Langer Atem

Nur Nachrichten gesehen die vergangenen Tage, gelesen, mit Vertrauten gesprochen. Einige Paris-Bilder heruntergeladen, die ich in späteren Schreibseminaren verwenden möchte: dieser Anschlag wird die Jugendlichen, mit denen ich arbeite, in den kommenden Zeiten sicher ebenso beschäftigen wie mich. Was mir immer wieder durch den Kopf geht dieser Tage, sind Ehre und Respekt. Wie viele meiner Kursteilnehmer:innen ihr Selbstbild und ihr Verhältnis zum Außen über diese Begriffe definieren.
Wie bekomme ich als junger Mensch Respekt von anderen, von der Gesellschaft, in der ich lebe, aus welcher Quelle entwicket sich mein Ehrgefühl? Ist die Gestalt der Demokratie eine vertraute für mich, gibt sie mir Kontur, macht es mich stolz, ihr anzugehören?
Ich halte mir die Gesichter der jungen Leute vor Augen, mit denen ich seit Jahren arbeite, ihre immer wiederkehrenden Themen und Fragen. Viele kommen aus Familien, in denen Religiosität selbstverständlich ist. Sie beziehen eine Grundkonstante an Stolz aus ihrer Religion.
Manche relativieren diese Prägung, wenn sie die Erfahrung machen, dass individuelle Leistungen und Einsichten die Lebensperspektive und den Blick der Anderen beeinflussen, andere verlassen sich lieber auf den Schutzmantel, die Werte ihrer Religion, viele versuchen, beides irgendwie unter einen Hut zu bringen. Was die komplizierteste Variante ist. Für die man Verbündete braucht, die nicht alle das Gleiche sagen, damit sich der eigene Meinungsbildungsprozess nicht immer aus den gleichen Wertetöpfen nährt. Es ist nicht selbstverständlich, ein individueller Geist sein zu wollen und für freies Denken einzustehen, man muss den Sog darin spüren. Die Angst annehmen, die immer mitschwingt. An was halte ich fest, was lasse ich los, was will ich neu schaffen?

Guten Morgen.

Zurück ins Landei

… Was mich auf dem Lande immer wieder fasziniert, ist die Vorstellung der den Dingen des Landlebens innewohnenden Pragmatik. Zum Beispiel, wenn ich ein Vogelhäuschen baue, weiß ich um die Fürsorgepflicht gegenüber diesem Objekt. Was also liegt näher, als die Bürste, mit der zu reinigen ich den Boden des Häuschens beabsichtige, gleich am Objekt selbst zu befestigen? Wen stört’s, dass die Bürste Plastik und blau ist? Die Vögel gewiss nicht.
Nur Madame TT, im winterlichen Garten lustwandelnd, denkt, hach, wie schön, wenn da ‘ne hübsche, nostalgische Bürste hinge, so eine, wie sie nur noch von Manufaktum gewieften Sentinemtalitätsvermarktern angeboten wird.
Ahnen Sie, was gleich danach passiert?
Madame schämt sich. Und denkt: Himmelarschundzwirn, glücklicherweise gibt es noch Ort in ihrem Leben, an denen es auf ihr vermeintlich verfeinertes Stilempfinden nicht ankommt. Orte, an denen Raffinesse Werbung nicht verfängt, noch nie verfangen hat, nie verfangen wird.
Denn Ladybird ist immun, und zwar mit Absicht.
Und das, denkt Madame TT, während sie die nassen Schuhe von den Füßen streift, ist tatsächlich Erholung. Nicht nur für die Meisen.