Ans Eingemachte

Künstelerin.
Es hat sich meinerseits ein e eingeschlichen. Ich mag das natürlich nicht zugeben. Schon gar nicht Ihnen gegenüber.
(“Ist das Wetter nicht herrlich?”)
Zugeben: dass mir auf dem Weg vom Erleben zum Übersetzen ans Ufer der Künste seit Wochen die Künstlichkeit mit im Boot hockt. Ungebeten! Sie fächelt sich und ich komm’ nicht voran, schlimmer noch, die Sau versperrt mir die Sicht aufs Ufer mit ihren Rüschen.
Ob ich picknicken wolle?
“Nur, wenn Sie Eingemachtes haben, sage ich. Ich will an die Essenz!”
“Ach Gottchen”, sagt sie, “ich hab’ nur Sachen zum Dippen.”
Und reicht mir das Brot rüber, die Salsa dazu und ich knicke ein, weil, zu schnellen Genüssen muss man mich nicht lang überreden.
“Machen wir ein Foto davon, wie Du isst”, schlägt sie vor, “dann brauchst Du nichts zu schreiben. Wer gut aussieht, meine Liebe, braucht sich nicht quälen. Die Menschen wollen Bilder und Essen und Bilder von Essen.”
Klick(s).
“Und nu?” frage ich.
“Moment, ich stell’ das mal eben ins Netz.”
(…)
“Du könntest über Deine neuen Nylons nachdenken”, sagt sie. “Die mit dem Farbverlauf.”
“Ich bin doch kein Schneckchen!”
(Ich zittere in der Morgenkühle.)
“- Kalt?”
“… Ja.”
“Hier, nimm meine Stola.”
Die ist aus Kaschmir mit Pailletten. Sie legt den Kopf schief.
“Hübsch”, sagt sie. “Steht Dir. Schau, wie einfach es ist, sich zu vertuschen. Niemandem ist was peinlich, niemand wendet sich mehr ab, niemand gerät Deinetwegen in Zugzwang. Ist das nicht hübsch? So ein ruhiges Blog. Viel sagen, ohne vielsagend zu sein. Wir lieben das.”
“Aber”, protestiere ich.
“Schau”, sagt sie, “Du traust Dich doch gar nicht ans Eingemachte.”
“Ich nehme RÜCKSICHT!!!” schreie ich.
“WIRF DAS SCHEIßBOOT NICHT UM!!!” brüllt sie zurück.

(Fortsetzung folgt.)
(Hoffentlich.)

Auch gute Nachrichten

verdienen den Broadcast, auch wenn die täglichen im TV anderes vermuten lassen:
Geschätzte Leser:innen dieses Weblogs, ich werde am Dienstag, 5. März 2013 um 20:30 in der >>> Romanfabrik Frankfurt aus “Fettberg” lesen. Und würde mich riesig freuen, bei dieser Gelegenheit einige von Ihnen wieder zu sehen oder neu kennen zu lernen! Ehrlich gesagt wäre es mir recht, wenn die Bude aus allen Nähten krachen würde!!!
Ich kündige das eine Woche vorher nochmal offiziell an, aber manche planen ja lang voraus, deswegen heute schon mal der Hinweis.
Zweite schöne Nachricht: Bei >>> Faust-Kultur wird demnächst eine Edition von Kunstdrucken erscheinen. Ich habe die Ehre, in dieser illustren Reihe mit fünf Zeichnungen vertreten zu sein, die sich entweder einzeln gerahmt oder gemeinsam in einem sehr schönen Schuber erwerben lassen. Auch dazu mehr, sobald die Produktion abgeschlossen ist!
Ich freu’ mich sehr, dass mir der Januar diese beiden Ereignisse schenkt – ein gutes Omen, finde ich, für das frisch angebrochene Jahr. Außerdem – ich glaube, ich hab’s noch gar nicht erzählt – ist “Fettberg” jetzt Schullektüre!!! Ist das nicht köstlich? Und ich werde im Februar/März vor verschiedenen 11. und 12. Klassen lesen! Das betrifft jetzt erst einmal eine bestimmte Schule, doch die Chancen für eine Ausweitung stehen gar nicht schlecht. Ich würde Ihnen ja erzählen, wie der “deal” zustande kam, vor allem durch wessen Vermittlung, muss mich aber bei der betreffenden Person erst einmal erkundigen, ob sie ihr Engagement öffentlich verkündet haben möchte.

Sie sehen, es geht ganz gut los. Leider bin ich, trotz gegenteiliger Signale an >>> Hirn und >>> Körper, ziemlich kränklich die letzten Wochen; ständig schleimt was, juckt oder fiebert. Langsam werd’ ich ein bisschen ungeduldig. Aber hilft ja nüscht. Wobei mir einfällt, dass ich >>> Norbert W. Schlinkert ja gestern versprochen hatte, einen Jammerlappen zu zeichnen… das schaff’ ich auch mit Husten im Halse! (*grinst*)

Schönen Tag allerseits und lassen Sie nix anbrennen!
Herzlich, Ihre
Miss TT

Farah Days Tagebuch, 9

Montag, 28. Januar 2013

Wovon ich schreiben könnte.

