Augen und Tränen und Morde des Tages und Geld zählt nicht

Diesen Satz hatte ich heute Morgen im Kopf, als ich aufwachte; der dazu gehörige Traum ist mir entfallen. (Geld zählt aber durchaus in diesen Wochen, auch ich hatte Lehmann-Papiere, die zerstoben sind)
Anyway.
Ich habe mich, wie oft Sonntags, mit dem Laptop ins Bett zurück gezogen, die Glieder schwer vom Morgenlauf im Park. Es ist ruhig im Haus, so ruhig, als ob auch alle anderen in ihren Wohnungs-Schachteln steckten, ohne sich zu rühren; selbst die Zeit stand während der Nacht eine Stunde still.
Der Kaffee schmeckt nach Cognac und Zucker.

Womit beschäftige ich mich wirklich?
Die Dinge, von denen ich glaube, mich mit ihnen beschäftigen zu sollen, sind ganz andere als diejenigen, die mich tatsächlich in Beschlag nehmen. Die Frage ist, stehe ich irgendwann mal zu dem, was mich tatsächlich beschäftigt, oder jage ich noch ein paar Jahre einem Selbstbild hinterher, das ganz offensichtlich künstlich und konstruiert ist?

Ich bin zum Beispiel kein Spiegel der Gesellschaft, obwohl ich das immer wieder von mir verlange, sondern ein reichlich egozentrisches Wesen, das sich der Abstraktion schon so oft verweigert hat, dass der Weg dorthin algenteppichartig zugewuchert ist. Abstraktionsvermögen aber wäre eines der Dinge, die ich von mir verlangen würde: Die Fähigkeit, den Maßstab zu wechseln.
Was ich stattdessen mache: Haare waschen.
Eine andere Qualität, die ich mir gerne auf die Fahnen schreiben würde, ist der Mut, gesellschaftlich auch mal ins Fettnäpfchen zu treten. Mich „daneben“ zu benehmen. Das (mit einem gequälten, später befreiten Lächeln) zu überstehen.
Was ich stattdessen betreibe: Mehr oder weniger kluges Networking.
Eine dritte Sache, auf die ich sehr stolz wäre, (wenn ich sie denn praktizierte), wäre die Fähigkeit, mich inhaltlich in gesellschaftliche oder kulturelle Zusammenhänge einzumischen, in denen ich mich nicht kompetent fühle. Auf die Gefahr hin, dass das, was mir dort passierte, eventuell ein schmerzhafteres Lernen wäre als jenes, das ich gewohnt bin.
Was ich stattdessen mache: Die ganze Stadt nach einer guten Joggingjacke abklappern.

Okay. Ich glaube, ich habe mich deutlich ausgedrückt : )
Sollte ich hier und jetzt eine schnelle Liste der Dinge anfertigen, mit denen ich mich zur Zeit wirklich, freiwillig und leidenschaftlich beschäftige, würde diese so aussehen:
Was Freundschaft bedeutet
Wie Denken funktioniert
Was Lust ausmacht
Wo sich Kontinuität lohnt
Wie Bilder entstehen
Wo Geld zu machen ist
Wie ich mich mit der Welt verbinde
Welche Dinge mir so wichtig sind, dass ich Arbeit investiere

– ————————–Pardon!!!
Das war die geschönte Liste!
Ein Versehen.
Hier die echte:

Wie lange gehe ich morgen joggen
Wie lange kann ich den nächsten Job noch aufschieben, ohne Terminsstress zu bekommen
Zieht die Augencreme gut ein
Wird X riechen, dass ich geraucht habe
Ist noch Hühnchenwurst da
Warum reagiert Y nicht auf meine Email
Denkt Z, dass ich mit mir nichts los ist, wenn ich heute Abend Tatort kucke
Wie kann ich etwas über mich so erzählen, dass andere etwas damit anfangen, es sich zu eigen machen können

Tja. Solche furchtbaren, einfachen Sachen. Ein paar intime hab ich, mit Verlaub, ausgelassen.
Wie soll man DARAUS Welt basteln, Leser?


Seitdem ich wieder zeichne, stellen sich Konstellationen ein, Gedankengänge, die mir beim Schreiben nie unterkommen: Da gibt es Figuren, die immer wieder auftauchen, Alter Egos fast, dazu fabelhafte Tiere, die sprechen, Proportionsverschiebungen, die mir schreibend nie gelingen, Witzigkeiten, die mein Schreiben nicht hervorbringt. Ich bin, ganz offensichtlich, im Zeichnen humorvoller als im Schreiben. Vielleicht, weil am Zeichentisch mein Anspruch nicht so verflixt hoch gehängt ist. Je ernster ich etwas nehme, desto größer die Verkrampfung.

