Meta-Morphose

Ich soll und werde heute, geschätzte Leser:innen, im Auftrag der Stiftung, für die ich freiberuflich arbeite, ein Feature über ein Dokumentarfilm-Projekt gleichen Namens schreiben. Es geht um einen Ort, der früher als “Irrenanstalt” bezeichnet worden wäre, um eine Gruppe psychisch kranker Bewohner, die dort vor fünfzehn Jahren die META BAND Band gegründet haben – und den Filmemacher Daniel Siebert, der diese Leute kennen gelernt (Wie? Warum? Krieg’ ich noch raus) und beschlossen hat, einen Film mit ihnen zu machen. Denn – stellen Sie sich vor, Leser:innen! – die Band plant ihren ersten öffentlichen Auftritt nach fünfzehn Jahren Bandgeschichte hinter verschlossenen Türen. Soweit zum Aufhänger des Films.

Hintergründig könnte es, soweit ich das nach erstem Herumschnuppern beurteilen kann, um viel mehr gehen. Um den “Rausch des Wahnsinns”, wie Siebert selbst schreibt, und dessen Selbstverständlichkeit. Um eine geplante Heldenreise. Und vielleicht um das Entschlossensein – der Band, des Regisseurs – uns, die wir gewohnt sind, dem Wahnsinn möglichst fernzubleiben, auf dass er nicht abfärbe auf unsere ordentlichen Strukturen, also, um das Entschlossensein, uns aus diesem für jene Leute ganz normalen Wahnsinn eine Hand hinzuhalten zur Begrüßung. Und einen Schmaus für Ohr und Auge. Wahrscheinlich, höchstwahrscheinlich, auch für’s Herz. Ich jedenfalls war schon vom Trailer zum geplanten Film ziemlich hin- und weg. Weil’s eben kein gefühliges Projekt ist, von dem dann doch wieder nur der Regisseur profitieren und den Ruhm einstreichen wird. Denke ich. Fand jedenfalls die >>> Projektdarstellung sympathisch und bemerkenswert unkitschig.

Ich tauch’ jetzt erstmal ab. Rufe den Regisseur an. Bis später.

Sattelt die Ponys!

Geschätzte Leser:innen, nun ist’s heut’ so ein knallschöner Tag und ein so blütenreines Himmelchen! Und die Ponys haben die Hufchen gefettet, die Mähnen geflochten und Schmucktroddeln an ihren Sätteln! Und der Asphalt würd’ sich wellen unter dem Sonnenschein, wenn’s nur nicht so beissekalt wäre!
Hinaus mit uns!

Fahnenlesetag

Was Frau Torik mit “Das Geräusch des Werdens” schon >>> hinter sich und Herr Schlinkert noch >>> vor sich hat, ist bei mir diese Woche dran: Den Buchblock zu “Fettberg” durchgehen. Merkwürdig – so fertig gesetzt bekommt der Text plötzlich Autorität. Fettberg wird ein 240 Seiten Taschenbuch!
Ich hab’ sehr große Lust, Ihnen zu schreiben, warum Sie es lesen sollten, doch die Zeit drängt… übermorgen muss das Ding wieder beim Verlag sein, also verschieb’ ich das Appetitmachen ein bisschen.

Schönen Tag, allerseits : )

13:52
Tainted Talents hat sechzehn Prozent Leser aus den vereinigten Staaten. Sind das Suchmaschinen, weil ich so häufig englische Titel verwende?
Und nur noch 55% kommen aus Germany! *Kopfkratz*

Oh jegerl, ich muss zurück an den Text. Dabei bin ich in einer solchen Spiellaune heute. Grr.

Landgewinn

Hoffentlich hab’ ich Sie nicht zu sehr strapaziert mit meinem gestrigen Text, geschätzte Leser:innen. Nur wenige sind im Januar so richtig in Hochstimmung, da wird man ungern auch noch in fremdes Eiswasser getaucht. Sorry. Aber dies ist nun mal ein Künstlerinnentagebuch – und da es eines sein und bleiben soll, will ich hier Abgründe nicht so überspielen, wie ich das im täglichen Leben tu’. Sie wahrscheinlich auch. Man reißt sich halt am Riemen. (Ziemlich krasser Ausdruck, wenn man’s recht bedenkt, oder?)

