Für alle,

die es dieses Jahr mit der Verhältnismässigkeit trotz guter Vorsätze nicht so hingekriegt haben:
Nicht grämen.
Ihr seid nicht allein.

Willkommen bei Tainted Talents: Riese Bao & Zwerg He

Auch Dogge Gibson & Chihuahua Boo Boo will ich euch nicht
vorenthalten:

Gassi geht He mit Dogge Gibson, Bao mit Chihuahua Boo Boo.
Oder doch lieber Bao mit Gibson und He mit Boo Boo?
Bin ganz verwirrt.
Wird Zeit für ein neues Jahr.
Ich erhebe mein Glas.
Auf alle Riesen und Zwerge dieser Welt!
Und auf euch, ihr Leser! Lasst uns öfter mal die Maßstäbe wechseln!
Und bleibt mir erhalten!

Lasst euch von Sylvester nicht verdrießen. Wird schon werden.

Phyllis

Das also war

Weihnachten. Das erste ohne meinen Vater. Am achten Mai dieses Jahres fiel er vom Rad, schlug auf und starb. Ich habe mir seitdem immer wieder vorgestellt, ob er wohl im Fallen schon gewusst hat, dass er ihm gerade widerfuhr: Der Tod. Könnte sein. Vielleicht dachte er, da kommt es nun, das Sterben. Vielleicht hieß er es sogar willkommen, da es nun mal sein musste. Dingen, von denen er glaubte, dass sie sein mussten, fügte er sich.
Ich kann das sehen, als Tochter: Sein Neigen in die Dinge, die eben sein müssen; er hat das gelernt.
Er erzählte mir mal die Geschichte, wie er als Halbwüchsiger in einem Streit mit seinem Vater zur Pistole griff und einen Schuss abfeuerte. Er zielte nicht auf seinen Vater: Seine Kugel traf einen Elefanten aus Elfenbein, der auf dem Regal hinter dem Kopf seines Vaters stand, zersplitterte dessen rechtes Ohr und blieb in der Wand stecken.
Später, nach dem Tod meines Großvaters, nahm mein Vater den weißen Elefanten zu sich und stellte ihn auf sein eigenes Regal.
Gestern nahm ich ihn in die Hand. Das Elfenbein ist dunkel geworden. Der Elefant ist kaum acht Zentimeter groß, eine von diesen Figuren, die man früher sammelte, als Elfenbein noch nicht geschützt war. So ein Ding mit einem kaputten Ohr. Wäre mein Vater nicht irgendwann mal damit herausgerückt, welche Geschichte es hat, wäre es für alle anderen einfach ein Krimskrams geblieben.

Obwohl er mehrere Sprachen sprach und als Übersetzer arbeitete, war mein Vater nicht gewillt, Erlebnisse aufzuschreiben, geschweige denn, welche zu erfinden: Das einzige, das er je zu Papier brachte, war diese Geschichte mit dem weißen Elefanten. Zwei Seiten. Ich glaube, er war schon in seinen Siebzigern. (Wie immer ist kein Datum beigefügt, er hat nie irgendwas datiert, seine Fotos schon gar nicht, alles in Papiertüten, namenlos, zeitlos, es ist zum Haare raufen, erzählt hat er auch nicht viel, bestimmt haben wir auch nicht genug gefragt, wir tappen im Dunkeln, wer all diese Leute sind auf all diesen Fotos)
Warum hat er gerade diese eine Geschichte festgehalten von den vielen, die womöglich in ihm waren? Vielleicht, weil sie eine der Auflehnung ist. In seinem späteren Leben hat er keinen Schuss mehr abgefeuert: Statt sich zu wehren, nahm er seine Kugeln in den Mund und biss darauf, bis sie flach waren wie Plomben.

Vielleicht fragt ihr euch, warum ich euch das schreibe. Warum sollte man das tun, Familiengeschichten erzählen? Schon gar in einem Onlinejournal, auf das jeder Zugriff hat, der meinen Namen kennt?
Ich sag’s euch: Um der Sentimentalitätspolizei eins auszuwischen. Ihr kennt sie bestimmt. Schon während ich schreibe, schleicht sie mit eingeschaltetem Blaulicht dicht hinter mir, jeden Moment wird sie mich anhalten. Dann steigt der aus, dessen Gesicht immer im Dunkeln bleibt, tritt an mich heran und sagt: „So geht das nicht. Sie können hier nicht einfach so drauflos. Das ist Kitsch, was sie hier machen. Eine Zumutung ist das. Denken sie wirklich, jemand interessiert sich für ihre privaten Geschichten? Sie kommen jetzt über Nacht in Einzelhaft, bis sie sich wieder unter Kontrolle haben. Steigen sie aus. Sofort.“
Oft genug lasse ich mich dann abführen.
Ich glaube, meinem Vater ging das auch so.
Wenn man das oft genug mitgemacht hat, kriegt man vor lauter Angst vor Peinlichkeit gar nichts mehr aufgeschrieben.
Das merkwürdige ist, dieser Polizeiwagen existiert gar nicht. Noch merkwürdiger ist, dass man ihn immer wieder neu erfindet, wenn er zu verblassen droht. Ich jedenfalls tue das: Ich erfinde ihn immer wieder neu.
Tja.
Der einzige Trick, dieses Muster zu überlisten, das jeden schöpferischen Impuls zunichte macht, bevor er überhaupt Form gewinnen kann, heißt Ausblenden. Man kann nicht aus sich heraustreten: Doch man kann, während man schreibt, oder zeichnet, oder einfach nur spricht, die vorwegurteilenden Stimmen mal ins Dunkel absinken lassen. So wie jetzt. (Obwohl ich sie an den Rändern wispern höre)
Nach vorne, nach vorne, sage ich mir. Nicht immer alles x-mal überprüfen. Nicht immer versuchen, die Manifestationen der eigenen Gedanken unangreifbar zu machen; das werden sie eh nie sein. Dieser Anspruch auf Großartigkeit, auf souveräne Form, ich könnte kotzen, wie viele meiner Ideen und Impulse ihm schon zum Opfer gefallen sind.
Mein Vater hat sich oft abführen lassen. Vielleicht gelingt es mir mit der Zeit, das anders zu machen. Würde ihn bestimmt freuen.

