TTag, 6. Juli 2010. Flugdrachen. Und Gedichte.

Die Vorhänge bauschen, ein Wind, ein kühler sogar. Der gestrige Tag war voller Verweigerung, nicht einmal den Anrufbeantworter hab’ ich abgehört, nur meine Freundin versuchte ich zu erreichen, die heute operiert wird; sie nahm aber nicht ab. Ich werde einfach später ins Krankenhaus fahren. Das Lämpchen des Anrufbeantworters blinkt immer noch, doch ich gelobe, ich drücke den Knopf gleich, wenn ich diesen Beitrag geschrieben habe.
Der nur ein kleines Winken in den Morgen ist, liebe Leser:innen; ich werd’ mich gleich für den Termin bei der Stiftung fertig machen.
Die gestrige Nacht übrigens – Sie werden es an der Kommentarfolge sehen – war anscheinend eine sehr angenehme für gewisse Gäste von TT: da waren Freunde und schwere Rauchwaren involviert und man nahm den letzten L.-Brief zum Anlass, sprachlich auch die letzte Bremsstufe hinter sich zu lassen. Da die Sache recht spät vor sich ging, lass’ ich sie mal stehen: die benebelten Beiträge flattern als nächtliches Ende der Kommentarfolge wie diese Schleifen, die an den Schwänzen von Kinderdrachen befestigt sind. So what.

So. Duschen. Anziehen. Und, ach ja, die Nachrichten abhören…

Wir sprechen uns später!

16:00
Die Gartengrasmücke singt. Jede Stunde ein anderer heimischer Singvogel: Geschenk meiner Mutter, eine Wanduhr. Besucher, die zum ersten Mal hier sind, wundern sich immer, wer bei mir so alles zwitschert.
Bin zurück von der Teamsitzung. Alles besprochen, vorgeplant, jetzt muss ich meine Texte und Interviews für Juli und August konzipieren, schreiben, in Reihenfolge für die Publikation auf der Homepage bringen.
Ich liebe diese Arbeit. Das Team ist klein, nur Frauen, g u t e, kluge, motivierte Frauen. Ein Privileg, so arbeiten zu dürfen. Als ich selbst. Dass niemand heute sagte: also von K**** aus, Frau Kiehl, das war aber, na ja, eher Standard, was Sie da an Texten geliefert haben. Den Schuh hätte ich mir sofort angezogen: ich hab’ in der Fremde zwar sorgfältig, aber nicht originell geschrieben. (Meine offizielle Arbeitsanweisung lautet: “Kreativ, sorgfältig und schnell!”) Na, diese Scharte, die mir niemand vorwarf, werde ich in nächster Zeit wieder wettmachen.

Noch ein Wort zu Gedichten: Sie werden sehen, eines steht als Kommentar unter diesem Text. Als ich zurück kam, war ich sehr versucht, mit einer Variante zu reagieren, fragte aber natürlich erst beim Autor nach, ob ihm das recht wäre. War es. Bin mal gespannt, ob Sie was dazu sagen (?) Oder selbst mal eines schreiben?
Ich mag Gedichte. Man braucht etwas Courage, aber.
(Oder Drogen ; )

TTag, 5. Juli 2010. Ode an die Freude.

Demnächst auf diesem Weblog.
Oder vielleicht auch nicht.
(Die Messlatte hängt sehr hoch diesbezüglich)

Hey! Bin zurück. Nicht zu fassen. Und das Ding, vor dem ich hier sitze, liebe Leser:innen, ist ein wahrhaft riesiger Monitor; da frag’ ich mich schon, wie ich’s die ganze Zeit mit dem Klapptüttelding hab’ aushalten können.
Das Tröstliche am Ankommen ist ja, dass erstmal tausend Dinge zu waschen und ordnen sind, für die ich heute den ganzen Tag Zeit habe, bis ich morgen wohlsortiert (!) zur ersten Teamsitzung bei der Stiftung erscheine…

16:47
Gott, ist das heiß. Komm’ mir vor wie ‘ne Kaulquappe, deren Pfütze gerade austrocknet.

plitsch

20:01
Raus. Vielleicht ist da Wind, ist da Rettung.
K**** war lange nicht so anstrengend wie dieser Frankfurter Brutkasten.
An den Fluss mit Dir, Phyllis. Auch wenn’s ein anderer ist…

TTag, 3. Juli 2010. Die Arche flott machen.

