Zwischenstand

Geschätzte Leser:innen, Sie haben’s gemerkt: Hier war in den vergangenen Wochen selten Intensität zu spüren, dafür im Offline umso mehr. Doch die hochfrequente Seminar- und Workshop Frühlingssaison ist hiermit abgeschlossen, jetzt kommen vor der Sommerpause nur noch ein paar vereinzelte; ich kann mich also wieder ein bisschen breiter ausfächern in den kommenden Wochen. Halleluja!

Ich hoffe, Sie sind wohlauf. Madame ist noch ein wenig außer Puste. Es wird sicher ein paar Tage dauern, bis ich die öffentliche Person von mir abgepellt habe und wieder ins Tastende zurückkehren kann. Ich freu’ mich unbändig darauf. Auf Seltsames, Ungerichtetes, Unvermitteltes, und auf Beobachtungen, die nicht gleich in Methoden umgemünzt werden müssen.

Ich hab’ so viel navigiert. Ermutigt. Tränen getrocknet. (Wenn Sie wüssten, wie viele!) Nun lege ich mich auf den Rücken und lasse die Sprachen treiben, mindestens zwei Tage lang.

Ich wünsche leichte Pfingsten, allerseits!

Verträumt, Ihre
Mme TT

Morgenplaudern

Früher, am Schreibtisch sitzend, konnte ich immer direkt über die Straße und einen kleinen Vorplatz in die entkernte Halle eines stillgelegten Straßenbahndepots hineinsehen. Es ist eine ziemlich große Halle, wie man sich vorstellen kann; schließlich musste dort nachts eine stattliche Anzahl Straßenbahnen geparkt werden. Zu meiner Zeit aber schon nicht mehr.
Oh, die Halle steht noch – ein REWE ist da jetzt drin und verführt mich zu Einkäufen kurz vor Mitternacht. Dieses Ritual aber, meine Gedanken und Ideen durchs Fenster über die Straße in dieses hundertjährige Depot zu schicken, kann ich nicht mehr praktizieren, seitdem die Supermarktkette es mit Waren zugestopft hat wie eine Presswurst. Es funktioniert einfach nicht mehr als externe Festplatte für mein Gehirn.
Momentan beobachte ich meine drei Meisen. Im Flieder, der auf dem Hinterhof bis zu meinem Balkon hinaufreicht, habe ich ihnen ein paar Bällchen aufgehängt. Zwei Kohlmeisen, eine Blaumeise. Die drei sind ziemlich zahm inzwischen. Und sie sind unglaublich hungrig. Füttern wahrscheinlich gerade. Sehr kontemplativ ist das Meisenritual nicht, können Sie sich ja denken.

Anyway. Muss los. Zweitletzter Tag der Intensivwoche; die kids sind schon ganz gaga, weil sie morgen vor großem Publikum auftreten müssen…

Wünsche einen guten tag, allerseits!

Herzlich,
TT

Don’t push, ff

Madame befindet sich in einer Intensivwoche. So werden im Stiftungssprech die jeweils letzten Wochen eines Langzeit-Projekts genannt, an deren Ende eine Aufführung mit den Projektteilnehmer:innen steht.
Madame, folgerichtig, steht unter Strom. Sie muss demnächst unbedingt mal wieder Kontakt mit ihrer >>> inneren Schnecke aufnehmen.
Hoffentlich hat sie den Schneckensprech noch nicht verlernt vor lauter –

Himmelfahrt ohne Kommando

Es wird Sie, geschätzte Leser:innen, nicht verwundern, dass TT sich heute aufs Land verfügt. Wahrscheinlich – hoffentlich! – sind Sie ja selbst nicht am Schreibtisch.
*lächelt*
Und obwohl es für Künstler:innen, wie ANH >>> drüben so trefflich analysierte, zwar keine arbeitsfreien, wohl aber Feiertage gibt, wird Madame denselben mit Ladybird verbringen. Oh ja. Ganz ohne Vorhaben, geschweige denn Projekt.
Die beiden werden die >>> Bettelfische füttern, den Briefträger mit ihrer Nackigkeit erschrecken (ah, der kommt ja heut’ gar nicht, schade) und gemeinsam den Spargel schälen und verzehren, den Ladybird gestern zu diesem Anlass beim Bauern besorgt hat.
So sieht’s aus.
Ich bekam kürzlich den leisen Hinweis, TT sei ein literarisches Weblog und möge doch bittschön seiner Verantwortung dafür gerecht werden. Fiele mir nichts von angemessen hohem Niveau aus dem Hirne, solle ich bitte schweigen, anstatt die Kunst mit Plauderei zu verwässern. Ich gebe zu, der genaue Wortlaut der Aufforderung ist mir entfallen: Ich war, ebenso wie mein Ratgeber, nicht mehr ganz nüchtern zum Zeitpunkt des Ausspruchs.
Jetzt aber bin ich’s!
Und verkünde hiermit, dass Madames Zellen geradezu durchtränkt sind vom Literarischen. Falls das nicht immer offensichtlich werden sollte aus ihren Beiträgen, muss eben jemand anders einspringen, es gibt ja genug begabte Köpfe da draußen.
Gell?
Fühlen Sie sich ruhig gemeint.

