Gewebeprobe: Stay hungry

Ein sehr sauberer Leopard schlendert die Stufen zu Cartier hoch. Eine Dame mit Lipstick und Streichholzbeinen trägt eine schwarze Katze um die Schultern, während alle XXL-Models längst zurück im Dorf sind, oder heimlich schlank gecoacht. Eine junge Start-up Designerin nimmt sich ihre Unterlagen vor. Lila ist so was von out, sagt sie, in dieser Saison wollen wir das neue Weiß. Ihr Assistent knabbert an einem Crabstick. Und Neon, sagt er. Weiß und Neon.
Was Woody Allen macht?
Hat eine neue Muse, bisher weiß niemand ihren Namen. Sai Baba indes ist seit vorgestern tot: Bye, bye, Baba, und Frieden deinen Gläubigen.
Der Pudel muss gefönt werden; er ist nicht fluffy. Cindy, die das niemals sein wollte, stellt sich eben vor ihr Publikum; sie trägt eine neue Dessouskombination von Agent Provocateur, keinerlei Bauchspeck. Der Dandy sieht zur Seite: zu viel Haut schlägt ihm auf’s Gemüt; er bevorzugt die kultivierte Dame. Von Welt, doch das versteht sich von selbst.
Im Museum staubt das Effizienzteam die Büsten der Großen Denker ab. Mit Federwuscheln natürlich, damit nichts schief geht. Lauter bronzene Männer mit Nasobialfalten: Die Muse im Brokatkleid sinkt auf die Besucherbank, als wäre sie schon von Berufs wegen überwältigt. Vielleicht Liebe? Ihr kleiner Kopf, das große Kleid, man möchte ihr eine Spritze in die Wange geben. Na komm schon, wünsch dir was.
Was tun mit einem Gehirn, das nichts will?
Höchstens multiple choice. Seit ich die schöne Ottobong tanzen sah, weiß ich, man braucht dazu einen Arsch. Plus Lust. Maskottchen. Und Obsessionen. Oral history. Louise Bourgeois führte bis ins hohe Alter einen Salon. Tusker bevorzugt Schweigen, würde dazu aber niemals Hosen mit Camouflagemuster tragen, im Gegensatz zu Wladimir Putin, der allerdings grundsätzlich mit nacktem Oberkörper und Rolex. Hinter dem Sattel zwei nackte Weiber, bouncing. Erzähl’ was über Tundra, Mister President. Drüben in der Hauptstadt kann man sich den Mund machen lassen. Oder Häute. Rasierklingen. Masken. Desinfektionsmittel. Anal bleaching.
Oder doch lieber Schrumpfkopf? Die Revolutionen, das Öl, die Atome: breiten sich aus. Wünschen Sie sich was. Geben Sie sich nicht zufrieden.

Schutt

Heute Nacht stürzte ich von einem Berghang in die Tiefe. Nicht, ohne mich von meiner Familie zu verabschieden: sie standen an der Kante, während ich fiel. Nein, gewunken haben sie nicht. Ich fiel mit Bedacht, erwartete den Aufschlag, schlug auf. Sterben üben. So macht mein Hirn das. Es sterben grad so viele, da lässt man sich in seiner Hilflosigkeit nachts etwas einfallen. Wie Gift aus einer fremden Wunde saugen und selbst daran eingehen. Später kommt mir eine kleine alte Frau entgegen, immer noch adrett wie ein Veilchen. Sie legt sich hin. Meine Magengeige spielt, sagt sie noch. Als ich wieder hinsehe, lächelt sie.
Auch mixe ich Menschen, die aus schwer versehrten Stadtlandschaften fliehen, mit Rudeln, die auf Müllhalden leben: Kinder. Ratten. Vögel. Schutthalden schlucken Geräusche, sie riechen aber. Mir ist vom Sterben noch übel. Ich höre den Klang leerer Wasserkanister, die auf Kies gestellt werden, und ferne Baggermotoren. Ich denke: Atom. Ein Männername. Atom Egoyan, guter Filmemacher. Selbst, während ich nur atme, denke ich: Atem. Alles ist Scherenschnitt in diesen Tagen, harte Konturen, im Inneren schwarz. Die Narzissen auf meinem Schreibtisch sind riesengroß. Wie Mutanten, denke ich. Sie riechen schwül, als sei schon Sommer.