Das Wasser kommt in solchen Massen vom Himmel heute, als würde sich das Gebäude gleich aus dem Erdreich lösen und davonschwimmen. Nun weiß ich nicht, wie viele Menschen sich außer mir in ihm befinden, aber bestimmt nicht genug. Tiere sind, glaub’ ich, gar keine drin, die Katzen und Hunde sind unterwegs, Kriechzeugs wird einiges da sein, ein paar Mäuse und Ratten vielleicht. Für eine richtige Arche reicht das auf gar keinen Fall.
Ich muss also im Boot raus und zusehen, dass ich noch möglichst viele unterschiedliche Spezien einsammle heute, sonst klappt das nicht mit dem Ökosystem an Bord.

Bis später, werte Leser:innen, Sie werden meine Eile verstehen…

17:19
S c h o n Spannend, das Spiel!
Dabei amüsier’ ich mich köstlich, wie hier die deutschen Namen ausgesprochen werden….

17:23
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

17:45
Krass!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Die Kanzlerin klopft ihre moppeligen Hände zusammen, als würde sie klatschen. Im Ernst.

22:08
Dämmerung. Und ewig singen die Kälber.

TTag, 2. Juli 2010. Sentimentales und Essenzen.

Übermorgen ist Abreisetag. Und das ist, wie Hans1962 richtig festgestellt hat, nicht das gleiche wie Heimkehren. Denn ich hab’ schon nach dreieinhalb Wochen begonnen, auch diesen Ort hier ein wenig als “zuhause” anzusehen. Ich weiß, wo es das beste “Brot” gibt, wessen Händlers Curry am besten schmeckt und wann die Nachtkühle einsetzt. (Wenn sie’s denn tut.)
Der Fischhändler grüßt mich seit einer Woche besonders nett und der Mann, der seine Ware an Kleiderbügeln im Wind flatternd präsentiert und bei dem ich das rote Kleid gekauft habe, wird nicht müde, mir jeden Morgen ein zweites antragen zu wollen. (Was ihm wahrscheinlich auch gelingen wird.)
Es gibt einen Hund und eine Katze, zu deren Revier ich jetzt eine Weile gehört habe und die ich sehr vermissen werde. Die Katze mehr als den Hund, sie macht einfach bessere Geräusche.
A propos Geräusche: meine Nachbarn haben sich sämtlich zu diesem einen verschmolzen, der so treulich betet und dabei nicht vergisst, seine Frau glücklich zu machen. Beides war nie zu überhören und hat mich ihm gegenüber sehr freundlich gestimmt. Er singt nämlich beim Beten. (Bei dem anderen nicht so sehr.)
Ich habe entsetzlich viele Melonen gegessen.
Ich habe so getan, als lebte ich schon immer hier.
Bücher hab’ ich lange nicht so viele gelesen, wie ich mitgebracht hatte, nur mit dem neuen Paul Auster, “Invisible” bin ich überhaupt ans Ende gelangt bisher, alle anderen haben Eselsohren irgendwo. Es gibt auch das K****-Buch jetzt, in dem alles drin steht oder klebt, was ich bisher über diese Stadt weiß. Es hat noch viele leere Seiten, und das ist gut so – ich komme zurück. (Und zurückkommen ist etwas ganz anderes als wiederkommen.)

