wandering thoughts

Hals brecherisch leicht fertig: Gnaden los los gelöst: Ver flixt ver fressen: Hoch mütig sinn frei: Rach süchtig talentiert: Sau mäßig anständig: Wort los maulfaul: Viel gerühmt ab seits: Acht los sieben wärts: Hand zahm kinds köpfig: Zäh fließend gemein nützig: Zart besaitet schlaf warm: Neunmal klug acht sam: Lachs farben wider borstig: Schreck haft frei schwebend: Sitt sam manns toll: Schwere los an maßend: Lamm fromm best gehütet: Zwei fach ein sam: Schleim frei miß ständlerisch: Fuchs teufels wild wüchsig: Aal glatt fugen los: Schmelzwasser arm scharf kantig: Haus hoch ein gebettet: An mutig neben sächlich: Satt sam hirn verbrannt.

Irgendwann, sehr früh,

haben sich ein paar schnell wachsende, noch fast durchsichtige Fädchen ineinander gewickelt und ein Bild, vielleicht sogar eine Motivation ist aus der Verbindung entstanden. Ich stelle mir das wie Triebe von Kletterpflanzen vor. Die schlängeln sich von Anfang weg vom Muttergewächs und wachsen blindlings ins Freie los, bis die winzige Spitze auf einen Widerstand trifft, an dem sie sich festmachen kann. So sind auch irgendwann Motive in meinem Gehirn entstanden.
Wahrscheinlich völliger Unsinn, der Vergleich.
Ich träume viel, wache morgens auf, alles weg. Fühle mich isoliert, obwohl ich wunderbare Freunde habe, die mich immer wieder einbinden, locken, befragen. Kaum vorstellbar, was aus mir würde, wenn sie es nicht täten.
Sie ist kein Ausdruck von Einsamkeit, diese Isolation. Auch nicht von Missachtung dessen, was mein Leben so reich macht. (Denn das ist es). Eher die Gewissheit, nicht wirklich in der Welt zu sein, nicht verbunden mit etwas lebendigem, das nicht ich selbst bin. Nicht wirklich zugehörig. Dieses Gefühl habe ich, seitdem ich mich erinnern kann. Die Vorstellung, dass aus dem Gebilde all meiner Unternehmungen, den unterschiedlich geladenen Ereignissen meines Lebens immer wieder dieses alte Gefühl hervorgeht, nervt mich zunehmend.
Vor-Weihnachten, eine schwierige Zeit, wie jedes Jahr. Ich hadere mit meinen Prägungen, der Last meiner Festlegungen. Mit einem Körper, der nicht mein Freund ist. Kopfweh entsteht. Ich hatte früher nie welches; nun liege ich inmitten des ungewohnten Phänomens und beobachte distanziert von einem inneren Beobachtungsposten, wie es sich ausbreitet. Seitdem der Kopf schmerzt, habe ich mein Quartier im Bauch aufgeschlagen. Die Eingeweide besitzen eine eigene Art von Gehirn, wie ich kürzlich gelesen habe, auf seine Weise ebenso potent wie das graue; der Gedanke erschien mir sofort nachvollziehbar. Mag gut sein, dass dieses Eingeweidegehirn mit den schwer verdaulichen Brocken eingefleischter Gefühle weit besser umgehen kann als die Analysemaschine da oben.
Es gibt eine einzige Frage, die mich von Beginn an umtreibt: Wo will ich hin? Ich habe den Widerstand noch nicht gefunden, an dem sich meine Spitze festmachen kann, um weiter zu wachsen, Durchmesser zu gewinnen; ich suche blindlings. Im Gegensatz zur Kletterpflanze, die damit ganz gut zurecht kommt, bin ich mit den Ergebnissen nicht zufrieden. Meine Triebe hängen in der Luft, meine Sensoren für ein Gegenüber, mit dem ich mich verbinden könnte, sind nur unzureichend ausgebildet.

