Die Kommune

befand sich auf dem Land. Man ging langsam im Kreis. Die Leute waren einfache Leute. Manchmal, wenn sie stehen blieben, berührten sich ihre Körper. Es gab keine Führungsfigur, zumindest keine, die als solche zu erkennen war. Vor ihr ging ein Mann, hinter ihr ebenfalls. Wo waren die Frauen?
Ohne Signal kam der Kreis erneut zum Stehen. Ihr Vormann wandte sich zu ihr um und sagte:
„Ich habe es gehasst, dass du da bist und dass ich körperlichen Kontakt mit dir hatte.“
Der Mann, der hinter ihr gegangen war, schaltete sich ein, rügte den anderen wegen seiner Grobheit, doch der wollte davon nichts hören. Er entfernte sich, ohne eine Erklärung abzugeben.

Sie nahm ihre Klamotten und ging zum Gruppenhaus, wollte sich einen Platz suchen dort. Drinnen saßen viele Menschen und meditierten. Alle sahen auf, als sie durch die Tür kam, doch niemand niemand rückte für sie beiseite. Sie spürte, dass sie nicht willkommen war und kehrte dem Haus den Rücken.
Draußen angekommen, beschloss sie zu fliegen. Über die Menschen hinwegzufliegen, ihnen zu zeigen, dass sie sie nicht nötig habe. Sie konzentrierte sich und hob schaukelnd vom Boden ab.
Sie kam drei, vielleicht vier Meter hoch. Das reichte, um Überblick zu bekommen und von den anderen gesehen zu werden, reichte aber nicht, um sich souverän zu fühlen. Sie hatte zwei Kissen unter die Arme geklemmt, eins rechts, eins links. Beim Abheben fragte sie sich, woher sie die plötzlich hatte.
Taumelnd schwebte sie über das Gelände. Die vertraute Genugtuung stellte sich ein, als sie die Menschen unter sich sah – wie immer war sie die einzige, die die Fähigkeit zu fliegen besaß. Sie wusste, wenn sie höher stiege, würde sie die Kontrolle verlieren. Sie konnte höher steigen! Sie konnte hoch fliegen wie ein Adler, und höher. Doch da war immer das Wissen, dass sie dann ins Grauenvolle abgetrieben würde. Und das war so wallend schwarz und vage, dass sie eine Heidenangst davor hatte, den Sichtkontakt zur Erde abreißen zu lassen. Wenn sie die Kontrolle verlöre, sich zu weit vom Vertrauten entfernte, würde sie im Himmel verloren gehen und nie wieder zu dem Ort zurückfinden, von dem sie gekommen war.

Löcher in die Luft

Noch zwei jeweils dreitägige Schreibworkshops, geschätzte Leser:innen, diese und nächste Woche einer, dazu die Stiftungswebsite, die ich redaktionell betreue und die ihre Besucher freundlich ins neue Jahr geleiten wird – so sieht die angewandte Seite meiner Arbeit im Dezember aus. Über die freie kann ich nichts sagen, die fühlt sich gerade an wie eine verrammelte Bretterbude in einer Geisterstadt in der Wüste. Bei Sandsturm. Mindestens.
Wird Zeit für Miss TT, den Fuß vom Gas zu nehmen.

Momentan, wenn keine Pflichten zu erledigen sind, schalten sich meine Systeme ab: ich höre auf zu denken. Müsste ich nicht gleich zu meiner neuen Schülerinnen-Gruppe, ich würde bestimmt drei Stunden einfach hier so weiter am meinem Schreibtisch sitzen mit meinem Wattekopf. (Guck’ keine Löcher in die Luft, höre ich manchmal die Stimme meiner Großmutter sagen)
Unglücklich sein macht im besten Fall erfinderisch, aber erschöpft sein macht, wie ich immer wieder an mir feststelle, trivial. Und konsumistisch. Ich mach’ dann nur noch Dinge, die schnelle Befriedigung bringen.
Was also tun? Mal sehen.
Vielleicht einfach bei nächster Gelegenheit das Jahr resümieren und loslassen. Und danach ganz große Löcher in die Luft gucken: so lange, bis sie zu sprechen beginnen.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Montag. Und geh’ jetzt mal ‘ne Runde Workshop halten : )

Einer geht noch

(Ab morgen ist aber Schluss mit grimmig, Phyllis!)

((Mei, heute ist ja 1. Advent, wo ist das Kerzlein?))
(((uff, hier isses.)))

11:51
Zufall? Im Hause meiner Mutter erhielt ich heute morgen einen Fingerzeig meiner Urahnin in Sachen gutes Benehmen. Aus dem alten Bücherschrank meiner Großmutter heraus. Dort nämlich fand ich vorhin ein Buch mit dem schönen Titel: “Der gute Ton. Ein Handbuch für den Verkehr in der Familie, in der Gesellschaft und im öffentlichen Leben”. Herausgegeben von Franz Ebhardt im Jahr 1921 im Verlag Julius Klinkhardt, Leipzig.
“Darf ich?” fragte ich.
“Ich schenke es Dir” sagte meine Mutter. “Es gehörte Deiner Urgroßmutter.”

Darf ich kurz mal aus dem Vorwort zitieren?

“Die erste Auflage des “Guten Tons” ist kurz nach dem Deutsch-Französischen Kriege erschienen. Die vorliegende zwanzigste Auflage erscheint nach dem Weltkriege. Sie ist, wie die früheren Aiflagen, den Bedürfnissen der Zeit angepasst, nicht in dem Sinne, dass sie jede kleine Schwankung der Tagesmode als wichtige Neuerung hervorhebt, aber doch derart, dass sie größere Wandlungen in Sitte und Gebräuchen gebührend verzeichnet. Dabei konnten manche Abschnitte ganz unverändert bleiben, und zwar gerade solche, die die Grundlagen aller Gesittung behandeln, wie die Abschnitte über das Haus, die Familie u.s.w. In manchen dieser Abschnitte ist absichtlich die Ausdrucksweise der ersten Auflagen erhalten geblieben. Der Leser möge aus solchen Stellen entnehmen, wie verhältnismäßig geringfügig die Wandlungen sind, denen die Grundlagen des “Guten Tons” selbst im Laufe eines längeren Zeitabschnitts unterworfen sind.”

Ich erwäge ernstlich, geschätzte Leser:innen, mir dieses Werk zu Gemüte zu führen! Sollte es sich als ergiebig erweisen, werde ich keine Mühen scheuen, Sie auf die eine oder andere Weise daran teilhaben zu lassen.
Aber genug. Heute, da kann auch die Urahnin nichts ausrichten, ziehe ich mich ab sofort wieder in meine gepflegt schlechte Laune zurück.
Amen und aus.

Signaturen

Wenn das Eigene sich löst
träum ich fremde Signaturen: da
und d a
kein Papier, kein Vertrag, nur
ein Mal
vom Lager entfernt seyn.

Davon, das gleiche Hemd zu tragen, bis es starrte
kein Wasser, Lappen, nichts, was untreu macht
kein zweites Gesicht zu haben,
keine alte Signatur
kein anstatt
Wer die Meduse schluckt
hat die Adern voller Blindschleichen