Liebe Leser:innen, ich bin etwas melancholisch heute. Was mich hoffen lässt, dass ich’s dann morgen, an meinem letzten Tag hier, nicht mehr sein werde. Ich packe auch heute schon alles zusammen und putze, was zu putzen ist, damit ich morgen raus gehen und so tun kann, als sei ein ganz normaler Tag. Ajajajay, das wird wahrscheinlich nicht klappen, doch probieren werd’ ich’s.
Was sich mal wieder bestätigt hat, übrigens, ist, ich bin gerne alleine. Sie denken jetzt vielleicht, so eine Stadt, da ist man das doch nie. Doch. Gerade. Es fühlt sich jedenfalls so an und ich genieße es sehr. Ich bin eine Voyeurin. (Ich verstehe diese gestreifte Katze sehr gut, die völlig zufrieden damit schien, von oben auf mich runter zu gucken)

Mittagszeit. Das ist die, in der alles abgedunkelt wird und man sich, wenn drinnen, im Dämmerlicht bewegt. Der alte Ventilator ist schon so heiß gelaufen heute morgen, dass er an seinem Metallfuß mehr Wärme abgibt als er oben Kühle produzieren kann. Ich streifte ihn eben beim Gang zum Waschraum und erschrak: ich habe ein Öfchen im Zimmer. Tja, so ist das eben. Ob ich noch ein Foto mache, solange Zeit ist? Hab’ ‘ne Idee für einen Marcel Duchamp…
Und L.

12:32
Ich verbrutzele hier gerade. Nur noch eine Phyllis-Essenz wird übrig bleiben.
Höchstens 100 ml.
Vielleicht fängt mich rechtzeitig jemand auf und sammelt mich in einem Flacon und tupft sich abends ein bißchen von mir hinter’s Ohr.
Das würde mir gefallen.

19:27
“Why don’t you stay?”
“I can’t. I have work at home.”
“You’re a writer! You can work from everywhere.”
“True enough… But I’d be too happy here.”
“And why shouldn’t you?”
“I’d miss the darkness.”
“What a funny woman you are.”
“I’m not. That’s the point. I am not funny at all.”
“That’s not my impression. We will miss your laughter very much.”
(…)
“I’ll be back in June next year.”
“إن شاء الله‎ We’ll be right here.”

22:20
(Warum, zum Henker, hab ich doppelt so viele Klamotten wie am Tag meiner Anreise?? L. muss heimlich eingekauft haben! Ich war’s jedenfalls nicht. Ganz bestimmt.)

23:02
Autsch. Querbalken. Der Arme. Das ist echt hart.

23:14
JETZT ABER!

00:41
Hier in K**** zieht eben die Traumspinne ein paar neue Fäden. Quer durch uns alle, die wir noch wach sind.
Time to sleep.
Gute Nacht allerseits.

TTag, 1. Juli 2010. Von den Drogen.

(Und der Freiheit, Dinge stehen zu lassen. Oder zu löschen.)
Im Laufe eines Tages, einer Nacht durchlaufen wir irrwitzig viele Zustände. Emotionaler Natur. Viele davon sind für die anderen gar nicht wahrnehmbar, viele davon würden wir auch selbst gar nicht benennen können. Man fühlt eben so vor sich hin. Wir chemische Wesen. Gut, wenn man das irgendwo reinpacken kann. In Rezeption oder Produktion, im Idealfall in beides.
Ich zum Beispiel fühle mich immer am besten, wenn die Rezeptoren auf der Sonnenseite auf Hochtouren laufen, während die anderen schweigen. Ultraaufnahmefähig zu sein bringt ja immer extreme Sinnenfreude mit sich. Visionen und Selbstübersteigerung. Übermut! Und das, was ich an solchen hochrezeptiven Zuständen am meisten liebe: Optionalität. Alle Wege nach überallhin liegen dann ausgebreitet da, als hätte man nie bindende Entscheidungen getroffen, als wäre immer noch alles möglich. Ich produziere dann. Ich bin dann reich. Ich nehme meine Ideen ernst. Kein Geld der Welt kann so etwas kaufen.
So ist es hier in K****, für mich.
So ist es vielleicht für andere, wenn sie Drogen nehmen.
Die Schattenseite, leider, ist da nie fern. Ist ja eine Droge, die Wahrnehmungsfähigkeit so auf Hochtouren laufen zu lassen; irgendwann stürzt man ab. Wird das Ganze noch mit externen Drogen unterstützt, sind die Unterschiede sicher noch gravierender. Kein Mensch hält dieses Tuning auf Dauer aus – wenn man Pech hat, schaltet sich die negative Gegenbewegung schon ein, während man sich noch hart an der Sonne segelnd wähnt. (Zwei, drei solcher Tage hatte ich hier auch schon, da schien mir alles zwischen den Fingern zu zerrinnen. Aber weil die Bedingungen zum Fühlen hier grandios sind, ließ das schnell wieder nach)
Fühlen.
Darum geht es.
So wenig, wie mir mein tauber Muskel nützt, wenn kein Nerv ihn lebendig macht, so wenig nützt mir das Denken, wenn ich kein Gefühl daran befestigen kann. Nein, nicht befestigen, sagen wir, wenn kein Gefühl es in Schwingung versetzt, das Denken. Klingt alles sehr schlicht, ist aber wahnsinnig schwer im Arbeitsalltag. Wir halten uns zwar alle für höchst empfindsame Wesen. Doch dieses Empfinden wird nicht gebraucht: Arbeiten und Empfinden passt nicht besonders gut zusammen. Niemand will wirklich und ernstlich wissen, wie es uns geht. Im Grunde wäre es oft ehrlicher, statt “Wie geht es Dir?” etwas anderes zu fragen, nämlich: “Kannst Du meinen Erwartungen entsprechen”?
(Ich schreib das alles hin, ohne zu feilen)