Sagt, vergnügt, Madame TT, die jetzt –
aber das wissen Sie ja bereits.

15. Mai 2015
(Lang lebe der Brückentag)

Spuren hinterlassen, 37

“Mein Lieblingswort ist ‘egal’. Denn wenn mir jemand sagt, dass etwas egal ist, fühle ich mich frei. Ich gehe meinen eigenen Überlegungen nach, kann meinen Impulsen Raum geben. Ich hasse es, gegängelt zu werden, Aufträge zu bekommen.”

Wir haben im Rahmen unseres Projekts ein Video gedreht. Es ging um Lieblingsworte; alle Teilnehmerinnen sagten ihrs sowohl in der Muttersprache als auch auf Deutsch und begründeten ihre Wahl.
Die tauchten dann auch auf den Textwürfeln wieder auf, mit denen wir die Ausstellung bestückten.

Madame hat das mit dem “egal”- Gefühl natürlich auch mal ausprobieren wollen.
Interessante Erfahrung.

Plädoyer fürs Lernenwollen

Madame sprach gestern im getäfelten Raum des Weltkulturen Museum vor einer stattlichen Anzahl von Gästen über die Arbeit der vergangenen Monate. Zu welchem Anlass, hatte ich ja gestern schon erzählt. Und da mir der gestrige Tag immer noch nachgeht mit allen seinen Nervositäten und Höhepunkten und Erleichterungen (((nicht zu vergessen unverhohlen vorgetragenen Triumphgesten))) dachte ich, Sie möchten vielleicht auch ein bisschen daran teilhaben. Deswegen hier meine Rede:

Was für ein Vorhaben!

Dreiundzwanzig Frauen mit insgesamt siebzehn verschiedenen Muttersprachen haben sich seit September vergangenen Jahres einmal monatlich im Dachgeschoss des Weltkulturen Museum zusammengefunden, um sich dem Abenteuer des Schreibens in deutscher Sprache hinzugeben.
– Was daran abenteuerlich ist, fragen Sie?
Nun, zunächst einmal ist ja schon das >>> SABA-Stipendium selbst ein Abenteuer für die Frauen.
Denn wer wagt das schon, was sie gewagt haben? Wer von uns traut sich, die gut eingespielten Strukturen in Frage zu stellen, die unser Leben ausmachen, um nach Weisheit zu suchen, genau so, wie es der legendären Königin von Saba nachgesagt wird?

Das Älterwerden, beispielsweise, gibt uns eine Struktur vor.
Die Kinder, Eheverhältnisse, Freundeskreise, die sozialen Bündnisse.
Gut kochen zu können gibt Struktur.
Ein bestimmtes Äußeres zu haben.
Das Nervenkostüm, ob stark oder schwach, gibt Struktur.
Auch ein gerüttelt Maß, wie es meine Großmutter genannt hätte, also über ein gerüttelt Maß an Vernunft zu verfügen, gibt Struktur.

Ist das denn nicht genug für ein stabiles und gutes Leben? Warum weitersuchen nach neuen Herausforderungen?

Womit wir schon ein bisschen beim Thema wären… denn haben Sie sich nicht eben gefragt, woher sie stammt, diese Redewendung? Ein „gerüttelt Maß“?


Gerüttelt bezeichnet eine ansehnliche Menge von etwas. Es ist ein altes Händler-Wort.

Stellen Sie vor, sie haben ein Kilo Kaffee gekauft, doch der Behälter in ihrer Küche, in dem sie ihren Kaffee aufbewahren, ist ein bisschen zu klein. Sie müssen also das Gefäß vorsichtig etwas rütteln, damit sie ihre Kaffeedose zukriegen. Vielleicht schlagen sie sie auch ein paar Mal vorsichtig auf dem Küchentisch auf, dann setzt sich das Pulver besser. Und schließlich klappen sie den Deckel zu mit dem guten Gefühl, wieder eine bis an den Rand gefüllte Dose Kaffee im Schrank stehen zu haben.

Irgendwann hat dann jemand angefangen, das gerüttelt Maß auch für andere Zusammenhänge zu verwenden. Wenn man ausdrücken wollte, dass wirklich viel von etwas verwendet wurde.
Man kann jemandem ein gerüttelt Maß an Fragen an den Kopf werfen, ebenso, wie man versuchen kann, sich ein gerüttelt Maß an Bildung anzueignen. Oder an Wortschatz.
Inzwischen wird die Redewendung nur noch selten verwendet, aber zum Ausgleich sind unzählige andere entstanden. Viele von ihnen auch durch die Vermischung der Kulturen.

– Warum ich Ihnen das erzähle?
Ganz einfach, um den Unterschied zu zeigen.
Wenn man nämlich eine Sprache lernt, mit Leidenschaft lernt, wird man zu einem Gefäß, das immer mitwächst. Egal, wie viele Wörter man schon in sich aufbewahrt, man ist nie zu klein für die neuen.

