Wie still und glatt und unbenutzt Du noch bist.
Autsch. Mein Kopf.
Wie still und glatt und unbenutzt Du noch bist.
Autsch. Mein Kopf.
“Isch wünsch Ihne Gesundheit fers neue Jahr” sagte die Frau am Gemüsestand vorhin zu mir, “alles annere is Luxus…”
Obwohl das stimmen mag, wünsch’ ich mir und Ihnen, werte Leser, noch einen Haufen mehr. Amüsieren Sie sich gut heute Nacht : )
Phyllis
Das wurde nichts mit dem Laufen heute: Der Park ist einfach zu nass zum Benutzen. Extrem rutschig. Da ich ihn als mein Trainingsgerät ansehe, war ich fast ein bisschen beleidigt. Eine Runde lang zottelte ich durch den Schneematsch, dann brach ich ab. Immerhin, auch im Matsch war noch zu erkennen, dass hier anscheinend unzählige Kaninchen ihren Geschäften nachgehen, ich sehe sie nie, weil ich zur falschen Zeit laufe – sie sind nur früh morgens unterwegs, und spät am Abend.
Was noch?
Ich erledige die letzten Aufgaben vor den Feiertagen, Jobs abschließen, Wohnung aufräumen, Geschenke verpacken. Rechnungen. Die neue Zeichnung wartet im Atelier; ich hoffe, zwischen den Jahren wird Zeit sein, sie fertigzustellen.
Im ersten Quartal 2010 stehen mehrere Seminare an, viele Text-Jobs, dazu ein Auftrag auf der Ambiente und eine Lesung mit Ausstellung im Historischen Museum. Meine Online-Redaktion für die Crespo Stiftung braucht präzisere, auch einfallsreichere Organisation, da muss ich mich im kommenden Jahr noch besser reinfinden. Daneben die künstlerische Arbeit.
Ich bin lang nicht mehr rausgekommen aus dieser Stadt, außer, wenn ich Seminare in anderen Bundesländern hatte. Das schwierigste am selbstständig sein ist, sich Urlaub einzuplanen. Hab ich seit Jahren nicht mehr getan – deswegen gab’s dann auch keinen. Ich vermisse das gar nicht sehr; meine Reisen finden über Lektüre statt. Trotzdem wären ein paar nicht-fiktive Abenteuer nicht schlecht.
Zwischendurch denke ich auch immer mal wieder über Tainted Talents nach: Was will ich von diesem Blog? Es gibt Phasen, da bin ich ganz heiß darauf, hier präsent zu sein. In anderen kommt mir die ganze online-Selbstdarstellerei schrecklich belanglos vor. Was mir hier noch fehlt, ist eine Zuspitzung: Entweder ins Private – also mehr preisgeben – oder ins Übergeordnete. Was hieße, die Themen, die mich beschäftigen, hier bewusster zu installieren, mehr Behauptungen aufzustellen, aber auch mehr Fragen zu formulieren. (Wobei mir einfällt, dass ich kürzlich über den Unterschied von “Meinung” und “Standpunkt” nachdachte: Ein gutes Thema für das Wort zum Sonntag, muss ich mir vormerken)
Ich glaube, mein Fokus im kommenden Jahr wird der Umgang mit Zeit. Ich hab oft das Gefühl, mir meine Kreativität zu verbauen, weil ich zu viel auf einmal will und Vorgänge nicht sauber abschließe. Ständig zuppelt irgendwas an meiner Konzentration. Treibe ich das zu lange so, schaltet mein Gehirn dann auf Autopilot, dann erledige ich nur noch das, was auf meinen Listen steht.
Ein Satz des Künstlers Ai Wei Wei kam mir kürzlich unter, der mir für den Jahresanfang gut gefällt:
“Creativity is the power to reject the past, to change the status quo, and to seek new potential.”
Soweit erstmal, geschätzte Leser. Bleiben Sie mir auch im neuen Jahr gewogen. Und trauen Sie sich gelegentlich auch mal aus der Deckung… Ich hab mir das auch vorgenommen.
“Was ist eigentlich mit dem Wort zum Sonntag?” fragt meine Schwester, die so gerne in meinem Blog liest wie ich in ihrem. Vorgestern kam sie aus England; sie lebt dort. Steigt immer erst mal bei mir ab, bevor wir für die Feiertage ins Elternhaus losziehen, Schwesternzeit, morgens Kaffee ans Bett, reden und lesen und entspannte Pausen, in denen gar nichts passiert – so was geht mit ihr wahnsinnig gut.