Lässt man sich tatsächlich fühlen, vergegenwärtigt man sich dann auch noch, was man da fühlt, bringt das Konsequenzen mit sich. Erstens, man ist plötzlich ziemlich weit oben, da, wo die Möglichkeiten sind. Die wehen geradezu, die Möglichkeiten! Zweitens, man ist ziemlich allein. Und drittens, man hat mit einem Mal etwas zu verlieren, das sich schwer benennen lässt. So etwas wie Authentizität. Mit sich selbst deckungsgleich sein. Und das, werte Leser:innen, ist was ganz anderes als das, was ich “Selbstinstrumentalisierung” nennen würde. Mit der ich zum Beispiel meinen Arbeitsalltag zuhause bewerkstellige.

(Ist einigermaßen klar, was ich meine, oder scheint es mir nur so in dieser glühenden Hitze hier? Ah, die Schmelzpunkte! Wie ich sie liebe)

Heute Nacht gab es etwas Aufruhr hier auf TT: ich las es heute morgen und hab’s gelöscht. Nicht ohne Bedauern. Weil ich weiß, dass diese beiden Seiten eben zusammen gehören: mit aufgespannten Sonnensegeln fährt man aus und ist ganz kirre vor lauter Empfinden, und dann, ganz plötzlich, schlägt das um. Ich kenne das; so laufen diese Dinge manchmal. Ist in Ordnung: hoch lebe die Ambivalenz.
Nur, dass ich eben keine persönlichen Fehden in meinem Revier dulde. Schon gar nicht, wenn sich die Attacke nicht gegen mich, sondern gegen einen Dritten richtet, der dann ebenso scharf reagiert.
Leid tut mir das trotzdem. Wer Aggression wegretouschiert, hat nämlich meines Erachtens ein Problem: dass man die Wärme, die Liebe, das Überbordende nicht haben kann, ohne ihre Schattengeschwister.
Glaub ich. Steh’ dazu.
Und les’ das jetzt nicht mehr Korrektur! : )

20:15
Ui. Jetzt hab’ ich aus Versehen von diesem Zeug getrunken, das schon L. neulich schachmatt gesetzt hat. Himmel hilf, ich hab’ einen im T.

TTag, 30. Juni 2010. Lotterleben.

