Die Sprache der Anderen, 76

Sebastian Rogler hat in seinem Blog >>> schneckinternational einen zärtlichen, schnurrigen und behutsamen Text über seine Familie geschrieben, zu der seit einiger Zeit auch ein junger Iraner und ein Afghane gehören. Solch handfeste politische Unmittelbarkeit hüpft mir im Netz nicht oft vors Auge, da lege ich die Sonntagszeitung beiseite und freu mich einfach nur.

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Farah Days Tagebuch, 48

Samstag, 26. November 2016

Doch ein wenig erzählen davon, wie sich DERFLUSS gerade anfühlt, eine Armlänge unter dem Wasserspiegel gleitend:
Spiegel
Spiel-Gel
Zähflüssig. Vor allem aber still.
Wir sind viele hier unten. Wir reisen gemeinsam, doch wir lassen uns Zeyt.

Hab einen neuen Liter schwarze Chinatusche gekauft, bei Boesner, der Großzügigkeit wegen. Ein bisschen Aberglaube auch: Aus kleinen Fläschchen steigen nun mal keine Dschinns.
Dazu gekörntes, leicht gelbliches Papier, handgeschöpft, klassisch. Von den traditionellen China-Pinseln bin ich gerade abgekommen zugunsten welcher mit synthetischem Schopf, die vertragen die Tusche auf Dauer besser. Kann nicht alle zwei Wochen ein neues Set Pinsel kaufen.

Das Atelier ist ein Krisenraum, für Anekdoten ist hier kein Platz, alles ist jetzt und neu und dringend. Krisen brauchen intime Sorgfalt, sonst verpuffen sie und man legt die Pinsel weg und isst ein Pfund Eis, anstatt sie auszureiten.
(Oder Schokokekse.)
(I know what I’m talking about, baby)
Die Serie hat mich voll im Griff. Jedes Motiv braucht andere Gesten, entwirft neue Bedeutungsfelder, die betrachtet und befragt werden wollen. Wer tagsüber mit seinen Bildern spricht, weiß abends in Gesellschaft oft nichts mehr zu sagen. Durchaus gefährlich bei Menschen wie mir, die eh zum Schweigen neigen, doch ich kann’s nicht ändern.

(Zum Schweigen neigen.)
(hübsch)

Ebenso will ich verkünden, dass ich ab sofort in meiner Wörterbude das Wort achtsam durch das Wort sorgfältig ersetzen werde, für mindestens ein Jahr. Eine minimal invasive Maßnahme, die dennoch nicht ohne Folgen bleiben wird. Ich mag tendenziell keine Wörter, in denen Zahlen vorkommen. Achtsam, zweisam, einsam… wer braucht die?
Behutsam indes ist hübsch. Fast adrett.

– Weiter, Frau. Erzähl.
– Wassn?
– Was du sonst noch so treibst.
– Ich suche meine verlorene Intimität.
– Wo suchst du sie?
– Außerhalb des Spiegelkabinetts. In der Hingabe.
– Etwas weniger kryptisch, bitte!
– Ich hab mich andauernd beobachtet: mich und meinen Kreis. Meine Auserwählten. Alles sollte immer gut sein, stimmen und nicht weh tun. Ich hab gezählt. Zustände, Stimmungen, Lüste und Leiden. Und versucht, alles in Ordnung zu halten.
– Klingt anstrengend.
– Die Belohnungen sind aber verlockend… deswegen ist es so schwer, davon runterzukommen. Doch bei andauernder Gestaltung von Situationen verschwindet die Falltür: das Gefühl, von einem Augenblick zum anderen verwandelt werden zu können. Ohne zu wissen, ob man das will.
– Verwandelt vom anderen?
– Ja. Und ohne Verwandlung keine Intimität.

Ladybirds Garten, ff

Der Reiher ist eine zentrale Figur in Ladybirds Garten: Sie bezichtigt ihn, die Fische zu dezimieren. Die >>> Bettelfische, Sie wissen schon. Seit Jahren erhalte ich empörte Anrufe mit Meldungen, es seien nun endgültig alle gefressen. Keiner mehr da! Sie sei mittags zur Fütterung an den Teich getreten und nicht ein einziger Fisch habe sich blicken lassen.
Die Gefahr, klar, ist nicht von der Hand zu weisen, wenn man die Natur des Reihers berücksichtigt.
Nun ist es aber so, dass Fische es zu spüren scheinen, wenn ein langer, großer Schnabel in ihrem Lebensraum herumsucht. Sie tauchen dann ab und kommen tagelang nicht mehr hoch – nicht einmal, wenn von liebender Hand Futter gestreut wird. Was bleibt ihnen auch anderes übrig, wenn sie nicht verschluckt werden wollen?