Was mich daran erinnert, wie meine Freundin Parastou vor vielen, vielen Jahren aus Teheran nach Deutschland kam, um an der Kunsthochschule Malerei zu studieren, an der auch ich studierte.
Als ich sie kennen lernte, sprach sie noch sehr gebrochen Deutsch, doch je enger unsere Freundschaft wurde, desto umfangreicher wurde ihr Wortschatz und desto mehr Freude bekam sie an der deutschen Sprache.
Immer, wenn wir, ihre Freunde, ein Wort oder eine Redewendung fanden, die wir besonders mochten, schrieben wir sie in Parastous Küche an die Wörterwand. Als Geschenk.
Die mit den Jahren immer umfangreichere Wörtersammlung war für uns alle ein Schatz, nicht nur für meine Freundin: da schrieb auch immer wieder mal jemand einen Begriff oder eine Redewendung dazu, die man selbst schon lange nicht mehr benutzt, oder sogar vorher noch nicht gekannt hatte.
So lernten wir miteinander.

Eine der SABA-Stipendiatinnen sagte kürzlich, ein guter Lehrer müsse auch ein guter Freund sein können. Man kann es auch umgekehrt formulieren: Gute Freunde sollten auch gute Lehrer sein wollen.
Wir alle lernen voneinander, nein, besser, wir alle sind mittendrin im Lernen.
Es gibt kein abgeschlossenes Lernen.

Leute, die glauben, sie wüssten schon alles, sind keine interessanten Gesprächspartner, finden sie nicht? Viel spannender sind die ewig Neugierigen. Die Hungrigen. Die Wissensdurstigen. Also alle diejenigen, die bereit sind, sich zu bewegen, etwas in Gang zu setzen, meinetwegen auch zu kämpfen, wenn es nötig ist, um ihrer Lebenslust und ihrem Wissensdurst Platz zu verschaffen.
Das ist etwas, das die SABA-Frauen wissen. Was auch ihre Familien und Freunde wissen, die sie auf dem neuen Weg unterstützen, den sie eingeschlagen haben.

…Einen Weg einschlagen: Das klingt doch so, als lägen da einige Hindernisse quer drüber, stimmt’s? Um einen Weg einzuschlagen, braucht man manchmal eine Axt oder zumindest eine Machete, um ihn freizubekommen, nicht wahr?
Was Hindernisse sind, wissen wir alle. Davon haben wir alle schon ein gerüttelt Maß erlebt.
Aber – Achtung, neue Redewendung! – klein beigeben wollen wir doch nicht. Und die SABA-Frauen erst recht nicht.

… „Klein beigeben“ stammt übrigens aus dem Kartenspiel. Ein Spieler gibt klein bei, wenn er hohen Karten des Gegenspielers nichts entgegenzusetzen hat und nur kleine, also wertlose Karten ins Spiel geben kann.
Will heißen: Man gibt auf. Klein beigeben heißt resignieren.

Und das ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was wir die vergangenen Monate miteinander getan haben.
Wir haben einen Weg eingeschlagen, zusammen, einfach mit Lust und Sympathie und Neugier auf das, was in unserer Reichweite liegt. Denn Wörter haben den ungeheuren Vorteil, dass sie einfach um uns herumschwirren. Sie kosten nichts! Man muss sie nur einfangen und zum Schreiben verwenden. Je mehr man davon in sich aufbewahrt, desto leichter wird das mit dem Schreiben.
Ein Wortschatz, im Gegensatz zu anderen Schätzen, wird nicht weniger, wenn man ihn verschenkt. Ist das nicht großartig?

Deswegen haben wir das Einfangen von Wörtern geübt. Wir haben mit der Sprache gespielt. Uns ist mit der Zeit auch klar geworden, welche Schätze wir in unseren Erinnerungen mit uns tragen! Wie wir sie mit dem Schreiben ans Licht bringen und mit anderen teilen können und wie stark das macht.

Sie werden sehen, liebe Gäste, wie unterschiedlich die Texte sind, die wir ihnen heute zeigen und vorlesen. Manche stehen ganz frei, manche sind zu Geschichten geworden, manche sind zärtlich, andere frech und ein paar sind so leise, dass sie wirken, als würden sie einem ins Ohr geflüstert.

Ich bin sehr stolz, ein Teil von alldem gewesen zu sein.
Es war mir eine Ehre, Euch manchmal einen Stubs in die ein- oder andere Richtung geben zu dürfen, anregen zu dürfen, animieren zu dürfen. Ihr seid mir ans Herz gewachsen, Ihr SABA-Frauen. Ich bin stolz auf Euch.
Ihr habt mir ein gerüttelt Maß an Erfahrungen geschenkt. Und wenn mir irgendwann mal der Mut fehlen sollte, mich auf ein Abenteuer einzulassen, werde ich an Euch denken und mit welcher Courage Ihr den Weg in ein neues Lernen eingeschlagen habt.
Ganz ohne Axt.

Ich danke euch.

Und hier >>> noch ein bisschen Presse.