Ladybirds Zettel, ff

Ohne die üblichen Eier, dafür mit einigen Aufträgen und einem verheißungsvollen Umschlag.
Die Buntstifte, herzig umschleift, sind übrigens nicht für mich, sondern ein Gastgeschenk für ma petite cousine française…

Gut gelocht ist halb gehängt

An meine Berliner Leser:innen zum Vormerken: Am 19. August 2016 stellen wir in Berlin aus, in der Galerie Nord, Kunstverein am Tiergarten. Freue mich schon sehr.

M a r t i n a A l t s c h ä
f e r  M a t t h i a s B e c k
m a n n  P h y l l i s K i e h l 
K l a u s M e l l e n t h i n  S e
b a s t i a n R o g l e r  U w e
S c h ä f e r  C a r o S u e r
k e m p e r  M a j l a Z e n e l i

Natürlich stelle ich noch rechtzeitig eine ordentliche Einladung hier ein. Bis dahin gibt’s eine Menge Löcher zu stanzen.
Gut, dass Cat Car einen seriösen Hammer mitgebracht hat… mit so einem Gerät in der Hand ist Schluss mit Melancholie. ; )

Draußen nichts passiert

Vor zwei Tagen habe ich hier einen Text eingestellt: “Liebes zukünftiges Ich”.
Er war ganz hübsch, fand ich. Die “Dear future me”- Idee ist aber nicht von mir: Ich hatte sie von einer Website, auf der man sich einen Brief schreiben kann, der einem dann zu einem selbst festgelegten Datum von futureme.org zugestellt wird.
Wozu ich keine Lust hatte. Also, der Website, die ohnedies nur englischsprachig existiert, meine Gedanken anzuvertrauen. Die Idee mochte ich aber. Dachte ich.

Am darauffolgenden Tag jedenfalls, nachdem ich meinen – ich nenn’s mal LZI-Brief – hier eingestellt hatte, gab es wieder Tote und Verletzte in den Nachrichten – und wieder war es ein junger Mann, der unter anderen Umständen genauso gut in einem meiner Schreibworkshops hätte sitzen können.

Dachte ich. Denke ich eigentlich immer, wenn ich das Wort “Amok” lese. Oder “Anschlag”. Ich denke, zweidrei autobiographische Weichenstellungen von der Wiese entfernt, auf der wir schreiben, ein paar Hundert Klicks weiter vom Seminarraum, in dem wir arbeiten, trifft bereits irgendein neuer junger Mann die Entscheidung, zum Alptraum zu werden.

Ich hab’ dann meinen LZI-Brief noch einmal gelesen und ihn von der Hauptseite genommen: Er war zu selbstverständlich selbstbezüglich, fast ein bisschen heiter: als ob draussen nichts passiert wäre. Dabei fühle ich mich seit Wochen, als hielte ich andauernd die Luft an. Als ob ich dadurch Schlimmes verhindern, als ob mein Atemstillstand auch die Zeit mit anhalten könnte.
Es wird Zeit für mich, wieder Luft in die Lungen zu nehmen. Ich brauche Zeit zum Gewahrwerden.

Liebes zukünftiges Ich,

hiermit möchte ich ein neues Ritual etablieren: Ab sofort werde ich Dir immer zum Geburtstag einen Brief schreiben. Der ist zwar noch ein paar Tage hin… aber wie ich mich kenne, fange ich besser schon mal an, damit er am 5. August fertig ist.
Ich erinnere mich sogar dunkel, diese Briefsache bereits vor Jahren einmal beschlossen und sogar einmalig durchgeführt zu haben, aber Kontinuität —
Nun ja.
– Womit wir bereits im Thema wären. Denn meine jährlichen Briefe sollen Dir ein Bild davon schenken, wie ich mich selbst sehe. Zum Beispiel, was diesen Aspekt der Diskontinuität anbelangt. Aber vielleicht könnte das meine erste schriftliche Amtshandlung werden…? Anstatt zu klagen, dass mir Kontinuität fehlt, rühme ich ab sofort mein Talent für das Intervall.
Vive l’intervall!

Anhand meiner Reihe von Briefen – so der Plan – werden wir (Du und ich und all unsere zukünftigen Ich’s) im Alter von siebzig oder achtzig Jahren (falls wir’s bis dorthin schaffen), einen soliden Eindruck gewinnen können, wann, wie, wo und warum wir so wurden, wie wir zu diesem Zeitpunkt sind.

Klingt ja eher schlicht.
Puh.
Aber nur simple Konstruktionen haben bei mir die Chance, sich in stete Strukturen zu verwandeln: Je komplexer mein jeweiliger Plan, desto größer das Risiko, dass ich ihn beim nächsten Hindernis durch eine situativ emotionale Handlung ersetze. Meine mühsam etablierten Strukturen!
Und obwohl Improvisation definitiv wacher und interessanter klingt als Routine, wirst Du wissen, dass letztere für uns die bessere Lebensgefährtin ist. Und die Improvisation eher etwas für eine Affaire.