Gewebeprobe : Freundschaft.

Die Überlegungen der Frauen geben mir Grund. Ich rege mich (den Geist, den Körper) mit Freunden und Gefährten, doch bin ich mit den Frauen. Mit ihnen sein ist unmittelbar; reife Früchte, die schmerzlos im Kopf aufplatzen. Es gibt Erkenntnisse, die drängen sich bis ins Fleisch: so welche sind es, die uns verbinden.
Ah… Zeit. Wir legten uns Seile um, die sind lang schon in die Rinde gewachsen, kein Wunder, dass unsere Taillen nicht mehr wie früher sind. Wenn eine Mutterkatze an mir vorübergeht, werd’ ich weich: Frauen haben Bäuche. (Wir sollten aufhören, sie ständig einzuziehen.) Mit Kindern komme ich nicht zurecht, aber wie sehr ich Mütter mag und ihre Lappen.
Meine Erkenntnisse haben Hand und Fuß, doch über den großen Maßstab verweigere ich weiterhin die Auskunft. Wer da mobil machen will, bittschön, mir fehlt dazu die Gewissheit, und überdies, ich ziehe Leidenschaft dem Ehrgeiz als Antriebsquelle durchaus vor. Bewusst wachsen, beiläufig gewinnen.
Keine Ahnung, wodurch Menschen motiviert sind. Ah… fremd. Wir täuschen uns in Anderen. Ständig. Nur jahrelange Bindung verringert diese Frequenz. Erst, wenn wir aufhören, zueinander passen zu wollen, sind wir troy.
Ruggediguu, Blut ist im Schuh. Sich passend machen. Nichts verpassen wollen. Ich passe. Passt. Pass auf. Passen: heißt auch aussetzen.
Meine Freundinnen spüre ich ständig in der Rinde. (Was war es noch gleich für ein Leben, das wir führen wollten?) Wir haben Verletzungen, auch schwere, doch wir sind zugange, wir vögeln, wir leuchten. Nicht stetig, aber oft. So viel Halt kann’s einzeln gar nicht geben, wie wir brauchen würden, also verknoten wir die Seile und machen ein Kletternetz draus, von Baum zu Baum. Verdammt gut leben. Meistens. Von wegen, alles immer in Bewegung: klar kann man nichts festhalten, doch wer, zum Henker, will sich das schon ständig vergegenwärtigen, durchdrehen würden wir, man will doch wissen, wo jemand ist. Man will doch nicht ständig um neue Landkarten bitten müssen. Freundinnen? Die sind dort, wo ich noch blindlings hinfinden würde, wenn mich jemand zusammengeschlagen hat.

Gewebeprobe: Die Erste

Sie produziert nicht. Sie hasst sich dafür, steht aber zu den Konsequenzen: wer keine Substanz schafft, muss von der eigenen lassen, so ist das eben.
Drüben in der Wellblechbaracke, gesund wie ein Stier unter seinen drei vor Dreck steifen Mänteln, wohnt Herr T. Er ist resistent gegenüber jeder Art von Komfort. Lacht sich erstmal kaputt morgens, das reicht ihm als Decke. Der erfolgreichste Clown war immer jener, der hinter seiner Nase in Traurigkeit ersoff. Genau dem hat sie die Hütte überlassen.
Jeden Morgen vor dem ersten Kaffee geht sie rüber. Dann nimmt er das Gehirn entgegen, das sie ihm hinhält und schneidet wieder eine dünne Scheibe ab. Wer bist Du, Fleisch.
Das Präparat ist sehr aktiv. Er untersucht es lange; sein riesiges Auge glotzt ihr von oben aufs Glas. Dann drückt er mit dem Daumen die Kanten zurecht: Du gehörst nicht mehr dazu, befindet er.
Es ist angenehm zwischen den Glasscheibchen.
Lassen Sie mich bloß nicht fallen, Herr Präparator.
Oh. Es hat keine Stimme, um ihn zu warnen. Vielleicht ein interessantes Luftbläschen produzieren, um zu zeigen, wie toll sie aktiv ist? Vielleicht über den Rand tropfen.
Mehr kann sie nicht tun. Ein gutes Präparat kämpft nicht.

