Die Geschenke der Frauen, 1

[…] Oben hingegen ist alles licht, ist Training und Verlass, oben wirken die Frauen mit ihren Beobachtungen.
„Du warst“, sagte gestern Abend eine nach der Veranstaltung, „einfach großartig. Du bist so gesammelt in deiner Präsenz.“
„Ich versuche beim Lesen, die Texte aus den Gräbern ihrer Formulierungen zu ziehen: Sie sollen wieder pure Gegenwart werden. Unmittelbar. Besonders, wenn ich wie heute aus den Memoiren anderer vortrage.“
„Weisst du, was mir besonders auffiel? Wie du dir in aller Ruhe ein Glas Wasser eingegossen und einen Schluck davon genommen hast, während dir fünfzig Leute zusahen.“
„Was ist daran ungewöhnlich?“
„Dass du nicht mit irgendeiner Geste entschuldigt hast, dass du die Leute warten ließest; du hast vor aller Augen Wasser getrunken und sonst nichts: keine Moderation des Augenblicks. Es war toll, dir dabei zuzusehen. Und dann der Moment, nachdem du das Glas abgestellt und mit deiner Stimme in den Text eingedrungen bist.“
„Es war eine Kriegserinnerung.“
„Die haben wir gespürt.“
[…]

Zündung

(Mein zweiter Tag als Externe im Projekt an der CHS Schule. Spät dran. Mit den Schüler:innen arbeite ich bis nachmittags, im Anschluss eile ich ins Historische Museum zu einer Veranstaltung, bei der ich einige autobiographische Texte lesen werde, die im Rahmen von Schreibwerkstätten der so genannten “Bibliothek der Alten” entstanden sind. Wird ein voller Tag. Schokolade nicht vergessen. Muss los.
Haben auch Sie einen schönen!
Phyllis)

Farah Days Tagebuch, 30

21. März 2015

Fragen an einen potentiellen Geliebten

Wie hast du es bis hierhin geschafft? Was ist dein bester Trick? Worauf verlässt du dich, wenn alle Systeme versagen?
Könntest du einen schwierige-Fragen-Text schreiben? In welches Tier hättest du dich verwandelt, wenn du Kafka gewesen wärest? Wie lange kannst du dich wirklich am Stück konzentrieren? Wie hoch ist die Miete für den Lagerraum, in dem du deine unlösbaren Probleme aufbewahrst?

Wie oft hat es dich schon weitergebracht, der Realität ins Auge zu blicken? Wärst du gern häufiger unsagbar geil? Gibt es einen Alptraum aus deiner Kindheit, an den du dich immer noch erinnerst?
Hast du ein Talent, für das du noch nie Anerkennung bekommen hast, geschweige denn Entlohnung? Wie viele Häute besitzt du?
Wie viele Überlebensrituale praktizierst du? Wie viele davon hast du selbst erfunden? Wer kann dir das Wasser reichen? Wer reicht dir Wasser? Wie oft hat dich in der vergangenen Woche der Gedanke, hinterher aufräumen zu müssen, an einem Vorhaben gehindert?

Wer bügelt deine Versäumnisse aus? Vermutest du oft, dass andere etwas besser hinbekommen als du? Riechst du heimlich an deinen Achselhöhlen?
Schöne Bescherung: Klingt das in deinen Ohren eher nach Weihnachten oder danach, dass du etwas ausgefressen hast? Wie belohnst du deine Verbündeten? Kannst du dich einem Menschen hingeben, für den du nicht die erste Wahl bist?
Könntest du eine Stalkerin lieben? Glaubst du, dass Wichsen zur Psychohygiene gehört? Wie viele Menschen leben in deiner Wohlfühlzone? Stehen dir Parallelwelten zur Verfügung?
Hast du eine Exit-Strategie? Was löst das Wort „Beschwörung“ in dir aus?

Bist du troy? Pickst du Rosinen? Welches Verkehrszeichen würdest du gerne in der Straße aufstellen, in der du lebst? Hast du ein unsichtbares Muttermal und welche Form hat es? Welche Auswirkungen hat deine Genügsamkeit? Welche Auswirkungen hat dein Größenwahn?
Wie raffiniert ist das Vokabular, mit dem du deine Ängste verschleierst? Zuckst du zusammen, wenn eine Frau „ficken“ sagt? Magst du Hefe?
Sollten dir mehr Menschen huldigen? Was inspiriert dich zu aufregenderen Ideen: Information oder Desinformation? Wärst du glücklicher, wenn du tatsächlich der Mensch wärst, den die anderen in dir sehen? Wie fändest du es, wenn ein Abguss deines Körpers als Modell für eine Schaufensterpuppe verwendet würde? Genießt du es, wenn dich andere kopieren?
Bist du endgültig?

Klinkengruß

Der Klinkengruß. In diesem Falle jener meiner Nachbarin von oben. Doch was hindert mich und uns eigentlich, ihrem Beispiel zu folgen und ab- und an jemandem etwas an die Klinke zu hängen – seien es nun bekannte Menschen oder gänzlich Fremde?
Mir jedenfalls fiel nach langer, langer Zeit mal wieder dieses practice random acts of kindness ein, als ich die Praline von der Klinke nahm.
Die, doch das bedarf sicher keiner gesonderten Erwähnung, zu meiner Genesung erheblich beigetragen hat.
Also: Besorgen Sie sich einen Bindfaden und etwas Eingewickeltes und ab damit an die nächste Klinke!