TTag, 25. Juni 2010. Was alle bezwecken.

Die Kommentatorin unter dem neuen Bild hat ihre Frage, glaub’ ich, sehr bewusst so indirekt gestellt: hier geht es nicht darum, persönliche Pfeile abzuschießen. (Na, vielleicht ein bisschen. Sagen wir, ein leicht verärgerter Tritt hat schon stattgefunden ; ) Sei ihr jedenfalls unbenommen.
Ich geh’ mal davon aus, sie meint die Leute, die Weblogs führen. Und von denen dann vielleicht jene, die zur Selbstdarstellung neigen. Und aus dieser Auswahl wiederum die, die, na, ich nenn’s mal exhibitionistische Tendenzen haben. Das soll als Eingrenzung genügen.
Ich hab’ ja zu dieser Serie “Einmal geübt, schon gekonnt” schon einiges geschrieben; es sind dazu auch durchaus unterschiedliche Arbeiten entstanden bisher. “Bezwecken” ist eigentlich das falsche Wort, es unterstellt den Bildern eine Funktion (der Schluß liegt nicht fern, es solle eine animierende sein), die sie so nicht haben. Jedenfalls nicht alle, und nicht ungebrochen. Meistens, auch dieses Mal, habe ich zuerst den Titel und überlege mir dann das Motiv dazu. Und wenn’s bei Ihnen so ankommt, wie es von mir gemeint ist, ist dieses Motiv eines, das augenzwinkernd mit erotischen Klischees spielt. “Das macht ihren Reiz (der Serie), dass sie die Erotik daran nicht ernst nimmt und nicht für ein Pflichtfach ausgibt, dann lernt man ja gern” schrieb sowieso kürzlich mal zu der Serie. Da dachte ich, gut, dass das rüberkommt.
Warum man so etwas überhaupt tun sollte? Na, weil’s mir ein geradezu diebisches Vergügen bereitet ; )
Ich will nicht leugnen, da ist noch etwas anderes. Hat was damit zu tun, mit dem eigenen Körper zu spielen. Ich hab’ früher mal geschrieben, ich verwendete ihn als Material, weil er eben immer zur Verfügung stünde. Das war Blödsinn, sorry. Ginge es mir nur um die Bildaussagen, könnte ich mir ja Models besorgen, dann fiele auch dieses Hantieren mit Stativ und Selbstauslöser weg. Nur, dann wäre ich nicht mehr allein, und es wäre auch nicht mein Körper, den ich mir zurechtrücke. Und das Ganze bekäme so einen semiprofessionellen Touch, was die Idee der Serie kaputt machen würde. Und die ist eigentlich, zumindest auf der Ebene, die ich benennen will, ganz einfach: ich amüsiere mich beim Machen, und Sie sich beim Anschauen. Naja, die meisten von Ihnen jedenfalls.

So.
Yoga.
Noch so’n Aneignungsding.

Morgen ist Vollmond, übrigens.

14:52
Hilft alles nichts, muss mich der Lohnarbeit zuwenden. Dabei wollte ich so gerne streunen heute, nach draußen! Mein neues Kleid spazierentragen. Na ja, später dann. Mich umsehen, wo L. ihr nächstes Abenteuer erleben wird. (Falls sie mal wieder in die Pötte kommt, die Gute, im Moment hab’ ich definitiv mehr Energie als sie)
Die Reaktionen auf das neue Bild tun übrigens gut. Denken Sie bloß nicht, ich wäre so gewieft und stellte meinen Hintern ohne Herzklopfen ins Netz. Ich bin kein bißchen cool. Ich übe. Aber nur einmal.

20:30
Anpfiff, alle
gucken Kastn
nur nicht phyllis
die verpasstn.

23:23
Noch dreißig Prozent Saft im Laptop, und die nächste Steckdose ist ewig weit von meinem Schreibplatz entfernt. Muss mich beeilen mit L.’s neuem Brief. Es soll ja Leute geben, die gerne mitten im Text den Schreibplatz wechseln. Zu denen gehöre ich nicht.
29%.
Auf jetzt, L., hau’ in die Tasten.

TTag, 24. Juni 2010. Freibeutersegel setzen.

