Das Tainted Talents Wort zum Sonntag, 26

“Gute Story”

Eine gute story braucht einen überragenden Helden. Starke Feinde. Bewaffnete Kämpfe. Eine tragische Liebesgeschichte. Treue und verräterische Freunde. Und viel Tapferkeit, Grausamkeit und Sex.
Sagt Stanley Kubrik.
Okay.
Damit kann ich momentan allerdings nicht dienen.
Ich lese, räume auf, kaufe unnötige Handtaschen und Salat (immer viel Salat), erledige Korrespondenz, Textarbeit und Jahresabschlusskram, rüste meinen Rechner auf, denke nach, renne durch den Park, sehe Nachrichten, denke wieder nach, kämpfe mit meiner neuen Zeichnung (Ah! Immerhin ein bißchen Kampf!), besuche Lesungen, sortiere meine Kontoauszüge.
Von dem, was den Stoff für eine klassische Heldenreise ausmacht, bin ich momentan M e i l e n entfernt. Und wissen Sie was, Leser?
Meinetwegen, solange es so kalt ist und die Tage noch kürzer werden, kann ich auf Demonstrationen von Mut und Tapferkeit auch ganz gut verzichten.

Das Tainted Talents Wort zum Sonntag, 24

“Ehrgeiz”

Ursprünglich von Ehre und Geiz. Die mittelalterliche Bedeutung von Geiz ist aber Gier – Ehrgeiz bedeutete damals also nach Ehre gieren und nicht etwa mit Ehre geizen.
Ein zwiespältiger Begriff. Deswegen ersetzen wir ihn inzwischen gerne mit dem englischen Ambition, das klingt weniger verkrampft. (Von Ambition “getrieben” würde man nie sagen, auch nicht von Ambition “zerfressen”)

Ich sprach in den letzten Tagen mit zwei Künstlern, die unterschiedlicher nicht sein könnten, außer in einem Punkt: Beide arbeiten radikal und kontinuierlich an ihrem Werk. Spezialisten in Sachen Ehrgeiz, könnte man meinen.
Der Erste versicherte mir, je mehr Druck auf ihm laste, desto leistungsfähiger würde er: Sein Ehrgeiz, ja Stolz, bestünde darin, niemals überfordert zu sein.
“Was ist Dein Antrieb?” fragte ich.
“Ich will Spuren hinterlassen. Ich will, dass mein Werk mich überdauert” erwiderte er. Die klassische Künstlerantwort: Ausweichend, aber solide.
Der zweite drückte sich anders aus: “Ich will ein Leben führen, das mich glücklich macht” sagte er. “Ich male, weil Malen das Einzige ist, was mich wirklich packt. Ich will den Flow.”
“Hm?”
“Diesen Zustand, der meinen schöpferischen Prozess begleitet” sagte er.
“Ist der dir wichtiger als das, was hinterher mit Deinen Arbeiten passiert?”
“Ja.”

Diffuse Aussagen. Man muss Stunden reden mit Künstlern, um zur Quelle ihrer Ambition vorzudringen – am Anfang versuchen sie immer, einen mit den bekannten Brocken abzufertigen: Sich in die Geschichte einschreiben, schöpferische Potenz, “nicht anders können” – die ganze Palette. Mach ich auch nicht anders, wenn ich gefragt werde.
Aber eines kann ich sagen: Die Idee, in meinen Werken fortzubestehen, wenn mein Körper mal nicht mehr da ist, motiviert mich kein Stück. Auch der klassische Ehrgeiz, sich schillernd aus einer Masse herauszulösen, ist mir eher fremd.