Gewebeprobe: Satisfaktionsfähig.

Er ist ja nicht ohne Reiz, der Gedanke, es könnte Orte geben, wo Mann sich auch mal ungestraft dem Größenwahn hingeben kann. Öffentlich hat er ja kaum Möglichkeiten, seine private parts zu preisen – so wie ein Schlafloser heut’ Nacht hier auf TT – ohne sich als Maniac zu outen. (wenn ich was definitiv n i c h t brauche, ist’s ein virtueller, übrigens)
Doch wen wundert’s, dass sein Gesang so ungekonnt ist? Wo soll er denn üben? Oder wo kann er, wie Brossman >>> hier in anderem Zusammenhang (doch vielleicht gar nicht so anderem) schrieb, Intensität mit den Weibspersonen „ironiefrei mit Herzblut und nichtsdestotrotz erheblicher Leichtigkeit“ praktizieren?
Dazu die Angst, nicht zu genügen. Des Möchtegern-Größenwahnsinnigen, meine ich. Also kauft man ein, zwei Flaschen Wein, wartet, bis alles schläft und keiner wacht, und haut dann mal kräftig auf die Pauke.
Mit dem Teil. Ho, hey, ho, und ’ne Buddel Rum.
Hören Sie, Schlafloser – Sie sind auf dem richtigen Weg. Nur den ganzen Alk und was sonst noch so an enthemmenden Konsumgütern rumliegt, das sollten Sie mal weglassen. Kandidaten, die nüchtern weibstoll sind, die findet das Weib toll. Besonders, weil’s mittels pointierter Ausdrucksweise einfach mehr zu gewinnen gibt.
Doch das nur nebenbei.
Oder sagen wir, vorab. Denn was Schlinkert heute Morgen anmerkte, zielt auch auf den Schlaflosen mit: „Ja, das ist die Frage, Sein oder Nichtsein. Künstlerisch, meine ich. An sich kann man natürlich aus jeder Haltung zum Leben künstlerisch Profit ziehen, doch dann muß man unter Umständen sein Leben lang den selben Schlager singen, weil alle schunkeln wollen. Ich denke, hier und da seinem Grundgefühl mal das Wasser abzugraben, ist wichtig, sonst bleibt man stecken. In sich selbst.“
Ich stimme zu. Wenn Wasser abgraben nicht impliziert, dass man es loswerden kann, das Grundgefühl. Kann man nämlich nicht, meiner Erfahrung nach. Man kann nur zusehen, dass man Form gewinnt. An den Punkt komme ich immer wieder … Form gewinnen. Der Zaghafte für seine Zaghaftigkeit, der Größenwahnsinnige für seinen Größenwahnsinn. Die Zornige für ihre Wut. Die Aggressive. Der Wehrlose. Die Angstbesetzte. Der Schwanzgesteuerte.
Ich will das nicht alles in einen Topf werfen. Also denke ich an das Bild dieser Malerin, die einen „Buckel macht, damit die Welt darauf herunterrutschen kann“, wie Ralf darunter formulierte. Abwehr. Um bei sich selbst bleiben zu können. Wenn man den Schubladen schon in Zukunft nicht würde entrinnen können, dann sollte es eine selbst gezimmerte sein. (Wer hätte ahnen können, wie lange das dauert? Und wie oft sie sich verwerfen und klemmen würde?)
Mein Grundgefühl war, mir selbst nicht genügen zu können. Nie waren es die „Anderen“, die mir das suggeriert haben; ich traf als Studentin auf weit mehr Wohlwollen und Anerkennung als viele der anderen Künstler:innen, die ich damals kannte. Nein, die Ablehnung produzierte ich mir selbst. Als Flucht nach vorn. Als würden ganze Heerscharen von Kritikern auf mich warten, gegen deren Boshaftigkeit ich mich nur wappnen konnte, indem ich selbst kein gutes Haar an mir ließ.
So.
Unnötig zu sagen, ich habe inzwischen ein paar Weichen gestellt.
Worauf wollte ich hinaus?
Auf Sie, glaube ich.
Uns. Was uns zum Laufen bringt. Was mich letztendlich zum Laufen brachte, war Trotz. Beharrlichkeit. (Nicht fremdes Lob, obwohl ich es extrem genieße, gewürdigt zu werden. Auch umschmeichelt. Was soll ich’s leugnen.) Nein, es war vor allem, in meinem Fall, die Abkehr von den nicht gut genug sein- Keulen: Nicht robust genug sein. Nicht klug genug, talentiert genug, angemessen genug, durchsetzungsfähig genug. Nicht klischeefrei genug. Genug genug genug genug genug genug. Genug. Genu. Gnu. (Allein, das Wort zwanzigmal zu wiederholen, macht es schon auf höchst angenehme Weise albern)

