Die Sprache der Anderen, 40

[…] “Was weiß man denn schon von den heutigen 14 – 18jährigen, dass nicht aus der Pädagogik, aus der Wiederkehr des ewig Gleichen oder aus der Unterhaltungsindustrie käme. Die ungeregelte Teilnahme am gesellschaftlichen Gespräch findet doch unter Ausschluss der erwachsenen Öffentlichkeit statt. „Alle ihre Gründe“ eröffnet eine aufsteigende Perspektive, sie bietet einen wahren Moment der Selbstbestimmung zur Ansicht. Die Geschichte handelt von den Evergreens Freundschaft und Liebe – Themen, die von den Kolleginnen zuerst unter Trivialitätsverdacht gestellt wurden, obwohl sie da – mit den besten Grüßen der Evolution – alle Relevanz vermuten. Wir flößten uns gegenseitig Mut ein, um nicht auf Teufel komm heraus anspruchsvoll, das heißt doch konventionell sein zu müssen. Wir stromerten durch die Randbezirke, es wurde sondiert und abgehakt – und immer da, wo das Gespräch besonders lebhaft wurde, setzte die Schriftführerin eine Markierung ein.
Die Chancen der doppelten kulturellen Auswahl in der fortgeschrittenen Migration spielten sich auf und dazu – und so auch die Freuden in einer ländlichen Umgebung, in einem städtischen Milieu, im Rausch, in Gott, in einer intakten Familie, ja – schräg wurden die Flächen der Betrachtung nie – und trotzdem sind sie Schauplätze brandneuer Anschlüsse, die Schauplätze für Sensationen knapp über den Bodenwellen der über alle Böschungen gehenden Gegenwart.” […]

Jamal Tuschik betreute eine Gruppe Jugendlicher und junger Erwachsener im “Schreibzimmer” des Literaturhaus Frankfurt. „Alle ihre Gründe“ ist ein Kollektivroman, den diese Gruppe gemeinsam begann und weiterschreiben wird.
Via >>> Faust Kultur.

[…] “Rassistische Kalendermotive sind in deutschen Polizeistuben offenbar keine Seltenheit. Ein jetzt aufgetauchter Kalender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) jedenfalls lässt ein zweifelhaftes Menschenbild einiger Polizeibeamter vermuten. Die Motive, die Morgenpost Online vorliegen, sind unverhohlen rassistisch, frauen- und homosexuellenfeindlich. So zeigt ein Bild etwa einen Schimpansen und zwei ratlose Polizisten. Darunter heißt es: “Er behauptet nicht aus dem Zoo sondern dem Asylantenlager zu stammen.”
Ein weiteres Motiv zeigt einen Farbigen mit Wulstlippen und krausen Haaren, dessen Fingerabdrücke genommen werden: “Bei ihm brauchen wir keine Druckerschwärze. Es reicht, ihm die Finger anzufeuchten”, dichtet der Karikaturist, übrigens selbst Polizeibeamter in Bayern. Ein anderer Farbiger wird von einem Polizisten getreten: “Kommt doch aus nem sicheren Tritt-Staat”, so die witzig gemeinte Begründung.” […]

Aus einem >>> Artikel der Berliner Morgenpost vom 2. März 2012.
Via >>> Gleisbauarbeiten.

Die Sprache der Anderen, 39

“I kind of worship at the altar of intention and obstacle. Somebody wants something. Something’s standing in their way of getting it. They want the money, they want the girl, they want to get to Philadelphia — doesn’t matter. And if they can need it, that’s even better.
Whatever the obstacle is, you can’t overcome it like that or the audience is going to say, ‘Why don’t they just take the other car?’ or ‘Why don’t you just shoot him?’ The obstacle has to be difficult to overcome. And that’s the clothesline that you hang everything on — the tactics by which your characters try to achieve their goal. That’s the story that you end up telling.”

