Morning Briefing, 2

Max Frischs „Fragebogen“: Was für eine Kette verblüffender, erhellender, enttarnender Momente! Also, wer je mutwillig das Empathievermögen des männlichen Geschlechts in Abrede stellen wollte –
… tut’s nach der Lektüre nicht mehr.
(Grauer Aprilmorgen. Aufgewacht mit einem Traumfetzen, eine Freundin und ich in einem SMART unterwegs in einer schmalen Altstadtgasse, da biegt ein LKW um die Kurve und haut unser Gefährt einfach weg. Ich steige empört aus und verschwinde in einer Nebengasse, die Freundin fährt mit zermanschter Fahrerseite weiter. Hm.)
Inky, übrigens, der neuseeländische Oktopus, ist aus dem National Aquarium of New Zealand ins offene Meer getürmt. (Kein Witz.)

Die Affaire Böhmermann weitet sich aus. Als hätte die Kanzlerin nicht auch so schon genug an der Backe. A propos Skandal: Die VW Chefs und ihre Boni. Die verdienen ein üppiges Schmerzensgeld, klar. War ja alles sehr unerfreulich in letzter Zeit. Das steckt man nicht einfach so weg. Außer, man ist das Wegstecken gewohnt. Von Boni, beispielsweise. Die gute alte Gewohnheit. Wenn Inky sich auf die verlassen hätte, hätte er’s nie raus ins Meer geschafft.
(Idee: Anstatt in Zukunft alles auf bargeldlose Zahlungen auszurichten, einfach die umgekehrte Strategie fahren: nur noch Münzgeld. Weltweit. Jeder kann immer nur so viel kaufen, wie er Münzen schleppen kann. Am Körper. Na, meinetwegen mit Handwägelchen, für die größeren Deals. „Klingende Münze“!
R i c h t i g große Einkäufe würde man sich dann sicher zweimal überlegen. Oder man hat genügend Kumpels/Delegationen, die einen beim Shoppen von Panzern, Villen und Luxusfahrzeugen tragkräftig unterstützen.)

Eben fällt mir Janoschs „Überall ist Panama“ wieder ein. Wenn das so ist, stelle ich hiermit gegen eine angemessene Gebühr meinen Briefkasten zur Verfügung. Diskret natürlich. Interessent:innen bitte melden.

Zurück auf den Boden der Tatsachen. Tasche gepackt für die Förderschule. In zwanzig Minuten vor den Spiegel, Schminken, Bürste, Deo, dann los. Thermos mit Kaffee nicht vergessen, die Schulplörre macht depressiv. Zusatzinfo zur Depression vom befreundeten Neurologen: Ja nicht versacken lassen. Soziale Einbindung und Verantwortung seien, so der Neurologe, die besten Antidepressiva. Und was is’ mit Tabletten? frage ich. Er winkt ab: Zu viel Try & Error. Das Zeug ist unberechenbar, Finger weg.
Also mir, vor Jahren, hat eine Medikation mal sehr geholfen, nach zwei Wochen war ich endlich so normal, wie ich immer ahnte, sein zu können. Nur die Libido stieg in den Keller: Orgasmen fühlten sich nicht wichtiger an als ein Schluckauf. Setzte das Zeug nach sechs Wochen wieder ab. Aber mit achtzig oder spätestens neunzig, sollte mir die Libido bis dahin schnuppe sein, hau’ ich mich mit Antidepressiva voll bis an die Ohren, so viel steht fest.

Vorhin war die Kogge schon da, zog aber unverrichteter Dinge wieder ab. Allein die Mühe, die das mächtige Tier hat, bei mir auf der Balkonbrüstung zu landen! Also schnell noch raus, Futter auslegen.

Auf jetzt, Frau. Die kids warten.

Simples.

Anstatt lang’ zu jammern, wie schwer sich Montage anfühlen, seitdem Tusker dieses Grundstück mit Hütte und Grillhäuschen aufgetrieben hat, hier einfach das Referenzbild. Die Äste sind übrigens von Hand geschichtet.
Es ist ein guter Haufen. Gerne hätte ich heute einen zweiten gemacht, doch der Schreibtisch ruft. Und mir fällt partout kein Knebel ein, um ihn zum Schweigen zu bringen.

Guten Montag, allerseits!

