Zwischen durch

Ab Mitte des Monats habe ich zweieinhalb Wochen frei. Na ja, fast frei, die Redaktion für die Website meiner Stiftung läuft weiter, doch die ist überschaubar. Kurse jedenfalls werde ich dann keine halten. Ich will die Zeit nutzen, um mir zu überlegen, wie viel Geld ich tatsächlich brauche – ich möchte weniger Lohnarbeit machen, eigentlich, wieder mehr künstlerisch arbeiten. Ausstellungen vorbereiten. Zudem hab’ ich hab’ drei angefangene Bücher, die Manuskripte liegen seit geraumer Zeit einfach nur in ihren Kladden herum.
Derweil funktioniere ich in meinen pädagogischen Arbeitszusammenhängen wie am Schnürchen. Was gut ist, doch auf die Dauer reicht mir das nicht. Mag sein, ich bin langsamer geworden im Laufe der letzten Monate oder Jahre, krieg’ nicht mehr alles bewegt, was in mir ist. Wie ein Organismus, der nur die äußeren Extremitäten in Gang hält, während die inneren im standby sind. Möglicherweise verliere ich auch viel Zeit durch Grübeln (?) Das Seltsame am Grübeln ist ja, dass man sich dessen kaum bewusst ist, es macht nur diese merkwürdigen Zeitlöcher.
Ich nehme an, Sie kennen das alle, geschätzte Leser:innen…
Aber wie nimmt man sich Zeit, wenn rings um einen alle auf irgendetwas warten, wenn man in Produktionsabläufe eingebunden ist? Wie zieht man sich ins Zwischen durch?

Eigenleben

Fast täglich finde ich neue Formen auf dem Monitor vor. Pixelfäden, die in Gruppen von oben nach unten laufen, dazu Flecken in Schwarz und Purpur. Wie Blüten. Heute – ganz neu – eine Art Pixelpfütze, die an meine Menüleiste heranschwappt. In den ersten Monaten irritierte mich dieses Phänomen, inzwischen finde ich etwas seltsam Inspirierendes daran. Mein Airbook hat eine morphende Macke.

Ich erinnere mich verdammt genau an den Tag, an dem ich es fallen ließ. Kreuzunglücklich war ich. Zittrig. Seitdem hab’ ich viel gefühlt und analysiert und sortiert und irgendwie meine Fäden wieder in der Hand. Meistens. Jedenfalls sieht man mir den schlimmen Tag nicht mehr an.

Die Maschine indes hat einfach weitergemacht. Hat aus der ursprünglichen Macke sehr langsam und kontinuierlich weitere entwickelt. Wird auch nicht aufhören damit: Schon morgen wird die Formation auf meinem Monitor wieder anders aussehen als heute und mehr Fläche einnehmen. Sie hat ein Eigenleben. Sie reagiert immer noch auf die Beschädigung, deren Anlass ich ansonsten längst vergessen gerne verdrängt hätte.

Was für ein merkwürdiges Wort: Eigenleben.

Es gibt immer eine Ebene dazwischen. In der subjektiven Wahrnehmung. Und dazwischen wieder eine. Einer von mehreren Gründen, weshalb mir in letzter Zeit die Worte fehlen: Ich spüre ihre Gleichzeitigkeit dieser Tage so sehr. Und es kostet mich so viel Kraft zu behaupten, eine wichtigste Ebene zu haben. Die, auf der ich denke und handle und im Einklang mit mir bin. Mir ist, als schöben sich diese schwarzpurpurnen Beschädigungen andauernd in mein Sichtfeld, selbst, wenn das Airbook zugeklappt in der Ecke liegt. Ich kann nicht mehr klar denken. Kann nicht sagen, der große Maßstab, in dem ich meinen kleinen aufgestellt habe, gehe mich nichts an. Kann nicht einfach weiterarbeiten, nur weil ich weiß, dass meine Arbeit sinnvoll und gut ist.
Eigenleben.
Je häufiger ich es ansehe, desto unheimlicher wird das Wort. (Gibt es ein Gegenteil dazu?) Politische Prozesse haben ein Eigenleben. Bürger haben ein Eigenleben. Maschinen haben eines. In meinem Eigenleben stimmen die Proportionen. Ich handle auf Basis meiner Lebenserfahrung. Ich kann mir Liebe leisten und Großmut, auch Aggression und Irrtum. Wenn mir mal irgendetwas aus den Fugen gerät, vergehen vielleicht ein paar Tage oder Wochen, manchmal auch Monate, aber dann pack’ ich’s wieder. Ich kann mein Leben auf den Kopf stellen, davon geht die Welt nicht unter. (Schöner Satz, übrigens, hab’ ich seit meiner Kindheit nicht mehr gehört, glaub’ ich.)

