Selbstporträt: Phyllis

Nun hab’ ich Farah, Sanssourir und Phyllis. Sicher noch nicht die bestmöglichen Blätter, aber jene, die für den Augenblick Gültigkeit haben. Fehlt noch einer, nein, eigentlich fehlen noch zwei Namen, um die Serie der Selbstporträts zu komplettieren. Vor diesen beiden scheue ich noch zurück, doch ich spür’ sie im Hintergrund.
Es gibt so viel wahrzunehmen, mes amis. Viel zu viel. Von allem. So weit kann eine Schlund und Herz und Hirn gar nicht aufsperren, um sich das alles einzuverleiben. Wie überlebt man in dieser ständigen Überdosis, wie wahrt eine die Balance, die Contenance, den Überblick?
Ebenenwechsel.
Registerwechsel! Bloss nicht überfluten verstopfen lassen. Ich denke viel zu viel nach, lese zuviele Nachrichten. (Ist eigentlich jemandem aufgefallen, dass Nach-richten irgendwie impliziert, dass man im Nachhinein etwas richtet? Und zwar im Sinne von “urteilen” ebenso wie im Sinne von “in Fasson bringen”? Aber wer bestimmt über diese Fasson und wozu soll sie dienen?)
((Mein ewigaktueller Verdruss: Wie unverfroren wir manipuliert werden, wie sehr wir bereit sind, uns Informationen als redaktionell vorverdaute Gefühle wie Brei ins Maul stopfen zu lassen. Mastgänse))

Gestern Besuch bei der cousine francaise. Sie lebt etwas außerhalb der Capitale, ruhige Straße, Schwimmbad gleich gegenüber. Die Familienkaninchen heißen Gucci und Mimi und residieren auf der hinteren Terrasse, die jugendliche Tochter ist auf Reisen.
Cousine et moi, bei Rotwein und Ofengemüse, sprechen über Lebensentwürfe. Als Teens heizten wir auf unseren Mobilettes quer durch Paris, hingen lasziv auf den Rücksitzen betagter Bagnoles, die von nicht immer nüchternen Mecs gefahren wurden, immer auf dem Weg zu irgendeiner Party, einem angesagten Café, jetzt haben wir’s uns im Wohnzimmer gemütlich gemacht. TT (nicht weitersagen) legt die Füße hoch. Große Fragen. Was bereust Du?
Die nächtliche Rückfahrt ins 5e arrondissement ist ein Heimkommen; hinaus aus der Metro, die schmale Straße hinauf, den Code am Haustor eintippen, der Aufzug, die Wohnungstür. Jedes Mal, wenn ich den Schlüssel im Schloss drehe, ein kurzes Herzhüpfen und heißblütiger Gruß an jene, die mir diesen Unterschlupf schenken.
„Das hier ist für mich.“

Beim Zeichnen (oder, wie ANH kürzlich anmerkte, Malen, denn – da hat er nicht unrecht – die nass-in-nass-Tuschtechnik, die ich momentan praktiziere, das heutige Porträt mal ausgenommen, hat mehr mit Malerei zu tun als mit Zeichnung), also beim Malen laufen die Fäden zusammen. Die Identitäten. Es ist ein Riesenunterschied, ein geradezu kolossal großer Unterschied fürs Gehirn, ob es eine eine Tastatur vor sich hat oder eine Pinselspitze. Die Zeit ist eine andere: wie man sie empfindet. Die sujets sind auch andere, zumindest bei mir: Ich male einfache Dinge. Gesichter. Körper. Landschaften. Oder einfach abstrakte Szenarien. Fast ein bisschen klassisch. Was mir an dieser Periode des Malens so gut tut, ist, dass diese Blätter keine Kommentare sind. Meine Zeichnungen sind fast immer Kommentare, ebenso meine Texte. Fällt mir gerade auf.

Werd’ nun laufen gehen. Und, während der Körper tut, was ihm gefällt, darüber nachdenken, was daran so befreiend ist: am Nicht-Kommentieren.
Haben Sie einen guten Tag, mes amis. Und lassen Sie einfach mal etwas unkommentiert vorüberziehen.
(Was natürlich nicht für dieses Text gilt.)
(*lächelt*)

À bientôt!