Ich mochte die Idee von Ehrgeiz noch nie. Obwohl ich ganz sicher Ambitionen habe. Nicht zu knapp sogar. Vielleicht ist es dieser angekoppelte Wettbewerbsgedanke, der mich so abstößt – der gesellschaftliche Kontext liegt mir einfach nicht. Die permanente Rede von “Leistungsbereitschaft” lässt mich schon fast automatisch auf Abwehr schalten: Zu laut dröhnt da die Instrumentalisierung mit.
Ich wollte mich nie um etwas bewerben. Ich wollte nicht gezwungen sein, Hindernisse aus dem Feld zu räumen, um meines eigenen Vorteils willen, schon gar keine menschlichen. Ich wollte auch nicht ständig Bereitschaft signalisieren, den Erwartungen anderer zu genügen. Ich habe ein geradezu unstillbares Bedürfnis nach Freiräumen.
Natürlich bleibt eine Künstlerkarriere auch nicht verschont von Zwängen, ganz im Gegenteil, wir kämpfen uns, wie alle anderen Arbeitenden auch, an den Vorgaben ab, die nun einmal “zum System gehören”.
Dennoch gibt es so etwas wie eine künstlerische Haltung. Sie ist keine Konfektionsware; man kann sie nicht kaufen, nicht erben und nicht leihen – jedenfalls nicht auf Dauer. Als ich beschloss, Künstlerin werden zu wollen, nein, eher eine zu sein, war es wegen dieser Projektion: Dass man als Künstler seine eigenen Regeln aufstellen dürfe. Sogar muss. Dass es möglich sein könnte, mit dieser speziellen Wahrnehmung (die man vor sich her trüge wie einen Schild) ein eigenes Revier aufzumachen.
Na ja. Damals war ich dreizehn.
Was geblieben ist: Die Haltung hinter einem künstlerischen Werk interessiert mich im Grunde nachhaltiger als das Ergebnis.
Ich hab’ eine ganze Menge geschaffen in den vergangenen Jahren – doch das, was ich nicht geschaffen habe, überwiegt bei weitem. Tausende verworfener, versickerter Ideen, Zeichnungen, Bilder, Texte. Ginge ich in der Beurteilung meiner Schaffenskraft nur von Ergebnissen aus, würde meine Bilanz eher ungünstig ausfallen: Sie würde verhagelt von allem, was unsichtbar geblieben ist.
Meine Ambition richtet sich aber mehr darauf, einen unverwechselbaren Blick zu praktizieren: Als Ausdruck einer Haltung, die auch außerhalb der künstlerischen Produktion wirksam wird. In den Zusammenhängen, in denen ich Lohnarbeit verrichte. Während ich durch den Park trabe. In meinen Beziehungen. Beim kochen, saufen, schweigen, denken, vögeln, bei einfach allem. Und: Ich will die Kontexte, in denen ich handle, durch meine Präsenz verändern. Mich in sie einschreiben. Alles, was ich bin – und kann – zielt auf diesen Moment ab, in dem Vermischung stattfindet.

Das Tainted Talents Wort zum Sonntag, 23

“Um den heißen Brei herumreden”

tät ich des öfteren hier, behauptete meine Freundin kürzlich. Ich schnitte Themen an, die ich nicht ausführte, mache Appetit, ohne nachzulegen.
“Beispiel?” fragte ich. Auf den ersten Blick fand sie keines. Vielleicht weiß ich trotzdem, was sie meint. In Abständen tauchen sie tatsächlich immer mal auf – Absichtserklärungen, mich zu bestimmten Dingen zu äußern, auf die dann lange nichts folgt.
Andererseits, ich bin kein Provider! Tainted Talents ist kein Seminar. Ich m u s s nicht liefern. Auch keine vollständigen statements. Irgendwie kränkt mich die Unterstellung, ich redete um den heißen Brei – denn was spricht dagegen, Dinge gelegentlich unausgesprochen zu lassen? Ich rede Tacheles, wenn’s darauf ankommt. Ansonsten versuche ich, nach und nach hier thematisch alles einzubauen, was mir wichtig ist. Ich will hier nicht schreiben, “wie mir der Schnabel gewachsen ist”: Es bekäme mir nicht. Ich muss Formatierungen finden für die Gebiete, auf denen sich mein Denken bewegt. Das braucht seine Zeit – und es ist kein spontaner Prozess. Mich interessieren die Weblogs nicht, auf denen die Leute einfach ihr Privatleben hinschütten.

Das Tainted Talents Wort zum Sonntag, 22

“knacken”

Heißt schlafen. Im Ernst. Erinnern Sie sich?
Weil ich dieses Wochenende ein intensives Seminar mit sieben sehr besonderen jungen Menschen hatte (Danke – ich weiß, dass Ihr hier auftauchen werdet), heute mal ein Wort aus meiner eigenen Jugendzeit. Benutzt niemand mehr: Knacken.
“Kann ich heute Nacht bei Dir knacken?” fragten wir unsere Freunde. “Pennen” ging auch, “knacken” war aber normaler. Keine Ahnung, wie das aufkam. Meiner Mutter entgleiste auf jeden Fall das Gesicht, wenn sie mich das sagen hörte.
“Ich bin volle Kanne eingeknackt in Reli” war damals ein absolut brauchbarer und normaler Satz. (Schwer vorzustellen, hm?)
Schade, die meisten meiner Jugendworte sind mir entglitten. Im Moment fällt mir noch “ätzend” ein. “Krass” war auch beliebt, mit der Steigerung “oberkrass”.
Vielleicht können Sie, werte Leser, ja noch ein paar beisteuern.