Ich habe eine kluge, humorvolle, selbstbewusste Achzehnjährige als Assistentin für mein neues Schreibprojekt >>> »Freestyle« im Weltkulturen Museum angeheuert: Sie wird die Facebook-Seite für das Projekt erstellen und betreuen. Gestern schrieb sie, sie würde gerne von dort hierher verlinken, denn TT sage sehr viel über mich aus.
Ich stutzte kurz und dachte darüber nach, ob die Themen, auch die mitunter harten Beiträge dieses Weblogs keine Zumutung für junge Leute darstellen. Mir ist aber bewusst, wie viele meiner früheren Seminarteilnehmer:innen hier mitlesen. Manchmal begegne ich ihnen bei Veranstaltungen wieder – und nicht selten erwähnen sie dann TT und wie gut es ihnen gefällt. Viele der Jungen schätzen es, wenn man die Hunnen reiten lässt. Sie sind noch nicht so “aufgestellt”, die Mechanismen der Verdrängung sind ihnen noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Schon wieder so ein Ausdruck, der einen frösteln lassen könnte, wenn man es zuließe…
was ich heute nicht tu’.
Nee.
Heute nicht.

Schönen Sonntag, allerseits!

Miss TT

Wie die Faust auf’s Auge…

… zum Thema Selbstdarstellung/Stilisierung passte gestern Abend >>> “A man within”, ein Porträt zu William Burroughs. Guter Film. Lange her, dass ich “Naked Lunch” las. Muss nachher mal nachsehen, wie der erste Satz heißt – das Buch gehört eigentlich in die “Erste Sätze” Rubrik. Von wegen Prägungen …
Sie haben sicher mitbekommen, dass ANH gerade eine sehr schöne, leidenschaftliche Reihe unter diesem Titel >>> schreibt.. Ich hätte ja ebenfalls Lust auf so einen Blick zurück – das Problem ist nur, mit dem (für mich) phänomenal anmutenden Gedächtnis des Herrn Herbst kann meines nicht mithalten; ich müsste vieles erst noch einmal lesen, um wieder reinzukommen und darüber schreiben zu können.
Anyway – Burroughs als Figur kam mir noch nie nah, ich kam auch mit seiner Cut-up-Technik nicht klar, doch als Kunststudentin starrte ich auf “Naked Lunch” wie auf eine Botschaft aus einer Parallelwelt. Was sie ja auch war. Und sie ließ mich nicht unberührt.
Sätze wie:
“Every man has inside himself a parasitic being who is acting not at all to his advantage.”
oder:
“Artists to my mind are the real architects of change, and not the political legislators who implement change after the fact.”
oder der hier:
“Nothing exists until or unless it is observed. An artist is making something exist by observing it. And his hope for other people is that they will also make it exist by observing it. I call it ‘creative observation.’ Creative viewing.”

Vieles an Burroughs ist ziemlich rough. Sein Waffentick. Seine Unnahbarkeit. Seine strikte Weigerung, Geschlechtspartner zu wählen, die er auch intellektuell hätte ernst nehmen können. Die Egomanie: Seine Empfindsamkeit kam offenbar nur seiner Kunst und seinen Katzen zugute. Aber ich mag seinen Style und seine Fresse. Die er als Greis anscheinend so gerne in die Kameras hielt, als wäre er stolz auf dieses Ding, das aussieht, als hätte Hrdlicka es geschnitzt.
Wie weit muss einer als Künstler gehen, um in Bereiche vorzudringen, die noch nie kartographiert wurden? Burroughs ist sehr weit gegangen.

“In my writing I am acting as a map maker, an explorer of psychic areas . . . a cosmonaut of inner space, and I see no point in exploring areas that have already been thoroughly surveyed.”

14:25
Bisher hat sich noch niemand beschwert, dass ich Herrn Burroughs nur ein Ohr gezeichnet habe. ; )

Dominae

“Sie sind eine starke Frau, sagen Leute zumir, wenn sie mir was Freundliches sagen wollen. Das ist nämlich ein Kompliment: Sie sind stark. Sie sind kämpferisch. Sie können sich durchsetzen.
Ich will aber gar keine starke Frau sein. Ich will keine starke Frau sein müssen. Das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun. Ich würde auch als Mann nicht dazu verdonnert werden wollen, ein starker Mann zu sein.”