„Wie geht es Ihnen?“ Warum eigentlich dieses „es“? Da stecken zwei drin, oder? „How are you“ ist da schon viel direkter, wie bist du, oder das französische „comment vas-tu“, wie gehst du. Wir Deutschen haben da dieses „es“ reingesteckt in unsere Formulierung, als gäbe es ein „es“, welches das „ich“ gehen lässt. (Oder ist das Unfug?)
Ich komme darauf, weil gestern in der Kommentarfolge viel vom Wachsen und Werden die Rede war, das dann, nachts, zu Sein wurde. Und, obwohl das immer mein Ausgangspunkt ist, es ging keineswegs nur um künstlerische Arbeit, sondern darum, wie wir gehen. Und nicht, wie „es“ uns geht. (Ich möchte übrigens gerne glauben, dass es am Fußball lag, dass an dieser Gedankenkette fast nur Frauen knüpften ; )
Ich glaube, es gibt diese Sehnsucht danach, mit sich selbst deckungsgleich zu sein. Die Konstruktionen aufzuheben, und sei es nur für einen Moment des selbst (und eben nicht: nach-) Denkens und Spürens. Das „ich war, ich bin, ich werde“ aufheben, ebenso wie das „ich kann, ich soll, ich darf“ und die ganzen anderen Dreierdinger. Dieses Hintereinanderschalten von Zuständen prägt uns schon sprachlich so stark, dass wir oft vergessen, dass es eine Konstruktion ist, ein Ordnungsprinzip. Was wäre, wenn alles gleichzeitig wäre? Und man das, zumindest zeitweilig, aushalten könnte? Das meine ich mit „deckungsgleich“.
(Man kann natürlich dieses ganze berühmte „Ich“ auch außer Acht lassen – der Großteil an täglichem Handeln erklärt sich durch automatisierte Prozesse und das, was die biochemischen Vorgänge da oben so anscheinend zufällig hergeben – doch wohin führt das?)

Kinderlärm von draußen, ich hab’ eine Schule in der Nähe, erzählte ich es schon? Heute Nacht träumte ich, ich schliefe in L.’s Bett. Die roten Vorhänge bauschten sich nach innen wie Segel. Doch da ihr Zimmer an allen Wänden Fenster hat, die Segel den Wind von allen Seiten einfangen, kommt ihr Schiff nicht vom Fleck: es i s t einfach.

Ich hab’ Lust, ein Foto für die „einmal geübt“ Serie zu machen heute. Der nächste Brief steht auch an. Alles andere wird sich finden (lassen).
Schön, dass Sie da sind, Leser:innen! Auch wenn heute kein Wort von Ihnen käme, wären Sie es.

14:01
Die Sache mit dem “Beitrag x-mal gelesen”: ich kapier das nicht. Wenn man als Leser auf einem Blog ist und runterscrollt, ein paar Texte liest, aber doch nur auf der obersten Ebene bleibt, woher weiß die Software dann, welchen Beitrag man gelesen hat und welchen nicht? Wie wird das gezählt? (Oder steh’ ich mal wieder auf dem Schlauch?)

DER NACHBAR SPIELT ÜBT JETZT E-GITARRE! Bleibt mir denn hier gar nichts erspart???

17:57
Klinke mich eben mal aus. Da gibt es etwas zu erledigen, das ein bestimmtes Licht braucht.

20:39
Mist. Mit meinem Ministativ hab’ ich nicht so ein gutes Gefühl für den Bildausschnitt. Muss erstmal durchsehen, ob eines der Fotos für “einmal geübt, schon gekommt” (ui, Freudscher Verschreiber) geeignet ist.

TTag, 23. Juni 2010. Balance und Zuspitzung.

Immer diese auseinanderstrebenden Energien! Obwohl ich unentwegt versuche, mich ersterer zu nähern, glaub’ ich, es ist die Zuspitzung, mit der sich’s künstlerisch produktiver arbeiten lässt. In irgendeiner spezifischen Weise muss man sich aus dem Fenster lehnen: sie verlieren, die Balance. Auch in Kauf nehmen, die gesellschaftliche, meinetwegen auch moralische Komfortzone zu verlassen. Je mehr man dort riskiert, desto wichtiger scheint mir allerdings, dass an anderer Stelle Stetigkeit ist. Dass Mitverschworene da sind, die belastbar sind, Risiken mit tragen, den Kern mitsichern. Die nicht abhauen, wenn man patzt. Oder schlimmeres. Mit zwei, dreien solcher Vertrauten sollte es möglich sein, auf künstlerischer Ebene die Überforderung nicht zu scheuen – denn die, zumindest für mich, ist die Schwester der Zuspitzung. Es gibt ja Künstler:innen, die blühen geradezu auf, wenn sie sich in diesen Regionen bewegen. Wie Jagdhunde, deren Spürnase es völlig wurscht ist, wo das zur Jagd freigegebene Revier endet: das Pfeifen gesellschaftlicher Konvention überhören sie mühelos.
Ich nie. Bin nicht gerne allein dort draußen.
Das ist aber genau der Punkt: ein gewisses Maß an Alleinsein muss man schon aushalten können. Ich habe diesen Reflex, mich selbst auszubremsen, bevor ein anderer es tun könnte. Oder meine künstlerische Arbeit gering zu schätzen, damit sie mich nicht dazu zwingen kann, auch gegen Widerstände für sie zu kämpfen. Dieser Reflex sitzt mir aus verschiedenen Gründen so tief im Fleisch, dass ich ihn oft sogar als Freund ansehe. Was er nicht ist.
Deswegen ist diese Sache, dem eigenen Talent gerecht werden zu m ü s s e n, so wichtig: solange das optional ist, geht man nicht an seine Grenzen, geschweige denn darüber hinaus.
Ich hab’ übrigens schon wieder den Impuls, diesen Text gering zu schätzen. („viel zu geschraubt, nicht geistreich genug“, flüstert jemand) Aber egal. Ich bin sicher, sie kennen solche Überlegungen, geschätzte Leser:innen, und sehen mir nach, dass man manchmal schrauben muss, oder?