das gehirn

Ah, mein Gehirn. Wenn ich nur ein bisschen mehr Einfluss darauf hätte, was es so treibt. Konzentration ist ein geheimnisvoller Vorgang. Alle tun immer so, als sei es ganz selbstverständlich, sich zu fokussieren. Blödsinn! Das, was ich als Konzentration betrachte, ist ein geheimnisumwittertes Dorf, das immer im Nebel liegt: Ich wandere täglich über weite Flächen der halb-Bedingtheit, bis ich (wenn es ein guter Tag ist), auf die ersten Niederlassungen des Unbedingten treffe. Ich kann da nicht einfach stracks hinmarschieren. Es hat etwas mit sich-öffnen zu tun. T., der mich oft beim schreiben beobachtete, hat mal behauptet, es sei doch alles schon da. Was, fragte ich. Na, das, alles, was zu schreiben du in der Lage bist, sagte er. Alle Geschichten. Alle Ideen. Sie sind alle schon in dir drin. Du musst nur einen Weg finden, sie raus zu lassen. Die Idee hat mir in ihrer Einfachheit gefallen. Denn ich bin nicht frei von der Vorstellung, ich müsse eventuell erst noch viele Jahre lang meine Schätze und Errungenschaften auf einem inneren Haufen zusammentragen, mühsam, bis irgendwann genug WERT angesammelt ist, um daraus gültige Aussagen zu formen.
Gerade kommt die Sonne raus. Und es ist klar, dass man sich WERT nicht verdienen muss, so läuft das nicht. Er ist jederzeit verfügbar. Man muss ihn bezeichnen. Man muss ihn erkennen, benennen und die innere Landschaft damit durchtränken. WERT, verschwenderisch eingesetzt, wirkt wie ein Katalysator. Er macht die Spuren sichtbar, die zu Konzentration führen, dem geheimnisvollen Dorf mitten im Impulschaos des Gehirns. Obwohl ich seit Jahren dorthin marschiere und die Pfade so ausgetrampelt sein müssten, dass ich sie noch im Koma erkenne – ich muss sie jeden verdammten Tag aufs Neue suchen. Wenn mir die Überzeugung fehlt, mich üppig mit WERT auszustatten, bevor ich mich auf den Weg mache, komme ich dort nicht an.
An solchen Tagen geht alles schief. Mein Werk bleibt diffus. Meine Absichten verschwinden im Nebel, mir ist dann, als gäbe es gar kein Dorf. Als gäbe es nur Handlungen, die jeder andere an meiner Stelle ebenso gut hätte verrichten können. Wozu die Mühe, frage ich mich? Das sind die Phasen, in denen ich mich mit Nudeln, Keksen und ein paar hundert Seiten Fiktion ins Bett zurückziehe. Scheiß doch drauf, denke ich in solchen Momenten, es lebe die Unsichtbarkeit, die Welt hat genug andere, sollen die doch die Arbeit machen.
Heute indes ist keiner dieser Tage. Schon als der erste Sonnenstrahl durchs Fenster drang, kroch WERT zu mir unter die Decke. Schnell, schnell, drängte es (es ist ein „es“, aus welchem Grund auch immer), steh auf, es wird Zeit, in die Gänge zu kommen.
Also, wer auch immer da draußen unterwegs ist: Ich komme jetzt auch.

