich bei jedem Workshop die beliebtesten Worte meiner Schüler ein. Zum Schlapplachen manchmal, worauf die kommen. Beim letzten Seminar fühlten sich alle „tschau“. Ich fragte, was das hieße. Na, gechillt, sagten sie. „Gechillt?“, rief ich. „Ich komm’ euch gleich mit gechillt! Ihr sollt arbeiten und schwitzen!“ Sie lachten mich an. Ich freu’ mich schon wieder auf die Teens, denen ich in der Herbstsaison begegnen werde.
(Wissen Sie übrigens, was chouette wirklich heißt im Französischen? – „Eule“! : )
(Und hier noch ein neues Wort, ich hab’s gestern erst gelernt: “scotché”. So heißt der Tesafilm hier: Scotch. Gestern, im Restaurant, fragte ich meine Tischnachbarin nach der Musik, die gerade lief. “Mais, c’est ADELE!”, rief sie. “Elle m’a scotché du premier moment!”
Sie hat mich vom ersten Moment an an sich geklebt. In Bann gezogen, könnte man sagen. Hübsch, oder?)
Ah, ich wollte doch über etwas ganz anderes schreiben. Über die neuen Gewohnheiten, an denen ich werkle. Und warum ich so wenig von mir hören lasse, seitdem ich hier bin. Andererseits – wozu erklären? Wenn man lange genug abwartet, erklärt sich alles von selbst : )
Im Moment jedenfalls kommt mir die Vorstellung, hier wieder abzureisen, völlig widersinnig vor. Ich bin, im Kern, sehr parisienne. Ich gehöre hier hin.
Cordialement!
Mme TT
Ne me suivez pas
Das Piano
Das Rollklavier ist klein, etwas schäbig, auch die Plastikplane, die der Parkwächter vorhin von ihm abgezogen hat. Sie liegt nun dahinter und flappt ein bisschen im Wind. Vor einer Weile hat der Regen nachgelassen, doch der Wächter rührt sich nicht von seinem Beobachtungsposten. Jemand könnte kommen und das Klavierchen klauen. Es ist der mürrische. Sein Körper sieht aus, als habe er erst angefangen zu sein, nachdem er die Uniform bekam.
Ich kenne alle Wächter inzwischen.
Ich ziehe meine Runden. Wenn ich nächstes Mal hier vorbeilaufe, wird jemand dort sitzen und spielen. So ist es immer. Manchmal nur ein paar schiefe Töne.
Heute aber ist der Jardin des Plantes ganz verwandelt; der Mann am Klavier versetzt ihn bis auf das letzte Körnchen Erde in Schwingung.
Der Park tanzt.
Der Musiker spielt wahnsinnig gut. Die Musik, schon von weitem, lässt meine Schritte schwippen.