Nu werd’ ich erstmal diesen Körper hier in Gang bringen. Später wird sich sicher L. melden: mit diesem speziellen Geräusch, das nur jemand erzeugen kann, der von innen klopft : )

15:52
So, L.’s Brief ist gekommen, zumindest der erste Teil. Nun schläft sie ein Stündchen, das ist gut, da kann ich ein bißchen raus…

21:18
Der Ball ist ein Dichter!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
*winkt allen, die gerade kein Fußball kucken*

Neunter Brief. Seidene Finger.

K****, 23. Juni 2010.

Dr. Sago,

tagelang nicht ein Wort von Ihnen, und jetzt nur diese eine Frage? Wissen Sie eigentlich, was ich durchmache, w i s s e n Sie es? Ich bin von Sinnen, Tage und Nächte ziehen rasend vorbei, in rötliches Licht getaucht. Nachdem ich aus jenem Institut zurückkehrte, glaube ich, geschrieben zu haben, bevor ich auf mein Lager sank. (Habe ich? Ist mein Brief angekommen? Aber ja doch, er muss Sie erreicht haben, sonst machte Ihre Frage keinen Sinn.)
Ich glaube, ich war noch in der Lage, im Nebenzimmer einen Zettel zu hinterlassen. Später jedenfalls, als ich erwachte, waren sämtliche Fensteröffnungen mit langen Bahnen aus burgunderfarbener Seide verhängt. Hätte man nicht eine andere Farbe – ? Doch nein, blutrot, wie um meinen Jammer zu beflaggen. Die Stoffe sind so großzügig bemessen, dass sie von jedem Fenster fallend sich am Boden noch in Wellen ausbreiten. Auf jene hat man jeweils einen großen, behauenen Stein gesetzt, um zu verhindern, dass die Bahnen bei dem steten Wind (langsam beginne ich, ihn zu fürchten!) in mein Zimmer hineinflattern. Ich kann nicht umhin mir vorzustellen, wie diese Bahnen unbeschwert als lange, seidene Finger bis an mein Bett heranwehen würden…
Oh, ich höre Sie lachen, Doktor. Wie unpassend.
Sie machen sich keine Vorstellung.
Wenn doch, wüssten Sie! Wie es mir, unmarkiert zu sein nach all den Jahren, den Boden unter den Füßen raubt. Ich wage nicht, mir auch nur andeutungsweise vorzustellen, was er tun wird, wenn er es erfährt; kaum streift mich ein solcher Gedanke, fängt mein Herz an zu rasen, als wollte es mir durch die Kehle zum Mund heraus springen.

Sie fragen, wie es aussah, mein Zeichen.
Die Krankenschwester (dieses Ross) gab es mir in einer kleinen, farbigen (ist denn hier alles farbig?) Plastiktüte mit, bevor ich das Institut verließ: „Better you bury it“ sagte sie. Ich konnte ihren Blick nicht deuten, benommen wie ich war; inzwischen glaube ich, es lag etwas Verachtung darin. Doch was schert mich das? Was ich tat, tat ich aus eigenen Stücken. Er hätte darauf bestehen können, doch das war nicht nötig.
Moment…
Ich höre, im Nebenzimmer wird mein Mittagsmahl angerichtet. Sie werden sich gedulden müssen, bis ich gespeist und geruht habe. Wenn Sie mir die Bemerkung gestatten: es tut mir nicht leid! Sie sind ein Untier, Doktor. Ihr Übergriff!!

L.

TTag, 22. Juni 2010. In Schnörkeln fliegen.