Ist das nicht ein wunderbares Wort? Bin etwas aus der Fassong, wie meine Großmutter gesagt hätte, heute morgen. Strubbelhaare, schlafgeschlitzte Augen und ich füchte, ich müffele auch. Es kühlt momentan überhaupt nicht ab nachts.
(Wie das wohl für Sie ist, frage ich mich – die Sie gerade vielleicht in einem Büro sitzen oder an einem der diversen anderen möglichen Arbeitsplätze – von dieser Kiehl zu lesen, die seit drei Wochen Freigang praktiziert? Doch meiner neigt sich dem Ende zu und Ihrer, vermute ich, steht bald bevor.)
L. hat übrigens geschrieben, schauen Sie doch mal. Sie zieht sich gerade an, um einer Abendeinladung ins Institut Folge zu leisten. Hat sich auch ein bißchen in den Mann verguckt, den sie Hausdiener nennt, doch ich glaub’ ehrlich gesagt nicht, dass er einer ist.
Hm.
Das neue Foto stelle ich heute auch ein, im Laufe des Tages; es ist höchst konzeptuell geworden.

Liegestützen. Meine Oberarme haben inzwischen einiges von ihrer Schlabberigkeit verloren. Die meisten Leute denken ja, man müsse am Bizeps arbeiten, ich seh’ das anders, der Trizeps ist die fatale Stelle! Man kann das häufig in der Stadt beobachten, wenn die Damen ärmellos tragen: wenn er schaukelt, sollte was getan werden. Doch das ist wirklich nur meine unmaßgebliche Meinung in der Sache.
Los jetzt, Phyllis. Wer Großes will, muss sich zusammenraffen. (Das wiederum hat mein Vater immer verkündet. Immerhin grinste er dabei)
Ich im übrigen auch.

Schönen Tag, allerseits!

TTag, 29. Juni 2010. Interimspositionierung und chinesischgelbe Transgressionsriemen

Liebe Leser:innen, gestern, nach einem langen, äußerst sprachverspielten Abend hier hatte TT das Vergnügen, noch zwei Gäste zu empfangen, die dem Lauf des Geschehens mit ihren Beiträgen eine – augenzwinkernd zwar – aber doch abstrahierende Erdung verpassten. Ich las die späten Beiträge von Melusine und Hans in einer Transitzone zwischen wach und schon nicht mehr und dachte, schön, das wird etwas nachvollzogen, mit-gespürt und ein bunter Stein dazugelegt, was ist das doch für ein Geschenk, wenn so etwas passiert. (Bei Steinen muss ich natürlich immer sofort an Syra Stein denken)
Kühler ist es geworden. Die Kinder lärmen wieder (ich hab’ Ihnen gar nichts von meinem Besuch in dieser Schule erzählt, doch das will ich mir eigentlich für eine separate Erzählung aufheben) und ich denke, heute könnte ein Zeichentag werden. Das schien bei diesen extremen Temperaturen unmöglich, es wären ständig Schweißtropfen auf dem Papier gelandet, trotz des etwas altersschwachen Ventilators, der mir hier treulich Gesellschaft leistet.