Als erstes natürlich: über Cremediebinnen.
Dann über Berg, der ständig nach Öl riecht, den Gebieter über die – nein, alle – verpassten Augenblicke. Das unschlüssige Gespräch mit der mächtigsten Frau der Stadt. Der schwarze Mann mit dem Totenkopfring fällt als Thema durch (zu vorhersehbar), nicht aber, warum Kunstausstellungen langweilig sind und warum sie das einzige sind, das langweilig ist. Die Frau, die langsam älter wird, die sich immer im Gesicht zwickt. (Warum?) Die schönsten Worte der letzten fünf Jahre. Armut und ihre Auswirkungen. Mutwilligkeit und ihre Auswirkungen. Der Atem, den der langjährige Geschäftsfreund ausstößt, als er zum ersten Mal ihre Hand auf seinem Schwanz spürt. Die unsägliche Energie, die der Tod eines Familienmitglieds freisetzt. Ein paar kleine, grandiose Tricks, um Komplexität auszuhalten. Grundlose Aggressionen gegenüber Leuten, die allzu versiert sind. Über Untermalungen, in jeder Hinsicht. Die private Aufzeichnung: was sie bedeutet, was sie verhindert. Die Sehnsucht danach, nicht zu sprechen, sondern gesprochen zu werden. Der Auftritt im Kultursender der Stadt und warum es unabdingbar ist, eingeführt zu werden. Über Einführungen. Von der Schwierigkeit, sich zu konzentrieren und der Angepisstheit gegenüber jenen, die das besser können. Vom Pop in der Literatur (als Klanginstallation), die Sehnsucht nach Unterwerfung, die Fetische der Saison und warum gerade sie. Alte Freunde bei alltäglichen Verrichtungen beobachten, ihre Bewegungen studieren, Kleider, Gesten, Accessoires. Warum Henry Jagloms ‘New years day’ ein erwähnenswerter Film ist. Exibitionismus: Warum es verboten ist, aus dem Tagebuch vorzulesen. Warum es bei allem und jedem und immer untendrunter um die Vereinnamung (nein, kein h) von Zeit geht und wie unterschiedlich sie bei den einzelnen ist. Die einfache Sprache könnte Rettung sein. Das Ei muß auf: dafür ist die kleine Säge am Schnabel da. Die Schwierigkeit, sich einem möglichen Erfolg zu stellen. Männerfreundschaften: wie zwei aufeinanderfallen. Wie ich mir immer gewünscht habe, jemand würde Arsch, Bauch und Hinterkopf mitfühlen, die unausgesprochenen Ideen, das Ticken der Muschi, das Gewicht der Brüste, die unglaublich unzähligen Formen weiblicher Nervosität: unmittelbar. Eine Situation beschreiben, in der Vertrauen entstand. Eine schöne Frau beschreiben, von der sich erst am Schluß herausstellt, daß man sich selbst damit meint.
Ein Wort beschreiben, als wäre es ein Bild. Die verwahrloste Wohnhöhle eines älteren, fernsehsüchtigen, menschenscheuen Mannes, der trotz ausufernden Pornokonsums ein Gentleman ist. Harten Sex sentimental beschreiben, den ersten Kuss wie einen Verkehrsunfall beschreiben. Ein Plädoyer schreiben für das Warten: Endlich Partei ergreifen für das Warten. Das Handeln hat weißgott schon genügend Staranwälte. Befangenheit: Wahrscheinlich die schlimmste Hemmschwelle von allen. Sätze, die einem gelegentlich unterkommen, die so abgefahren gut sind, daß man sofort mit der Person ins Bett gehen würde, die sie geschrieben hat, ganz gleich wessen Geschlechts. Was man macht, wenn man einer Situation nicht mehr entrinnen kann. Eine Liebeserklärung, an alle überdimensionierten Körper gerichtet. Jedem einen besonderen Namen geben, und jenen, die keinen verdienen, einen geben, der genau das ausdrückt. Die Höflichen mögen ihre eigene Höflichkeit mehr als die Menschen, denen sie sie angedeihen lassen.
Ein Haus erfinden: Ein einziges. Der Körper sollte auch mal über den Geist siegen dürfen, darf er aber nie; umgekehrt wird ein (Hemm)schuh draus.
‘Warum läßt du sie dann nicht endlich fallen’: Sich zu trennen von Menschen, die das Neue in dir nicht sehen. Der Duft des Geschlechtsteils nach einem langen, arbeitsreichen Tag, warum es nicht belanglos ist, wie man seinen eigenen Geruch empfindet. Was macht der Dichter? Er verbindet Wortwurzeln aus 1000 Plateaus, das ist das Zauberhafte, damit kriegt er uns. Das Bild einer Frau, die die Traurigkeit in ihrem innersten Wesen kompetent in Schach hält, wie viele Partien und Eröffnungen sie auswendig gelernt hat, was für einen Beruf sie ausübt. Die Vorstellung, daß Vater und Tochter gleichzeitig einen Roman über die gleiche Familie schreiben. Mosaikromane: mehrere Autoren schreiben innerhalb einer verabredeten Welt, jeder steuert eine oder mehrere Figuren bei, die auch von den anderen benutzt werden dürfen. Wie es sich anfühlen würde, in die Obhut eines reichen Mannes zu geraten: sind die Gelenke schmal genug? Frauen, die ausgehalten werden wollen, brauchen schmale Gelenke. Was den alten Freund zum Henker machte.
Irgenein Pelztier muß auftauchen und reden, so wie Blooms Katze im Ulysses oder die Gamecat bei Jeff Noon in Nymphomation. Sprache darf knacken. Erstmal einen Raum ausstatten, Personen hinzufügen, dann Dialog und im Dialog muß sich die nächste Szene vorankündigen, eine Überleitung, dann nächste Einstellung. Wie einen Film mit Kameraeinstellungen imaginieren – mein visuelles Vermögen ist besser entwickelt als das logische. Jede Figur hat sowohl ein Angebot als auch ein Bedürfnis, die allererste Vorstellung der Figur sollte beides schon mal heimlich implizieren. Nichts ist zu blöd, um es erst einmal hinzuschreiben. Manchmal sprechen mehrere Leute im Hintergrund, während vorne irgendwas passiert; die Stimmen im Hintergrund könnten kollagiert sein. Von Assoziationen allein jedenfalls wird niemand satt.