Aaron Sorkin, Drehbuchautor

Die Sprache der Anderen, 37 (Fire together, wire together)

[…] Warum es jedoch nicht immer einfach ist, neue Gedanken, Muster und Verhaltensweisen zu etablieren, macht Hüther ebenfalls deutlich: Jede Reaktion zieht eine synaptische Verschaltung der betreffenden Neurone nach sich. Mit jeder Wiederholung der Reaktion wird diese neuronale Verschaltung stärker gebahnt; schließlich wird aus dem Trampelpfad an Nervenzellen eine neuronale Autobahn. Und diese Autobahn ist so breit und bequem, dass wir sie irgendwann automatisch benutzen: Ehe wir uns versehen, läuft alles ganz fix hierüber ab – und wir haben wieder nach altem Muster reagiert oder gehandelt.
Einmal gebahnte Reaktionswege können zudem nicht mehr aufgelöst werden, d.h., einmal geknüpfte synaptische Verbindungen bleiben ein Leben lang bestehen. Um eine alte Verhaltensweise oder ein altes Muster – z.B. eine Angstreaktion – aufzugeben, muss man daher die alte Bahnung hemmen; will man (gleichzeitig) ein neues Verhalten begründen, muss man eine Neubahnung herstellen, also spezifische Neurone neu verknüpfen.
Dabei gilt, so zeigen die neuen Hirnuntersuchungen: Eine Neubahnung kann nur begründet werden, wenn der am Ende stehende Zustand intensiver ist als der alte Outcome. Denn eine hohe Intensität im Erleben bedeutet eine hohe Ausschüttung von Botenstoffen und eine quantitativ hohe Beteiligung von Neuronen. Auf diese Weise entsteht eine starke neue neuronale Bahnung, eine neue Autobahn, die bald breiter ist als die alte. Damit die neue neuronale Verknüpfung stabil wird, ist jedoch eines nötig: Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung des neuen Verhaltens. Denn je öfter wir eine bestimmte Reaktion wiederholen, desto mehr entsprechende Neuronen verbinden sich und desto selbstständiger läuft die Reaktion schließlich ab. […]

Quelle: “Kommunikaton mit NLP” via NLP Community

Die Sprache der Anderen, 34

[…] “Ich glaube, alle guten Geschichten von Mythen über Märchen und Legenden bis hin zum Buch-, Film- oder Theater-Klassiker sind mitreißende Geschichten, das Mitreißen ist das Allerwichtigste. Beim Schreiben stelle ich die Geschichte ganz in den Vordergrund. Sie muss bestimmte Kriterien aufweisen: Sie muss glaubhaft, emotional und interessant sein, sie muss aus einem neuen Blickwinkel dargestellt werden. Das sind scheinbar simple Ankerpunkte, an denen man entlanggeht. Diese Kriterien sitzen ganz fest in mir, ich halte sie für das Wichtigste und ordne ihnen vieles unter. Als nächstes überlege ich, wie würde die Figur mit diesen und jenen Eigenschaften in einer bestimmten Situation handeln.
Die Dramaturgie ist manchmal einfach eine Frage der Kürzung und der genauen Dosierung, hierfür muss man auch bereit sein, auf Dinge zu verzichten, die man sehr mag. „Kill your darlings“ heißt die Maxime, manchmal findet man einen Satz total schön und muss doch akzeptieren, dass er in diesem Moment nicht passt.” […]

Aus einem >>> Gespräch der Journalistin Andrea Pollmeier mit der Autorin Nino Haratischwili, erschienen auf >>> Faust Kultur.

(Kill your darlings… ! Das erinnert mich an einen Freund. Als ich damals anfing, Kunst zu studieren, sagte der mir: “Such’ Dir keine neuen Freunde. Such’ Dir neue Feinde!”)
Ich möchte Ihnen Faust Kultur empfehlen. Nicht, weil Sie dort Feinde finden werden (obwohl – wer weiß?), sondern weil die Site lebendig ist und auf sehr einnehmende Weise voreingenommen: was Sie dort an Kunst und Kultur vorfinden, entspricht dem Gusto und der Haltung der Herausgeber:innen. Basta. Keine Anlehnungen. Die haben ihr eigenes Revier aufgemacht. Sie finden dort >>> “gemachte” und noch unbekannte Künstler:innen in Bild, Wort und Ton ganz freundlich versammelt. Und ständig kommen neue hinzu – die Herausgeber:innen sind gefräßig! : )
Viele Gespräche. Nie zuviel Information auf einmal. Und das Kluge ist irgendwie lässig präsentiert: man kann auch mal ohne Verkontextualisierungszwang dort lesen und kapiert’s trotzdem. Kann ich gut leiden sowas. Deswegen wird auch eine Serie meiner Texte und Zeichnungen demnächst dort beginnen : )