“Oh, das hab ich vermasselt gestern” sage ich. “Ich bin die lausigste Blogschreiberin aller Zeiten geworden.”
“Das würde ich für übertrieben halten” sagt sie. (sie redet wirklich so)
Gelobe Besserung. Eine der Angelegenheiten, die mich in letzter Zeit schwer unleidlich machten, ist jedenfalls ist schon mal gelöst, seit heute: Meine Freundin Parastou hat ihren Pass zurück und ist auf dem Rückflug nach Deutschland. Uff.
Auf meiner Couch (ich habe sie mir von meinem ersten Roman-Vorschuß gekauft) liegt ein Tuch mit Paisleymuster. Meistens lese ich auf dieser Couch, die Füße auf den Polstern und mich gegen die Seitenlehne lehnend. Um diese Seitenlehne etwas zu schonen, lege ich immer zusammengefaltet das Paisleytuch darauf. Manchmal, wenn es kalt ist, hülle ich mich auch in es hinein. Das mache ich seit drei Jahren. Mir wird in diesen Tagen allerdings immer eher mulmig, wenn ich das Tuch in den Händen habe.
Die Person, die mir das Tuch geschenkt hat, heißt Parastou Forouhar. Parastou Forouhar geistert gegenwärtig durch die Medien als „in Deutschland lebende Künstlerin, die im Iran festgehalten wird“. Normalerweise lebt sie in Offenbach, kaum drei Kilometer von mir entfernt, wenn sie nicht unterwegs ist zu ihren zahlreichen Ausstellungen. Parastou Forouhar ist international bekannt, sie war in New York, Istanbul, Wien zu sehen, sie hat für den Deutschen Bundestag ausgestellt, und wir beide haben uns 2006 als gemeinsame Stipendiaten in der römischen Villa Massimo kennengelernt, der bekanntesten deutschen Kultureinrichtung im Ausland.
Auf meinem Tuch, das ich jetzt bei beginnendem Winter öfter brauche, sind keine Figuren zu sehen, nur das Ornamentmuster. Parastou Forouhar ist eine Künstlerin, die oft mit Ornamenten arbeitet. Ihre Ornamente aber sind, im Gegensatz zu meinem Tuch, bei näherem Hinschauen immer figürlich. Sie tun sich grausame Dinge an. Geht man auf Parastou Forouhars Internetseite, wird man von einem Figurenpaar empfangen, die eine Figur ist an den Händen gefesselt, ihre Augen sind verbunden, die andere geht umstandslos auf sie zu, mit einer Gewalt, die nicht nach Wut, sondern nach Routine aussieht, und drückt zuerst ihren Kopf nieder, dann die ganze Figur selbst und drückt zum Schluß der nun am Boden liegenden Figur das Knie in den Hals. Es ist eine ganz kurze Animation, und sie beginnt jedesmal neu. Es hört nie auf.
Die Geschichte Parastou Forouhars hat mich immer eigenartig berührt. Ich kannte ihre Familie aus der Zeitung schon lange vor meinem Villa-Massimo-Stipendium, damals war ich noch gar kein Schriftsteller gewesen. Es war die Zeit, als ich an meinem ersten Roman schrieb, 1998. Es gab damals eine ganze Reihe von Morden unter iranischen Intellektuellen, und irgendwann wurde sogar ein ehemaliger Minister ermordet, ich erinnere mich daran, es war eine Zeit des Schlachtens, als seien sie alle vogelfrei geworden auf einen Schlag. Man war damals im Westen ziemlich schockiert, und es riß eine ganze Weile nicht ab. In der Villa erfuhr ich, daß der ermordete Ex-Minister Parastou Forouhars Vater Dariush war, auch die Mutter, Parwaneh Forouhar, war am selben Tag ermordet worden, mit zahllosen Messerstichen. Man kann im Internet Ausschnitte von Parastou Forouhar am Grab ihrer Eltern sehen, es sind erschütternde Bilder. Ich bin bei diesen Ausschnitten immer unmittelbar an Fritz Lang erinnert, wie er in den Nibelungen Kriemhilds Trauer in Szene setzt. Aber das eine ist Kunst, und das andere ist passiert.