Oje, der Text wird zu lang. Alle behaupten ja, im Web muss man sich kurz fassen. Dabei war ich noch gar nicht bei der Pointe angelangt.

Gewebeprobe: Drohen

Sie haben geglaubt, ich freue mich, Sie zu sehen, letzte Woche bei der Vernissage von L., als Sie sich schon ganz hitzig und feucht in die Menge gedämpft hatten mit Ihrem Hochdruckbügeleisen von einem Gehirn, Sie Kaschmirschlampe, nicht wahr, Sie dachten, ich fahre jetzt kolossal darauf ab, Sie endlich mal wieder in persona zu sehen?
Ahh!!! Ich könnte Monate, Jahre auf Sie verzichten!
Dachten Sie dünne dürre Schnitte Stadtkultur, ich spüre den Unterton von Verachtung und Gönnerhaftigkeit nicht, mit dem Sie mich besudeln, mit dem Sie mich auf eine Stufe mit dem Pöbel stellen, der sich für gewöhnlich die Nase an Ihrer Tür brünstig reibt?
S i e wagen es, mir Vorhaltungen zu machen? Mir die Zeit abzuschneiden, die mir zusteht, die mir frei und locker wie frisch geschlagener Schaum durch’s Fenster quillt?
Was fuchteln Sie herum mit Ihrem fauligen Taktstöckchen und verlangen mit dieser leisen kultivierten Stimme, ich solle schneller?
Biest!!
Mit mir können Sie nicht „arbeiten“! Ich bin ein verdammter Körper! Erschlagen könnte ich Sie, in einer totalen Abfahrt meiner fleischigen Gliedmaßen, und würde es nicht einmal merken!
Doch das wird gar nicht nötig sein, denn ich sag’ Ihnen eines: Meinetwegen erstick’ an Deiner Zugefalteten, da jammern die Maden und wühlen sich noch tiefer rein, weil’s draußen so zieht. Sie sind am Ende, meine Teure, bei aller Gelassenheit, auf die Sie immer so stolz sind, Ihnen geht die Luft aus, und niemand hier im Raum will wissen, ob für Sie noch was läuft. Und das alles, weil Sie mich f o r m a t i e r e n wollen, so wie die anderen. Die Gescheiten drängen sich in mein Leben, als gäb’s kein morgen, und wollen alle nur einmal klingeln.
Ich steh’ mir selbst im Weg, jawoll, und Sie, meine Teure, sagen, ich solle s c h n e l l e r? Warum die Leute nur immer so verdammt schlau sein müssen!!! Ich schließ’ mein Gehirn heut’ gar nicht erst auf!! Ich sitz einfach nur da.
Verstehst Du Schranze, was ich sagen will? Ich tauch’ noch dampfend ins Packeis, wenn bei Dir der Ofen längst aus ist!
Ich fütter’ nur mich selbst, ich fress’ mein eigenes Fleisch, und das geht niemanden einen Scheiß an und Sie… ja, Sie! werden sich auch noch umschauen. Ihre Strategie des ständigen sich selbst überholens ist zum Scheitern verurteilt! Die begräbt sich freiwillig! Auf den ausgaloppierten Trainingsstrecken der Stadt begegne ich zu vielen, die sich seit Jahren die Gegenwart nicht mehr vergegenwärtigt haben, übles Gesindel, das einem mit klarem Auge gegenübertritt, während es sich heimlich vor Angst, etwas zu verpassen, b e p i s s t !
Dann will natürlich auch niemand alleine dastehen mit so einer kindlichen Wucht, und so kommen sie permanent an und wollen einen ins Gespann einknüpfen. Wie ansteckend und widerlich, die Furcht, etwas zu verpassen. Wie selbstverständlich man sich von jedem Furz Termine geben läßt, als sei schon allein das eine Anerkennung der eigenen Existenz, wie der Kopf eilfertig zu nicken beginnt, noch bevor der Andere überhaupt seinen Schnitt ins Gewebe Deiner Zeit beendet hat! Doch ich bin schwer zu beeindrucken, und wenn Sie fauliger alter Kahn sich da in mir täuschen, wird’s Zeit, Ihr Urteil zu revidieren, bevor meine Schläger Hand an Sie legen!
Dir spritzt doch die Notdurft schon aus den Augen!
Warum, frag’ ich, muß denn immer das Eine auf dem Anderem beruhen? Strecken, die zurückgelegt werden mit straff angelegten Ohren, nur, um den Anschluß an das, was da weiter vorne passiert, um’s Verrecken nicht zu verpassen, und alle paar Tage schiebt dir jemand einen Termin zwischen die Zähne, hier, mach’s Maul auf und jetzt fest draufbeißen, ja, schön.
Haben
Sie
Angst
vor
mir…?
Sie schaden mir.
Ich vergebe das nicht.