Ein paar Blicke über den Zaun werfen zwischendurch, sehen, was die Nachbarn so treiben, allen voran bin ich auf den von Hans heute Nacht empfohlenen Text im Begleitschreiben gespannt. Leider gibt Hans keine eigene url an – wenn’s so wäre, ich wäre sicherlich täglich dort zu finden. Auch der Lobster und seine vielen personae sind eher im Weltraum (eher unüblich für ein Schalentier) anzutreffen als unter einer url, aber das mag sich noch ändern. (ich hab da so ein Gefühl)
Dann schauen, was Melusine wieder ausheckt auf ihren vielen wunderbaren Denkbaustellen – drüben bei den Gleisbauarbeiten glühen die Schienen. Ganz so oft passiert es ja, dass man Geistesverwandschaften über’s Netz entdeckt, nicht – umso begeisterter bin ich, wenn’s doch geschieht.
Auch spaziere ich immer gerne in Dr. Scheins Praxis vorbei (ich bin ja sehr ärzteaffin), allein schon, weil ich mich immer mit dem Gefühl von dort wieder verabschiede, dass meine Synapsen in Schwung gekommen sind wie Pingpongbälle, (auch wenn mir leider oft nichts wirklich geistreiches einfällt, das ich beisteuern könnte) und sehe bei Frau Rinpotsche rein, die oft für meine Begriffe so verquer denkt und bildert, dass ich auf’s angenehmste irritiert bin. Treu bin ich auch beim Künstlerkollegen Schneck zugange, der fühlt sich eh wie ein Ateliernachbar an. Ich mag seine Art zu schreiben und “Kirschkern” ist ein hervorragender Spitzname für ein Kind, sowieso. (by the way, wo ist eigentlich sowieso?) Auch Audrii besuche ich regelmäßig, allein schon (aber nicht nur! : ) wegen ihrer schönen Augen.
Eugene Faust: die läuft außerhalb der Konkurrenz, aber sie wird eh schon so gepriesen von allen, dass ich… ach, was soll’s, liebend gerne leg’ ich auch meinerseits noch eine Perle auf ihre Krone!! Eine dicke.
Und Die Dschungel. Da lese ich eigentlich täglich und staune ob dieser blendenden Schaffensfreude. Erstaunt zu sein ist einer meiner Lieblingszustände. Es hat eine Weile gebraucht, bis ich anfing, dort auch zu kommentieren, inzwischen tu ich’s manchmal – immer darauf gefasst, dass mir einer der dort ansässigen Schützen eine Ladung in den Allerwertesten, Sie wissen schon. Trotz des umherfliegenden Schrots fühle ich mich dort zuverlässig in anregender Gesellschaft, auch wenn mir manchmal vor lauter Bildungsdickicht das Gesicht glüht.
A propos glühen: Alea Torik hat eine Besprechung der “Sizilianischen Reise” von anh verfasst, die ich äußerst bemerkenswert finde. Was hat diese Frau für einen Schwung. Egal, über was sie schreibt – immer ist es ein Akt der stilistischen Aneignung. Sie schafft es auch dieses Mal, mir ein Buch so schmackhaft zu machen, dass ich hinrennen und es kaufen will. Dabei behält sie das eigene Profil immer schön im Blick, zieht anh mitsamt seiner sizilianischen Reise ganz in ihre eigene Sprachtemperatur, in ihren weiblichen Gestus und dieses latent Kokette hinein. Es macht einen Heidenspaß, das zu lesen.

Über weitere geschätzte Nachbarn schreibe ich ein anderes Mal – die Liste meiner Bookmarks ist einfach zu lang : )

So. An den Zeichentisch.

Ihnen allen einen guten Tag!

12:37
Couscous.

15:57
Siesta. Alle, auch wir armen Westeuropäer, sollten jederzeit eine kleine machen dürfen. Bei uns heißt das powernapping und klingt nach Führungsetage. Brr.
(lustig übrigens, dass mich niemand von Ihnen darauf aufmerksam gemacht hat, dass ich mit meiner Datumsangabe oben einen Tag hintendran hing. Hab’s eben erst korrigiert. Die Leser:innen von TT sehen sowas anscheinend locker, ein Tag mehr oder weniger – was ist das schon?)

00:28
Schluss, ich lege den Stift aus der Hand. Mein Scanner fehlt mir hier, mit dem ich zuhause Zeichnungen einfach sofort in Dateien verwandle.
Verdammt still heute Abend da draußen. Ein großes Insekt kreist um meine Lampe, ansonsten keine Action.
Mir fehlt nichts.

TTag, 28. Juni 2010. Kunstguerillas.