Dieser Eintrag sollte eigentlich ein freundlichharmloser werden, um die Pikanterie des den gestrigen ein wenig abzupuffern. Nur fällt mir gerade auf, dass die Vorstellung des kleinen Fischs keine harmlose ist. Sondern eine politische. Und das reflexhafte Abtauchen bei Bedrohung ist ja nu’ auch nicht den Fischen vorbehalten.
Ich sag’s mal so: Schwierige Gewässer gibt’s nicht nur in Ladybirds Garten und die Schnäbel sind weltweit zugange. Ein sehr großer wurde gerade in eines der wichtigsten politischen Ämter gewählt, das man überhaupt erreichen kann.
Tja.
Ich würde verdammt gerne so tun, als ob mich das nichts anginge. So als kleiner Fisch. Doch auf dem Grund des Teichs, einmal abgetaucht, ist die Sicht miserabel.

Ladybirds_Reiher

Farah Days Tagebuch, 47

Sonntag, der 13. November 2016

Leonard Cohen war der Mann im dunklen Anzug, in dessen sonore Melancholie ich mich fallen ließ, wenn ich fürchtete, mein Chaos nicht mehr aushalten zu können. Als ich noch keine hatte, hat er mir eine Haut gesungen, seitdem trage ich sie unter meiner eigenen. Sie ist ganz weich.

Ring the bells that still can ring

Forget your perfect offering

There is a crack in everything

That’s how the light gets in.

Er ist gestorben.
Stille, erst einmal. Ich lausche immer noch.
Wie das eben ist, wenn jemand stirbt: jemand, auf den es ankommt.

Zwei Ardbeg gestern. Zum Trost. Aber auch, weil B. mich in der Lobby des Hotels warten ließ, in das er mich bestellt hatte. Während er eine Etage höher in einer Konferenz saß, nahm ich in einem der Sessel Platz. Ich trug den schwarzen, fast bodenlangen Kaschmirmantel, hohe Stiefel und sonst nichts.
Das Foyer war pastellig beleuchtet, dazu starkes Lila aus zwei Lichtschächten an der Decke. Ich hatte einen Sessel gewählt, in dem mich jeder würde sehen können, der aus dem Lift träte. Ab- und an hörte ich, wie sich seine Türen öffneten, blickte aber nicht hin. Irgendwann würde es B. sein; das würde ich beim Atmen spüren. Etwas in der Luft verändert sich, wenn er da ist.
Noch war ich offline, doch die Dame an der Rezeption hatte mir einen Code ausgehändigt. Eigentlich rechnen wir den Zugang pro Stunde ab, hatte sie gesagt, doch ihnen erlasse ich die Gebühren. Ich hatte den Zettel mit dem Code dankend entgegengenommen, meinen Mantel fest um mich gezogen und war zurück zu meinem Sessel gegangen.
Ich öffne mein Laptop, gebe die Zahlenfolge ein und warte.

– Ich will das Kügelchen platzen spüren
tippt B. aus dem ersten Stock.

Meine Finger flattern über der Tastatur wie frisch geschlüpft.

It works every time, hat Cohen einmal in einem Interview gesagt und meinte die Sogwirkung seiner Songs. Wie Schatten, unter die man kriecht,
wie wir als Kinder, früher: ein paar Decken über einen Tisch werfen und schnell drunter.
Cohen wusste, was Intimität bedeutet. Und ich, heranwachsend, lernte es auch.
Ich habe lange über sie nachgedacht in den letzten Jahren. Warum sie für mich, hätte ich sie beschreiben wollen, stets dunkel war, im Gegensatz zur Vertrautheit mit einem Menschen. Die immer hell ist.
Es gibt einen Raum zwischen Wollen und Nichtwollen, eine Zeit und einen Klang. Dort eröffnet sie sich. Das Frappierende ist, man kann dort nicht willentlich hin, unwillentlich aber auch nicht.
Intimität wird gegeben.
Und nur, wenn Du einen Raum hast, eine Zeit und einen Klang, wirst Du wissen, dass es gerade passiert.

Die Button-Maschine

… ist ungeheuer beliebt, auch jetzt wieder in meiner neuen Gruppe. Macht alles irgendwie offiziell, was danach passiert.
Ein Name ist ja nun keine Kleinigkeit. Vor allem nicht für die jungen Leute, die erst vor ein, zwei Jahren zu uns ins Land gekommen sind. Wobei “gekommen” ihren Wechsel von ihrem Heimatland in unseres nur sehr unzureichend beschriebt, wie sich jeder mit ein bisschen Phantasie denken kann.

Bin wieder im Museum zugange. Mit sechzehn Jugendlichen, alle um die achtzehn, die eigentlich ur eines wollen: auf möglichst unspektakuläre Weise dazugehören. Spaß haben. Lachen. Sich zeigen, spielen, Fortschrite machen, ohne dass ihnen gleich irgendein Etikett verpasst wird.
Können sie kriegen. Zumindest mal für die paar Tage, in denen wir zusammen sind.

Wir haben heute – unter anderem – einen Text geschrieben, der nur aus Fragen besteht. Und vorgelesen. Und einer der Jungs hat so zarte, erschütternde, haarsträubende Fragen aneinander gereiht, dass uns allen die Tränen in den Augen standen.
“Du hast mein Herz geschüttelt”, sagte ihm ein junger Iraner hinterher. Und jener, der vorgelesen hatte, hat den Kopf geneigt und sich gefreut.

Himmel, ich liebe diese Momente!

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