Ich krieg’ Dich.

X.

(Überarbeitete Version. Erstmals erschienen in Metronome No.7, “The Bastard” , MetronomePress, Paris)

Gewebeprobe: was die Hyäne sagt.

Man wird erfahrener, gewiss, und entwickelt diesen Vorbehalt gegenüber Verschwendung, besonders jener von Zeit, die Penetration der Welt wird methodisch, sollen doch die Jüngeren sich im Improvisieren verhaken: man wird geschmeidig. Frauen tun’s mit Planeten, nicht mit Körpern und sie fürchten die Fülle nicht so, das Ausufernde. Behaupte ich. Es gibt viele von uns hier oben; wir haben sie gemacht, die Schicht. Bevölkert. Verkörpert. Eine dünne Glasur über der ganzen Hitze, die wir indes ständig unterhöhlen, denken Sie an die Milliarden Kaninchen, Maulwürfe und Mulle, von unseren eigenen Schächten ganz zu schweigen.
Nein, bitte nicht schweigen.
Ich mag Frauen schmal, zickig und unterkühlt, sagt Pierre, nun, das sind drei Eigenschaften, die mir gänzlich abgehen. Ich war inwendig schon immer zarter als die, als die ich erscheine, doch das zählt nicht, Männer sind Augentiere, Frauen Gebirgszüge, zeitlos, unten heiß und gebunden, oben voller Witterung, stürmend. Sie sind d a, Männer nicht so, die sind gern zugange.
Ich weiß kaum, wovon ich schreibe, nur, meine erworbenen Fertigkeiten sind mir längst lästig, was, wenn man sie unterliefe. Was, wenn man spröde wäre. Nichts erklärte. Nichts abschliffe.
Schichten. Ich verwende Sandpapier, auch den Rasierapparat, um meine Winterlippen abzuschleifen, wenn die Kälte sie allzu blättrig macht, danach eine Schicht Creme, dass sie sich nicht entzünden, am nächsten Tag sind sie wie neu. Fleisch wächst nach. Wir haben der Schichtenbildung nichts entgegenzusetzen, weder der substanziellen noch der immateriellen, im Grunde sind wir Schichtmaterial, nichts anderes, wir verfüttern unser Fleisch an die Zeit; sie ist eine Hyäne, sie frisst nur das, was bereits abgestorben ist, nur: sie spürt es früher auf, als wir selbst uns dessen vergegenwärtigen.
Ah, Genitiv. Den mochte ich schon immer.
Du wirst dich eher von mir abkehren, als ich mich dir zuwenden kann, denke ich oft, wenn ich in einen Mann blicke. Erfahrungsgemäß ist es dann umgekehrt, ich bin es, die sich abwendet: ich bevorzuge Männer, die mich nicht brauchen, Steinschläge an meinen Hängen, klacklac, claclac, cla c la c. k.
Die Sprödigkeit. Ich bin des Gewussten überdrüssig, der Schmierfette, der fertigen Packungen. Menschen als gesellschaftliches convenience food, schnell im Regal auffindbar, ein kurzes Aufblitzen von aha und Geschmack und Wohlbefinden, bevor die Verdauung einsetzt. Welcome to the gutter. Man könnte auch unverpackt, vielleicht sollten wir gelegentlich ein paar Steine fressen: convenience wird überschätzt. Die Hyäne hat das Maul voll und kann nicht sprechen, doch ich weiß, was sie sagt, und Sie wissen es auch.