Wäre ich noch Malerin, ich würde heute den Fluss malen, der, wenn er so glitzert wie er’s gestern tat, ein schwieriges, aber lohnendes Motiv wäre. “Geht raus. Malt g e g e n die Natur”, sagte mein Malprofessor früher immer, ich verstand nie so recht, was er meinte, das heißt, mein Kopf verstand es schon, mein Herz aber nicht. “Ihr müsst Guerillas der Kunst werden”, predigte der Mann weiter, und auch diese Aufforderung fand den Weg nicht in mein Inneres: warum Guerillas? Ich wollte nicht kämpfen. Ich wollte g e f a s s t sein, ja, aber Schwert und Harnisch wollte ich nicht tragen dabei. Dieser Mythos, Kunst als Waffe anzusehen, erschien mir schon früh als Kitsch. Ein Männerding. Wie überhaupt während des Studiums weit mehr über die männlichen Künstler gesprochen wurde. Wodurch ich die weiblichen entdeckte, die mir Eindruck machen: Louise Bourgeois, Jenny Holzer, Valie Export. Rebecka Horn. Sophie Calle. Auch Tracey Emin hat ein paar starke Arbeiten. Als jüngste Miranda July, deren Arbeit ich ganz toll finde. Sie schreibt auch, übrigens, hat schon zwei Bände Erzählungen veröffentlicht. “No One belongs here more than you” ist absolut magisch. (- allein der Titel!) Gehen Sie ruhig mal auf ihre website, da werden Sie gleich getestet ; )
Das sind jetzt nur die “großen”, die ich hier aufzähle.
Na gut. Bei anderer Gelegenheit werde ich mal von meiner eigenen Malerei erzählen und warum ich sie aufgab. Und seither nie vermisst habe, obwohl ich nicht ausschließen will, dass ich dieses Medium irgendwann mal wieder an mich heranziehen werde.

Es ist schon wieder so heiß, dass man wet t-shirt Fotos machen könnte.
Gestern hab’ ich ein neues Foto für die “Einmal geübt”-Serie gemacht. Ich will den Ort hier nutzen, solange ich da bin: ich kann sie ja nur in privaten, ungestörten Räumen machen. Morgen oder übermorgen stelle ich es ein, ich will etwas zeitlichen Abstand bei diesen Bildern. L. hat ihren neuen Brief auch endlich geschrieben, bat mich aber, ihn Korrektur zu lesen, bevor er veröffentlicht würde. Tu ich natürlich gern, wozu hat man Alter Egos?

So. Erstmal in die Puschen kommen, wie mein Vater gesagt hätte. Morgen, allerseits!

13:28
Beim Zeus, ist das krass. Der halbe Fluss ist schon verdampft.

15:44
L.’s neuer Brief ist angekommen. Langsam kriege ich ja den Verdacht, sie sei eine etwas oberflächliche Person. Oder sagen wir’s lieber so, bisher scheinen ihr alle Dinge gleich wichtig zu sein. Was treibt sie an, frage ich mich, was motiviert sie über momentane Gefühlsausbrüche hinaus? Der nächste Brief wird Aufschluss bringen. Ich habe Lust, ihrem Innenleben etwas zu Leibe zu rücken. Das Fest im Institut (von dem sie noch gar nichts weiß) wird uns deutlicher vor Augen führen, wohin ihre Reise in Wirklichkeit geht…

21:53
Sowas nennt man (Stil)Blüten treiben. Die heutigen Kommentare meine ich. Wie verschiedene Herren ähnlicher akademischer Konvenienz da so ins konversieren geraten, als ob L.’s Sprache noch an jeder Straßenecke verfügbar wäre. Was sie ja auch ist. Nur, dass wir sie nicht mehr gebrauchen. Weil sie nicht praktisch ist. Weil sie vielleicht sogar manchmal in das verfällt, was man früher “salbadern” genannt hätte.
Gerade deswegen isses schön: weil diese Art zu schreiben (so aus dem Handgelenk auch immer) eine andere Zeit evoziert. Eine Zeit, als Händel etwas war, das man austrug und in der es nicht unstatthaft wäre, das Wort Mohr zu gebrauchen.
Jedenfalls amüsiere ich mich köstlich.
Es ist ein Spiel.
Wir machen uns so viele sprachliche Spielgründe freiwillig dicht. Warum eigentlich?

TTag, 27. Juni 2010. Quicksilver.

