Namen sagen

Ich glaube an Vielfalt und Nächstenliebe. Ist kompliziert. Stimmt. Muss man aber irgendwie hinkriegen, sonst haben wir schlichtweg keine Werte Grundlage, die es wert wäre, verteidigt zu werden. Das Hinkriegen finge vielleicht damit an, dass man überall seinen Namen sagte und drunterschriebe. Die Flüchtigen müssen das auch ständig bei uns, nur erfahren wir deren Namen nicht – jedenfalls nicht vom Schreibtisch aus. Dazu müsste man aufstehen und Begegnungen suchen. Auch nicht einfach, doch im Vergleich zu dem, was die Flüchtigen gerade durchmachen und noch vor sich haben, im Grunde ein Kinderspiel.
Die erste Entscheidung wäre also sich zu fragen, ob man sich in dieser wechselseitigen Anonymität “richtig” fühlt oder nicht. Falls nicht, wäre es in den kommenden Wochen und Monaten vielleicht an der Zeit, vom Schreibtisch aufzustehen und Berührungspunkte zu finden. Ein paar Namen und Geschichten zu erfahren. Den eigenen zu sagen. Damit ist noch niemand satt oder geborgen, aber es wäre dennoch eine Handlung. Ich weiß nur eins: Solange wir unsere Namen nicht mit ins Geschehen werfen, schreiben immer andere in unserem. Dann stimmt die Zeichnung. Und das wäre schlimm.
Und wahrscheinlich trage ich damit Eulen nach Athen bei Ihnen, geneigte Leser:innen.

TT goes Neon

Der heutige Tag, in zehn Tagen dann noch einmal ein Wochenende: Damit hat es sich mit den Workshops in diesem Monat. Gut so. Ich habe so viel zu lesen, will so viel lesen und komme momentan nicht dazu. Wobei das nicht stimmt. Ich käme dazu, wenn ich mir abends nicht Filme ansehen würde. Ist aber mein Muster. Wenn’s tagsüber knallt, brauch’ ich vor dem Einschlafen Bilderflut. Gestern eine Doku über das Westjordanland, hervorragend gemacht, konnte trotz blinkender Augen einfach nicht abschalten, so klar und persönlich war dieser Film. Mal sehen, ob ich noch einen Link dazu finde, falls ja, setz ich ihn später noch ein.
Ah, Leser:innen! Der Herbst ist eine komplizierte Jahreszeit für Madame. Hochsaison für Workshops und Seminare bei gleichzeitiger Verdunklung des Gemüts. Heute, zu allem Überfluss, beginnt die Buchmesse, noch so ein Ding, zu dem man ein öffentlichkeitstaugliches Gesicht braucht. Meines – Moment, ich schau’ schnell mal in den Spiegel – sieht aus, als habe es heute Nacht unter einem Stein geschlafen. Na, egal.
Heute bin ich in der CHS-Schule. So wie ab heute jeden Mittwoch bis zum Mai nächsten Jahres. Ein “KünstlerInnen mischen den Schulalltag auf” – Projekt. Schreib ich später mal drüber. Auch darüber, was ich von Sätzen wie diesem halte, der im Vorfeld fiel: “Manche der Schüler bewegen sich im autistischen Spektrum”.
À propos Slang und politically correct: Wissen Sie, welche Wörter mir meine Jungs vergangene Woche beibrachten? “Schwarzköpfe” sind alle mit dunkler Hautfarbe. Die hellen heißen aber keineswegs “Weißköpfe”, sondern “Svens”.
Wieder was gelernt.
Hab’ noch andere Wörter auf Lager. Aber die Zeichen und Be-zeichnungen wechseln so schnell, von Gruppe zu Gruppe! Fasste man es in einem Nachschlagewerk zusammen, wäre es schon von Tag eins seines Erscheinens an veraltet.
Anyway, was quassele ich hier? Muss das unterm-Stein-geschlafen-Gesicht auf Vordermann bringen, bevor ich den Schüler:innen entgegentrete. Passend zum Styling. Hab’ ein Spezialoutfit für dieses Projekt: Streetfighterpants, Kapuzenpulli, alle Accessoires und Kursmaterialien und auch das ganze Spielzeug für die – grob geschätzt achtzig Prozent hypermotorischen – Kids in Neonfarben, dazu die neue XXL-Tasche aus Fahrradschläuchen genäht. Sieht ziemlich cool aus, das Ganze. Denken Sie bloss nicht, das wäre egal, ich kenn’ diese Schule, kenne auch bereits einige der Kids, auf die ich gleich treffen werde, vom vergangenen Projekt. Sie mögen den Wiedererkennungseffekt, hab’ ich festgestellt. Können sie kriegen! Ich hab’ so viel Neon am Körper, mich sieht man schon von weitem. *grinst*