Gewebeprobe: Schnecke

Sie hatte mal eine Affaire mit einem Mann, der zu klein war. Sie strampelte und mühte sich, ihn zu betreten, doch sie kam nicht rein. Sie machte sich sehr dünn und spitz, um oben an der weichen Stelle vielleicht doch … aber nein.
– Ich hasse es, wenn Du dünn und spitz bist, sagte er, sei anders.
– Wie denn.
– So, dass ich Dich um den Finger wickeln kann.
Er hatte einen verwegenen Schwanz, den wusste er superb einzusetzen. Sein Schwanz war ein XXL-Abenteuerspielplatz, sein Kopf die Kabine für den Aufseher, da war nicht viel Platz. Manchmal, wenn sie des Spielens müde war, versuchte sie dennoch, dort ein wenig zu stöbern. Weil er dünn und spitz nicht ertrug, hatte sie ein Stielauge ausgebildet, mit dem schob sie sich durch das kleine Fenster.
– He, tritt nicht auf meine Sachen, Schnecke, sagte er.
– Hier sind doch kaum welche.
– Hast Du eine Ahnung, erwiderte er, ist doch alles voll, bist Du blind?
– Ich bin ein Auge! rief sie empört.
– Das wollen wir doch mal sehen, sagte er.
Und bevor sie es zurückziehen konnte, trat er ans Fenster und ließ den Rolladen herunter, mit einem Schnapp.
Ich komm’ jetzt raus… sagte er.
– Neiiin, schrie sie.
– Versprichst Du, nicht mehr rumzutönen, ich hätte keine Sachen?
– Jaaa!
Er kam trotzdem raus.
– Was hängt denn da für eine Nacktschnecke in meinem Fenster, pfiff er, und schob ihr gekonnt die Hand ins Eingemachte.
Sie stöhnte.
– Na…? Was macht das Auge?
– Welches Auge, ächzte sie.
Der Stiel war eh schon fast platt, der Rolladen war sehr schwer. Sie wackelte mit dem Arsch.
– Was willst Du? fragte er.
– Komm’ schon, rief sie.
Er ließ ab von ihr. Wie kühl es da wurde.
– Nicht! jammerte sie.
– Siehst Du meine Sachen? fragte er und knallte sie an die Kabine.
– Ja! rief sie, doch ihr Mund klebte an der Wand, er konnte sie nicht hören.
War auch nicht wichtig.

Gewebeprobe: Was wir können.