Leise fauchend, Ihre
TT

Morning briefing

Der alte Rosmarin, dicker Hauptstamm, schwächliches Blattwerk, aber Blüten en Masse. Die Kogge, wie jeden Morgen, wippend auf einem (zu dünnen) Zweig, auf mich herabäugend. Die olle Sonnenbrille (we call them shades, darlin’), die den ganzen Winter auf dem Balkon lag, jetzt zum ersten Mal wieder aufgesetzt, wettergegerbt und blütenstaubtrübe.
Der Amsel Gesang morgens um sechs: offensichtlich ein junger männlicher Vogel, der das Singen (noch) nicht allzugut draufhat.
Verkehrsgeräusche gut hörbar rund um den Häuserblock. Datentransfer, unhörbar, überall. Ein Säugling, gerade erwacht, leise blärrend. Himmelseidank nicht meiner. Flugzeugrauschen. (wurde auch Zeit)
Die Birke in meinem Hinterhof bereitet sich massiv auf die Besamung ihrer Umgebung vor. Tausende stäubende Würstchen, jedes davon imstande, meine Atemwege zu allergifizieren, von den Augen ganz zu schweigen. An allen Orten, an denen ich bisher gelebt habe, stand eine Birke.
Wenn ich erst groß bin, pflanze ich eine Linde. Für Astrid.
Die Meise schimpft, sie mag es nicht, wenn ich auf dem Balkon liege, grosses fleischiges Ding, und tippen tut es auch noch, lieber wegbleiben. (Aber natürlich nicht ohne Protest.)
Hat Jan Böhmermann zu hoch gegriffen? Beziehungsweise zu tief unter die Gürtellinie? Nö.
Und Griechenland erst. O la la. Erst draufschimpfen, weil sie pleite und faul seien und dann aber mit den bösen Aufgaben betrauen. Trauen wir’s ihnen zu? Sind wir ein Wir?
Gerade tröpfeln ein paar Dutzend Asylspezialistinnen aus der EU ein, doch die reichen ja hinten und vorne nicht bei so vielen Anträgen. Und ständig diese Frage: Wer ist wer und warum? Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Mir brennt das Herz.
Auswahlverfahren. Bitter. Immer. Vielleicht ein Grund, weswegen so viele Weichherzige nicht an die Schalthebel wollen.
Sinnstiften im Kleinen ist definitiv einfacher, aber: Viel hilft viel.
Während ich schreibe, wächst der Schnittlauch; man kann fast dabei zusehen. Nützt ihm nüscht, er wird nachher im Eiersalat gebraucht. Is seine Bestimmung.
Be-stimmung: einer Vorstellung eine Stimme geben. Und Sinn. Hans Werner macht das schon sein ganzes Leben lang.
Es gibt noch andere Welten als diese sagte der Junge. Und sprang in den Abgrund.
Springen.
Mir reicht fallenlassen: Massage, Sex, Kino, Gartenbuddeln, egal wie. (Bloss die Klamotten dürfen nicht kneifen dabei.)
Also. Warmschreiben hat schon mal geklappt. Jetzt nur noch Strom anschließen und losbrausen.
Ping:
„Pflegen Sie Ihre Leidenschaften“, schreibt gerade mein Online-Klamottenversand. Ah, eine Sprache zu entwickeln, die nicht marketingverseucht ist! Bei Leidenschaft jedenfalls denke i c h nicht an gepflegt. Sondern an Flächenbrand, Vulkanausbrüche, Aufbrausen und Vergehen. Leidenschaft, das ist das Gegenteil von Liebäugeln. (hübsches Wort)
Weiter.

Farah Days Tagebuch, 39

Samstag, 2. April 2016

Band, Lind, Tatzel:

Die Wahl der Würmer.
(Wie viele Unterarten es wohl gibt? Keine Ahnung. Alles, was allzu leicht gegoogelt werden kann, langweilt mich.)
Ich mag Würmer, auch glitschige. Mäandernde sowieso.
Menschen, die sich (aus welchen Gründen auch immer) in welche transformen, widern mich allerdings an. Bin gliedmaßenfixiert, schon immer. Mit Betonung auf dem Plural; am Rumpf muss einfach was schlenkern. Zupacken. Sich aufrichten.
Einem Wurm zu sagen er sei einer, da fühlt der sich nicht beleidigt.
So what?!? wird er nur fragen. Mit so einer fieseligen Stimme.
(Wollte das nur mal kurz loswerden.)

