Lady Unzerbrechlich

(Neinnein, keine Angst, die Dame ist kein neues Alter Ego! ; )

Bin seit gestern unzerbrechlich auf Seminar, schau’ aber trotzdem immer mal wieder hier im Atelier vorbei, hab’ auch meiner Gruppe versprochen,
ihnen TT zu zeigen.
Also, verehrte Leser:innen, bitte benehmen Sie sich heute, es sind Jugendliche unter uns!
Bionade ist im Kühlschrank, den Alkohol hab’ ich versteckt, Schlüssel liegt unter der Matte.

Schönen Samstag, allseits!

Herzlich Ihre
Madame TT


(thanx, kittenwishes, for the Abfalleimerinspiration : )

Bach und Stein

Am Hang
Im Wort
Am Anfang
Frag’ den Anfang
häng dein Wort in die Strömung
Bach und Stein
wach und klein

Die Namen der Dinge
Die Zeit
Die Gelegenheit
springt von der Brücke, schwimmt
einfach weg
Sing meine Linde, kling meine Nachtigall
ruft sie noch
während sie davontreibt

Büsche hängen über den Böschungen
Wie heißt du, frage ich das Ufer
Es lacht mich aus
Ich heiße doch nicht, ich bin
sagt es
Ich habe Gras und eine Schnecke, schau
und Zwischenräume. Mir wohnt ein Plan inne
Wie ist es bei Dir?

Kann ich bitte auch eine Schnecke haben
sage ich
Sie kommt, wenn du nicht mehr um Erlaubnis fragst
wispert das Ufer
Wird sie ein Haus haben, frage ich
Sie wird nackt sein wie du, versprochen
Und das Ufer verneigt sich und geht langsam davon

Refugium

Ich lasse mir immer viel Zeit, seine Angebote zu durchstreifen, hinter jedem steht eine Person, jede hat nur wenige Zeilen, ihr Anliegen zu beschreiben, ich lese die Zeilen, es sind Settings, es gibt Dinge, die benannt werden, die innerhalb dieser Settings passieren könnten. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie auch tatsächlich passieren, also Vorsicht, Wünsche werden wahr. Man sollte sich einigermaßen gewiss sein, dass man das auch will, bevor man anreist. Ich wusste bis in die Fingerspitzen, was ich wollte.
(Es gibt hervorragende Gründe, an Prognosen zum Ausgang von Situationen zu zweifeln, doch sie sind nicht interessant. Zweifel, manchmal, sind schlichtweg nicht interessant.)

In meinem Inneren sind es immer zuerst Namen, die auftauchen, wie Ausrufezeichen. So erschien Farah Day, damals, und so, seit viel längerer Zeit, auch Sanssourir. Ich spürte, dass sie da war, sie sprach aber nicht. Eine lange Weile genügte mir ihr Schweigen. Es war ziemlich beredt.
„In meinem Bereich nennt man das eine dissoziative Persönlichkeitsstörung“ sagte eine Vertraute am Telefon. „Gefällt mir, wie liebevoll du mit etwas umgehst, was sich als ausgewachsene Störung übel auswirken kann.“
Ich konnte es an ihrer Stimme hören, dass sie lächelte.
„Alter Egos zu haben ist keine Störung“, erwiderte ich.
„Bei dir nicht, nein.“

Der Ort, jedenfalls, um Sanssourir eine Stimme zu geben, ist gut gewählt. Er „weiß“ mehr als seine Bewohner, alt, wie er ist, benutzt, wie er ist. Ausgetreten. Eine Zauberschule, wenn eine es will.

Im Laufe der Tage geschehen Dinge mit mir, mit uns. Wie soll ich die beschreiben? Außerhalb des Raumes, in dem wir uns tagsüber aufhalten, wird nicht gesprochen. Was die Neuen wissen müssen, steht auf kleinen Schildern. Auch, auf einem Klappschildchen am Futterplatz der Kätzin, dass man ihr keine zusätzlichen Speisen verabreichen soll. Ich bin nicht neu, kenne alle Schildchen auswendig. Besonders das am Hoftor, auf dem steht:

Haus der Stille. Zutritt nur mit Anmeldung

Da muss ich immer an die Fastenklinik meines Romans denken, deren Pforten sich auch nur für Befugte öffnen.
Anderswelten.
Es gibt so viele von ihnen. Wir kommen dorthin zusammen, um sie, eine zeitlang, zu vermischen. Dann gehen wir wieder fort.