Wir brauchen Kontinuität, meine Liebe. Unser Leben steht auf prekären Füßen. Das, womit ich mein Geld verdiene, (und Du vermutlich auch, falls dir im Laufe des kommenden Jahres niemand eine Stelle im Bundeskanzlerinnenamt aufnötigt) macht keine reiche Frau aus mir. Noch nicht einmal eine gut situierte.
(Aber eine, die zunehmend mehr Selbstvertrauen hat, uff)
Jedenfalls brauchen wir Strukturen, um unseren modus operandi einhalten zu können: Regelmäßigkeiten, die auch in Stolperphasen verlässlich sind – gerade, weil unsere wirtschaftliche Stabilität gelegentlich wegflutscht. (Ein angemessener Preis, wie Du sicher bestätigen wirst, für unseren großen Spielraum)

Also geh’ um Himmels willen weiter joggen, meine Liebe!
Damit hältst Du dir die endogene Depression vom Leib.

Und werd’ bloß nicht fett. Ich reiße mich wirklich am Riemen, dir das zu ersparen – ein verdammter Kampf bei so viel Lebenshunger. Du weißt, wie wir reinhauen können.
Es geht nicht ums Prinzip, sondern darum, dass Du dir die Gelenke abschmirgelst, wenn Du mit zu viel Gewicht auf den Knochen deine Runden ziehst. Das wird nicht einfacher, je älter wir werden.

Gutes Stichwort, das Alter, aber darauf komme ich später noch einmal zurück: Ich will noch einen Moment bei den Strukturen bleiben.
Schau, ich bin seit Jahren damit zugange, mir ideale Arbeitsbedingungen zu schaffen… ein klares, wohlwollendes Metronom in meinem Kopf zu etablieren. (Unserem Kopf!)
Es geht mir darum, bewusster damit umzugehen, wie ich Zeit wahrnehme. Wie kann ich Einfluss auf mein Zeitempfinden nehmen?

– Oh weh, nun liege ich schon weit hinter meinem Tagesplan und bin nicht annähernd fertig. Dabei wollte ich etwas zu Krisenmanagement schreiben. Ein Wort, das ich übrigens auch dringend ersetzen muss – immer, wenn ich versuche, es auszusprechen, bekomme ich Zuckungen.
Hab’ einfach zu viele Nachrichten gelesen heute Morgen. Es frisst viel Zeit weg, sich Sorgen zu machen. Sie werden es in Zukunft noch schwerer haben, meine Jungs mit Migrationshin…. schon wieder so ein Wort, das mir Zuckungen macht. Ihnen natürlich erst recht.

Ich breche ab, meine Liebe. Bis sehr bald –

Galan, wortkarg

Heute Morgen fand ich diese anonyme Rose an meiner Windschutzscheibe, ohne Zettelchen.
Die üblichen Verdächtigen behaupten, sie seien’s nicht gewesen.
Ich hab’ die Rose dort gelassen: Vielleicht krieg’ ich morgen noch ein Zettelchen dazu –

irgendwie hübsch.

Farah Days Tagebuch, 43

Samstag, 16. Juli 2016

Hey Jude

Überall Namen.
Einige, die man liebt, ein paar, die man hasst, dazu die Riesenzahl derer, die man minütlich via News(flash) eingebleut bekommt, weil sie ein großes Rädchen gedreht,
geputscht,
gemordet oder gesiegt haben und wir das dringlich zur Kenntnis nehmen sollen müssen. Nur selten merk’ ich mir freiwillig welche der dritten Kategorie, doch die endlosen loops lassen einem ja kaum eine Wahl.
Schade nur, dass vor lauter Alarmnamen täglich so viele andere vorbeidriften, die genannt werden sollten.

Hey Jude,
don’t make it bad

Vielleicht fange ich an, alle Judes zu rufen, deren Namen zu selten gehört werden. Sie sind leicht zu erkennen; man muss ihnen nur bei Sonne ins Gesicht gucken. Dann sieht man in ihren Mundwinkeln die Spitzen der Häkchen, an denen das Lächeln aufgehängt ist.

Sitzen zwei Fischer am Ufer des Mainstream und betrachten die Wasseroberfläche. Sagt der eine zum anderen:
„Bereit?“
„Auf drei“, sagt der zweite. „Aber gut zielen diesmal, sonst wird’s wieder schief.“
Sie werfen gleichzeitig die Angeln aus, bis Zug auf den Leinen ist: Ein Namenloser hat angebissen. Als die beiden ihn rauskurbeln, grinst er bereits.
„Saubere Arbeit!“
Die beiden klatschen sich ab. Sie schneiden dem Jude rechts und links die Schnüre direkt an den Mundwinkeln ab, fixieren das andere Ende der Haken innen in seinen Wangen und stellen ihn zum Trocknen hin. Dann schicken sie ihn weiter zur Herde der anderen, die sie mit der Zeit rausgefischt haben.

Take a sad song
and make it better