[…]

Das schreibt die Autorin Elfriede Hammerl am 14. Januar in einem >>> Artikel, den sie mit:
“An sich glauben! Keine Selbstzweifel! Kein Unrechtsbewusstsein! Ein Tugendenkatalog” betitelt hat. (Merci, Kienspan, für den ursprünglichen Link)

Lesen Sie doch mal den vollständigen Text, falls Sie’s noch nicht getan haben. Da stehen noch andere vollkommene Dinge drin wie:

[…]”Wünsche ich meiner Tochter eine Karriere? Nicht, wenn damit ständiges Konkurrierenmüssen, Übertrumpfen, Auftrumpfen, Siegen, das atemlose und rücksichtslose Hin­aufklettern auf einer Hierarchieleiter gemeint ist. Was ich ihr wünsche, ist ein Berufsleben, das ihr Freude macht, das ihr sinnvoll erscheint und von dessen Ertrag sie gut leben kann. Aber wie groß sind die Chancen auf ein solches Berufsleben in einer Gesellschaft, die schamlose Selbstüberhöhung, hemmungslose Selbstvermarktung und erbarmungslosen Egoismus zu angesagten Qualifikationen erklärt? “[…]

Anruf meiner Mutter: Sie sei Kienspans Link gefolgt. Die Passage mit der Tochter habe ihr besonders gut gefallen.
“Für das schwach sein dürfen stehst Du doch auch ein.”
“Ja.”
Ich unterschreibe Hammerls Text. Ebenso wie die meisten von Sibylle Berg, geht mir eben durch den Kopf, obwohl die das Ganze wahrscheinlich schneidender und mit harter Ironie formulieren würde, bei ähnlichen Aussagen. Mit dem Thema mehr auftrumpfen würde. Hammerl tut das nicht.

Beide Frauen sind klug, sehen gut aus, sind blond, artikuliert und sehr schlank. Um sich einen Platz als öffentliche Personen zu erobern, brauchten sie wahrscheinlich auch einen gesunden Egoismus im Gepäck, ein Talent zur Selbstvermarktung und die Fähigkeit, sich anderen gegenüber durchzusetzen: Sie m ü s s e n ganz einfach viele jener Eigenschaften besitzen, die sie an anderen beklagen, sonst wären sie wohl gar nicht erst hingekommen, wo sie jetzt sind. Dass beide dazu noch anziehend aussehen, hilft vielleicht. Nein, hilft ganz sicher.
Egal. Nein, nicht egal, aber völlig in Ordnung. So können sie für diejenigen mitsprechen, die im Hintergrund bleiben wollen. Oder müssen, weil ihnen die Worte fehlen. Öffentlich präsente Frauen können dem gängigen Selbstvermarktungsdiktat die Vorstellung von Solidarität und Gerechtigkeit entgegenhalten – zwei Begriffe, die, wie Hammerl schreibt, inzwischen zum “Loser-Vokabular” gehören.

Eben kommt mir das Wort “unscheinbar” in den Sinn: dass es ja eine doppelte Bedeutung hat. Erstens die, äußerlich unauffällig zu sein. Doch aber auch die, nicht “scheinbar” zu sein: Also wahrhaftig.
Die Unscheinbaren wären also wahrhaftig(er)?

Ich taste mich vor. Zur Bescheidenheit. Um Sprachrohr – sagen wir lieber Repräsentantin – für andere, weniger artikulierte Menschen zu werden, muss eine die Früchte ihrer eigenen Wahrnehmung erstmal als gültig ansehen. Sie dann ernten und einen relevanten Teil davon wieder als Saatgut verwenden. Ohne Hartnäckigkeit und eine Portion Selbstüberschätzung wird das nicht passieren, wird sie sich gar nicht erst anmaßen, für andere mitsprechen zu können.
Bescheidene Leute halten sich meist im Hintergrund. Werden gerne auch überhört, falls sie sich doch zu Wort melden. Weil sie untrainiert sind, die eigenen Vorstellungen öffentlichkeitswirksam rüberzubringen. Dabei wirkt Bescheidensein oft sehr anziehend. Um diese aber außerhalb privater Kreise propagieren zu können, muss erstmal ganz unbescheiden Revier erobert werden. Ich frag’ mich gerade, ob es dazu einer bestimmten Selbststilisierung bedarf. Ob dazu ein Sich-Aufschwingen nötig ist. Wenn ich mir Frau Hammerl und Frau Berg so betrachte, könnte das stimmen. Beide wirken in ihrer Selbstdarstellung wie erfolgreiche Frauen – die genau jene Merkmale an sich betonen, die als Attribute des Erfolgs gelesen werden. Sie zeigen sich.

Hammerls Artikel endet mit den Worten:
“Man muss sich eben gut verkaufen! Muss man? An wen? Ich bin dafür, dass wir uns behalten.”

Ich möchte weiter darüber nachdenken, wie wir uns behalten können.