Phyllis

p.s. Das große Kinn ist Absicht.

Méssage texto

Mesdames, Messieurs,

bonjour. Je vous écris de la part de Mme TT. Nous regrettons de vous informer que Madame n’est pas disponible aujourd’hui.
N’hésitez pas à me contacter pour davantage d’informations.

Veuillez agréer l’expression de mes sentiments respectueux.

La concierge

Wirhier

“Warum kriegen die das nicht bei sich geregelt. Haben die kein Plan. Wie Akte X, ohne Scheiß. Tausend davon. Nachher werd ich da reingezogen. Nachher quartieren die noch sone bei mir ein. Wie im Krieg. Seit die jede Nacht rüberkommen. Das Meer sieht ja immer rabenschwarz aus. Kaum zu glauben dass man in der Brühe noch baden kann. Wo jetzt so viele reinfallen ist damit aber sicher bald Schluss.
Was können die hier schon machen. Kennt die jemand. Ich seh nur was krabbeln im TV. Manchmal träum ich davon. Wo es so heiß ist jetzt hab ich immer ein Handtuch am Bett.
Keine Namen. Jedenfalls hör ich nie einen oder dass jemand seinen mal sagt.
Wer wär zu mir denn freundlich wenn ich so am Arsch wär. Glaub bloss nicht dass da einer ein Spendenkonto für mich einrichtet drüben. Haben die überhaupt eine Regierung.
Ob die mich überhaupt rausfischen würden.
Nee nee.
Lauter welche die bei Null anfangen müssen. Könnt ich ja nicht. Aber wenn die sich den Krieg selbst eingebrockt haben. Und den Hunger. Weiß ja keiner. Die können ja nicht so leben wie wirhier. Reicht hinten und vorne nicht für alle wenn man mal nachrechnet. Aber wir sind ja auch schon länger am Hebel. Haben was aufgebaut.
Vielleicht sind paar anständige bei denen dabei. Aber wie soll man die auseinanderhalten. Solange die nass sind eh nicht.
Und was ich hab dafür hab ich mich krummgelegt. Was haben die gemacht in der Zeit. Alles laufenlassen und jetzt kommen sie her. Die Griechen bestimmt auch bald.
Unsere da oben haben ja kein Plan wie es werden soll wenn noch mehr kommen. Was die alles brauchen von uns. Ojeoje. Wenn die alle arbeiten wollen wie wirhier. Die wollen ja keine Almosen. Wer macht sowas schon freiwillig. Seine Heimat gibt keiner einfach so auf.
Aber was jetzt. Jetzt sperren wir die ein. Verbrecher sind die ja nicht. Ein paar vielleicht schon aber die kommen wohl eher mit dem Flieger.
Jemand muss den Schlamassel in Ordnung bringen. Sonst seh ich schwarz.”

Boote.
Vorboote.

Gewebeproben an der Seine

Den eigenen Text zu hören in der Interpretation eines anderen – nie zuvor erlebt, hab’ meine Arbeit bisher immer selbst vorgetragen. Umso aufregender dieser kleine Lesungsfilm, den ANH an der Seine für mich aufnahm und mir (Merci!) zum Geburtstag schenkte. Als TT-Feature sozusagen und im Rahmen eines >>> neuen Projekts, bei dem er jeden Tag einen kurzen, manchmal sehr kurzen Abschnitt seiner eigenen Arbeit vorliest und sich dabei filmt.
Das wollte ich auch immer mal machen mit meinen Texten, nu’ ist er mir zuvorgekommen! Selfies mal anders… Gerade das Nichtperfekte, Ungezwungene gefällt mir an den Aufnahmen. Die Idee, jeden Tag einen kleinen Ausschnitt aus bereits getaner künstlerischer Arbeit vorzutragen, immer da, wo man sich gerade aufhält, ob im Waschsalon, am Ufer der Seine oder am Schreibtisch. Literatur-Appetizer als Videoblog. Viel Vergnügen dabei.
Madame geht jetzt übrigens mal runter zum Fluss. Gucken, was die Seine so macht heute Nachmittag; vielleicht hat sie ja Zeit, mit mir anzustoßen.