Die Sprache der Anderen, 32

[…] Auch heute ist das öffentliche Leben zu einer Pflicht‑ und Formsache geworden. Ihren Umgang mit dem Staat betreiben die meisten Bürger im Geiste ergebener Zurückhaltung, aber die Entkräftung der öffentlichen Sphäre geht weit über das eigentlich Politische hinaus. Umgang und Austausch mit Fremden gilt allenfalls als langweilig und unergiebig, wenn nicht gar als unheimlich. Der Fremde wird zu einer bedrohlichen Gestalt, und nur wenige Menschen finden Gefallen an jener Welt von Fremden, die ihnen in der kosmopolitischen Stadt entgegentritt.
Eine res publica umfaßt allgemein die Beziehungen und das Geflecht wechselseitiger Verpflichtungen zwischen Leuten, die nicht durch Familienbande oder andere persönliche Beziehungen miteinander verknüpft sind; sie bezeichnet das, was eine Masse, ein »Volk«, ein Gemeinwesen verbindet, im Unterschied zu den Familien‑ und Freundschaftsbanden. Wie in den Tagen Roms ist die Teilnahme an der res publica auch heute eine Sache des beiläufigen Auftritts; die Foren dieses öffentlichen Lebens, etwa die Stadt, sind in Verfall begriffen. […]

Richard Sennett, aus: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens / Die Tyrannei der Intimität
Frankfurt am Main 1987, S. 15‑46, 329‑340, 424‑428.
Fischer Taschenbuch Verlag

TT’s neue Lektüre.

Die Sprache der Anderen, 31 [Schienen und Ketten]

“Aus mir quellen die Texte nicht. Mein Stimmchen ist so dünn, es ist schon längst verstummt. In eine Ecke sollte ich mich kriechen und warten, dass es vorbei geht. Was vorbeigeht?
Dieser Text.
Die Worte darin sollen vorbeifahren wie ferne Wolken. Pink angerotzt von der Sonne, die sich auch schon lieber verpisst. Fern, starr, ziehen sie vorbei wie an Gestänge. Auch uns haben wir arretiert. Der Zombie steigt aus dem Bus und betritt sein Büro. Er könnte doch seine Arme kommandieren und seine Beine. Er kann doch sagen: Arm heb’ dich in die Höhe. Und dieser kleine Moment, in dem er es sagen könnte oder auch nicht, wie leicht könnte da die Materie werden, die er bewegt oder nicht bewegt, könnte nicht alles transparent werden in dieser Bewegung oder Nichtbewegung. Aber er glotzt nur auf die Wolke und hängt weiter an der Schiene.
Sagt: Ich.”

Phorkyas auf >>> Lafcadios Blog, 20. Oktober 2011

“Dich gelüste nicht nach unserem Opfer, sprachst du. Unsere Hände lagen wie tote Götzen auf dem kalten Stein. Noch kannten wir keine Fesseln. Dass du uns zurichtest nach deinem Bilde, schufen wir dir eine Schmiede und feuerten dich an. ‘Es ist kein Hort für euch, Niedergeschmetterte’, sagtest du. ‘Ich weiß keinen.’ Wir flehten dich an, uns zu binden. Du legtest Ketten um unsere Gelenke und zogst uns durch Wüsten und Gebirge hinter dir drein. Schorf bildete sich über den blutigen Wunden. Wir wurden warm und fühlten unsere Lust. Auf unseren Knien dankten wir dir für die Bestrafung. Doch dann wuchsen in unseren Mutterleibern deine Nachfolger heran. Als wir gebaren, höhnten wir deiner. Unsere Schmerzensschreie vollendeten deinen Niedergang. Zärtlich strichen wir den Gezeugten über die Köpfe und legten die Hände vor ihre Augen. Sie sollen deinen Namen nicht kennen und dein Antlitz nicht schauen. An dich gekettet besingen wir die Lüge, die dich verrät.”

MelusineB auf >>> Gleisbauarbeiten, 22. Oktober 2011