Sie wissen ja inzwischen, Leser, dass ich mich zur Buchmesse nie selbst äußere. Was nicht hieße, dass ich sie nicht besuche, auch diverse Dinge von dort berichten könnte, nein, es heißt schlicht, dass mir die Zeit fehlt. Solange ich nicht dafür bezahlt würde. Wie die von mir geschätzte Andrea Diener, die auch dieses Jahr wieder für FAZ online das Buchmessenblog schreibt. Auf das ich hier gerne verweise.
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Atelierwoche.
Ich arbeite an einer Zeichnung, die “You too can be like us” heißt. Einer meiner Freunde, mfree, der sich seit Jahren in Abständen stilistisch neu erfindet, trägt in seiner momentanen Erscheinungsform einen kleinen Button am Revers, auf dem das steht.
Buttons sind ja out, outer gehts nicht. Umso verwunderlicher, dass Mfrees neuer Hut, der Bart und die Frisur, ja sein ganzes Outfit ohne diese Botschaft irgendwie unvollständig wären. Was man in dem Moment begreift, wenn man sie liest. Es ist ein sehr kleiner Button; man muss nah rangehen.
Wie auch immer, es ist so ein Satz, der mir hängen blieb, und nun entsteht eine Zeichnung dazu. Nächste Woche wird wenig Zeit fürs Atelier sein, und ich will sie fertig haben, bevor wieder Textarbeit ansteht.
Ein eigenartiges Phänomen,
bekannt nur jenen, die ein Leben auch außerhalb der Netzwelt führen: Manchmal nimmt es einen einfach in Beschlag. Das offline-Handeln. So sehr, dass mein Selbstdarstellungstrieb (den der aus diesem Revier verschwundene explodedheadsnomore gerne als “Egoboosting” bezeichnete) ein wenig darunter leidet. Ich komm’ aber immer wieder zurück. Versprochen.
Will heute ins Atelier.
Vorher im Park laufen, die Wildgänse warten. Ich hab immer noch nicht rausgekriegt, wann sie abfliegen werden. Könnte mich natürlich einfach informieren, mit ein paar Klicks wüsste ich es, doch das wäre zu einfach. Lieber beobachte ich sie weiter und versuche, aus ihrem Verhalten die Zeichen für den Abflug zu lesen.
Bisher gibt’s keine. Stattdessen fressen sie Dreck. Na, Erde. Sie graben sich wie kleine Bagger in den Weg (überall sind diese Schnabelfurchen) und ruckeln heftig mit dem Hals, damit die Mahlzeit besser rutscht. Ein Häppchen Gras oder zwei zum Nachtisch. Und wieder Erde.
Rücksichtsvoll sind sie auch: Damit der Weg nicht dauerhaft an Substanz verliert, formt ihr Verdauungsapparat aus Gras und Dreck akkurate Röllchen, die die Gans fein säuberlich in Abschnitten von maximal vier Zentimetern mit dem Schließmuskel abzwickt und fallen lässt. Sowas nenne ich Instandhaltung. Von solchem Umweltbewusstsein können wir uns alle eine Scheibe abzwicken. Äh, schneiden.
Parkschnipsel
Erinnern Sie sich an die beiden Jugendlichen, die mir vor einiger Zeit zwei Zeilen rappten, als ich an ihnen vorüber lief?
Sie läuft im Slow motion style an mir vorbei, Mann,
der Regen stört sie nicht, er macht sie high, Mann.
Den beiden bin ich nie wieder begegnet. Doch seit einigen Wochen läuft mir jeden Morgen ein Mann über den Weg, grauhaarig, mittleren Alters, Nickelbrille. Sein Gesicht ist rot und zerknittert, doch es hellt sich jedes Mal auf, wenn er mich sieht. Er hat ein strahlendes Lächeln.
Seitdem er mir auffiel, frage ich mich, wie er es schafft, im Gehen seine Süddeutsche zu lesen, die er, Runde um Runde ziehend, immer dabei hat.
Heute, mein style war noch slower motion als gewöhnlich, blickte ich ihm nicht ins Gesicht wie sonst, wenn ich nah genug bin, sondern warf einen Blick auf seine Zeitung: Sie war alt. Der Mann liest, jeden Tag, die gleiche Zeitung.
“Erfinden ist nicht Lügen.
Erfinden heißt, mit der Wirklichkeit so umgehen, dass sie einem abenteuerlich gut tut.”
Schreibt die ebenso abenteuerliche Judith Kuckart, auf die ich gestern in ganz anderem Zusammenhang hingewiesen wurde, in einer ihrer Buchbesprechungen.
Gefällt mir.
Die Handschrift, das Merkmal und der Flow
Seitdem ich Zeichnungen mache, pflege ich zwei unterschiedliche Stile beim Zeichnen. Es gibt die „Leichten“ und die „Festen“, und sie schließen sich, wenn ich nicht bewusst darauf achte, sie parallel zu machen, gegenseitig aus: In einer Phase der festen Zeichnungen kann ich keine leichten, und umgekehrt.
Nun wird bei der Rezeption künstlerischer Arbeiten immer viel Wert darauf gelegt, dass sie eine „Handschrift“ haben, die der geschulte Blick dann mit Freude oder Ablehnung wieder erkennt. Im Grunde kann man als Künstler so ziemlich alles machen, was man will, solange die Handschrift durchschlägt.
