“Sie sind eine starke Frau, sagen Leute zumir, wenn sie mir was Freundliches sagen wollen. Das ist nämlich ein Kompliment: Sie sind stark. Sie sind kämpferisch. Sie können sich durchsetzen.
Ich will aber gar keine starke Frau sein. Ich will keine starke Frau sein müssen. Das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun. Ich würde auch als Mann nicht dazu verdonnert werden wollen, ein starker Mann zu sein.”
[…]
Das schreibt die Autorin Elfriede Hammerl am 14. Januar in einem >>> Artikel, den sie mit:
“An sich glauben! Keine Selbstzweifel! Kein Unrechtsbewusstsein! Ein Tugendenkatalog” betitelt hat. (Merci, Kienspan, für den ursprünglichen Link)
Lesen Sie doch mal den vollständigen Text, falls Sie’s noch nicht getan haben. Da stehen noch andere vollkommene Dinge drin wie:
[…]”Wünsche ich meiner Tochter eine Karriere? Nicht, wenn damit ständiges Konkurrierenmüssen, Übertrumpfen, Auftrumpfen, Siegen, das atemlose und rücksichtslose Hinaufklettern auf einer Hierarchieleiter gemeint ist. Was ich ihr wünsche, ist ein Berufsleben, das ihr Freude macht, das ihr sinnvoll erscheint und von dessen Ertrag sie gut leben kann. Aber wie groß sind die Chancen auf ein solches Berufsleben in einer Gesellschaft, die schamlose Selbstüberhöhung, hemmungslose Selbstvermarktung und erbarmungslosen Egoismus zu angesagten Qualifikationen erklärt? “[…]
Anruf meiner Mutter: Sie sei Kienspans Link gefolgt. Die Passage mit der Tochter habe ihr besonders gut gefallen.
“Für das schwach sein dürfen stehst Du doch auch ein.”
“Ja.”
Ich unterschreibe Hammerls Text. Ebenso wie die meisten von Sibylle Berg, geht mir eben durch den Kopf, obwohl die das Ganze wahrscheinlich schneidender und mit harter Ironie formulieren würde, bei ähnlichen Aussagen. Mit dem Thema mehr auftrumpfen würde. Hammerl tut das nicht.
Beide Frauen sind klug, sehen gut aus, sind blond, artikuliert und sehr schlank. Um sich einen Platz als öffentliche Personen zu erobern, brauchten sie wahrscheinlich auch einen gesunden Egoismus im Gepäck, ein Talent zur Selbstvermarktung und die Fähigkeit, sich anderen gegenüber durchzusetzen: Sie m ü s s e n ganz einfach viele jener Eigenschaften besitzen, die sie an anderen beklagen, sonst wären sie wohl gar nicht erst hingekommen, wo sie jetzt sind. Dass beide dazu noch anziehend aussehen, hilft vielleicht. Nein, hilft ganz sicher.
Egal. Nein, nicht egal, aber völlig in Ordnung. So können sie für diejenigen mitsprechen, die im Hintergrund bleiben wollen. Oder müssen, weil ihnen die Worte fehlen. Öffentlich präsente Frauen können dem gängigen Selbstvermarktungsdiktat die Vorstellung von Solidarität und Gerechtigkeit entgegenhalten – zwei Begriffe, die, wie Hammerl schreibt, inzwischen zum “Loser-Vokabular” gehören.
Eben kommt mir das Wort “unscheinbar” in den Sinn: dass es ja eine doppelte Bedeutung hat. Erstens die, äußerlich unauffällig zu sein. Doch aber auch die, nicht “scheinbar” zu sein: Also wahrhaftig.
Die Unscheinbaren wären also wahrhaftig(er)?
Ich taste mich vor. Zur Bescheidenheit. Um Sprachrohr – sagen wir lieber Repräsentantin – für andere, weniger artikulierte Menschen zu werden, muss eine die Früchte ihrer eigenen Wahrnehmung erstmal als gültig ansehen. Sie dann ernten und einen relevanten Teil davon wieder als Saatgut verwenden. Ohne Hartnäckigkeit und eine Portion Selbstüberschätzung wird das nicht passieren, wird sie sich gar nicht erst anmaßen, für andere mitsprechen zu können.
Bescheidene Leute halten sich meist im Hintergrund. Werden gerne auch überhört, falls sie sich doch zu Wort melden. Weil sie untrainiert sind, die eigenen Vorstellungen öffentlichkeitswirksam rüberzubringen. Dabei wirkt Bescheidensein oft sehr anziehend. Um diese aber außerhalb privater Kreise propagieren zu können, muss erstmal ganz unbescheiden Revier erobert werden. Ich frag’ mich gerade, ob es dazu einer bestimmten Selbststilisierung bedarf. Ob dazu ein Sich-Aufschwingen nötig ist. Wenn ich mir Frau Hammerl und Frau Berg so betrachte, könnte das stimmen. Beide wirken in ihrer Selbstdarstellung wie erfolgreiche Frauen – die genau jene Merkmale an sich betonen, die als Attribute des Erfolgs gelesen werden. Sie zeigen sich.
Hammerls Artikel endet mit den Worten:
“Man muss sich eben gut verkaufen! Muss man? An wen? Ich bin dafür, dass wir uns behalten.”
Ich möchte weiter darüber nachdenken, wie wir uns behalten können.