Am ersten Abend, zuverlässig, überkommt mich ein Gefühl, abreisen zu wollen, es ist so stark, dass ich fast kotze. Irre. Ist jedes Mal so. Niemand kann etwas dafür, ich nicht, der Ort nicht, die Menschen nicht, die mir gegenüber sitzen, ihre Gedanken, Motive. Ich nehme die Körper wahr, Gesichter, Münder, beobachte, was ihre Hände tun, während sie sprechen, die Füße, ob sie zuckeln, ob der Hals mitschwingt beim Artikulieren, ob sie sitzen, als ob sie ein Gelege unter sich hätten.
Vorstellungsrunden, wenn’s nach mir ginge, würden abgeschafft. Ich komme an diesen Ort im Zustand des Niemandseins, da ist jedes Fetzchen Selbstdarstellung kontraproduktiv.

(Auf der Arbeitsliste hab’ ich mich für Kapokzupfen eingetragen.
Besser als Küchendienst. Nähen kann ich eh nicht. Letztes Mal hab’ ich Toiletten geputzt, Übung in Demut, wie mein damaliger Kursleiter es nannte, der Hypnosegeek.)

Die Frauen, im Laufe der Tage lerne ich einige von ihnen zu lieben, so unwahrscheinlich das klingt. Wir haben Wesentliches miteinander geteilt, das Strömen. (Strömen. Klingt richtig.)
„Methodisches will ich die nächsten Jahre eigentlich nur noch von Frauen lernen“ sage ich. (Jemand wollte wissen, warum ich den asketischen Meister, das Oberhaupt des Ortes, nicht wirklich kennen lernen möchte, keine Kurse bei ihm wahrnehme.)
„Warum?“
„Ich will eruptiv lernen, nicht methodisch.“
„… und das können dir Frauen besser vermitteln?“
„Nein, aber sie halten mich dabei weniger auf Linie.“

Auf Linie.
Sanssourir kümmert sich nicht um Linie. Sie schert sich um gar nichts, das Sicherheit suggeriert. Ich werde ihr eine Rubrik geben. Vielleicht macht sie ja weiter, jetzt, nachdem sie ihre Stimme gefunden hat.

Frieden.

Immer wieder kommt mir Eugenie Faust in den Sinn, ihr Lächeln, ihr langsames Abschiednehmen. Ich habe sie nie persönlich kennen gelernt und spürte doch durch dieses seltsame Medium, dieses Netz hindurch, was für ein zutiefst ungewöhnlicher, warmer und inniger Mensch sie war. Ich denke an sie und an jene, die sie lieben.

Fünf Stockwerke

Das Gebäude, in dem die Bilder lagern, die ich während des Studiums gemalt habe, wird demnächst abgerissen; sie müssen raus. Mal wieder. Ich bin schon mehrere Male mit ihnen umgezogen, nun hatte ich eigentlich beschlossen, sie dort im obersten Stock stehen zu lassen. Ich hätte sie noch einmal fotografiert. Dann, dachte ich, hätte ich mich auf die Straße gestellt und zugesehen, wie der Abrisskran seine Arbeit verrichtet, doch so soll es anscheinend nicht kommen, denn der Mann meines Herzens legte Widerspruch ein. Keinesfalls dürfe ich mich von ihnen trennen.
Warum nicht, sagte ich, sie sind zu ihrer Zeit ausgestellt gewesen, einige von ihnen haben ihren Weg zu neuen Besitzern gefunden, die, die noch übrig sind, haben es einfach nicht geschafft, wichtig zu werden, sie waren nicht stark genug, also weg mit ihnen.
Aber d i r sind sie wichtig, sagte er.
…Nein.
Doch.
Lass mich in Frieden damit.
Sie sind ein Teil von dir.
Aber ein vergangener!
Lass’ deine Zerstörungswut an etwas anderem aus!
– Und so ging das eine Weile.

Und nu’ hole ich den Transporter und fahre dorthin und steige ichweißnichtwievieleMale dieses wunderschöne Treppenhaus rauf und runter mit dem Oevre meiner Studentinnenzeit, belade das Gefährt und karre die Bilder aufs Land. Dort stehen sie dann beieinander auf einer grünen Wiese, kauen friedlich ihren Hafer und genießen ihr Altenteil. Oder so ähnlich.

Guten Morgen!

Falls Sie heute in Frankfurt an der Historischen Villa Metzler am Schaumainkai vorbeikommen sollten, halten Sie doch mal nach beschlagenen Scheiben Ausschau: Madame TT wird dort heute und morgen mit einem Grüppchen wildentschlossener Autorinnen und Autoren Schatzsuche betreiben.
Ich mache ja selten Kurse für Erwachsene, doch zu dieser speziellen Anfrage konnte ich nicht nein sagen… schlicht und einfach, weil da spannende Leute zusammenkommen; einige davon habe ich bereits in anderem Zusammenhang kennen gelernt.

So, jetzt aber erst einmal die blasse Visage etwas peppen, sonst kriegen die einen Schreck.
Bin gegen Abend zurück.

Schönen Freitag, allerseits : )
Herzlich,

TT

19:49 Uhr