An einem Salzstein vorbei gehen, ohne zu lecken. In allen Tonlagen lachen. Uns (nicht im mindesten) anmerken lassen, wenn eine Hand, die wir ergreifen, kalt oder weichlich ist. Männer in Holzfällerhemden ignorieren. (Äxte sowieso). Geheimgurren erfinden. Tagelang an einer einzigen Bemerkung herumkauen, die uns missgestimmt hat. Löcher mit Gaffatape ausbessern, Stimmungen mit Klarsichtfolie. Zweifeln. Reichlich. Gott eine gute Frau sein lassen. Überhaupt Frauen Frau sein lassen.
Angelegentlich sein, gelegentlich.
Sandwürmer reiten. (Pah)
Den Bären zu Seite schieben, der den Kühlschrank bewacht, besonders Nachts. Überraschend sein, kleinlaut, fulminant: in schnellem Wechsel. Routiniert die Finger hinter dem Rücken kreuzen und leere Versprechen abfüllen, bis sie platzen.
Ohne Lili an der Laterne stehen. Herumgeistern und Steinböcke adoptieren, wenn nötig. Lieben. (Ja, musste mal gesagt werden).
Ganoven mögen. Aber nur gut gekleidete.
Katzen auffangen, die von Blechdächern springen. Abends im Nieselregen nicht tanzen und nicht gut aussehen. Blei gießen und wegwerfen, ohne zu deuten. Undurchsichtig sein. Plötzlich wahnwitzig grinsen, wenn der Duft gebratenen Fleisches durchs Haus zieht. Wenn die Tage stabil sind, wenn sich das Schwellen nicht entzündet. Wenn Wasser da ist.
Wenn Anmut da ist.

Eben zum ersten Mal Gustav Mahlers Symphonie No.3 gehört. Nach dem sechsten Satz rinnen die Augen, die Mundwinkel hängen offen, und aus den Ohren kommen kleine Feuerwölkchen, als säß’ rechts und links ein hechelnder Drache drin.
Soviel zum Thema Unbedingtheit.

Für Semioticghosts.

23:28
Huch! Tag schon vergangen?

Gewebeprobe: Scheingold

Ihr Grundbesitz besteht aus einem recht ansehnlichen Areal an der Grenze zu Murman. Die Urkunde hat sie später rahmen lassen; sie hängt im Badezimmer, was ihr allerdings nicht gut tut: Luftfeuchtigkeit, dazu das säurehaltige Papier, sie wellt sich und verblasst immer mehr, ebenso wie der beigefügte Lageplan. Mehrmals täglich, wenn sie das Bad betritt, beschließt sie, die Dokumente an eine bekömmlichere Stelle zu hängen, doch bis die Klospülung läuft, hat sie das wieder vergessen. Das geht nun schon Jahre.
Auch die Quelle ist markiert. Ihr entspringt, wen wundert’s, ein Fluss, von dem sie schon damals gewiss war, er führe Gold in seinem Bett. Deswegen überhaupt hat sie unterschrieben: sie war noch ein Kind, gerade elf geworden. (Es würde passen, jetzt zu berichten, sie sei ein stilles, verträumtes gewesen, nicht wahr, doch dem war nicht so. Vielleicht fehlte ihr die Lebhaftigkeit der beliebtesten Kinder, übersehen konnte man sie indes nicht, schon damals nicht)
Nicht einmal während der langwierigen Verhandlungen stand in Frage, dass sie kaufberechtigt sei. Man war an sie herangetreten. Im Schuppen. Aber nein, nicht, was Sie denken: es war nichts Übergriffiges an der Kontaktaufnahme, eine ganz einfache Begegnung.
Pass auf, sagten die beiden, du musst nur diese Handvoll Blätter essen, dann machen wir dir ein Angebot.
Ja, hatte sie gesagt und sich das rohe Zeugs in den Mund gesteckt.
Schlucken!
Was sie tat.
Gut, hatten die beiden gesagt. Pass auf:

Sie bezahlte in bar. Urkunde, das muss gesagt werden, bekam sie damals keine, die hat sie sich, schon ein Teenager, dann selbst gemalt.
Sie war noch nie dort; Murman ist schwer zu erreichen.