Jeder Mensch ist eine Frau

Lass Dich fallen,
lerne Schlangen zu beobachten,
pflanze unmögliche Gärten,
lade jemand Gefährlichen zum Tee ein,
mache kleine Zeichen, die ‚Ja’ sagen und verteile sie überall in Deinem Haus.
Werde ein Freund von Freiheit und Unsicherheit, freue Dich auf Träume.
Weine bei Kinofilmen, schaukle so hoch Du kannst mit einer Schaukel bei Mondlicht.
Pflege verschiedene Stimmungen, verweigere ‚Verantwortliche’ zu sein, tu es aus Liebe.
Glaube an Zauberei, lache eine Menge, bade im Mondlicht. Träume wilde, phantasievolle Träume.
Zeichne auf die Wände, lies jeden Tag.
Stell Dir vor, Du wärst verzaubert,
kichere mit Kindern.
Höre alten Leuten zu, freue Dich, tauche ein, sei frei. Preise Dich selbst, lass die Angst fallen, spiele mit allem.
Unterhalte das Kind in Dir, Du bist unschuldig, baue eine Burg aus Decken,
werde nass,
umarme Bäume,
schreibe Liebesbriefe.

Joseph Beuys, “Jeder Mensch ist ein Künstler”

Packe die wehrhafteste Handtasche in den Buchmessenkoffer.

Omid ist mein Name

… und der steht für Hoffnung.
Erinnerungsstücke an Gefängnis und Flucht, Iran 1981 – 1988

So heißt die Ausstellung, die heute Abend in der Jugendbegegnungsstätte Anne Frank eröffnet.

Über meine enge Freundschaft zu Parastou Forouhar, Mitkuratorin der Ausstellung, gehe ich mit dem Thema Iran schon lange um. Meistens sind das angesichts ihrer Lebensgeschichte, der Ermordung ihrer Eltern, sehr bedrückende Gespräche. Aber nicht nur. In den langen Jahren unserer Gespräche ist mir auch ein Bewusstsein für dieses Land erwachsen.
Nein, falsch, nicht das Land. Es ist eher so, dass >>> Forouhar als Künstlerin, Freundin und politisch engagierte Streiterin einen früher blinden Fleck auf meiner Landkarte mit Leben gefüllt hat. Sie und alle die Exil-Iraner, die ich über sie kennen gelernt habe. Über die Jahre hab’ ich immer mal wieder beim Texteschreiben assistiert. Anteilnahme, stelle ich fest, funktioniert bei mir nur über Teilnahme. Ansonsten ist’s mir eine Worthülse.
Die Frage bleibt aktuell, wie sich reale Verbindungen herstellen lassen zwischen ihrem Heimatland und ihrer Wahlheimat Deutschland. Wie es sich vermeiden ließe, immer nur mit der Moralkeule zu wedeln, um abgelenkte nichtiranische Gehirne auf die Geschehnisse dort aufmerksam zu machen. Und wieder muss ich mich korrigieren: Es geht nicht nur um’s Aufmerksamwerden. Sondern um Selbstverständlichkeit. Wir sind nicht getrennt. Was andernorts passiert, welche Energien freigesetzt und unterdrückt werden, findet schlichtweg gleichzeitig zur eigenen selektiven Wirklichkeit statt. Ist Teil des Ganzen, ob man’s nun wahrnimmt oder nicht. Teil dessen, was man rezipiert, fühlt, berücksichtigt, benennt, ignoriert und so weiter.
Der Umgang mit dem Fremden sollte so selbstverständlich sein, wie morgens Salz auf das Frühstücksei zu streuen. Drüben im Fremden streut sich auch gerade jemand Salz auf irgendwas.

Die Ausstellung zeigt Objekte, die Gefangene im Iran im Gefängnis angefertigt und nach draußen geschmuggelt haben. Oft gefertigt aus Materialien, auf die unter anderen Umständen niemand käme. Dazu gibt es Geschichten zu Lebensläufen und Fragmente aus Biographien, es gibt Zitate und Erklärungen. Und jede Menge Intensität. Damit muss man ja erstmal umgehen wollen …
Man kann dort auf Objekte treffen, ganz kleine teilweise, die sind so mit Energie und Hoffnung aufgeladen, dass einem kurz das Herz stehen bleibt. Besser wäre sicher, es zu öffnen. Und vielleicht ein bißchen Salz zu streuen.

“Ich bin unerzählt in der Geschichte Irans – dem Land, für dessen Freiheit meine Eltern ihr Leben opferten, als sie so alt waren, wie ich es nun bin. Ihre Geschichte wurde mir von ihren Weggefährten erzählt, Überlebende überreichten mir ihre Geschenke. Ich bewahre sie; auch den Namen, den meine Eltern mir geschenkt haben: Omid – Hoffnung!”

Mehr dazu >>> hier.