Parastou Forouhars Lebensgeschichte ist aber, bei aller Grausamkeit, zu dringlich, um sich in pathetische Worte zu verlieren. Da muß man eher verkargen (wie es Parastou Forouhar in ihrer Kunst auch stets tut, meistens sind es ja nur noch Strichmännchen, die bei ihr die schlimmsten Dinge ausüben, foltern und morden). Mit der Zeit begriff ich, daß sich Parastou Forouhar von allen anderen Menschen, die ich kenne, unterscheidet. Ich meine nicht diesen unbändigen Willen zu leben, und zwar mit Freude zu leben, als sei jeder Tag ein Fest, ich meine auch nicht Parastou Forouhars Ernsthaftigkeit im Handeln und diese Selbstsicherheit und Gradlinigkeit im Tun, die, auch wenn sie von der Ermordung ihrer Eltern herrührt, einen künstlerisch manchmal geradezu neidisch machen kann. Nein, ich meine vor allem die Kraft, die all das kostet. Vielleicht begriff ich damals zum ersten Mal, welche Kräfte einem zuwachsen müssen, wenn es solche Umstände erfordern. Im Deutschen gebraucht man dafür das Bild vom Über-sich-Hinauswachsen. Nicht, daß ich gedacht hätte, daß Parastou Forouhars Leben durch den Mord an ihren Eltern gebunden war oder daß ihr dieser Mord so etwas wie ein Ziel eingab. Nein, ich sah jemanden vor mir, der ganz natürlich einfach so handeln mußte, wie er handelte. Und sie ist daran nie zerbrochen, sondern immer gewachsen.
Der erste Schritt war der Versuch, die Morde aufzuklären. Die Prozesse ließen auffällig viele Fragen offen. Die vergeblichen Versuche, vor Gericht die Hintergründe aufzudecken und die Auftraggeber zu ermitteln (angeblich hatten Geheimdienstmitarbeiter die Morde ohne Auftrag verübt), kann man auf Parastou Forouhars Internetseite nachlesen. Dann begann Parastou Forouhar, alljährliche Gedenken für ihre Eltern am Todestag, am 29. November, zu organisieren, die sich anfänglich zu Massentreffen entwickelten, überall auf den Straßen um das Haus der toten Forouhars herum, es kamen zahllose Menschen. Dem Staat war das offensichtlich ein Dorn im Auge. Die Treffen wurden immer größeren Reglementierungen unterworfen, zum Schluß wurde sogar untersagt, daß sich die nächsten Betroffenen zu einem kleinen Treffen im Haus der Eltern zusammenfinden. Dennoch fährt Parastou Forouhar jedes Jahr im November in den Iran, um dieses Gedenken zu ermöglichen. Sonst sterben ihre Eltern, wie sie sagt, noch einmal.
Nach Teheran gehen, bedeutet für mich, zu einem Friedhof zu gehen, hat sie einmal gesagt. Diesmal wurde ihr also bei der Ausreise der Paß entzogen. Man hat ihr mitgeteilt, den Behörden gefalle nicht, wie sie in im Ausland Interviews über die Zusammenhänge um den Tod ihrer Eltern rede. Ob sie ihren Paß in den nächsten Tagen zurückbekommt oder nicht, bleibt abzuwarten. Es ist zu wünschen, daß diese Situation nicht eskaliert. Worum es Parastou Forouhar allein gehen kann, ist nicht eine fluchtartige Ausreise, sondern eine Lösung, die ihr nicht nur ermöglicht, zu ihrer Familie nach Offenbach zurückzukehren, sondern auch weiterhin auf gesicherte Weise in den Iran und in das Haus ihrer Eltern zurückkehren zu können.
ist die neue, schicke Begrüßung, wie mir scheint, ob am Telefon oder zum Einstieg per Email.
Heute, nachdem mir die für’s Binnenland doch eher untypische Formel nun schon wiederholt aufgefallen war, fragte ich mal nach.
“Liegt wahrscheinlich an der unsicheren Weltlage” erklärte Freund M. am Telefon.
“Du meinst, sie verlangt gerade nach besonders sorgfältiger Navigation, und deshalb sagen jetzt alle ahoi?” fragte ich, verdattert.
“So ist es” bestätigte er ungerührt.
Na denn.