Das Tainted Talents Wort zum Sonntag, 21

“anheim fallen”

Seltsamer Ausdruck. So auf der Mitte zwischen “erwischt” und “zum Opfer” werden. Er gefällt mir, weil er einen eher mystischen Zugang zu Gefühlszuständen anbietet, für die wir in unserem Alltagsdenken oft ganz triviale Ausdrücke verwenden: Etwas macht uns “fertig”, oder gleich “kaputt”. Beliebter Anglizismus in diesem Zusammenhang: Der “Knock-out”. Dicht gefolgt vom “Burn-out”.
In diesen Begriffen steckt eine andere Zeit als in anheim fallen. Es ist ein Riesen-Unterschied, ob man sich von einer Depression fertig machen lässt – oder ob man ihr anheim fällt, finden Sie nicht?
Man fällt einer Sache anheim, die mächtiger ist als man selbst. Das kann eine Situation sein, ein Gefühl, eine Droge. In der Literatur ist es der Wahnsinn, dem man anheim fällt. Der Melancholie. Dem Vergessen, oder gleich dem Tod.

Doch um Sie an diesem wunderbar milden Sonntag nicht mit Düsterkeit zu beschweren: Es gibt auch die weniger bedrohlichen Formen wie das anheim geben und das jemandem eine Entscheidung anheim stellen.
Zum Glück fällt mir eben noch ein, man kann ja auch einer Leidenschaft anheim fallen… sicher auch mit beträchtlichen Risiken verbunden, aber doch um einiges attraktiver, als gleich ohne Umweg wahnsinnig zu werden.
Grins.
Auf jeden Fall möchte ich es Ihnen völlig anheim stellen, werte Leser, ob Sie sich heute der sonntäglichen Trägheit anheim geben, oder der Herbstmelancholie anheim fallen
Ich für meinen Teil begebe mich demnächst ins Atelier, um diese vermaledeite Zeichnung zu vollenden, deren, ich glaube mittlerweile vierte, Version ich in Arbeit habe. Es ist nicht beheizt, mein Atelier, nur ein kleines Heizlüfterchen zu meinen Füßen verhindert, dass ich der Auskühlung anheim falle.

Das Tainted Talents Wort zum Sonntag, 20

“jemandem gewogen sein”

Ich muss zugeben, dass ich diesen Ausdruck der Zuneigung wirklich sehr, sehr mag. Auch wenn er sich besser für Schriftliches eignet. Zum Beispiel als Abschluss eines Briefes (ja, die gibt es noch, die Dinger auf Papier) an jemanden, zu dem man ein freundliches, aber nicht unbedingt vertrauliches Verhältnis hat. “Bleiben Sie mir gewogen!” eignet sich trefflich, um einen Brief an eine solche Person zu beenden. Da schwingt ein gewisses Augenzwinkern mit, das uns in den üblichen Briefabschlüssen meist fehlt. Die sind entweder förmlich oder vertraulich, dazwischen gibt’s nicht viel.
Auch, um über Abwesende zu sprechen, kann man gewogen benutzen: “Die beiden sind sich sehr gewogen” passt zum Beispiel gut auf ältere Männer, die seit Jahren befreundet sind, ohne dass man sie als Kumpanen bezeichnen würde.
Bin ungeduldig heute, verehrte Leser&innen, mich drängts ins Atelier. Zum gewogen sein gäb’s noch einiges zu sagen, aber vielleicht kommt das heute mal von Ihnen? Ist ja Sonntag. Da könnten Sie doch mal ein Sätzchen oder zwei hier formulieren, während ich mit meiner neuen Zeichnung ringe.
Ja, auch mit Zeichnungen kann man ringen.

Das Tainted Talents Wort zum Sonntag, 19

“sich sputen”.

Auch früher gab’s massig Modewörter, das hier ist eines. Auch wenn es Mitte des 18. Jahrhunderts noch “sich spuden” hieß, aber die gleiche Bedeutung von beeilen hatte. Nachdem ein sehr gegenwärtiger Dichter das Wort bereits zum zweiten Mal in einer Mail verwendete, machte ich mich im Adelung auf die Suche nach seinem Ursprung und fand folgendes: […] “erscheint das wort in der litteratursprache bei schriftstellern hoch- und niederdeutscher heimat, gleichsam als dichterisches modewort, anfangs in der niederdeutschen form sich spuden: der prinz wirft alle uhren zusammen, schimpft auf ihre trägheit, dasz sie sich nicht spuden, und die stunde so schnell bringen, als seine leidenschaft es heischt.” […]

Ich erinnere mich, dass auch mein Vater jetzt muss ich mich aber sputen verwendete, allerdings in weniger romantischen Zusammenhängen als der Prinz. Er war es, der mir die Zuneigung zu veralteten Worten und Begriffen einimpfte, sicher, ohne sich dessen bewusst zu sein. In meiner Erinnerung an ihn sind es aber immer diese Worte, die bestimmte Bilder von ihm aufrufen; ich glaub fast, ich mach das “Wort zum Sonntag” für ihn, wo auch immer er jetzt ist.
Und natürlich für Sie, geschätzte Leser: Ich krieg ja schon manchmal mails mit Vorschlägen – die freuen mich ungemein.
(Ungemein. Noch so ein fast versunkenes Wort)