Omid ist mein Name
Vernissage: Samstag, 10. März 2012, 19:00 Uhr
Ausstellungsdauer : 11. März bis 31. Oktober 2012

Jugendbegegnungsstätte Anne Frank e.V.
Hansaallee 150
60320 Frankfurt am Main

Lebensweisheiten, gestickt

“Dass die Vögel der Sorge über Deinem Haupte fliegen kannst Du nicht ändern
aber dass sie Nester in Deinem Haar bauen das kannst Du verhindern.”

Den Wandteppich im Wohnzimmer der alten Dame, von dem dieser Stickspruch stammt, zeige ich nicht. Es ist Jahre her, dass ich ihn fotografierte.
Kürzlich aber begegnetet mir dieser Vogel im Weltkulturen Museum und ich erinnerte mich an den Teppich. Und die alte Dame.

Das Gegenteil stimmt auch

Wenn ich mich auf meinem Schreibtisch so umsehe, man könnte glatt meinen, ich wäre mit der Welt nur über A4-Papiere verbunden. Brauch ‘ne Assistentin. Jemand unerschütterliches. Oder eine Praktikantin. Aber fein bezahlen wollen würd’ ich die, und da wird es schwierig. Meine one woman show kann keine zweite woman finanzieren. Gestern im Museum erzählte mir ein junges studierendes Mensch, es mache Praktikum dort, zwei Monate, unbezahlt. Bin ich bekloppt, dass ich so etwas anrüchig finde? Ich glaub’, auch Volontäre kriegen nur ein Handgeld. Immer wieder überkommt mich die Lust, mich zu institutionalisieren. Einen Ort zu haben. Ein Haus für junge Menschen, aus dem die stärker wieder rausgehen, als sie reingekommen sind. Lächeln Sie jetzt nicht – ich hab’ ein paar schlummernde Asse im Ärmel und eines davon ist kurz vor’m Aufwachen.
Was für ein intensiver Schreib-Kurs das war diese Woche. Ganz kleine Gruppe, da faltet sich vieles auf, das gar nicht auf ein A4-Blatt passt. Und später dann vielleicht doch.
Kommende Woche der nächste Workshop. Dann, die Woche drauf, Leipzig. Buchmesse. Lesungen. Radio. Eine Ausstellung mit meinen Zeichnungen in einer Berliner Galerie im Mai. Ein Buchprojekt in Polen (yippie, endlich mal was in Polen). Dann wieder Freestyle im Weltkulturen. Die Stiftung sagt, sie will wieder ‘n Workshop von mir. Mal etwas anderes als deren Website texten, prima. Junijuli bin ich in Paris. Unbedingt will ich diesen Sommer auch eine ganz bestimmte Dichterin treffen und ein gemeinsames Vorhaben mit ihr aushecken. (Das klappt jetzt bald mal, S.! Let’s do it! : )
Grad denke ich, mal wieder besoffen sein wär’ auch nicht schlecht. Mach’ ich in Leipzig. Kommen Sie doch auch. Dann werfen wir alle Pläne über Bord und behaupten das Gegenteil.

Okay.
Weitermachen : )

Tagaus

Solang’ kein Licht brennt, steht der Tag nur am Himmel. Flieg, mein Drachen, aber zerr’ nicht, sonst lass’ ich die Schnur los. Frühmorgens sind wir für uns, Liebster, traumvergoren, sind Fläche und Hügel, Damm und Graben. Was, wenn wir nichts lernten, sind wir dann mehr oder weniger? Wie viel Welt bist Du mir, mein Lieb, wenn mir die Augen verbunden, mit was greifst Du nach mir, wenn ich Schatten bin.
Morgens holt mich die Erde, die Schwester, die Luft. Morgens für einen Moment ist es, als wären wir nie getrennt und die Ahnen gurren auf dem First, unter dem ich hause. Auf, auf! Die Treppe hinunter weiß ich noch kaum, wie das funktioniert mit Lunge und Luft.
Wie es wohl wäre, drinnen zu bleiben, mein Bettchen, mein Faden, mein Drachen.
Wenn niemand meine Straße schrubbte mit rotierenden Bürsten und kein Bäcker seine Fladen auf’s Band klatschte, jetzt, gerade. Noch nicht! Bleib mir doch unbegreiflich, ich bitt’ Dich. Ah, warum bin ich Fleisch geworden, so schwer. War doch Licht. War doch überall, bevor mich ein Körper in Knoten band und bindet, als wär’ das Wahrheit, so ein Körper, so ein paar Rehaugen. (Mein Äuglein, so nennst Du mich.)
Wie schön Du bist, Leben, Alabasterdöschen, Hefeteig, Du gigantische Habseligkeit. We can be heroes, just for one day. Eine Buchseite, ein Kind, eine Verzweiflungstat. Binde mich, Welt. Lass mich nicht ziehen. Ruf’ nach mir, verlange, dass ich Weib sei, meine Hülle verlasse, verlang’ nach mir, lass’ mich nicht klein sein wie das, was Instrumente können: bin doch mehr als ein Punkt auf einer Karte, der Strich, den ich ziehe, das Wort, das ich wähle.
Ah, Papa, was flüsterst Du so.

Tagein.