Sonntag, 10. Dezember 2006

Ich lese gerade ein Buch von Pascal Mercier, „Nachtzug nach Lissabon“. Mercier ist Professor für Philosophie in Berlin, Anfang sechzig. Ich frage mich seit mindestens hundert Seiten, wie er aussieht, was für ein Mensch er ist. Warum ein so gediegener Titel? Wer greift sich den? Denn das Buch ist gut. Es geht um einen Lateinlehrer, (der so alt sein mag wie der Autor), der eines Morgens ohne Erklärung mitten im Unterricht seine Klasse verlässt. Er setzt sich in den Nachtzug nach Lissabon: Die autobiographischen Aufzeichnungen eines dort beheimateten Arztes, die er in der Nacht zuvor zu lesen begonnen hat, haben ihn in Bann gezogen. Dieser Portugiese scheint sich Fragen über Freundschaft, Einsamkeit, Liebe und Tod zu stellen, die der Lateinlehrer selbst sich nie zu stellen gewagt hat. Er fühlt den unwiderstehlichen Drang, dem Leben dieses Mannes nachzuspüren, sein eigenes erscheint ihm mit einem Mal ganz unwirklich. Er versucht, Amadeo de Prado, den Verfasser, in Lissabon aufzuspüren. Der Arzt ist tot. Doch einige der Menschen, die in seinen Aufzeichnungen auftauchen, sind noch da. Der Lateinlehrer beginnt, Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Nach und nach entsteht das Bild, das Leben des unbekannten Verfassers, vor seinem inneren Auge.
Und vor dem des Lesers.
Das allein würde mir nicht genügen – interessant ist, wie Mercier das Buch baut. Es ist glasklar konstruiert. Und funktioniert trotzdem als Roman, obwohl die Konstruktion dahinter jederzeit sichtbar bleibt: Ein Mann, dessen Leben festen Regeln unterworfen ist, entdeckt (zufällig) ein Buch, das sein Leben verändern wird. Er lässt zu, dass diese neue Quelle des Denkens von ihm Besitz ergreift. Es ist die Geschichte einer Anverwandlung. Die Themen sind von Anfang an deutlich.
Es gibt die Ursache der Reise, die philosophischen Gedanken des Arztes. (Sie sind Bestandteil von „Nachtzug nach Lissabon“, kursiv gedruckt, damit ja kein Durcheinander entsteht). Der Lateinlehrer liest weiter in den Aufzeichnungen, während er in Lissabon Nachforschungen nach dem Portugiesen anstellt. Bereits am Anfang findet er heraus, der Arzt ist seit dreißig Jahren tot. Doch was ist mit seiner Frau, seinen Geliebten, seinen Freunden und Feinden? Jedes Mal, wenn der Lateinlehrer in den Aufzeichnungen auf einen neuen Namen trifft, versucht er, diese Person in der Gegenwart zu finden. Die Dialoge mit diesen Menschen treiben den Roman voran. Nach und nach gewinnt das Bild des unbekannten Arztes an Kontur. Der Lateinlehrer entwickelt ein Ritual, um seine Reise in die Vergangenheit dieses Mannes zu intensivieren: Er macht einen der Orte ausfindig, an denen der Gesuchte Spuren hinterlassen hat, ein altes, inzwischen dem Verfall anheim gegebenes Gebäude. Dort hinterlegt er die Aufzeichnungen in der Schublade eines verlassenen Schreibtischs. Er wickelt sie in einen seiner Pullover, um sie zu schützen. Nachts begibt er sich an diesen Ort, öffnet die Schublade und liest.
„Nachtzug nach Lissabon“ ist ein Güterzug. Gemächlich rattert er dahin und nimmt den Leser mit. In jedem Waggon trifft man auf neue philosophische Ideen. Doch sie werden durch die Charakterisierung des Lateinlehrers, der ein einsamer, etwas unbeholfener Mann ist, zugänglich gemacht. Das Belehrende an ihnen vermischt sich mit den menschlichen Schwächen des Lateinlehrers und wird dadurch schmackhaft. Es sind gute Ideen; es lohnt sich, ihnen nahe zu treten. Angenehm, wie es Mercier gelingt, seine Inhalte so darzubieten, dass auch ich als routinierte, ungeduldige, arbeitsscheue Leserin nicht die Lust am Weiterlesen verliere. Mir gefällt Merciers Grundfrage: Was würde passieren, wenn man ohne Vorwarnung auf ein Buch träfe, das stark genug wäre, das eigene Leben völlig aus den Angeln zu heben, so, wie es dem Lateinlehrer geschieht? Ich überlege, was für ein Buch das in meinem Fall sein könnte. Wie müsste es beschaffen sein? Welche Fragen müsste es aufwerfen, welchen Geschmack müsste es haben, dass ich ihm verfallen könnte? Und vor allem: Wo ist es zu finden? Denn die Idee, ein Buch könne so mächtig sein, ein reales Leben auf den Kopf zu stellen, ist von großem Reiz. Vielleicht habe ich deswegen angefangen, zu schreiben: Weil ich ahne, dass dieses Buch für mich nicht existiert. Ich muss es selbst verfassen.

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