(Ich glaube ja, dass jeder schöpferisch engagierte Mensch nicht mehr als drei oder vier Themen mit sich herumträgt. Gesellschaft, Beziehungen, die großen Geschosse wie Liebe, Ablehnung, Leid und Tod, Familie. Utopien, die immer aus der kritischen Hinterfragung dessen, was die eigenen Lebensumstände ausmacht, resultieren.
Wie ego-zentrisch oder ex-zentrisch diese Themen dann abgearbeitet werden, ist eine Frage der Persönlichkeit. Ich zum Beispiel werfe mir oft vor, zu sehr auf mich selbst bezogen zu sein:
Ein Grund, warum Tainted Talents so wichtig für meine Entwicklung geworden ist, als Medium, das anderen erlaubt, an meinen Prozessen teilzuhaben, ja, sie sogar begleitend zu kommentieren. (Wenngleich meine Leserschaft – ja, Sie! – ein wenig zurückhaltend ist, insgesamt)
Aber das kann sich ja ändern.
Wichtig ist mir das unfertige an TT. Es gibt keinen Vertrag, keine Durchgängigkeit, ich hab keine gültigen Schlussfolgerungen anzubieten. Manchmal noch nicht einmal anständige Fragen. Dies ist so eine Art virtuelles Atelier – hier wird noch gearbeitet.

Wie als Gegenreaktion

zum allgemeinen Buchmessewahn der letzten Woche habe ich die Tage nur gezeichnet.
Nur langsam kriechen mir die Ideen für neue Texte wieder auf den Schreibtisch, so weit an den Rand hatte ich sie bugsiert.
Manche hingen nur noch an zwei Fingern (Klauen?) von der Tischplatte. Jetzt ziehen sie sich wieder hoch, etwas mager geworden; ich muss sie erst einmal wieder anfüttern. Habt ein bisschen Geduld, liebe Leser.

Puderwatte

Klagen über die Anderen, die “vom Leben” Kirschen bekommen, die einem selbst vorenthalten bleiben, ist mir ziemlich fremd. Falls ich’s doch einmal tue, so wie gestern, dient es der Unterhaltung meiner Leser. Hätte ich ein echtes, wirkliches Problem damit, würde ich nicht auf TT darüber schreiben.
Was ich nicht ertrage, weder an mir noch an anderen, ist dieses geduckte Denken, das immer davon ausgeht, andere hätten es leichter als man selbst. Ich bin kein süßes weißes Schäfchen, das einen Kübel schwarze Farbe abbekommen hat, während die anderen fröhlich frisches Gras rupfen. So aber fühle ich mich, wenn ich mit Allgemeinplätzen getröstet werde. Sorry, der Herbst mich mich streng ; ) Doch das musste gesagt werden. Manchmal macht man den Anderen unabsichtlich klein, indem man ihn einzuckert. Dabei erwische ich mich auch selbst immer wieder.

Die Sache mit der Buchmesse

“Die Liebe zum Gedruckten lässt Menschen auf der Frankfurter Buchmesse wahre Torturen ertragen: Lesungen in schlecht belüfteten Räumen, Herumrennen in riesigen Hallen, dazu labbrige Häppchen und zu viel Kaffee. Andrea Diener mischt sich unters Volk und berichtet von Neuheiten, Randerscheinungen und liebgewonnenen Traditionen eines schwer zu durchschauenden Großereignisses.”

Na ja, das schreibt FAZ Net über Frau Diener – sie selbst hätte es witziger formuliert.
Ich werde wohl nur punktuell registrieren, was sich nächste Woche auf der Buchmesse so alles tut.
Umso freudiger sehe ich gerade, dass Andrea Diener, deren granteliges, aber wunderbar humoriges Weblog “Reisenotizen aus der Realität” http://gig.antville.org ich immer wieder gerne lese, von der FAZ aufgefordert wurde, das Ereignis bloggend zu begleiten.

Und zwar hier: Buchmesseblog

Siri Hustvedt

gelesen, “The blindfold”.

Erstaunliches Debut, erschienen 1992 bei Sceptre. (Im Deutschen “Die unsichtbare Frau”)

War krank heute, deswegen las ich den ganzen Roman in einem Rutsch durch. Neun Stunden. Zeitweilig fühlte ich mich so hineingezogen in die Borderline-Psyche der Erzählerin, dass sich mir unter der Bettdecke die Haut kräuselte – dann musste ich mich aufraffen und mir beruhigende Süppchen kochen.

Vielleicht erzähl ich später, warum mich “The Blindfold” so bewegt. Bin krank und grantelig heute, keine guten Voraussetzungen für Buchkritik. Leg mich wieder hin.

Kitsch, meine Gnädigste, Kitsch!

