Freestyle

(Komme diese Woche nicht viel selbst zum Schreiben, geschätzte Leser:innen, da vollauf damit beschäftigt,
meine neue Gruppe bei der Navigation im Wörtersee zu unterstützen. : )

14:52
Wissen Sie, was die Redewendung “Frankfurter Applaus” bedeutet?
Das Klatschen der Fixer im Bahnhofsviertel, wenn sie sich kurz vor dem Setzen der Spritze auf den Oberarm klopfen. Wär’ ich nie drauf gekommen.

Heißgelaufen

Das ist ja nun wirklich gründlich schiefgegangen. Schade, dass sich gestern neben Norbert W. Schlinkert nicht noch ein paar andere moderierende Stimmen dazu geschaltet haben. Ich selbst war abgelenkt und nu’ sitzt das Meinungsbildungsschiff erst einmal fest. (Ich hör’ richtig den Motor knacken, während er abkühlt…)
Ich werd’ mir den Verlauf der gestrigen Kommentare nach meinem heutigen Seminar noch einmal durchlesen und versuchen herauszufinden, ob die Zuspitzung hätte verhindert werden können, die dann zum Notstopp führte.
Jetzt aber erst einmal zu meiner neuen Gruppe Jugendlicher, die im Weltkulturen Museum auf mich wartet. Die kriegen sich übrigens auch ziemlich schnell in die Wolle, wenn ich nicht die ganze Zeit aufpasse wie ein Luchs ; )

Ihnen allen ein gutes Gespür! Hier liegt mächtig Schnee.

Herzlich, Ihre
Miss TT

19:09
Bin zurück. Und ausgeschlafen. Und friedlich. Aber hier im Atelier sind die Scheiben, scheint’s, immer noch beschlagen…

Die Sprache der Anderen, 47

[…] Tja, die Verblödungsindustrie liefert geistige Hamburgers, Feuilletonicwater, AntiRheumalyrik, Politbräu, philosophisches Doublebubble … Das alles verdient nur ein »Spottbewahre!«, keine Jeremiade! – Dennoch gilt: »Da wir uns allein durch das Wort verständigen können, verrät, wer es fälscht, die Gesellschaft« (Montaigne). Und kein Psychodesigner kanns wegtherapieren: Ein Mensch verkommt zuerst in der Sprache, dann in der Lebensweise. – Meine Devise ist die Radikalisierung des Augenblicks, Revolte, die Autonomie der Wörter, logos statt legos, … die Weigerung, Ideen und Utopien zu predigen, die keiner je am Leben geprüft hat. Solche Sprachkritik ist Sozialarbeit, – unter Spiel und Verwandlung sogar lustvolle Sterbehilfe.[…]

Interview mit >>> Uwe Dick, erschienen in SALZ – Zeitschrift für Literatur, Heft 111, 28.03.2003

Buch Haltungstag

TT straff am Schreibtisch, bis der Mist erledigt ist. Na, wenigstens kann ich parallel die Diskussionen und Kommentare zur Sprachzensur weiterverfolgen.
(Ich neige ja nicht zum Selbstmitleid, aber Buchhaltung?!)

17:05
Fertig!!!!

So. Jetzt geh’ ich Eisen stemmen und danach in die Sauna.
Hugh!
Die Herrin des Blätterwaldes hat gesprochen!

Bildungsnotstand 1968

(Quelle: Anzeige in der Zeitschrift TWEN, 1968)

Angeregt von >>> diesem Aufruf ANH’s gegen die sprachliche “Bereinigung” von Kinderbüchern fiel mir diese Anzeige aus einem alten TWEN-Heft ein, das ich gestern im Atelier durchgeblättert habe. Ich besitze alle Ausgaben dieses Heftes von 1968 – 1970… und sie sind eine Fundgrube für Worte wie “Neger”, “Busen” oder “Anti-Establishment”. (Außerdem fällt auf, dass die Leser:innen in den Artikeln und Anzeigen durchgehend geduzt werden – gibt’s das eigentlich heute noch in Zeitschriften für junge Erwachsene?)

Ich hab’ noch nicht wirklich nachgedacht über die aktuell diskutierten Sprachbereinigungsvorhaben. Was mir aber gegen den Strich geht, ist die Vorstellung, im Nachhinein Worte aus bestehenden Büchern durch neue zu ersetzen. Ist das nicht Geschichtsfälschung? Wo wird das aufhören? Rauchern die Zigarette wegzuretuschieren. Machen wir den dicken Kindern demnächst auch die Speckbäuche weg? In Zeiten, in denen fast jedes Kind sowieso an fast jedes Bild und fast jedes Unwort rankommt im Netz?
Ein Vater erzählte mir kürzlich, sein Kind habe aktuell in der Schule den Begriff “anders pigmentiert” gelernt.
Hm.
Klingt ein bisschen nach Hautkrankheit. Ich vermute fast, die Jugendlichen aller Couleur, mit denen ich arbeite, werden die Krätze kriegen bei diesem Begriff, aber ich kann mich täuschen. Werde ihn demnächst mal testen. Und meinen anders pigmentierten die Frage stellen, was sie davon halten, diskriminierende Worte in Kinderbüchern bei Neuauflagen durch vermeintlich neutralere zu ersetzen. Ob das auf lange Sicht helfen könnte gegen den alltäglichen Rassismus. Ich glaube ja, bin sicher, ich würde meinem Kind lieber diskriminierende Bezeichnungen erklären, wenn sie irgendwo auftauchen, anstatt sie verschwinden zu lassen.
(Ist “Busen” eigentlich diskriminierend? Der Busen ist verschwunden und durch die viel ungenauere Bezeichnung “Brust” ersetzt worden. Schade eigentlich.)

Sie sehen, das ist alles noch ziemlich zaudernd, was ich hier schreibe. Aber mir geht es nicht darum, hier eine Meinung rauszuhauen, sondern mir eine zu bilden. Das dauert seine Zeit.