Vielleicht geht die Welt aber von zu viel Eigenleben unter? Ich mag es nicht, meinen Maßstab zu skalieren. Es geht mir gegen den Strich, von dem, was bei mir im Kleinen funktioniert, auf das Große zu schließen. Ich kann nicht sagen, ob unsere Regierung die richtigen Entscheidungen trifft. Innenpolitisch – ja. Da kann ich meine eigenen Erfahrungen anwenden, um mir einen Reim zu machen. Stellung zu beziehen. Aber außenpolitisch? Die Lage überfordert mich. Nein, nicht mich, aber meine analytischen Fähigkeiten. Da muss ich zufüttern. Anderen zuhören. Lesen. Doch mit jeder weiteren Information, die wiederum aus einem Eigenleben stammt, wird es unübersichtlicher.

Was vor meiner Haustür passiert …
Aber wie weit weg ist die Haustür? Ein paar Meter? Oder zigtausend Kilometer?
Was ist das überhaupt, eine Krise? Ganze Kontinente fühlen sich aus meiner Sicht wie Krisen an. Die schon so lange währen, dass ich mich – von außen – an sie gewöhnt habe. An Kindersterben und Smog, an die Beschneidung junger Mädchen mit Glasscherben, die Vernichtung von Tieren, Regenwäldern, Lebensräumen, an grausame Regimes und junge Menschen, die für die Zwecke von älteren Menschen wie Brennholz verheizt werden.

Ist alles schon die ganze Zeit da. Und wenn nicht unablässig irgendwelche Menschen, die ich nicht kenne, mit Methoden, die mir nicht ersichtlich sind, daran arbeiten würden, dass diese Krisen nicht vollends auf mich überschwappen, wäre mein Leben nicht das, was es ist.

Es gibt Stellvertreter, die große Krisen managen, damit ich mich weiter mit meinen kleinen beschäftigen kann. Es gibt auch Stellvertreter für die Analyse dieser Krisen und welche, um die Gefühle zu beschreiben, die sie hervorrufen. Ich hab’ zunehmend den Eindruck, ich bin verdammt privat. Fühlt sich komisch an.

Montagstricks

Die Erhöhung des Kuschelfaktors gewährleistet auch an grauen Novembermontagen einen kontinuierlichen Workflow. In den Madame jetzt – zugegeben unwillig, aber entschlossen – wieder eintaucht.
Halten Sie durch. Oder besser: Fröhlich sei Dein Tag, leuchtend sei Dein Leben! So heißt immer der Schluss-Satz in meinem neuen Buch mit Kindermeditationen, das ich gerade lese.
Die übrigens alle nicht so dolle sind. Leider. Die Geschichten v o r dem Schluss-Satz, meine ich. Ich werd’ wohl eigene schreiben für meine Kids. Und für die Jugendlichen sowieso.
Heute leite ich einen Workshop mit Kindergärtnerinnen. Dabei werde ich sie unter anderem auch bitten, mal einen kurzen “Ruhepol-Text” zu schreiben. Bin gespannt, was dabei herauskommt.

Anyway, ob fröhlich oder einfach nur entschlossen – weitermachen!

Lächelnd,
TT

Kurz davor

Fass Dir ein Herz, Löwe.

17. November 2015
Auch ich hab’ mir ein Herz gefasst und – gegen meine Gewohnheit – einen Kommentar geschrieben: unter >>> ANH’s heutigen Text in Die Dschungel. Es dauerte nicht lange und jemand schaltete sich ein und glaubte, neben ANH auch mich für meinen Beitrag hänseln zu müssen.
Tja. Und eben, sehe ich, entgleist der Kommentarbaum drüben völlig. Seltsam, wie schwer es ist, ein Gespräch zu führen, das wirklich eines ist. Am Thema zu bleiben. Besonders im Netz und erst recht im Territorium von ANH. Wie viel Aggression da oft zutage tritt!
Ein Haufen Energie. Wäre doch großartig, solche Fäuste mal in offene Hände zu verwandeln. Handreichungen.
Vielleicht bin ich naiv. Wahrscheinlich sogar.

Ich würde wahnsinnig gerne mehr schreiben, vor allem jetzt gerade.
Ich mag Auseinandersetzung. Und Leidenschaft. Es muss doch möglich sein, hochemotional zu sein, zu schreiben, ohne dass eine potentielle Diskussion schon nach kurzer Zeit in Gehässigkeiten erstickt wird.

Muss noch meinen Kurs vorbereiten für morgen.