Meine Zeit hier neigt sich dem Ende zu; ein paar Tage noch. Will noch gar nicht an die Abreise denken, weil mir das Jetzt sonst wegkullert wie Quecksilber aus einem zerbrochenen Fieberthermometer. Was vielleicht ein ganz gutes Bild ist. Solange es im Glas geborgen nur steigende und fallende Temperaturen signalisiert, ist es ungefährlich: zerbricht aber das formende Gehäuse, hat man keine Chance, es wieder zusammenzukriegen.
Mein Ort hier ist ein Fieberthermometer, ist ganz Vergegenwärtigung. Die Vorstellung, mich heimwärts und wieder wieder ins Nacheinander begeben zu sollen stimmt mich melancholisch. Was ein echtes Kunststück ist, melancholisch werden hier, das Gefühl passt überhaupt nicht zu dieser irren Sonne. Die ist tatsächlich von solche Kraft heute, dass man denkt, sie kommt gleich mal runter und nimmt auf einem Platz. Man hätte nur noch Zeit für ein unbedeutend winziges Geräusch vor dem Verpuffen.
Was ich heute tun will? Ich wollte eigentlich, als Fortführung meiner Antwort auf Hans1962 Kommentar, ein paar Worte zu meinen inspirierenden Webnachbarn schreiben. Werde ich mir aber für später aufheben: das führte gerade zu weit weg aus dem Augenblick.
(Mann, mann mann, wie die Vögel heute singen! Doch selbst deren feine Stimmchen klingen bei dieser Hitze, als käme jedes von ihnen unter einer Miniatursonne hervor, verflüssigt, verflachzwitschert, als gäbe es in dieser dichten, heißen Luft hier nicht genug Platz für Töne)

Was sonst? Schreiben. Ein paar Zeichnungen machen. Am Flus sitzen. (auch sein fehlendes s ist der Sonne geschuldet)

Wir sprechen uns, werte Leser:innen. Wenn Sie mögen. Und nicht aus Versehen verpuffen. Ich kann das meinerseits nicht gänzlich ausschließen.

15:29
Jahrmarktstimmung in der Stadt; das bevorstehende Spiel scheint die Gemüter zu erhitzen. Lasse mich anstecken. Überlege ernstlich, einen Live-ticker einzurichten. Live aus K****!!

15:42
Hab’s mir anders überlegt. Nicht wegen der fehlenden Expertise (ich sage nur E.g.s.g.), sondern weilmir die Finger ständg von der Tastutur glitschen. Da sehn Sie’s. Ist unmölich.

18:45
Gut, dass ich das gar nicht erst v e r s u c h t habe!!!! : )
Wenig Engländer hier im Stadtteil. Vielleicht momentan besser so.

TTag, 26. Juni 2010. Sitzen, hie und da

Sie ahnen nicht, liebe Leser, womit mein Tag beginnen wird: Mit einem Besuch in dieser nahe gelegenen Schule. Vielleicht erinnern Sie sich, L. (die Kinder wirklich nur sehr bedingt schätzt) hatte über die Bälger geklagt in ihrem ersten Brief an Dr. Sago.
Da ist nun Fest heute, mit Aufführungen, Essen und allem drum und dran, wenn ich das richtig verstehe; ich sah gestern jemanden Plakate am Tor anbringen. Tja, eine gute Idee, L. zu piesacken, oder? Wenn das Ganze denn öffentlich ist, doch das werd’ ich gleich rausfinden.
Solche Gelegenheiten sind mir eh die liebsten: als Touristin bin ich völlig ungeeignet. Die Sachen, nach denen man mich fragen wird, wenn ich zurück komme, werd’ ich, fürchte ich, nicht gesehen haben. Ich suche mir nur immer Orte, an denen ich sitzen und beobachten kann. Oder liegend beobachten, noch besser. Am Fluss bin ich gerne. Das Ablaufen langer Strecken dagegen –
Nach der Schule lasse ich mich treiben.

L. hat ihren neuen Brief nicht ganz fertigstellen können gestern Nacht, da will ich mal nachsehen, wenn ich zurück bin. So gegen Abend.

Bis später! Haben Sie einen angenehmen Tag.

00:59
War klar, heute würde eine schlaflose Nacht werden. Der Mond sieht wie eine Orange aus. Riesig.