Vor einiger Zeit ging ich bei mir im Viertel an einem Buchantiquariat vorbei, in dessen Auslage mir ein paar fette Bände ins Auge fielen: Angelique von Anne Golon, in der Ausgabe von Blanvalet, die den Namen der Heldin in Schreibschrift kursiv auf dem Titel trägt. Diese Umschläge sind mir unvergesslich. Ich sage nur: Stadtbücherei.
Ich stoppte kurz, ging dann aber weiter, weil ich einen Freund an der Seite hatte, vor dem ich mich nicht blamieren wollte. (Na ja, sagen wir, ich wollte ihm keine spontane Regression erklären müssen an einem bis zu diesem Zeitpunkt ziemlich erwachsenen Tag.)

Gelesen habe ich Angelique und ihre kiloschweren Fortsetzungen mit vierzehn – vielleicht fünfzehn, bis ich durch war; die Abenteuer der schönen, klugen und unbeirrbar tapferen Titelheldin zur Zeit Ludwigs des IVX peppten mein beschauliches Leben als Schülerin auf. Ich vermute, in meinem Kreis bin ich die einzige, die am Altar der französischen Kitschkönigin gehuldigt hat. Warum leugnen? Frau Golon hat prima recherchiert, schreibt man, das Leben am Hofe, die gesellschaftlichen, politischen…
Mir egal. Ich hätte den Stoff auch verschlungen, wenn er fiktiv gewesen wäre. Die Sprache gediegen, verkitscht, gefährlich nahe am Schund, aber eben doch kein Schund. Frau Golon wusste, wie man so schreibt, dass die Konstruktion hinter der Glasur verschwindet. Mag sein, sie trug fliederfarbene Spitzenhandschuhe beim Schreiben, blöd war sie nicht : )

Raschelnde Seide, Intrigen, Sex, höfische Etikette, haufenweise Rituale. Bürgertum und Gaunerzunft, auch dort Rituale. Schiffe. Kutschen. Sklavenhandel. Angelique ist eine Heldin, die sich niemals Erwartungen beugt, die von anderen an sie herangetragen werden, niemals lange. Wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie das will, hebt sie den schönen Kopf, lässt die grünen Augen funkeln, entzieht sich. Nicht ohne Blessuren davonzutragen: Die Männer bestrafen sie für ihre rebellische Art, indem sie sich die Schöne immer wieder mit Gewalt „nehmen“. Ai ai ai.
Überhaupt, der Sex, es gibt viel davon, alle Varianten, und es ist nicht so, dass Angelique mit ihren zarten Gliedern nicht manchmal auch eine grobe, eine erzwungene Vereinigung zu schätzen wüsste.
Eine für heutige Zeiten unmögliche Frauenfigur ist das, die Protagonistin der Anne Golon, einerseits eigenwillig, mutig, selbst bestimmt und so weiter, andererseits wird man immer wieder Zeuge, wie sie fleht, wie sie angesichts harscher Männlichkeit in die Knie geht, „besiegt“ zu werden wünscht.
Das liest sich seltsam kontrastierend, schlimmer als altmodisch, zweifelhaft wie der in allen Regenbogenfarben schillernde Teller, der ganz hinten in der Glasvitrine steht, weil man ihn schön findet und dennoch in den Hintergrund verbannen muss, weil er nicht „echt“ ist wie die anderen Stücke.

Die Franzosen haben Angelique geliebt. Madame Golon gilt als eine der Mütter des historischen Romans und hatte mit ihren erotischen Schilderungen den Ruf einer Skandalösen. Achzig Millionen Bücher sind von ihr verkauft. Ich weiß, das will nichts heißen, die Leute kaufen den letzten Müll.

Ein paar Tage später war der gleiche Freund wieder dabei, inzwischen hatte ich mir ein Herz gefasst, trat über die Schwelle, kaufte fünf Bände a 500 Seiten Angelique zum Spottpreis von fünf Euro. (Oh, der Verlust des Glamour!)
Große, schwere Tüte. Der Freund trug sie mir ohne zu murren nach Hause.
„Was willst du damit?“
„Hab ich gelesen, als ich fünfzehn war“ erwiderte ich. „Vielleicht schau ich mal wieder rein. Obwohl es sein kann, dass es nicht mehr lesbar ist heutzutage.“
Er schlug eine Seite auf und las ein paar Zeilen laut vor. Sah mich an: „‚Nicht mehr lesbar’ könnte zutreffen.“
„Ja, ja, schon gut“

Dann…

les ich’s eben heimlich im Boudoir ; )

was für ein

wunder, wunderschöner Herbsttag!
Alle im Hessenland sind wandern oder “in die Pilze” gegangen.
Ich nicht.
Ich räum meine Bude auf.
Und komm dann heute Abend vorbei, wenn die Pilze geputzt, geschnitten, aufs köstlichste verarbeitet und mit Semmelnknödeln (lechz) angerichtet sind…