Zwei Handschriften zu haben, ist da schon schwieriger, das muss man inszenieren. Vielleicht, indem man sagte, dieses sind meine Arbeiten, jene hat mein Alter Ego gezeichnet. Liegt mir ja sehr nah, diese Alter Ego Idee. Gäste, die schon länger hier mitlesen, werden wissen, was ich meine.
Natürlich kann man sagen, es gibt Ideenskizzen und ausgearbeitete Zeichnungen. Die Sorte, die ich in letzter Zeit hier auf Tainted Talents zeige.
Die Sache ist nur so, ich arbeite nie eine Ideenskizze aus. Meine schnellen Zeichnungen (ein Künstlerkollege nannte sie kürzlich Karikaturen) sind schnelle Abbilder dessen, was mir mein Gehirn gerade so zuspielt. Würde ich sie überarbeiten, verschiedene Versionen davon anfertigen, bis eine davon stimmig wäre, würden sie verlieren.
Die leichten Zeichnungen sind absichtlich so unfertig. Sie halten mich im dialogischen Austausch mit mir selbst, da muss man nicht viel Gedöns machen. Bliebe man mal in diesem Ich und mein Alter Ego-Bild, wären sie Repräsentanten meines Alltags-Ichs. Vielleicht ein bißchen ruppiger, als ich nach Außen wirke, aber von drinnen fühlt sich’s definitiv so an. Jeder guckt aus seinem eigenen Turm.
Die festen Zeichnungen sind ein ganz anderes Kaliber: An ihnen sitze ich lang. Der Zustand, aus dem die Bildmotive für sie aufsteigen, ist mir viel schwerer zugänglich; ich muss mich immer selbst austricksen, um da hin zu kommen. Man könnte sagen, ich zerre sie an meinem reflexiven Modus vorbei. Die Linien und Texturen zu zeichnen, durch die sie später ihre Präsenz gewinnen, ist dann ein fast meditativer Prozess.
Lassen Sie es mich so sagen: Die schnellen Zeichnungen fallen mir aus dem Gehirn in die Hand, während die festen mir aus der Hand während des Zeichnens ins Gehirn wandern, neue Orte für mich anlegen.
Falls jemand erwartet,
ich würde mich hier über des Volkes Kreuzchen auslassen, sorry, aber da gibt’s genug Leute, die das besser können.
Die Wahl bildet den Stand der Dinge ab. Basta. Andererorts riskieren Sie beim Gang zur Urne Gesundheit und Leben, bei uns gehen sie gar nicht erst hin.
Tja.
Die rekordverdächtig schlechte Wahlbeteiligung in Zahlen? Auf jeden Fall sind’s grotten viele, die ohne Not auf ihr Stimmrecht verzichteten.
Das ärgert mich mehr, als irgendein Parteiprogramm es könnte.
First cut
Zum ersten Mal einen Kommentar gelöscht hier auf Tainted Talents, nein, gleich zwei.
Wie soll man mit Kommentatoren umgehen, die sich nur bedienen, selbst aber nichts preis geben?
Nun aber ein ungleich stärkerer Impuls, der mich nach draußen lockt.
Zone Zero
Wortkarg nach einem Tag voller Sprechen. Für heute Abend alles abgesagt.
Im Briefkasten beim Heimkommen ein Heftchen von manufactum mit lauter Blumen für den eigenen Garten. Obwohl ich keinen habe, war ich schon drauf und dran, mir irgendwelche Tulpenzwiebeln zu bestellen. Schlechtes Zeichen.
Ziehe mich in meine Gemächer zurück, wie mein Vater zu sagen pflegte.
I give you mine, you give me thine
James Baker, 79, US-Außenminister zur Zeit der deutschen Wiedervereinigung, wird im aktuellen SPIEGEL gefragt, ob ihm Kohl damals zugesagt habe, dass auch ein vereinigtes Deutschland Nato-Mitglied bleiben würde.
“Das hat er verbindlich zugesagt” bestätigt der Ex-Außenminister.
“Sie vertrauten ihm also?” fragt der Spiegel.
Darauf Baker:
“Er gab uns sein Wort. Wir gaben ihm unser Wort. Wir hatten eine tadellose Beziehung.”
Der Satz klang ein bisschen nach. Wie “das Wort” des Altkanzlers später, indem er es als öffentlichen Schutzwall gegen Nachforschungen einsetzte, mir und vielen nur als weiterer Affront aus dem Arsenal seiner entsetzlicher Spießbürgerlichkeit zu sein schien.
Nun also dieser Satz eines 79jährigen, mit diesem altmännerlichen Selbstverständnis hingesagt.
Und ich dachte mir, vielleicht können Leute ihr Wort halten. Man sollte das als Option nicht aus den Augen verlieren.
Immer, wenn ich diesen typischen, saugenden Laut höre, mit dem mein Computer mir signalisiert, er habe eine Email weg geschickt, denke ich: “Da fliegt sie jetzt”. Erfahrung mit fliegenden Worten haben wir alle zur Genüge. Ein Wort zu halten indes verlangt keiner von mir, keine Ahnung, wie das geht, keine Ahnung, wie viel Druck ausgeübt werden müsste, damit ich es breche etc.
Werde mal beim Laufen darüber nachdenken, das hier nur schnell als Gruß in den Tag.