Intensität und Übersetzung, erste Mitteilung

Bin auf der Suche nach neuen Wegen, wie sich im Draußen erlebte Intensität hier auf TT mitteilen lässt, ohne indiskret zu werden, zu privat und zu unübersetzt. Zudem bin ich auch leicht erschöpft, mes amis. Ein Freund merkte vor ein paar Tagen an, die Gedankentiefe habe nachgelassen auf TT, wir Schreibenden seien uns im Atelier in letzter Zeit so einig und gewogen, da ließe Schärfe nach und Relevanz.
Ob es meinen Beiträgen an Tiefe fehle, fragte ich.
„Nein“, erwiderte er, „die haben nicht an Dringlichkeit verloren, außer an jenen Tagen, an denen es offensichtlich nur für ein Lebenszeichen langt. Die Kommentarebene – auch Ihre! – ist allerdings…“
„…Freundlich, ja. Gutgelaunt. Ein wenig oberflächlich manchmal.“
„Was durchaus daran liegen mag, dass es Ihren Gästen ebenso geht wie mir: einen fundierten Kommentar zu schreiben braucht mehr Muße, als ich für gewöhnlich habe…“
„Glauben Sie, ich nähme mich davon aus?“ frage ich. „Ein gut gedachter und formulierter Text nimmt Stunden in Anspruch, ein ambitionierter Kommentar ebenso. Ich weiß einfach oft nicht, wo die Zeit hernehmen.“

Der Mann, mit dem ich frühstücke, nennt mich neuerdings Wuselwipp.
Wenn das mal kein Name ist.

Grübelkoller, ff

Hat jemand ein Gegenmittel?
(Und jetzt sagen Sie bloß nicht, ich solle Sport treiben oder meditieren, denn beides gehört bereits zu meinem Tagesablauf…)

Irgendetwas läuft gerade unrund, ich weiß nur noch nicht, was. An meinen zunehmenden Lehrtätigkeiten liegt’s nicht – die sind erfüllend. Muss Ihnen später unbedingt noch erzählen, wie sich gestern Morgen das Blatt wendete in dieser zu Anfang so widerstrebenden Gruppe. Was für ein Geschenk, wenn so etwas passiert.

Dennoch Grübelkoller. Oder vielleicht gerade deswegen.

*seufz*

Hochsaison

Biographieworkshop mit Halbstarken diese Woche: die Jungs indes haben zero Interesse für wohlmeinende Projekte – außer jenem, die Mädels in der Gruppe auf Touren zu bringen. Gegen d i e Energie muss eine erstmal ankommen als Schreibtrainerin! Trete heute im Spezialdress auf, weite Kung-Fu Hose in Schwarz, eng anliegendes ärmelloses Shirt, ebenfalls schwarz, klotziger Schmuck, Sneakers. Dazu einige seltsame Objekte zur Klangerzeugung. Die sind sehr nötig, um gegen die Grundlautstärke anzukommen. Ein As hab’ ich auch noch im nichtvorhandenen Ärmel. Mal sehen, ob’s klappt.
Werde berichten! : )

20:08
Ah, wie ich das Schneckendasein grad’ vermisse! Bin noch voll in den Vorbereitungen für den morgigen Workshoptag. Hab’ heute so laut geschrien, dass der Putz von den Wänden…
da waren die Jungs ruhig. Sahen plötzlich zufrieden aus. Ein Mädchen sagte: “Jetzt bist Du zum ersten Mal ausgeflippt.” Sie lächelte. Ein anderes kam später zu mir und sagte: “Das hast Du genau richtig gemacht, die verstehen nix anderes.” Und was für eine Sozialkitschtante wäre ich, wenn ich ihnen nicht geben würde, was sie verstehen? Hm? Ich bin keine Magierin, kann keine Muster rückgängig machen. Noch nicht einmal aufweichen. Nicht in einer Woche…
… und wer weiß, ob ihnen das gut bekommen würde. Da, wo diese jungen Männer beruflich hingehen, müssen sie auf Zack sein. Schreiben? Nebensache. Wenn überhaupt. Ich arbeite mit jungen Menschen jeglicher Couleur, und gerne.
Die Sache ist ja die: ich mag auch Rasselbanden und die, ihrerseits, mögen mich auch. Sie wären nur lieber woanders und ich bin die Barriere.
Trotzdem haben sie geschrieben. Manche wildes Zeug, andere Erinnerungen. Haben schon viel erlebt. Ein Mädchen schrieb ihrer verstorbenen Großmutter einen Brief, der mich nach Luft schnappen ließ. Ein junger Mann, der keine drei Minuten still sitzen kann, schrieb mit großer, krakeliger Schrift die Beschreibung einer Drogenübergabe, hatte seinen Spaß dabei. Ich eigentlich auch.