Wir fliegen in Formation heute, meine Fragen und ich, doch eine muss die Spitze bilden: darüber herrscht noch Uneinigkeit.
Guten Morgen! Und bis später.

22:02
Eben habe ich meinen Aufenthalt hier um eine Woche verlängert. Warum auch nicht? Die freie Arbeit geht mir hier besser von der Hand, doch ich brauche mehr Zeit. Zuhause hab’ ich bei allem, was ich ohne Auftrag schreibe, immer das Gefühl von Luxus: als müsse ich meine ungebundenen Ressourcen eigentlich darauf ausrichten, neue Auftraggeber zu gewinnen. Von dem Trip kommt man als Selbstständige einfach nie runter.
Außerdem bin ich nicht besonders schnell, das muss mal gesagt werden; ich kann nicht einfach so umswitchen. Hier ist das alles kein Problem, vormittags erledige ich Stiftungsarbeit, dann geh’ ich raus, lasse Hirn und Wahrnehmung einfach laufen und fange mir dann das, später, was künstlerisch umzusetzen mir lohnend erscheint. Klingt doch ganz einfach, oder? Find’ ich auch. Warum hab’ ich daheim dann nur immer dieses schlechte Gewissen?

(Heyy! Nebenan lieben sich zwei gerade bei offenem Fenster. Endlich mal Pause vom Beten, scheints : )

TTag, 21. Juni 2010. Wer kein Hirn hat, soll’s bleiben lassen.

Ich könnte die Wände hochgehen!!!!!!!!!!!!!
Seit Stunden sitze ich hier und schreibe an einem Text, für mich, für Sie, war so richtig flüssig ins Erzählen gekommen, fand auch (was selten der Fall ist) Form und Inhalt seien eine innige Verbindung eingegangen, ich war zufrieden bis zu den Zehen, wollte nur noch einen Link setzen, ging dazu auf eine andere Website und – verlor meinen ganzen Text. Jaja, ich weiß schon, was Sie sagen, man kann zurück gehen und manchmal ist er da noch, doch in diesem Fall hatte ich so ungeschickt herumgeklickt, er ist und bleibt verschwunden.
Nie direkt im Blogfenster schreiben, als wüsste ich das nicht, im word muss man texten und sichern und kopieren, ich bin doch kein Idiot – doch, ich bin einer.
Grrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr!!!!! Verdammte Schweinekacke. Mein Herz rast. Im Ernst. Einen Plaudertext zu verlieren ist nicht so schlimm, aber jenen, der bis vor fünf Minuten entstanden war, das ist hart. Der war getastet, der war richtig gut, sowas gelingt nicht alle Tage.
Muss erstmal raus jetzt, mich abreagieren.

Und dann: von neuem.
Ich grüße Sie, liebe Leser:innen, sehr herzlich in den Tag! Mit meinen abgebissenen Fingerspitzen.

20:00
L. und ich bekamen heute nachmittag Besuch:

Danach war alles wieder gut.

TTag, 20. Juni 2010.

Guten Morgen! Ich glaube, in L.’s neuem Brief sind mir ein bißchen die Pferde durchgegangen. Aber so ist das eben, wenn man schreiben lässt. Lange hab’ ich das nicht mehr gemacht, anfangs nur das grobe Setting im Kopf zu entwerfen und die Handlung einfach kommen zu lassen. Heute stellte ich mir ausnahmsweise den Wecker auf sehr früh, nachdem ich die letzten Tage mit diesem neuen Brief nicht voran gekommen war. Saß mit schwerem Kopf im Bett, las, was bereits da war. Las noch einmal. Löschte dann alles.
Das einzige, mit dem ich heute morgen neu anfing, war Melusines Hinweis auf ein geheimnisvolles Institut, den Sie mir vor einigen Tagen in einem Kommentar zu einem der früheren Briefe gab: der spukte mir seitdem im Kopf herum.
Was könnte das für ein Institut sein? Und wie brächte ich L. dort hinein?
Aber lesen Sie selbst.
Ich steig erstmal unter die Dusche.
Gut, dass ich im Gegensatz zu L. keine Verbände habe, die mir das verwehren würden : )

20:28
Die Tage hier sind kriminell lang, es wird und wird nicht dunkel und wenn, ist plötzlich alles schwarz: ich beginne, mich nach Dämmerungen zu sehnen. Nebenan übt jemand immer die gleiche Passage auf einem verstimmten Klavier.
Manchmal werde ich der Unablässigkeit der Eindrücke hier überdrüssig; ich möchte mein Gesicht in die ferne Armbeuge meines Liebsten legen und für heute nichts mehr wundervoll finden. Als die Dunkelheit dort.