(Sie werden gemerkt haben, geschätzte Leser:innen, ich bin etwas minimalistisch dieser Tage)
Archiv der Kategorie: Aktuell: TTagesjournal
TTag, 6. August 2010. Cat Missile.
Da wird doch tatsächlich öffentlich behauptet, das sei ich.
Wer solche Freunde hat…
TTag, 5. August 2010. Ungeschminkt.
In den kommenden Stunden, geschätzte Gäste dieses Weblogs, werde ich ein brandheißes Dokument verfassen. (Ich bin noch müde, doch das ist Absicht. Um diese Zeit sitzt mein Identitätskorsett sehr locker – das ist gut für Überraschungen)
Ich werde mir schreiben, wie ich mich und mein Handeln wahrnehme. Ohne danach zu schielen, gute Sätze zu formulieren. Ohne diesen routinierten Zauberstab, mit dem ich sonst über meine Texte fahre, um sie weicher zu machen, fairer, und gültiger. Ich werde schreiben, wie es ist.
Ich habe das vor zehn Jahren schon einmal gemacht: der Brief liegt seitdem in einem verschlossenen Couvert in meinem Tagebuchordner, und wenn ich diesen heutigen geschrieben und zugeklebt habe, werde ich den alten öffnen. Vielleicht aber auch nicht. Denn die ungeschminkte Wahrheit ist keine Freundin. Freundinnen haben immer ein gutes Wort übrig. Oder ein relativierendes – und das ist auch gut so. (Blöd, dass man das eigentlich nicht mehr benutzen kann, seit Herr Wowi es sich an die Stirn gepappt hat)
Sie mögen jetzt denken, das sei doch eigentlich ein leichtes, so ein offener Brief an sich selbst. Tja – dann versuchen Sie es doch mal…
Wenn ich mich recht erinnere, wird dieses Dokument sauschwer zu schreiben sein und gleichzeitig höchst befreiend. Es geht nicht um Literatur und nicht um Güte, sondern um das, was übrig bleibt, wenn man alle beschönigenden Sätze weglässt, mit denen man immer versucht, die Dinge im “richtigen Licht” zu sehen und zu formulieren. Stattdessen: wertfrei. Sowas kann man nicht oft machen, aber alle zehn Jahre ist okay.
So ein Brief ist ein Behälter. Man kann alles reinpacken und dann hinter sich lassen. Vielleicht hat Beichten einen ähnlichen Effekt – keine Ahnung, ich bin evangelisch. Aber Beichten hat ja auch was mit vermeintlichen Verfehlungen zu tun, und darum geht’s mir gar nicht. Nur um Vergegenwärtigung. Und um Geheimnisse: ich schreibe mir alle meine Geheimnisse. Die Bergführer der Moral bleiben unten, ich gehe alleine rauf. Mal sehen, ob ich fit genug bin. Ach was, natürlich bin ich fit genug, und das ist auch schon wieder eine Bewertung… merken Sie, wie schwer es ist, die Dinger hinter sich zu lassen, und sei’s nur für ein paar Stunden?
Wenn ich fertig bin heute, suche ich nach einem schönen Umschlag und steck’ den Brief in den Ordner zu dem anderen. Eben merke ich, ich werde den, den ich mir vor zehn Jahren schrieb, heute nicht öffnen. Warum auch? Vielleicht, wenn ich eine weise alte Dame bin.
Wie viele werden es bis dahin werden? Vier? Oder fünf? Ich werde eine Brille haben. Und Locken wahrscheinlich. Meine Mutter ist jetzt vierundsiebzig und hat seit einem Jahr Locken, vorher hatte sie immer ganz glattes Haar. Sie freut sich immer sehr, wenn sie in den Spiegel sieht, denn die kamen einfach so, ohne Chemie, und sie hat sich immer Locken gewünscht. Ist das nicht süß?
So, Phyllis. Los jetzt.
14:25
“Baby Queen” steht auf der Melone. Und “seedless”. In Kombination mit dem zweiten Geschenk durchaus pikant. Ich darf will Ihnen wirklich nicht vorenthalten, was mir der Gefährte heute zum Geburtstag überreichte.
Die Melone ist übrigens keine Premiere – das andere indes schon.
Hm.
Die Sinnhaftigkeit mancher Geschenke offenbart sich erst in der Anwendung. Und dabei hab’ ich meinen Brief noch nicht fertig ; )
(FOTO ZENSIERT)
TTag, 4. August 2010. Out of the box.
Seltsam, wie wenig dringlich zur Zeit alles ist. Als hätte mich der August in eine mit Watte gepolsterte Streichholzschachtel gelegt, in die Tasche gesteckt und dann vergessen. Ich kann nur hoffen, dass ich bis zu meinem Geburtstag morgen einen Weg ins Freie finde, denn hier drinnen ist nicht genug Platz für Freunde.
Solche Zeiten, in denen alles irreal wird, kommen immer ohne Vorankündigung: kein Thema berührt mich, keine Geste wirkt so, wie sie gemeint ist, selbst die Nahrungsmittel schmecken falsch: als wären sie für eine andere Spezies hergestellt.
Nanu, denke ich mir, Phyllis, jetzt aber mal Schalter umlegen. Ein neues, inspirierendes und täglich einsetzbares Ritual muss her. Bin noch unschlüssig, wie das aussehen wird, doch mir wird bestimmt etwas einfallen – bin inzwischen Spezialistin für heikle Zustände. Älter werden hat den riesigen Vorteil, sich mit sich selbst besser auszukennen.
