Süchtig:

Je länger ich mich mit den „Dschungeln“ Die Dschungel.Anderswelt des Dichters Alban Nikolai Herbst beschäftige, desto versessener bin ich darauf, bereits morgens zu schauen, was sich auf den verschiedenen Ebenen dieses virtuellen Organismus abgespielt hat, während ich noch schlief. Der Mann beginnt seinen Arbeitstag morgens um fünf.
Ich kenne ihn nicht persönlich. (Entgegen anderen virtuellen Entdeckungen, die in mir den Wunsch wecken, einmal auf den realen Menschen zu treffen, will ich ihn auch nicht kennen lernen. In corpore, sozusagen. Zu spannend finde ich es, ihn nicht zu kennen)

Ich habe bislang keines seiner Bücher gelesen: Später einmal. Mein Einstieg in seine Welt begann mit ein paar Geschichten, die ein befreundeter Schriftsteller über ihn erzählte. Seitdem tauche ich regelmäßig in den Dschungeln ab. Unter. Und durch. Dieser Herbst hat mehrere Alter Egos. Viel wichtiger noch: Seine Dschungel markieren und bespielen ein virtuelles Revier, das vorher unsichtbar war. Un-bezeichnet. Inzwischen wuchert es und gewinnt immer mehr Fläche, Bedeutung; man kann dabei zusehen. Die Dschungel sind ein Gesamtkunstwerk, nein, blödes Wort, eher ein Ort, der ein Buch sein könnte, (endlich!) eines, das nie zu Ende gelesen werden kann, weil es sich der gewohnten Vereinnahmung entzieht, während es eine ganz andere erstmals möglich macht.

Nun hat er eine Rubrik „Werkstatt“ eingerichtet, auf der er Texte von Teilnehmern eines literarischen Seminars in Arbeit nimmt, das er kürzlich in Anschluss an eine Poetik-Vorlesung in Heidelberg begonnen hatte: Dieses Seminar wird inzwischen öffentlich abgehalten. In den Dschungeln. Er zieht alles hinein in die Dschungel!
Seitdem drehe ich völlig durch. Die Texte der (anonym bleibenden) Teilnehmer, deren Kommentare untereinander, doch vor allem Herbsts Korrekturen, Vorschläge und Bemerkungen offenbaren mir, was ernsthafte literarische Kritik bedeuten kann: Aufwand. Professionalität. Hingabe. Genauigkeit. Radikalität. Lust an der Leistung eines anderen. Die Magie, die sich aufbaut, wenn jemand sich wirklich, ich meine wirklich, auf das Werk eines anderen einlässt. Der nicht selten schneidende Ernst im Umgang mit diesen Texten, gefolgt von Empathie. Sich selbst als Instanz wahrzunehmen: Das bedarf ständiger Energiezufuhr, eines ständigen sich selbst weiter treibens. Herbst – das ist Spekulation – scheut sich vor keiner Überforderung. Weder sich selbst, noch anderen gegenüber.
Jede der Dschungel-Zeilen zeigt mir, wie isoliert ich in meinem eigenen Schreiben bin. Mein Hunger danach, selbst in solche Prozesse verwickelt zu werden, überrascht mich: Er ist ziemlich wütend, dieser Hunger.

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