Na, mal sehen, wie es morgen wird. Ich weiß nur eines: wenn die am Ende der Woche ihr selbst gebundenes Buch mit ihren Texten in der Hand haben, sind sie stolz. Ich mach’ diesen speziellen Kurs seit über zwölf Jahren. Der Moment, in dem sie aus ihrem Buch vorlesen, ist Belohnung für alle – nicht nur für mich. Bis dahin: durchhalten.
Und manchmal rumschreien : )

Holy Motors

Endlich mal wieder ein Film, der meinen Kunsthunger stillt – Holy shit, was für ein Bilderwurf! Der Name Oskar scheint für außergewöhnliche Protagonisten prädestiniert zu sein … doch >>> Denis Lavant als Monsieur Oscar könnte ich, anders als dem anderen, dem trommelnden Oskar, stundenlang in sein wüstes Gesicht sehen: in dieses Gestaltwandlergesicht, das aber – entgegen allem, was die Latexschichten suggerieren, die er sich im Film wieder und wieder aufträgt – nicht elastisch wirkt, nicht fügsam, sondern grindig, als wär’ jede Metamorphose, der er sich unterzieht, von Rissen in seinem Originalgesicht begleitet, die ihn etwas kosteten … weil sie innerhalb von Minuten heilen müssen, um seinem nächsten Trip, der nächsten Masquerade Grund und Untergrund sein zu können.
Monsieur Oskar haut sich seiner Garderobe im Fond der Stretchlimousine die Identitäten so gekonnt auf den kahlen Schädel, dass die Schwarte der Wirklichkeit kracht. Die Aufträge dazu liegen schriftlich vor. In Kladden. Nach jedem „Job“ nimmt er die nächste zur Hand; einmal entfährt ihm dabei ein Seufzer.
„Diese Woche nichts im Wald? Oder auf dem Land?“ fragt er nach vorne in die Fahrerinnenkabine.
„Nein, diese Woche nicht.“
Die Frau am Steuer, Celine >>> Edith Scob, ist nicht Person, sondern Personifizierung. Aber was für eine schöne und beziehungsreiche! In jede ihrer Falten hab’ ich mich einzeln verliebt. Nach jedem durchgeführten Auftrag – manchmal rettet sich Monsieur nur mit letzter Kraft zurück ins Gefährt – hat sie ihm bereits die neue Kladde auf die Rückbank gelegt. Manchmal müsste er tot sein. Natürlich ist er es nicht. Spätestens nach dem zweiten Mal, bei dem er sich Kugeln einfängt oder mit einem Messer im Hals aus der Szene taumelt, weiß man das.
Er ist ein mächtiger Banker, eine alte Bettlerin mit grausig verkrümmtem Rückgrat, ein Killer, ein Monster. Er ist grummeliger Vater einer halbwüchsigen Tochter, ein uralter Mann auf seinem Sterbebett, versierter Akteur in einem Animationsstudio, der eine Schlangenfrau im Latexdress begattet. Er spielt (oh, >>> Matthew Barney lässt grüßen, und wie!) eine faunische, von Moral befreite Kreatur, die ein Supermodel kidnappt und in die Kanalisation verschleppt, dort am Kleid der gefügigen, ja lethargischen Schönheit reißt, ihr die Fetzen um Oberkörper und Gesicht windet, bis sie zur Beduinin wird. Die ihn, den Faun, dem noch das Blut an den Lippen klebt – eine Szene zuvor hat er der Assistentin des Modefotografen zwei Finger abgebissen – recht sanft dann auf ihrem Schoß empfängt. Dort bleibt er ein Weilchen liegen, sein harter Schwanz wie der Henkel eines Messingkrugs.

Was, zum Henker, be-deutet das alles? Bilderreigen eines Rollenspielers, der stellvertretend für uns alle die lustvollen Qualen der Multioptionalität durchexerziert? Was motiviert Monsieur Oskar zu seinem Tun? Auf die Frage des ominösen Auftraggebers, der irgendwann im Fond der Limousine auf ihn wartet, antwortet er: „Für die Schönheit. Ich tue es für die Schönheit.“ Die Antwort scheint ebenso überflüssig zu sein wie die Frage. Nur die Kameras, die vermisst Monsieur Oskar: diejenigen, die man sehen kann als Akteur. Heutzutage sind die Maschinen so klein geworden, klagt er. Man weiß gar nicht mehr, ob noch jemand zusieht. Ob noch jemand zusieht…
Die Zeit der großen Maschinen ist vorbei. In der letzten Szene des Films wird das auf märchenhafte Weise noch einmal klar.
Identität, das impliziert der Film für mich, ist etwas gemachtes. Doch Monsieur Oskar stürzt sich in jede seiner Mutationen, als wäre es die letzte, die er annimmt. Mit derart wahnwitziger Hingabe auch, dass ich mich selbst mit wandle, als Zuschauerin zur Komplizin werde, die die Fahrt in der großen Limousinen-Maschine, nein, den Gewaltritt durch die Parallelwelten dankbar, weil unbeschadet, mitmacht, bis in tiefe Abgründe. Die aber keine sind: Alle Identitäten, alle Handlungen reihen sich unbewertet aneinander.
Ich dachte ganz zu Anfang an Godard. An Matthew Barney sowieso. David Lynch webt da irgendwo mit, JG Ballard, auch Lewis Carroll. Sogar Schlingensief fiel mir ein. Aber Leos Carax ist sein eigener Maniac. Was diesen Film in meinen Augen so großartig macht, ist seine Besessenheit. Die sich nicht darum schert, ob sie in ein Genre passt, oder welche Bezüge wir zu ihr herstellen. Sie ist einfach.