Liebe Leser:innen, ich wünsche Ihnen einen vorzüglichen Tag. Aller Voraussicht nach haben wir nur dieses eine Leben. Also los ; )
TTag, 3. August 2010. Meditativ.
TTag, 2. August 2010.
So. Calvin hat mich wieder.
Und wo treiben S i e sich gerade rum? Hier ist es so ruhig dieser Tage, man hört ja das Gras wachsen…
TTag, 1. August 2010. Sunflower
Sommerpausentag. Sie finden mich am Pool in der öffentlichen Badeanstalt.
20:07
Sonne und Schwimmen haben meine Synapse schwer gebeutelt. Jetzt muss ich sie hegen und pflegen, damit sie morgen wieder als Gehirn herhalten kann.
22:10
Na dann, erster August. Ein paar Fitzel von Dir werde ich mir merken, versprochen. Dass ich mit geliebten Freunden auf der Wiese lag. Wie jener von ihnen, der das darf, mir im Schwimmbad zwischen die Beine tauchte und blies, und dann, wieder auftauchend, sagte: das war eine Mösenwhirlpool. Wie nach der dritten Bahn der erste Wassertropfen in die Schwimmbrille eindrang. Wie Birkenöl riecht auf der Haut. Junge Männer in Rudeln auf der Suche nach Abreibung. Wie sie sich bewegen.
Die eisblauen Augen des Zehnjährigen, der den Dicken auf dem Handtuch neben sich schikanierte.
Die Rückkunft eines anderen Freundes, der noch vor drei Tagen in Goa in einem Zelt vor siebentausend Menschen sprach.
Eine Hummel. Wie zärtlich der Wind heute war. Wie ich heute dachte, alle Entscheidungen, die ich bisher traf und alle, die ich vermied, haben mich in diesen Tag geführt. Und mich dann sofort dagegen sträubte, meine Gegenwart als reine Folge von Entscheidungen zu begreifen.
Eiscreme.
Wie mich heute meine wichtigsten Menschen auf dem Handy anriefen: und wie eine alte Frau mich mal fragte, warum sie mit Leuten sprechen solle, die nicht zuhause sind.
TTag, 31. Juli 2010. Löschen.
Wachte heute mit einem einzelnen Wort auf: a u s s o r t i e r t.
Das, wie ich eben feststelle, ist eines der wenigen Wörter, die mir einen Schauer über den Rücken jagen können. Ich werde es, mitsamt seinen Assoziationen, aus meinem Gehirn vertreiben, bevor ich den Tag beginne. Also ab auf die Yogamatte und Kopfhörer auf.
Stellen Sie sich mal vor, heute ist der 31. Juli, was für ein Datum! Wir sind mitten im Sommer! Da sollten Worte, die sich wie Alienspucke durch alle Ebenen fressen, keinen Platz haben, oder?
Bis später
13:11
Stablisiert. TT fliegt aus.
Tirili
Shine on you crazy diamond
Orgasmen haben wenig mit Sex zu tun. Oder genauer: mit Begehren. Alle, die an diesem Punkt aussteigen und sagen, die hat keine Ahnung – bitte.
Unnötig zu sagen übrigens, dass es grandiose und völlig belanglose gibt. Manche fegen einen ins All, andere sind nicht doller als Pinkeln. Hat nichts damit zu tun, ob man allein oder zu zweien ist – manches Mal schon war mir einer lieber, bei dem niemand dabei war.
Ich war mit Männern zusammen, die ich sehr begehrte, ohne dass sich diese Tür öffnete, vielleicht gerade deswegen – wer zu rasant unterwegs ist, kann manchmal vor lauter Gischt im Kopf die Insel nicht finden.
Ich hab mal versucht, das jemandem zu erklären.
„Stell Dir vor, Du bist auf See, es geht starker Wind, und Du hast keine schwere Yacht, sondern einen Optimisten.“
Er lachte. „Einen was?“
„Das sind diese Winzlingsboote, in denen man Segeln lernt“
„Passt, der Name. Und weiter?“
„Ein Orgasmus ist die Insel am Horizont. Da will man hin. Man kann sie trotz des hohen Seegangs immer mal wieder erkennen und das kleine Ruder danach ausrichten. Aber manchmal verschwindet sie auch ganz außer Sicht, dann muss man nach Instinkt steuern.“
„Ist das schwierig?“
„Meistens schon. Weil man gleichzeitig damit beschäftigt ist, genüßlich in den Wellen zu schaukeln.“
„Und die würden einen nicht ganz automatisch irgendwann zu dieser Insel treiben?“
„Man muss sich dazu entschließen, sie anzusteuern. Sonst kann es sein, dass man einfach dran vorbei schippert.“
„Und wäre das schlimm?“
„Kommt auf die Insel an. Manchmal sieht sie rosig und wundervoll aus und man will unbedingt hin. An anderen Tagen hängen die Wolken so dicht drüber, dass man eh keinen großen Spaß hätte, dort zu landen.“
„Ist bei mir anders.“
„Wie denn?“
TTag, 29. Juli 2010. Schlaff.
Bitte um diskrete Zusendung leistungssteigernder Substanzen. Gerne per Kurier.
13:26
Leserinnen! Alle bitte mal kurz rhythmisch die Beckenbodenmuskulatur zusammenpetzen. Soll Wunder wirken.