Alles gut soweit. Das einzige, was mir in diesen Tagen fehlt, ist Poesie. Ich schriebe gerne mal wieder ein Gedicht oder zwei. Oder ließe Farah zu Wort kommen. Oder Sanssourir. Meine Pinsel liegen hier auch rechts neben mir und jaulen leise vor sich hin, grob vernachlässigt. Heute Abend liest übrigens Alban Nikolai Herbst im >>> Literaturbüro im Mousonturm aus seinem Roman “Traumschiff”. Darauf freue ich mich, das i s t bereits Poesie. Vielleicht sehen wir uns ja dort.

So. Unbedingt weiter jetzt.
Machen Sie’s gut heute und trotzen Sie dem Grauschleier!

Herzlich,
TTNEON

Von Frauen lernen

Madame bekommt heute selbst einen Workshop verpasst. Yeij! Schon der zweite in den vergangenen zwei Wochen. Beim ersten ging’s um “Anti-Bias” (schreib’ ich ein anderes Mal drüber), beim heutigen gehts um die Website, die ich für eine “meiner” Stiftungen als Redakteurin betreue. Wie ich während eines neugierigen Streifzugs über ihre Website festellen konnte, hat die Dame, die den Workshop halten wird, Kunst, Germanistik, Philosophie und irgendetwas mit Theater studiert und ist inzwischen Expertin für so ziemlich alles im Bereich öffentlicher Kommunikation. Kluge Frau, die wartet bestimmt nicht gern. Ich mach’ mich besser mal auf die Socken ; )

Have a good day, folks!
TT

Ungeklärt

Madame TT ist etwas verwirrt. Sei es ihre Lesung im Zuge der Vorstellung der Anthologie >>> „Irgendwas zu Afrika“ im Weltkulturen Museum gestern, sei es der Workshop mit der neuen Schreibgruppe, die Treffen mit Freunden und Kollegen: Alle Auftritte, Meetings und Begegnungen fühlen sich ein bisschen wie unter Wasser an, wie ein Tagtraum mit gedämpften Geräuschen und halb wahrgenommenen Gesten, aus dem sie irgendwann aufwachen wird, um wieder die Zügel in die Hand zu nehmen. (Will sie das überhaupt?)
Ein solch ausgeprägt undifferenziertes Grundgefühl hatte sie lang’ nicht mehr und sie weiß es nicht zu deuten. Ist es vielleicht gefährlich? Oder eines dieser diffusen Vorzeichen, die auf ihre nichtgreifbare Art dennoch anzeigen, dass bald etwas geschehen wird? Oder sollte?
Angenehm, jedenfalls, ist es nicht. Deswegen fliegt Madame, einer besonderen Einladung folgend, morgen für ein paar Tage ans Meer. An einen für sie sehr unwahrscheinlichen und unter anderen Umständen definitiv unerreichbaren Ort.
Falls ihr das alles nicht noch mehr die Sprache verschlägt, wird sie gelegentlich ein Lebenszeichen von sich geben, bis sie am Mittwoch wieder am heimischen Schreibtisch anlandet.
À bientot, mes amis.