Falls Sie sich wundern sollten, liebe Leser, warum es hier auf Tainted Talents plötzlich so politisch wird: Parastou Forouhar ist eine kluge, mutige Frau, eine Künstlerkollegin, und meine Freundin. Beharrlich geht sie ihren künstlerischen Weg, der auch, und immer wieder, ein politischer ist, obwohl selbst ihr manchmal die Felle wegzuschwimmen scheinen. Im Moment, da ihre Situation so instabil ist, sind die Freunde und Weggefährten natürlich sehr in Sorge, und wir versuchen alle, in den Medien, die uns zur Verfügung stehen, auf ihre Lage und ihre Arbeit aufmerksam zu machen.
Ich gebe hier Informationen weiter, die UFO UNO zu Parastou Forouhars aktueller Situation in Teheran zusammengestellt hat.
Ausreiseverbot für Parastou Forouhar
Als Parastou Forouhar am Samstag den 5. Dezember von Teheran nach Deutschland zurückkehren wollte, wurde ihr auf dem Flughafen der Reisepass abgenommen und ein Ausreiseverbot erteilt.
„Sie wurde nicht verhaftet, sollte aber am Montag im ‚Amt für Ausreiseangelegenheiten’ vorsprechen (…). Wie sie dort erfuhr, liegt beim Revolutionsgericht eine Anklage gegen sie vor. Diese hat jener Geheimdienst erhoben, dessen Mitarbeiter vor elf Jahren ihre Eltern ermordet hatten. Grund dafür sind offenbar Telefoninterviews, die Frau Forouhar im Zusammenhang mit dem Jahrestag gegeben hatte.“ (FAZ, S.7, Dienstag, 8. Dez. 09)
Im Rahmen von UFO UNO 2006 dokumentierte und kommentierte Parastou Forouhar ihren Briefwechsel mit der UN-Menschenrechtskommission, die sie um Hilfe bei der Aufklärung der Ermordung ihrer Eltern in Teheran bat. Mehr zu ihrer künstlerischen und politischen Arbeit
Sehr besorgt heute Katajun Amirpur in der Süddeutschen Zeitung, S.12: “Verdächtiges Gedenken – Die Künstlerin Parastou Forouhar wird in Iran festgehalten” von Katajun Armirpur
“… Bislang schien es so, dass Iraner, die im Ausland lebten und sich vornehmlich im Ausland äußerten, geschützter waren. Doch diese Art von Schutz gibt es offensichtlich nicht mehr. Deshalb besteht auch angesichts der Schauprozesse, die in Iran in den letzten Monaten stattgefunden haben, Anlass zur größter Sorge.”
Ebenfalls heute in der FAZ: “Die grüne Protestbewegung lebt” von Christiane Hoffmann
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/2130751_Regimegegnerin-Parastou-Forouhar-Barrieren-gegen-das-Gedenken.html
08.12.09
http://www.taz.de/1/politik/nahost/artikel/1/ausreise-aus-teheran-verweigert
FAZ, S.7 “Forouhar wird in Iran festgehalten”
Auch auf Facebook erscheinen ständig neue Links und Beiträge:
http://www.facebook.com/pages/Parastou-Forouhar-prstw-frwhr/208080254856?ref=mf
Und sowas nennt sich Advent.
Die ganzen Tannenbäume, die überall in diesen vergitterten Arealen rumstehen, riechen nach – nichts. Der Weihnachtsmarkt, über den ich heute Nachmittag nach einem Arbeitstreffen stolperte, kam mir vor wie die Kulisse für einen billigst produzierten Zwergenfilm. Und die Leute in der Fußgängerzone, die mit ihren blöden, wattierten Wintermänteln noch weniger Gespür für die Ausmaße ihrer Körper haben als sonst – darüber schweigt des Sängers Höflichkeit.
Wo, zum Henker, ist der S c h m e l z von allem?
Ich passe momentan nicht. Nachts schiebt mir jemand unentwegt Walnüsse zwischen die Backenzähne.
Knack.
Während ich meine großen Taten ins fiktive verschiebe, zeigt meine Freundin Parastou Forouhar in diesen Tagen in Teheran, aus welchem Holz die realen Heldinnen geschnitzt sind.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,665670,00.html
das Symptom heißt “Antriebsschwäche”. Ich nenne es “Autopilot”. Sauna und zwei Tage Winterschlaf verordne ich mir demnächst.