Eigentlich will ich übers Vermissen schreiben. Jemand muss eh anfangen, also kann ich’s auch gleich selbst tun. Im Anfangen bin ich gut, Kontinuität ist nicht so meine Stärke.
Grundsätzlich hab’ ich derzeit vergessen, was meine Stärken sind, nur diese eine ist mir noch bewusst, ich kann aus dem Stand loslegen. Brauch’ dazu auch keinen Pfeil. Keine Markierung. Ich fang’ einfach irgendwo an.
Auch beim Schreiben. Ich meine, ein Gedanke oder ein Satz beginnt ja auch willkürlich da oben: Niemand im Gehirn sagt ihm, wo dafür der richtige Platz ist.

Meins wurde kürzlich gescannt. Mein Gehirn, ich hab’ jetzt Aufnahmen davon. Scheint alles in Ordnung zu sein.
Also hat dieses andauernde Brummen in meinem Kopf keine körperliche Ursache, sagte ich zur Ärztin.
Die zog die rechte Braue hoch. Wer soll’s denn sonst machen, wenn nicht Ihr Körper?!
Oh, sagte ich. Natürlich, wie dumm von mir.
(Man muss dazusagen, die Ärztin ist alte Schule und fackelt nicht rum. Seitdem sie weiß, dass ich Künstlerin bin, lässt sie sich freien Lauf.)

Eben ist die Kogge gelandet. So hat LeBlanc ihn getauft. Meinen Tauberich. Weil er so schwer ist.
Die Kogge ist ein prächtiger Vogel und kein bisschen fett.
LeBlanc sieht das anders.
Er denkt, er sei eine Meise, spottet er.
Wie kommst du denn darauf?
Na, weil er sich immer auf die dünnsten Ästchen deiner Birke niederlassen will, die, auf denen die Meisen sitzen. Natürlich halten die Ästchen sein Gewicht nicht aus, aber er versucht es immer wieder.
Er glaubt, er sei schlank und grazil, sage ich, ein hübsches Ding, das überall landen kann. Er versucht es immer wieder, weil er gar nicht weiß, dass es ein Versuch ist! Für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit.
Tja, sagt LeBlanc.

Ich frage mich, womit man die bessere Landung erzielt: mit dem Bewusstsein, dass man etwas riskiert, oder mit dem, dass eh klar ist, dass man gut landen wird.

(Vertrauen.
Ich vermisse Vertrauen.
In mich.
Anderen vertraue ich grundsätzlich und lande prima damit.)

Gestern, zum ersten Mal seit Monaten, lief ich wieder durch meinen Park, mehr oder weniger mühelos. Erstaunlich leichtfüßige acht Kilometer, eigentlich, in Anbetracht dessen, was ich vermisse. Morgen werden es schon wieder zehn sein.
Kraft ist reichlich vorhanden. Dreimal in der Woche stemme ich mich gegen die Eisen, mein genialer Coach bellt mich zu Höchstleistungen.
Für die dünnen Ästchen bin ich dennoch zu schwer.
Ich bin so verdammt hungrig.
Wenn der edle Lebenshunger nicht gestillt werden kann, schalten die Synapsen bei mir auf primitiv: Essen hilft, viel essen hilft mehr.
(Komisch, dass man Bissen wiederholen muss, ist doch immer der gleiche Geschmack(?!) Wie oft muss dieses Aha-Signal im Hirn ankommen, bis etwas sagt, man könne jetzt aufhören zu essen? Bei mir passiert erst einmal gar nichts, nachdem ich das Gericht erkannt und gewürdigt habe,
dafür brauch’ ich eh nur einen Bissen.
Esse dann weiter, bis ich satt bin. Immer noch kein Signal. Also weiter, bis nichts mehr auf dem Teller ist. Signal manchmal immer noch keines, also neuer Teller. Erst, wenn etwas einsetzt, das ich Betäubung nennen würde, leg’ ich die Gabel weg.
Ich sag’ ja – Einfachmodus.
Muss wieder aufhören mit dem Taubessen. Zu psycho. Nur richtige Tauben kommen damit zurecht.)

Also, mein Gehirn ist in Ordnung, ich hab’s offiziell auf CD.
Kostenfreies Patienten-Exemplar, für Kopien wird eine Gebühr erhoben.
Steht drauf.
Kein Leck, kein Tumor, kein gar nichts. Ein prima Gehirn. Kann sein, es braucht einfach ein paar Tropfen imaginäres Öl, damit das Brummen aufhört.
Vielleicht aber auch etwas ganz anderes.