Tagediebins Sommerlektüre

“Vas-y, Vas-y!” sagen die Franzosen, “mach’ schon, auf jetzt!”. Ah, aber der Sommer macht mich träg’; nur herumliegen und lesen, mich blindlings nähren wie eine Raupe und in den Armen von Freunden hängen will ich, fern der Rennstrecke. Ab Mitte August schon gehen die Seminare wieder los, bis dahin lass’ ich mich nicht drängeln. Der Sommer geht ins Land.
(“Ins Land”? Wo war er denn vorher?)
Kathrin Passig und Sascha Lobo haben ein Handbuch über’s Prokrastinieren geschrieben, es trägt den reichlich marketing-affinen Titel: “Dinge geregelt kriegen, ohne einen Funken Selbstdisziplin”. Ich las die ersten dreißig Seiten und beschloss, den Rest der Lektüre zu verschieben. Liegt jetzt da, wo alle Bücher liegen, in die man nur in drei-Minuten-Sequenzen reinliest – Sie wissen schon, wo. In der Nasszelle.
Es gibt andere, auf die ich mich freue: Da wäre zum einen ein Roman von William T. Vollmann namens “The royal family”, den mir – und uns – DR. No empfohlen hat in der Rubrik “Erste Sätze – Romananfänge”. Nee, nee, denken Sie nicht, der handelt von der britischen Königsfamilie. Ich bin erst auf Seite 49, aber das Ding hat 747 und ich blicke, ehrlich gesagt, noch überhaupt nicht durch, worum es eigentlich geht. Mehrere Huren sind bislang aufgetaucht, ein ungleiches Brüderpaar und eine seltsame Garage, die ein Knotenpunkt zu werden scheint, aber vielleicht auch nicht. Ich nehm’s mit nach Paris – da hab’ ich wenigstens keine Sorge, dass mir auf halber Strecke die Lektüre ausgeht.
Um da auch ganz auf der sicheren Seite zu sein, kommen noch folgende andere mit:
“Das Geräusch einer Schnecke beim Essen” von Elisabeth Tova Bailey, das mir meine französische Freundin ans Herz gelegt hat, ein – wie Sie sicherlich bereits vermuten – Roman, der sich dem Thema der Entschleunigung am Beispiel des dafür passenden Tieres widmet,
dann den autobiographischen Roman: “Nacktbadestrand” von Elfriede Vavrik, Empfehlung einer anderen Freundin, der die Geschichte einer fast achzigjährigen Frau erzählt, die den Sex neu endeckt und daraufhin eine ganze Reihe fremder Männer vernascht, und ziemlich drastisch dazu, wenn meinen ersten seitenüberfliegenden Blicken zu trauen ist,
weiter kommt der Roman “Tschick” ins Gepäck, Wolfgang Herrndorf, den Diadorim seit gefühlten fünf Jahren so leidenschaftlich anpreist, dass ich endlich herausfinden will, warum,
und, last but not least, wird auch Alban Nikolai Herbst mit “Das bleibende Thier” nicht fehlen. Das ich zwar bereits gelesen habe, aber nicht in Ruhe. Nicht in Paris, am steinernen Uferrand der Seine, mit einer Flasche Cremant zur Gesellschaft.
Ach ja, Don de Lillo, “Cosmopolis” kommt auch noch mit. Und Franziska zu Rewentlow mit ihren “Amouresken” – auf die mich (wen wundert’s) Melusine B drüben an den Gleisen aufmerksam gemacht hat.
Falls Sie Lust haben, mir und uns noch weitere Lektüre zu entschleunigten Zeiten zu empfehlen, nur her damit!

Ich sollte die Bücher alle verlinken. Mach’ ich später – muss erst einmal ein paar Hanteln stemmen geh’n.

Schulungstag

Geschätzte Besucher:innen dieses Weblogs, der Schlüssel zum Atelier liegt unter der Matte. Falls Sie nicht wissen, wo die Matte liegt, fragen Sie einfach einen der Stammgäste. Ich selbst hab’ heute ganztägig Konferenz. Bitte PINSEL AUSWASCHEN, bevor Sie gehen!
Bier ist im Kühlschrank, Kaffee ist alle.

Herzlich winkend, Ihre
Miss TT

Ich bin da.

Ich pass’ auf Dein Zimmer auf. Und auf sie.
Du hast gespürt, dass ich Deine bin. Und nie was verlangt. Leider. Ich könnte, zum Beispiel, die drei Pullover stopfen, an denen die Motten waren. Ich meine, massiv: mehr Loch als Pulli. Sagt sie. Sie will sie nicht mehr im Haus haben. Wegen der Larven.
Doch ich hab’ Dinge: die von Hand beschrifteten. Ein Kaviargefäß, beklebt mit einem Kreppstreifen.

„Glaubersalz“

In der coolen Handschrift, die Du hattest.
Ich hab’ exakt die gleichen Hände wie Du.
Manchmal denke ich, ob ich mich wohl endlich erinnere, wenn ich alt bin: daran, wie jung Du mal warst. Nicht wie jetzt. Hier stehen Fotos, auf denen Dein Übermut schon nach innen geklappt ist, ein gefaltetes Tempelchen. Mit Blattgold. In Deinem Blick, meine ich! Es ist alles in den Augen, das Kämpfen, das Abfinden. Kapitulation: das ist, wenn die Spitze gekappt wird.
Ich möchte Deinen Körper. Schlafe in Deinem Bett. Ich stehe in Deinem Zimmer und überlege, was ich noch mitnehmen könnte, ein Messer, eine Uhr, doch es ist der Duft in den Schreibtischschubladen, den ich will. Den kann ich nicht mitnehmen. Vielleicht ist er auch im Stuhl.
Vielleicht kann ich den Stuhl mitnehmen.
Den Klang Deiner Schritte vom Zimmer bis zum Bad.

Er trägt Deinen Bademantel, übrigens.
Du bist nicht weg, bist in meinen Händen, allen vieren. Diese kräftigen Hände mit prallen Adern. Vor einiger Zeit sagte jemand: „Sie sehen alt aus und gleichzeitig jung. Du hast existenzielle Hände. Ich möchte sie malen.“
Und ich dachte, dass sie doppelte Masse haben.

Ich will Deinen ganzen, Deinen Bisonkörper. Ich will meinen mächtigen Kopf ins Wasser kippen und hochkommen, ihn nach hinten werfen, das Prasseln der Wassertropfen auf meinem breiten Rücken spüren, als wärst Du es. Mein Doppel-Tier. Mein Zwilling.
Wie wonniglich ich Dich immer überschätzt habe. Liebe reicht, wusste ich. Selbst, als sie anfing zu trösten, mich offen auszulegen, als sei ich Nahrung. Kein anderer Mensch hat das wieder geschafft.
Wollte auch niemand.

Ich lache Dein Lachen, das, dem Du hinterherweintest, als es sich entfernt hatte. Ich bin so lüstern, wie Du es warst. Du Nimmersatt. Die Menschen wollen uns, hm?
Es braucht keinerlei Anstrengung, meinen Kopf in Deinen Brustkorb zu schieben, hinter die Rippen, und dort einzuschlafen.
Dann, wenn ich aufwache, kann ich immer weit hinaus sehen.