an alle

Anonymen, die mich neuerdings mit gehässigen Kommentaren beglücken: Ich lösche euch. Nicht, weil ihr gehässig seid. Ein wenig Pfeffer von außen tut diesem Blog vielleicht ganz gut. (Da kommt wenigstens der träge Winterkreislauf in Wallung 😉
Nein, ich lösche Euch, weil Ihr die Antwortfunktion auf eure Kommentare ausschaltet und mir mögliche Reaktionen auf euren Schmäh missgönnt. Sorry, aber passives Hinnehmen ist meine Sache nicht: Ein bißchen Spaß will ich an eurer Giftspritzerei schon auch haben…

Mit den besten Grüßen,

Phyllis.
Die Verfasserin dieses Blogs.
(Die findet, dass zu einem ordentlichen Angriff auch gehört, sich nicht hinter irgendeinem Pseudonym zu verstecken)

@ molosowski: eigentlich

bin ich immer gerne bereit, Auskunft zu geben. Schon gar hochgeschätzten Netzkollegen wie ihm.
Doch die Frage zu meinen Gewohnheiten, Musik betreffend, die mir molosowski auf seinem eigenen Blog Molosowskis Chronik gestern angetragen hat: Sie zwingt mich, zuzugeben, dass ich keine höre. Musik, meine ich.
Die vergangenen Jahre in Kiehl’s Welt waren nur vom leisen Brummen ihrer eigenen Synapsen begleitet. Musik manipüliert (ich lass das so) meine Verfassungen allzusehr. Irgendwann, wenn ich alt und grau bin, werde ich wahrscheinlich wieder zu der klassischen Musik zurückkehren, mit der ich aufgewachsen bin. Bis dahin…

Manchmal indes lasse ich mir vorlesen: Mein letztes Hörbuch war ROR WOLF, “Zwei oder drei Jahre später. Die neunundvierzigste Ausschweifung.”
Sehr zu empfehlen.

Süchtig:

Je länger ich mich mit den „Dschungeln“ Die Dschungel.Anderswelt des Dichters Alban Nikolai Herbst beschäftige, desto versessener bin ich darauf, bereits morgens zu schauen, was sich auf den verschiedenen Ebenen dieses virtuellen Organismus abgespielt hat, während ich noch schlief. Der Mann beginnt seinen Arbeitstag morgens um fünf.
Ich kenne ihn nicht persönlich. (Entgegen anderen virtuellen Entdeckungen, die in mir den Wunsch wecken, einmal auf den realen Menschen zu treffen, will ich ihn auch nicht kennen lernen. In corpore, sozusagen. Zu spannend finde ich es, ihn nicht zu kennen)

Ich habe bislang keines seiner Bücher gelesen: Später einmal. Mein Einstieg in seine Welt begann mit ein paar Geschichten, die ein befreundeter Schriftsteller über ihn erzählte. Seitdem tauche ich regelmäßig in den Dschungeln ab. Unter. Und durch. Dieser Herbst hat mehrere Alter Egos. Viel wichtiger noch: Seine Dschungel markieren und bespielen ein virtuelles Revier, das vorher unsichtbar war. Un-bezeichnet. Inzwischen wuchert es und gewinnt immer mehr Fläche, Bedeutung; man kann dabei zusehen. Die Dschungel sind ein Gesamtkunstwerk, nein, blödes Wort, eher ein Ort, der ein Buch sein könnte, (endlich!) eines, das nie zu Ende gelesen werden kann, weil es sich der gewohnten Vereinnahmung entzieht, während es eine ganz andere erstmals möglich macht.

Nun hat er eine Rubrik „Werkstatt“ eingerichtet, auf der er Texte von Teilnehmern eines literarischen Seminars in Arbeit nimmt, das er kürzlich in Anschluss an eine Poetik-Vorlesung in Heidelberg begonnen hatte: Dieses Seminar wird inzwischen öffentlich abgehalten. In den Dschungeln. Er zieht alles hinein in die Dschungel!
Seitdem drehe ich völlig durch. Die Texte der (anonym bleibenden) Teilnehmer, deren Kommentare untereinander, doch vor allem Herbsts Korrekturen, Vorschläge und Bemerkungen offenbaren mir, was ernsthafte literarische Kritik bedeuten kann: Aufwand. Professionalität. Hingabe. Genauigkeit. Radikalität. Lust an der Leistung eines anderen. Die Magie, die sich aufbaut, wenn jemand sich wirklich, ich meine wirklich, auf das Werk eines anderen einlässt. Der nicht selten schneidende Ernst im Umgang mit diesen Texten, gefolgt von Empathie. Sich selbst als Instanz wahrzunehmen: Das bedarf ständiger Energiezufuhr, eines ständigen sich selbst weiter treibens. Herbst – das ist Spekulation – scheut sich vor keiner Überforderung. Weder sich selbst, noch anderen gegenüber.
Jede der Dschungel-Zeilen zeigt mir, wie isoliert ich in meinem eigenen Schreiben bin. Mein Hunger danach, selbst in solche Prozesse verwickelt zu werden, überrascht mich: Er ist ziemlich wütend, dieser Hunger.